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Unterhaltungs-Beilage zum MW-WM WA M AM Druck und Nerlaa von I. Ruhr Nach?. Dr. Alban irisch, Hohenstein-Ernstthal. GHiMrNch im Hafen Roman von Ida Boek. <27 Fortsetzung.) Annette stand an den Tisch gelehnt und sah auf die Tür, die sich hinter dem Mädchen schloß. Sic war jung, diese Else, und in der letzten Zeit, da hatte sie gezittert vor dieser Jugend, in der sie eine neue Gefahr sah. Heute plötzlich war das anders geworden. So frei, so leicht fühlte sie sich! Nun kam die Vergangenheit noch einmal zu ihr, und beinahe war es Annette, als müsse sie Felix Wessel danken, daß er sich gewaltsam an sie hcrandrängte. Hatte er doch die alte Annette erweckt, die in törichter Sentimentalität untergegangen war! Ach, wie das wirkt, wenn eine Frau weiß: da ist einer, dem du alles bist, der dich liebt, dessen Schicksal in deiner Hand liegt! Wie das wirkt, auch wenn sie selbst kein wärmeres Empfinden dabei verspürt! Annette sah aus die Uhr. Schon vier! Nachdem sie nicht abtelegraphiert hatte, kann Wessel gegen sieben Uhr da sein. Annette drückte auf die Klingel, gleich darauf öffnete Käthe die Tür. „Käthe, trennen Sie von meinem weißen Tüllkleid die Volants ab, plätten Sie sie gut, und dann garnieren Sie den Rock wieder damit, aber weniger reich. Sie können einfach wegschneiden, was zuviel ist. Aber flink. Käthe, morgen möchte ich das Kleid anziehen." Käthe verschwand mit einem sehr langen Gesicht. Annette atmete tief auf. Nun hatte sie auch Käthe sesigelcgt. Dann nahm sie einen Hellen Spitzenschirm, der in der Fensterecke lehnte, spannte ihn auf und ging lang sam über die Terrasse hinab in den sonnendurchglühten Park. Einundzwanzig st es Kapitel. Felix Wessel stand an dem offenen Fenster seines Hotelzimmers im „Habsburger Hof" in Salzburg und sah hinab auf die Straße. Wer ihn im Laufe der letzten zwei Fahre nicht gesehen, würde ihn schwerlich wiedcrer- kannt haben. Der elegante Offizier von damals, der mit seiner Uniform verwachsen schien, sah in dem Hellen Zivilanzuge weder stattlich noch vornehm aus. Das Gesicht grünlich-braun, mit eingefallenen Wangen und stark her vortretenden Backenknochen, umsproßt von einem harten, stark angegrauten Vollbart, die Stirn faltig, wie verwüstet von den heißen Gedanken, die dahinter glommen. Der Ausdruck von Wildheit in den Augen hatte sich verstärkt durch das Unruhige, Flackernde des Blickes, der auch nicht eine Sekunde laug auf einer Stelle haften konnte. Und wie der Blick, so drückte sein ganzes Gehaben eine fortgesetzte Unruhe ans. Es hielt ihn nicht an einer Stelle. Jetzt trat er von dem Fenster zurück und schritt zur Tür, horchte einen Augenblick und ging wieder zum Fenster. Und wieder zur Tür. Immerfort. Wie ein wildes Tier im Käsig. Alle fünf Minuten sah er nach der Uhr. Er erschrak, so oft er draußen auf dem Korridor Schritte hörte. Tabei rauchte er unaus gesetzt. eine Zigarette an der anderen anbrenncnd. Der große Aschenbecher, der auf dem Mitteltisch stand, ver- (Nachdruck verboten.) mochte dis Stümpfe kaum mehr zu fassen. Ab und zu griff er nervös nach der rückwärtigen Tasche seiner Hose, ein- mal zog er sogar ein kleines, blitzendes Ding hervor, einen Taschenrevolver, steckte ihn aber hastig wieder ein. Danach segelten immer die mageren Hände mit den stark hervor tretenden Adern heftig an Len Beinen vorbei und er blieb einen Augenblick stehen. „Ob es nicht das klügste wäre? Ein leiser Druck des Fingers, ein Knall — fertig, Schluß! Das Leben? Pfui! Hol's der Teufel! Wer ist er? Einer, der einmal Ofsizier gewesen, ohne Vermögen, dafür von einem ganzen Regi ment Gläubiger verfolgt, von dem lebend, was die arme Schwester Lydia ihm gibt. Zermürbt, zerbrochen, un- brauchbar für alieZukunft, ohne die physische und psychische Kraft, sein Leben von vorne zu beginnen — also!" Aber so oft er den kleinen Revolver wieder verborgen hatte, wies er diese Gedanken von sich, stachelte seine ganze Wildheit auf, im Gedanken an das Weib, dem er sich selbst zum Opfer gebracht hatte und das nun glücklich war — mit einem anderen, dem er den Weg sreigemacht hatte. Er fuhr sich hastig durch das stark ergraute, dünn ge wordene Haar und knirschte mit den starken Raubtier- zähnen. Die Augen flackerten unheimlicher, die Hände ballten sich zu Fäusten. In diesen Augenblicken, die den Anfällen von Schwäche folgten, bäumte sich alles in ihm auf gegen ein Ende, ehe er sein Ziel erreicht hatte. Und er hatte ein Ziel. Er hatte es bedacht in den zwei Jahren aus der Festung, Tag für Tag bedacht. Der Ge danke an dieses Ziel hatte ihn aufrcchterhalten, hatte ihn hundertmal veranlaßt, die Waffe, die seine Rechte schon umklammerte, wieder aus der Hand zu legen, seitdem er wieder ein „freier" Mann geworden. Er mußte Annette Wiedersehen! Nicht nur Wiedersehen — an sich reißen, sie halten mußte er, sonst war alles, was er für sie getan, eine Farce gewesen, wert eines Possenreißers, der die klägliche Komödie, die er gespzelt, hinterher beweinen mag. Für ihn war es einfach unumstößliche Wahrheit: Annette liebte ihn, sie mußte ihn lieben! Wenn dieser lächerliche Lublinski damals nicht dem Schüsse eines Wahnsinnigen zum Opfer gefallen wäre, der, weil er ein Wahnsinniger gewesen, gegen Recht und Ge- wissen sür seinen Schuß büßen mußte, wenn er, Wessel, im tadellosen, einwandfreien Zweikampf den Gegner gestreckt hätte — dann — ja dann wäre er längst der Glückliche, der das Weib, Las die Seine werden sollte, ein fach sür sich befreite. Annette wäre die Seine geworden! Das war seit zwei Jahren seine Wahrheit gewesen, daran vermochten auch die Mitteilungen der Schwester nichts zu ändern. Wessel wurde in seiner Überzeugung nicht ein mal wankend, als er erfuhr, daß Annette das Weib eines anderen geworden war. Hätte man ihm damals nur Zett gelassen, zu ihr zu eilen! Unter Küsten hätte sie es ihm zugeschworen, die Seine zu bleiben, zu harren, bis die Zeit der Freiheit auch die ihres Glückes werden konnte. Er erfand tausend Entschuldigungen für Annette und zum