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Leben zurück. Er sah ihr I nnenlicht schritt, kraftvoll, I energisch! „Sie hat das bessere Teil erwählt!" sagte er vor sich hin. Dann erhob auch er sich. Dann löste sie leise ihre Hand aus der seinen und ging zuerst wie zögernd, dann aber mit immer festeren Schritten, ohne zurückzublicken, davon ins ? nach, wie sie durch das Helle Sonnenlicht 's ist ein Ammenmärchen, Fritz, eS gibt gar kein Glück, außer es liegt in uns. In mir liegt es nichts" „Lene," bat er flehend. v Sie sah ihn an. „Rein, Fritz, so nicht! Soweit ein l Mensch glücklich sein kann, btu ich eS. Ich liebe meinen s Mann, ich habe Kinder, aber baS Lachende, Sonnige, wie > ich mir mein Glück, mein Leben träumte damals, Fritz, > da wir beide noch jung waren, das hat mein Glück nicht, i Es ist ein ernstes Glück. Fritz! Viele Sorgen, die meisten s liegen in mir selbst: ich Krchte mich vor dem.Leben, ich > fürchte mich vor dem Sterben! Ich fürchte das Altern, die > Flucht der Zeit, ich sorge um alles, was das Leben mir I nehmen kann, ich bange vor allem, was wir Menschen er- z tragen müssen. Die Schatten liegen in mir!" Sie hatte ganz leise vor sich hingesprochen und starrte » in den blendenden Sonnenschein. i „Wer bat dir den Sonnenschein ausgelöscht?" fragte I er mit fast ängstlicher Zurückhaltung. „Du!" gab sie etwas zögernd zurück. „Das Lachende, ' Sonnige war unsere Liebe, die „Kinderliebe", wie du sie I nanntest, als dir die traurigeVernunftkam. Dasliegtin der I Vergangenheit — sie birgt das Helle, Sonnige, und für s mein Leben blieb der Schatten. Ich bin eine glückliche ' Frau, aber die Liebe zu meinem Mann ist keine — Kinder- I liebe! Ich bin alt, müde" — wie ihr Aussehen sie Lügen I strafte! — „und meine Sehnsucht — hat das Hoffen ver- I lernt! Du hast mich denken gelehrt — und wenn man denkt ' — fehlt die glückliche Harmlosigkeit. Ich bin tiefer gewor- I den, besser, wenn du willst, denn ein großer Schmerz lau- I tert. Und er war sehr groß, dieser Schmerz!" Wieder Z huschte das melancholische Lächeln um ihren Mund. „Die > Leute sagen, man soll den Sckmerz, der läurert, lieben — I vielleicht war's darum, daß ich so lange nicht vergessen I konnte!" ; Sie schwiegen beide eine Weile. Der Mann hatte ihre » Hand an die Lippen gezogen und sie dann gegen seine l Augen gepreßt. „Aber jetzt sprich von dir, Fritz!" ' „Von mir? Ich lebe wie ein Mensch, der alles auf » eine Karte setzte — und verlor! überlebt man das, dann i ist man stumpf geworden, es kann einem nichts mehr I passieren. Du weißt, du und die Mutter — ihr wart mir ; alles. Damals, als ich wählen mußte zwischen dir und ihr, « opferte ich dich — und mich! Sie war eine alte Frau, sie l hatte nur mich! Du warst jung, vor dir lag das Leben. An > mich selbst dachte ich nicht, ich bestritt Las Recht des Men- ; schen auf sich selbst. Meine Mutter starb vor drei Jahren. > Ich habe auch den Verlust überlebt — das sagt alles! Ich I freue mich über nichts, ich fürchte nichts, ich lebe mein s ruhiges, gleichmäßiges Leben, in mir ist alles tot!" „Armer Fritz! Aber du bist doch noch jung! Du darfst » nicht resignieren — du sollst leben. Bleibe nicht allein, I schaffe dir einen Lebenszweck — heirate!" Er schüttelte den Kopf. ; „Dazu taug' ich nicht mehr! Was ist das Leben? Eine » Spanne Zeit, die man überdauern muß! Wozu mir wieder I Schmerz zufügen, wieder bangen und zittern, sorgen um I das, woran man sein Herz hängt! Ich bin nicht unglücklich, > Lene, mir ist das Leben nur gleichgültig geworden, ich » weiß, es kann mir nichts mehr anhaben — ich bin der i Stärkere. Der will ich auch bleiben. Was ich besitze, kann s es mir nicht nehmen — die Erinnerung. Auch das ist ! Glück." Wieder schwiegen beide, dann erhob sich die Frau. „Ich muß heim, Fritz! Sag' noch, lebst du jetzt hier?" s „Nein, Lene, ich hatte nur dienstlich hier zu tun!" „Wirst du wiederkommen?" „Ich weiß es nicht, Lene." „Dann leb' wohl, Fritz!" „Gott behüte dich, Lene." Noch einmal hielten sie sich an den Händen und sahen » sich stumm in die Augen. Wieder füllten sich die ihren mit I Tränen. Frühlingslügen. Skizze von I. Stieber. Um eine Straßenecke biegend, waren sie aneinander- ! geprallt und standen nun still. Ihre Augen hingen inein- i ander und ein großes, erstauntes Fragen war in den ! Blicken, ein hastiges, angstvolles Suchen. Wie lange war es nun, daß sie getrennt? Monate, I Jahre?! Jahre waren es, zehn lange Jahre fast, und doch ! schien es ihnen plötzlich, als wäre, es ein langer Tag nur ' gewesen, einer von jenen, den die Sehnsucht endlos er- I scheinen läßt, der die doppelte Anzahl Stunden zu haben I scheint, Stunden mit bleiernen Flügeln, die die Sehnsucht i beschwingter machen möchte, die Sehnsucht nach dem ' „Morgen". Zehn Jahre! Sie erschienen ihnen wie versunken, und I nur das hastige Suchen des Blickes verriet die Angst, Laß ! es doch Jahre gewesen sein könnten, — daß die Jugend ' vergangen, seit sie zum letztenmal sich in stummer Sehn- I sucht aneinandergeschmiegt. Menschen gingen vorüber, sahen die beiden an und ! lächelten. „Erwachsene Menschen, und so närrisch — auf ! offener Straße!" — Das lag in dem Lächeln. Die beiden i sahen es nicht. Das laute Leben und Lärmen tönte wie I aus weiter Ferne an ihr Ohr, wie das leise Wogen der i Wellen um eine einsame Insel, auf die sie sich geflüchtet ! — die Erinnerung. Auf Minuten nur! Das Leben fordert I seine Rechte und duldet im Alltag Feiertagsstimmungen ! nicht lange. Ein derber Stoß, ein unfreundlich gebrummtes ! „Die Passage freigeben!" und ihre Versunkenheit war ver- ! flogen. Sie fuhr mit der Hand über die Augen und ein I verträumtes Lächeln huschte über ihr blasses Gesicht, als I letzte Spur ein leises Not zurücklassend, das sie seltsam ! verschönte. „Du — wir träumen ja auf offener Straße!" Zögernd, I halblaut sagte sie es; das Sprechen bedeutete ja ein Zurück- I kehren in die Wirklichkeit. ! „Darf ich ein paar Minuten bei dir bleiben, Helene?" ! Es klang wie eine drängende Bitte aus seinen Worten. I Sie schüttelte zögernd den Kopf. „Ich muß heim, Fritz." I „Eine kleine Viertelstunde schenk' mir, Helene. Nach so ' vielen Jahren kannst du's wohl. Hat die Erinnerung i keinen Platz in deinem Leben? Gönn' ihr doch die kurze I Viertelstunde!" ; „Ich will," sagte sie und sah ihn an; er zog ihr?n » Arm durch den seinen, fast leidenschaftlich, und dann I schritten sie wortlos auf den grünen Park zu, der so frisch I und still in dem Staub und Lärm der Straßen dalag. ; Nur wenige Besucher waren in den schattigen Baumalleen. » Kühl und dämmerig war es; vereinzelte blaue Lichter I schimmerten durch das dichte Grün der Kastanienbäume, l ein Stückchen Himmel. Sie saßen auf einer Bank, ; und wieder hafteten ihre ängstlich suchenden Blicke ineim » ander. Sie fanden nicht, was sie suchten! Der lange Tag, I der zwischen dem „Gestern" und dem „Heute" lag, hatte I den Hauch der Jugend verwischt. Sie war noch hübsch, das volle dunkle Haar um- ' rahmte noch wie einst das zarte Gesicht, das fein nnd I rosig gewesen wie ein Blumenblatt. Aber gerade die I Frische war dahin! Das Gesicht war blaß und um die I Augen zogen sich ganz kleine, kleine Striche. Unbemerkbar » fast, aber sein Auge übersah sie nicht! Er hatte die Stelle I so oft geküßt, da sie noch glatt gewesen, noch unberührt I vom Leben! Und die Augen selbst! Der alte liebe Blick, jf die alte Sehnsucht darin wie einst! Nur war sie damals » lachend, durstig gewesen, die Sehnsucht, heute lag es wie I leise Schwermut darüber. Sie seufzte. Er richtete sich auf. „Ich dachte, es sei gestern gewesen, seit du von mir » gegangen, und doch! Plötzlich faßte er ihre Hand, und sie gewaltsam pres- I send, sah er ihr lange in die Augen. „Lene!" i Sie zuckte zusammen und ganz langsam füllten sich ' ihre Augen mit Tränen, die schwer,, ohne daß sie ihnen ! wehrte, über ihre Wangen rollten. Der Ton aus alter Zeit, s er hatte ihn nicht vergessen. i „Du, sag, bist du glücklich geworden?" „Glücklich?" Ein weiches, versonnenes Lächeln irrte I wieder um ihren Mund. „Glaubst du noch an Glück, Fritz?