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HohmskN-CruMaler Tageblall undLnzeiger Nr. 148 Montag, den 29. Juni 1925 B ilaqe Eine Taffe Kaffee Skizze von Jörg Beßler-Gera Fritz Reichstein war das einzige Kind eines reichen Farikbesitzers in meiner Heimatstadt, und wie so vielen einzigen Kindern fehlte auch ihm eine straffe Erziehung. Er machte sich alles so bequem wie möglich, und scheute jede Arbeit. Mit mir hatte er in der Schule einen ungeschrie benen Vertrag, den mein steter Hunger und seine stete Faulheit geboren hatte. Ich lieferte ihm die Schularbeiten, und er gab mir dafür sein Frühstiicksbrot, welches er niemals ah, weil er in den Unterri-chtspausen in der Konditorei vom alten Lummer, die der Schule gegenüber lag, lieber Torten und Konfekt verzehrte. Es war daher nicht verwunderlich, dah er seine Studien semester vergnügt verbummelte und nach dem Tode seines Vaters die Fabrik verkaufte, damit er als Rentier leben könne. Wir begegneten uns zuerst wieder in Berlin, wo noch ein zweiter Schulkamerad Hans Hell muth Holz meinen Weg kreuzte. Holz hatte als. Dramatiker großen Erfolg, und Reichstein be mühte sich angestrengt um dessen Freundschaft. Es ist eigenartig und doch so verständlich, dah jeder Mensch etwas gelten will, dah er sich als vollwertiges Glied der Gesellschaft ausweisen möchte. Reichstein gab sich den Anschein einer be sonderen Wertigkeit. Er unterstützte die Kunst und notleidende Künstler. Das war sein Beruf. Er wurde geliebt, vergöttert, von einer Schar verkannter Genies, mit denen er die Zeit in Berliner Künstlcrkneipen totschlug. Er wurde ausgenutzt von Nichtstuern und Schmeichlern. Er hatte aber den Drang nach besserem Umgang nicht verloren, ja er sehnte sich danach, fand aber nie Anschluss in geistig wertvollen Kreisen, weil er selbst durch die vollkommene Vernachlässigung seiner Bildung nichts zu geben hatte. Deshalb scheiterte auch sein Versuch, seinen Schulkamera den Holz an sich zu ziehen. Seine Beharrlich keit in dieser Beziehung belohnte eines Tages der Zufall. Wenn ich an diesen Tag zurückdenke, wo wir um die Kasfeestunde zusammen in einer bekannten Berliner Kneipe sahen, dann möchte ich cs fast nicht mehr Zufall nennen, denn . . ., aber ich will nicht vorgreifen. Reichstein wollte die glückliche Stunde ausnutzen und bemühte sich mit der Gewandheit eines geschickten Gesellschaf ters um Holz. Reichstein freute sich, er sprach von unsrer Schulzeit, er fand gemeinsame Er innerungen und log sich in einem Taumel der Wiedersehensfreude hinein: „Dah ich dich so wiedersche, Holz, Menschens- kind, denkst d» noch daran, wie wir in den Schul pausen bei Lummers Mohrenköpfe ahen und da bei einmal eine ganze Stunde schwänzten? —" — „Du sagst „Nein", das hast du nur vergessen. Kinder, das müssen wir ordentlich feiern!" Reich stein wollte jetzt nicht locker lassen und lud uns zu einer „feudalen Sitzung", wie er es nannte, ein. Holz zerrührte langsam ein Stück Zucker in seinen Kaffee und antwortete: „Nein, daraus wird nichts, ich bezahle jetzt meinen Kaffee und dann gehe ich nach Hause." „Sei kein Frosch," rief Reichstein, „du bleibst hier. Kinder ich weih doch, dah ihr es beide euch sonst nicht leisten könnt, und dah es mir grohe Freude macht. Also los!" Holz aber lehnte beharrlich ab. Schließlich wollte er der ganzen Sache die Spitze abbrechcn und rief den Kellner, um zu zahlen. „Bleiben Sie, Ober," rief Reichstein, „erstens ist Zahlen meine Sache, und zweitens gehen mir noch lange nicht." Holz wurde sehr ärgerlich und stand auf. Reichstein vertrat ihm den Weg. „Schön, du magst gehen, ich kann dich nicht zwingen, aber um eines bitte ich dich, sage mir offen den Grund, denn dah du nicht aus Launen haftigkeit weggehst, das spüre ich und deshalb beleidigt es mich." „Was nutzt es, wenn ich dir den Grund nenne, du änderst dich deshalb doch nicht." Holz wollte gehen, da berührte ihn plötzlich ein Blick seines Schulkameraden mit einer verzweifelten Traurig keit, dah er Mitleid empfand und von einem un bestimmten Drang auf seinen Platz zurückgezogen wurde. Langsam setzte er sich hin und hielt Reichsteins Hand fest, der erfreut den Kellner rufen wollte: „Nein, Reichstein, so verstehst du mich falsch, aber ich will es dir erklären, warum ich weg gehe." Er setzte sich zurecht, wie einer, der eine Geschichte erzählen will und begann: „Ich will dich nicht kränken, Reichstein, aher mit dir feiern, das kann ich nicht. Das würde mir den Sinn des Feierns töten. Für mich war jede Feier ein Ausruhen nach erfolgter Arbeit, ein Atemholen vor neuen Zielen. Meine erste Feier war eine Tasse Kaffee. Grö ßer und schöner ist kein späterer Genuß gewesen. Das war vor dreizehn Jahren. Ich trank da mals ohne jede Sorge meine erste Tasse Kaffee im Kaffeehaus. Ihr wißt es ja, wie ich mich schon in der Schule plagen mußte, mein Schulgeld für das Gymnasium habe ich selbst verdient, Gott, Reichstein, was habe ich dich oft beneidet. Dir stand die ganze Welt offen. Ich sah mein Leben begrenzt durch den steten Kampf ums nackte Brot. Als ich dann als Student mich mit Privat stunden, Abschreiben und Vorlesen durchs Leben quälte, da sah ich überhaupt kein Ende mehr. Hunger und Arbeit blieben meine Abwechselung. Tausend Wünsche, tausend dringende Bedürfnisse kämpften erbittert um die wenigen Pfennige, die ich in der Tasche hatte. Eines Tages war es anders, meine Einnah men waren gestiegen und regelmäßig geworden. Der Frondienst der Privatstunden ward mir ge nommen. Ich lebte von meiner Schriftstellerei knapp und bescheiden. Und dennoch saß ich im Kaffeehaus. Am Hellen lichten Tag hatte ich eine halbe Stunde Zeit, ins Kaffeehaus zu gehen, arglos und unbedrückt. Ich halte etwas erreicht. Zum ersten Male wurde mir das Wörtchen Klein geld ein verstandener Begriff. In dieser Kassee- tunde lag der Lohn für tausendfaches Ver zichten. Du feierst immer. Wie ost sehe ich dich mit bekannten Bummelanten und Nichtstuern zu- ammen. Ich will und kann mich nicht mit dieser Lesellschaft auf die gleiche Stufe stellen. Nimm mir das bitte nicht übel, denn eigentlich tust du mir leid, aber helfen kann dir kein Mensch." Reichstein fand kein Wort der Entgegnung. Wir verabschiedeten uns stumm und ließen ihn allein zurück. Der Zurückgebliebene, der sonst nie mals über sich nachdachte, fühlie plötzlich eine un ¬ erträgliche Last auf seinen Schultern. Starren Blickes saß er vor seiner Tasse Kaffee und konnte die Erzählung seines Schulkameraden nicht ab schütteln. Mechanisch griff er nach der vor ihm Whenden Tasse, um zu trinken, aber entsetzt fuhr er sofort wieder zurück. Die Tasse wuchs und wuchs vor seinen Augen und über ihren Rand quoll eine ekelhaften Flüssigkeit, in der Gewürm und Molche schwammen. Reichstein sprang vom Tisch auf und eilte, ohne umzublicken, auf die Straße. Der Kellner sah ihm verwundert nach. — Es mochten etwa vier Wochen seitdem vergangen sein. Hans Helmut Holz war in sei ner Wohnung und las, halb sitzend, halb liegend, mit jener Bequemlichkeit, in der man sich ungern stören läßt. Sein Zimmer hatte vier Wände voller Bücher, behagliche Sitzgelegenheiten an großen Tischen, auf denen Lexika und andere Sammelwerke ausgebreitct waren. Sonst fiel nur ein großer Kamin auf, aber trotzdem es ge schmacklos war, war es schön, Holz zündete sich eine neue Zigarette an, als sich die Tür öffnete und Reichstein ohne zu klopfen und angemeldet eintrat. Verwundert und ärgerlich zugleich blickte Holz auf: „Was willst du denn hier?" „Ich möchte dich zu einer Tasse Kaffee ein laden." „Du bist wohl verrückt, den Weg hättest du dir ersparen können!" Reichstein zog schweigend einige Geldscheine aus der Tasche und legte sie vor Helmut Holz hin. „Was soll diese Komödie?" rief Holz erzürnt. „Mein erster Wochenlohn; komm, trinke eine Tasse Kaffee mit mir!" Holz blickte seinem Schulkameraden suchend in die Augen und fand auch, was er erforschen wollte, den Glauben, daß Reichstein arbeite. Wortlos reichte er ihm die Hand: ,,Jch komme mit, diese Tasse Kasfee wollen wir feiern!" Allerlei Wissenswertes * Di« sogenannte „Kathederblüte", dieses eigenartige Gewächs unfreiwilligen professoralen Humors, mag gewiß so alt sein, wie der höhere Unterricht selbst, und auch schon auf den Sophi stenschulen und in den Unterrichtssälen der anti ken Akademien die Schüler ergötzt haben. Aber als literarische Gattung ist die „Kathederblüte" verhältnismäßig jung. Ihr Nater und Klassiker war ein 1750 geborener Professor zu Altenburg, Johann Georg August Ealelli, von dessen wun derlicher Persönlichkeit und komischen Leistungen Karl Hünerberg in „Neclams Universum" er zählt. Ealelli hat zahlreiche Werke auf dem Ge biete der Geschichte und Geographie verfaßt, die heute vergessen sind. Sein Andenken erhalten die unvergleichlichen Aussprüche, die der zer streute, mit einem Wust von Gelehrsamkeit an- gesüllte Mann auf dem Katheder von sich gab und die anfangs von den Schülern mündlich be wahrt, dann später schriftlich niedergelegt wur den. Um 1850 erschien ein heute verschollenes Büchlein ohne Verfassernamen unter dem Titel „Galelliana", in dem die Kathederblüte, die nachher von den Witzblättern so reichlich gepflegt wurde, zuerst in klassischer Form in die Erschei nung tritt. Der Herausgeber des Büchleins ver wahrte sich dagegen, „der Jmpietät gegen den verdienten Schulmann und geachteten Schrift steller geziehen zu werden, wenn er diese Aus sprüche veröffentlicht". Aus der reichen, mehr als 400 Stück umfassenden Sammlung seien einige Proben mitgeteilt: Was die Farbe des Mondes betrifft, so ist sie gewöhnlich groß. — Moses ließ die Bibel ins Lateinische übersetzen. — Als der Prophet Zacharias gestorben war, nahm er eine andere Lebensart an. — Medea schaffte dem Jason Gelegenheit, den Minotauros zu töten, nein — es war ein anderer Ochse, der das goldene Vließ brachte. — Wäre Eäsar nicht über den Rubikon gegangen, so läßt sich gar nicht absehen, wohin er noch gekommen wäre. — Nach der Hinrichtung der Maria Stuart erschien Eli sabeth im Parlament, in der einen Hand das Schnupftuch, in der anderen die Träne. — Nach der Schlacht bei Leipzig sah man Pferde, denen drei, vier und noch mehr Beine abgeschossen waren, herrenlos herumlaufen. — Die Hotten totten haben ein so gutes Gesicht, daß sie ein Pferd drei Stunden weit trappeln hören. — Das Kaspische Meer ist eigentlich kein Meer, sondern bloß ein See, denn es ist von allen Seiten mit Wasser umflossen. — Die Bewohner von Hinter indien haben südlich unter dem Munde eine Oeffnung. Ich habe sie mir auf der Karte ge merkt. — Die Kälte wächst gegen den Nordpol um 10 Grad, zuletzt hört sie ganz auf. — Der Tiger, der Leopard und der Panther lassen sic! nur durch das Fell unterscheiden, welches be allen dreien bunt ist. — In der Mathematik gil es viele Lehrsätze, welche sich nur dadurch bewei sen lassen, daß man von vorn anfängt. — Ha: ten Sie die Ohren, wenn Sie Ihrer Zunge nick freien Lauf lassen wollen. * Zu Tode gelacht. Englische Blätter berich teten kürzlich, daß ein Mann beim Ansehen eine- komischen Films in ein solches Gelächter ausge brachen sei, daß er davon starb. Es mag dahin gestellt sein, ob diese Geschichte auf Wahrheit be ruht oder nur eine Kinoreklame war. Tatsäch lich aber wird aus den verschiedensten Zeiten voi Fällen berichtet, bei denen Lachen tödlich wirkte Eine der ältesten Geschichten dieser Art ist die von dem berühmten römischen Philofophei Chrysippus. Dieser sah, wie ein Esel einig- Feigen atz, die er für sich zum Mahle bestimm« hatte. „Gib ihm noch einen Becher Wein, da mit er sie herunterwäscht!" rief der Philosopl seinem Diener zu und brach in ein nicht enden wollendes Gelächter aus, bis er schließlich tot zu sammenbrach. Ein ähnlicher Vorfall wird von einem griechischen Künstler erzählt, der eine alte Frau malte. Der Ausdruck, den er ihren Zügen verliehen, belustigte ihn so sehr, daß er von einem „homerischen" Gelächter ergriffen wurde: er lachte und lachte, ganze 2-1 Stunden lang, bis er an Erschöpfung starb. Eine ähnliche Tragi komödie wird von einem englischen Blatt aus neuester Zeit mitgeteilt. Eine Dame kam zu einem Zahnarzt und setzte sich in den Marte; stuhl, indem sie seufzend sagte: „Ich wün'schte, wir wären alle ohne Zähne geboren." „Ja, wer den wir das denn nicht?" fragte der Zahnarzt. Darauf sah ihn die Dame erstaunt an und wurde dann von einem Lachanfall erschüttert, der zehn Stunden lang dauerte. Cie mar danach sehr er schöpft, erholte sich aber wieder. Maust Roman von Anny v. Panhuys Eopyrigth 1924 by Karl Köhler u. Co., Berlin W 15 21s (Nachdruck verboten.) Sein Herz klammerte sich jäh an die Kleine, die er nur ein paarmal im Arm gehalten, nur ein paarmal geküßt, und deren Verzeihung ihm das höchste Gnadengeschenk dünkte. Vielleicht ward ihm nun Gelegenheit, ihre Verzeihung zu erlangen? Aber da tauchten andere Gedanken auf. Häß liche, schmerzende Gedanken. Auf welchem Weg kam Mausi zu der Wandertruppe? Trug Leicht sinn die Schuld, hatte sie sich irgend einem sata nischen Drange folgend zu den Mödlingers ver laufen. Er wollte und mußte das erfahren. Er fühlte eine Zornesregung, als hätte ihn Maria Reinhard betrogen, als sei sie heimlich, hitcr seinem Rücken fortgerannt. Mausis Vater war tot, die Mutter mit ihr von Heidelberg fortgezogen, soviel hatte er da mals erfahren, nun wähnte er sie in einem ruhi gen gediegenen Bürgerheim, unter dem Schutz der Mutter. Der Gedanke hatte etwas klares, befriedigendes gehabt — und jetzt diese Ueber- raschung. Ihm war es, als besäße er ein Recht, Maria Reinhard zur Rede zu stellen, ob der Enttäu schung, die sie ihm bereitet, diese große, große Enttäuschung. f Mausi dachte indes an nichts anderes mehr. als auf welche Weise sie sich noch rechtzeitig von der Direktion Mödlinger zu lösen vermochte. Um keinen Preis wollte sie mit nach Bärfelde. Als die Zeit immer näher rückte und ihr gar kein Grund einfiel, vertraute sie sich ihren Freun den Robert Mühsam und Frau Majer an. Viel leicht konnten ihr die gewiegten alten Komö dianten einen Wink geben. Sie hatte beide wie der einmal zum Kaffee eingeladcn, was sie regel mäßig von Zeit zu Zeit tat und saß nun zwischen einen, erwartete einen Rat, Die beiden wechselten einen langen Blick. Daß die Kleine schon eine regelrechte unglückliche Liebe mit sich herumschleppte, hätten sie wirklich nicht geglaubt. Mausi verstand es gut, ihren Kummer zu verbergen. „Armes Dingelchen," meinte Mühsam, „armes Mausi. Wie durftest du aber auch gleich an ernste Absichten denken nach ein paar Küssen? Wenn wir zwei dich nicht allmählich kennen ge lernt hätten, würden wir jetzt lachen über deine Naivität." Fran Majer nickte bestätigend. „Mühsam hat recht. Aber weshalb du wegen dem Fürsten weg willst, verstehe ich nicht. Der Fürst wird kaum ins Theater kommen, die Direk torin schneidet vielleicht auf, und wenn er kommt, brauchst du doch auch nicht vor ihm aus zureißen. Der läßt doch sicher nicht merken, daß er dich kennt! Wahrscheinlich ist er schon ver heiratet." Maria Reinhards Mundwinkel senkten sich tief. „Sicher ist er längst verheiratet, seine Braut soll wunderbar schön gewesen fein." „Na also," sagte Frau Majer, da liebt er jetzt wahrscheinlich seine junge Frau so sehr, daß er dich wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, wenn euch ein Zufall nahe aneinander vorbeifüyrt. Ich muß sagen, ich an deiner Stelle würde Mödlin- gcrs nicht in Schwierigkeiten bringen. Du bist doch nun eingespielt, und wo sollen sie denn so rasch Ersatz für sich herbekommen." Robert Mühsam gab Helene Majer recht. „Der Mann hat es doch gar nicht um dich ver dient, daß du seinetwegen ein Dutzend Menschen in Schwulitäten bringst. Denn wenn du plötzlich verschwindest, hat die ganze Truppe darunter zu leiden. Bist ja, ohne Schmeichelei, unser Ncnom- miermitglied, deiner Kostüme und deiner Stimme wegen, wir anderen sind ja alle so'ne Art bessere Vagabunden. Ueberlege mal, wer soll „Rautendelein" spielen. Vielleicht die Rie sin Minka, die draufgeht wie Blücher?" Maria Reinhard ließ den Kopf sinken. Sie sah alles ein, was die Zweie vorbrachten, aber die beiden vermochten nicht nachzufühlen, was in ihr vorging, sonst würden sie anders, ganz anders gesprochen haben. Sie seufzte. „Ihr habt beide recht, aber —" Robert Mühsam fiel ihr ins Wort. „Aber dein Fall ist ein besonderer und ver dient mit besonderen Augen betrachtet zu wer den. Das wolltest du doch ungefähr sagen, nicht wahr, Mausi?" Er wartete ihre Antwort nicht ab, redete weiter, „Und wenn dein Fall der allerungewöhnlichsle wäre, hättest du noch kein Recht, auf Kosten anderer deiner Selbstsucht zu folgen. Allergrößte Selbstsucht wäre es nämlich, wenn du uns im Stiche lassen würdest. Veracht« den Mann, der dir Leid angetan, aber wirf der Truppe durch ein Davonlaufen nicht das ganze Repertoire durcheinander, noch dicht vor Schluß der Saison. Ein Schauspieler soll treu sein. Wie ein Soldat in der Schlacht, auf seinem Posten ausharren." Maria Reinhard zuckle müde die Schultern. „Wenn ihr meint, ich muß mit nach Bärfelde, dann wird es wohl auch richtig sein, und ich will es tun. Möglich, Fürst Weyden erinnert sich meiner kaum noch," schloß sie in einer jähen Aufwallung von Bitternis. Von da an erwähnte Mausi keine Silbe mehr von dem Thema. Sie wollte sich zwingen, nicht einmal daran zu denken, doch gelang ihr nicht, immer und immer mußte sie denken, daß sie jetzt bald Franz-Ferdinand Wiedersehen würde. Eines Tages sagte Robert Mühsam zu seiner alten und seiner jungen Freundin: „Kinder seht euch vor, ich habe das Flügelrauschen des Pleite geiers heute ganz nahe über unserem Kopf ge hört, seht euch vor, jeden Augenblick kann er auf uns herabstoßen." Frau Majer, die schon für den Sommer En gagement an ein kleines Kurtheater gefunden hatte, meinte optimistisch: „Wer weiß, was du gehört hast, Mühsam, die paar Wochen bis Palmarum lotsen die Mödlin gers ihr Schiffchen schon noch durch, und im Sommer kriechen sie als Mitglieder unter, wie unsereins. Sie sind ja nur Winterdirektion. Frau Minka soll letzten Sommer beim Film be- chäftigt gewesen sein." tFortsetzung folgt)