Volltext Seite (XML)
Dazu war sein angeborener Charakter zu kantig, — und einer pessimistisch gestimmten Zeit findet er willige Hörer. Heute ist sie „überwunden". Lebens bejahung ist trotz schütten, wenn man nicht nur Schopenhauers Pessimismus, sondern den ganzen Schopenhauer für erledigt hält. Hat Selbsterziehung jedes Gebildeten. Dazu kommt, daß der gallige Philosoph sittliche Ideale j aufstellt, die hoch emporragen über die Ideale des Tages. » Dem Heiligen, dem von Leidenschaften Freien gilt feine ! Schopenhauer auch nicht, wie er glaubte, das letzte Wort der Weltweisheit gesprochen, so hat er doch viele Gedanken gedacht, die wie Diamanten funkeln, die zu Grundlagen unserer Kmltur geworden find, die notwendigerweise auch von uns geprüft werden müssen, ehe wir unsere eigene Weltanschauung zum Abschluß bringen können. Schopenhauer bekennt sich stolz als Schüler Kants. Der Eingangssatz seines Zentralwerkes „Tie Welt ist Vor stellung" besagt, daß nach seiner wie nach Kants Über zeugung das Weltbild, wie es unsere Sinne hervorbringcn, mit der Welt, wie sie wirklich ist, dem „Ding an sich" wenig gemeinsam hat. Unsere Sinne sind trübe, unser Geist steht in der Fron der drei „aprioristischen" Begriffe Raum, Zeit und Kausalität, von denen wir nicht wissen noch jemals wissen können, ob sie nicht lediglich Ausgeburten unseres Gehirnes sind. Wenn aber Kant zu dem Ergebnis kam, auch über das Wesen des „Dinges an sich" selbst sei nie und nimmer etwas auszusagen, so lehrt sein Thronerbe im Gegenteil, das Geheimnis sei enthüllt, die Welt sei — Wille. Wille — darunter hat man nicht das bewußte Zweck setzen zu verstehen oder vielmehr nicht nur dieses. Auch das Atmen, das Wachsen, ja die bloße Bewegung eines Steins, das Zusammenhaften der Atome, jeder Dräng zu- einanderhin oder voneinanderfort gehört hierher, und nur die Unzulänglichkeit der Sprache zwingt Schopenhauer, das, was er meint, gerade Wille zu nennen. Wie Schiller sagt, es sei der Geist, der sich den Körper schaffe, so erklärt Schopenhauer, der Wille schasse sich alles, die Welt in ihrer Mannigfaltigkeit und ebenso Verstand und Vernunft. So dekretiert er den „Primat (den Vor rang) des Willens", dasselbe, was Ostwald naturwissen schaftlich „energetischen Monismus" nennt. Man merkt es der scharfen Formulierung an, daß sie ein Kampferzeugnis ist. Schopenhauers Zeitgenosse Hegel, dem die Weisheitsbeslissenen in Scharen zuströmtcn, während sein Nebenbuhler als Privatdozent der Berliner Universität vor leeren Bänken predigte, hatte die Vernunft zur Herrin der Welt erhoben und dem Willen die Stellung eines demütigen Dieners zugewiesen. -Schopenhauer er niedrigt die Vernunft zu einem Kinde des Willens und zu seinem — wenig taugenden — Werkzeuge. „Unsere An sichten sind — unsere Absichten", sagt er einmal. Ganz be wußt nähert er sich damit der Grunbstimmung der Offen Schopenhauer. Von StephanWolters. Es ist die Pflicht jedes gebildeten Menschen, sich eine eigene Weltanschauung zu bilden, — das hat schon Philipp Melanchthon gesagt. Eine eigene, das ist die Haupt sachei In der Schule wird uns ja eine vielleicht sehr hübsche fix und fertig geliefert; aber wer diese auf Treu' und Glauben annimmt, ist im Melanchthonschen Sinne nicht gebildet; er verstößt übrigens auch gegen das schöne Wort des Neuen Testaments: „Prüfet alles und das Beste behaltet." Wer wirklich Anspruch auf Bildung erheben möchte, muß heutzutage mindestens fünf oder sechs großen Denkern auf ihrem Wege gefolgt sein, etwa Kant und Schopen hauer, Hegel und Feuerbach, v. Hartmann und Nietzsche. Keineswegs der Geringste in diesem Sechsgestirn ist Artur Schopenhauer. Es ist etwas Eigentümliches um diesen Sohn eines „Königlichen Kaufmanns" aus Danzig. Mit 31 Jahren brachte er sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vor stellung" zum Abschluß, fast 30 Jahre hindurch blieb er völlig unbeachtet; dann wuchs der Glanz seines Sternes überwältigend schnell, zur Sonnenhelle, verharrte so jahr zehntelang, schwand dann wieder dahin, und heute — kräht kein Hahn danach. Dieser Entwicklungsgang ist aber im Wesen der Schopenhauerschen Philosophie begründet. Ihre deutlichste Note ist der Pessimismus, der Weltschmerz. Nur in der Charakter, so lehrt er, ist unveränderlich. Aber die I Heiligkeits- und Mitleidsbeimischung in ihm war dock so j stark, daß sie seine Werke aufs intensivste gefärbt bat und » in seinen Schülern alles weckt, was auf Reinheit und Soli- ! daritätsgefühle gerichtet ist. Vielleicht darf man behaupten, I daß den „oberen Zehntausend" erst durch Schopendauer j soziales Empfinden nahegebracht wortzen ist: und es ist » ein entsetzlicher Gedanke, daß die Propaganda der ! Nietzscheschen Herrenmoral in dieser Hinsicht einen Rück- l schritt veranlassen könnte! Ein großes und bleibendes Verdienst Sckopenbauers . ist der Nachdruck, mit dem er auf das indiscke Geistes- I leben hingcwiesen hat. Wohl war er nickt sein Entdecker: I aber niemand vor ihm ist davon so im Innersten ergrissen j worden, hat es so tief erfaßt wie er. Sckon Goctdc sang, . Orient und Okzident sei nicht mehr zu trennen: erst ! Schopenhauer aber hat diese Überzeugung den Wayrbeits- l suchern in Europa ins Herz gebrannt. Nock beute glaubt j mancher, der sich für weise hält, auf die „abstrusen" Ideen . des Brahmanismus und Buddhismus bockmütig derab- I sehen zu können, — eine Beschäftigung mit Sckopenhauer l wird sie Bescheidenheit lehren, sie werden nack den von j ihm so hochgepriesencn Upanischads greifen und manckes . in sich wanken fühlen, was bis dabin sicher zu stehen schien. ! Man nennt Nietzsche den „Umwertcr der Werte", aber ans I Schopenhauer paßt diese Bezeichnung noch besser. Wundervoll sind die Sätze, die Schopenhauer über die » Kunst geschrieben hat. Weit über alle Errungenschaften ! der Technik, hoch über die tastenden „Ergebnisse" der l Wissenschaften stellt er die Schöpfungen erster Künstler. , lind darum sondert er auch das Gebiet der Philosophie » schars von dem der Wissenschaften und nennr auch sie eine ! Kunst. Tiefste Weisheit gründet sich nach ihm nickt auf l mühevolle Deduktionen und Induktionen, sondern aus s geniale Anschauung, völliges Aufgehen in das Sein - der Dinge. Von allem Wissensdunst entladen, tritt der ! Philosoph der Welt entgegen und löst ihr Rätsel. Dies ist das kostbarste Geschenk des Schopenhauerschen > Genius. Es ist der Trost, der aus der Trostlosigkeit blüht, » wie die Rose aus den Dornen. Wir spielen mit in der - Schattentragödie, aber wir sind zugleich Zuschauer. Wir I sprechen und gestikulieren, wie es der Regisseur Wille > haben will; aber er fordert nicht, daß wir die Leiden- ; schäften, die wir mimen, auch wirklich empfinden; wir » dürfen uns selbst als etwas Fremdes betrachten. des schrecklichen Weltkrieges die Losung. Und wir sind die Liebe, Mitleid preist er als die höchste, die einzige Tugend. I letzten, die das bedauern. ! Gewiß: Schopenhauer selbst ist kein Heiliger gewesen > Aber es heißt doch, das Kind mit dem Bade aus- und ist auch nicht durch Mitleidstaten berühmt geworden. » barungsreligionen, nach denen die Erleuchtung nicht aus j Nachdenken, sondern aus Gnade, aus dem Willen der Gott- - heit fließt. Verzicht auf eigenen Willen, Hingabe an den I Willen der Allmacht erlöst die Gottgläubigen, Verzicht auf I den Willen zum Leben ist für den „Atheisten" Schopen- j Hauer die einzige Tür, die aus dem Wirrsal des Lebens » hinausführt. Wer Obren hat zu hören, der hört den Ein- ! klang im Heilsruf der Beden, Jesu Christi und Schopen- > Hauers. — Es kann hier nicht versucht werden, einen vollstän- » digen Abriß des Schopenhauerschen Gedankengebäudes, ! noch weniger eine Kritik zu geben. Wir wollen nur ganz I kurz zeigen, inwiefern die ernsthafte Lektüre Schopen- j Hauers noch heute zeitgemäß ist. Nur streifen wollen wir dabei die hohe Kunst des ! sprachlichen Ausdrucks, die überall zutage tritt. Kein deut- I scher Denker hat so klar, so einfach geschrieben wie Schopen- j Hauer, keiner aber auch seine Vergleiche so treffend und » gelegentlich so glänzend gewählt wie er. ! In Zusammenhang damit steht, daß die pessimistische I Weltanschauung in keinem deutschen Schriftwerk so er- j schütternd und überwältigend niedergelegt worden ist wie » in der „Welt als Wille und Vorstellung" und ihren Er- ! gänzungen. Da nun niemand sich eines gesicherten Opti- > mismus rühmen darf, der nicht durch das Fegfeuer des j Weltschmerzes gegangen ist, so gehört eine zeitweilige aus- » giebige Beschäftigung mit Schopenhauer in der Lat zur I