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Im Wettergehen vernahm Renate ihren Namen. Dok tor Reintal, um dessentwillen Gerta hierhergegangen, stand vor ihr und machte seine Verbeugung: „Gnädiges Fräulein, ich bin entzückt, daß Sie hier sind." Einen Augenblick-überließ Renate ihm die Hand, und alle die Wünsche, die Gerta an seine Person geknüpft, eilten durch ihre Gedanken. Er sah gut aus. Die blaue Mütze stand in einem eigentümlichen Gegensätze zu seinem dunklen Haar, dem Gesicht im Bronzeton. Seine Augen hatten etwas Schwärmerisches. Renate konnte sich vor- stellen, daß diese samtweichen Sterne, die Lem Gesicht Güte und Sanftmut gaben, ihrer Schwester Gerta gefielen. „Wir gehen nun bald zu Tisch. Wissen Sie schon, wer Ihr Tischherr ist?" fragte Reintal. Und er war so heiter, wie Renate ihn nie gesehen. „Da kommt auch Ihr Fräulein Schwester, sie ist mir wieder für einige Augenblicke entwischt." Gerta war einen Augenblick stehengeblieben und be trachtete Reintal, der so angelegentlich mit Renate sprach. Ein quälendes Gefühl stieg in ihr auf, wie sie den Mann neben der Schwester erblickte. Mußte er nicht von Lem Zauber der Schönheit gefangen werden, und konnte er neben der stolzen Gestalt wirklich noch Gefallen an ihr fin den? Gerta drängte sich ein wenig vor, als wollte sie Re nate vor Reintal verdecken, und flüsterte ihr ins Ohr: „Weißt du, daß Halmer hier ist?" Renate wich einen Schritt zurück bei der Frage, aus der sie die Absicht zu kränken hörte. Diesen Augenblick be nutzte Gerta, ergriff Len Arm des jungen Mannes und sagte: „Man ruft, glaube ich, zu Tisch." Es sah aus, als wollte sie Neintal aus dem Gesichtskreis von Renate ent fernen. Er aber blieb stehen: „Wir wollen einmal nachsehen, mit wem Sie zu Tisch gehen, gnädiges Fräulein." Renate fürchtete in dieser Minute, daß es Halmer sein könnte, neben dem sie den Abend in Qual und Verbitte rung würde zubringen müssen. „Es wird sich ja herausstellen," sagte sie, „wir müssen gewiß noch »ine ganze Weile warten, Ler Gong hat noch nicht gerufen." Sie fühlte, wie Gerta von ihr fortstrebte, und so nickte sie Reintal zu und wandte sich zur Seite. In der Halle, die zum Eßraume bestimmt war, liefen bereits die Kellner hin und her. Renate forschte, ob sie in dem Gewühl Ler Menschen Storm sehen würde, aber sie suchte vergebens. Den aufmerksamen Veranstaltern des Festes war es Wohl ausgefallen, daß sie bereits seit einer Weile allein, wie suchend, hier stand; in der nächsten Minute verneigte sich der erste Chargierte vor ihr und begann eine lebhafte Unterhaltung. Renate antwortete kurz und liebenswürdig, aber sie versuchte doch, aus dem Bannkreise des Mannes zu kommen. Sie sah sich um, da schaute sie plötzlich in ein ernstes Männergesicht, sah eine hohe Gestalt in einem ele ganten Frack. Der Kopf Les Mannes interessierte sie, weil er edel und klug aussah. Eine bedeutende Stirn zeigte an beiden Seiten leicht ergrautes Haar, das in einem selt samen Kontrast stand zu den Hellen, forschenden Augen. Diese blitzten sie an und Renate fühlte, daß ihr unter die sem Blick der blauen Augen etwas beklommen zumute wurde. Lebhaft sprach sie auf den jungen Studenten ein, schien plötzlich an seinen Worten Gefallen zu finden, und doch mußte sie immer wieder zu dem Fremden Len Blick erheben, dessen Antlitz sie fast zur Bewunderung Hinriß. Langsam, aber mit festen Schritten, kam der Fremde auf sie zu. Eine Stimme, die kurz klang und gewohnt war, zu befehlen, wandte sich an den ersten Chargierten: „Dars ich bitten, dem gnädigen Fräulein vorgestellt zu werden?" Erglühend trat Renate einen Schritt zurück; sie meinte, daß ihre allzu aufmerksame Betrachtung des geist vollen Gesichtes den Mann veranlaßt habe, diesen Wunsch zu äußern. Der Chargierte nannte den Namen: „Professor von Lohe", und verabschiedete sich, um andere Pflichten zu übernehmen. Professor von Lohe nahm sofort die Unter- Haltung auf, und Renate war überrascht, wie weich und liebenswürdig seine Stimme jetzt war. „Ist es das erstemal, daß Sie hier ein Fest mitmachcn, gnädiges Fräulein?" lFortsetzung folai. > Baumen und Säulen gossen ein zauberhaftes Licht ans. Und über Lem Ganzen schwebte ein Duft von Veilchen und Flieder. Renates Augen bekamen einen sehnsüchtigen Glanz. Ihr war, als müßte sich auf diesem kleinen Fleck- chen, das poesiedurchhaucht hier vor ihr lag, ihr Geschick heute abend erfüllen. In dem großen Saale ries sie das Gewirr der Stim- men, das Lachen der Gäste in die Gegenwart zurück. Sie sah sich nach der Mutter um, aber Renate wußte von anderen Gesellschaften her, daß, wenn die Mutter sich in großen Gesellschaften befand, sie stets einige Damen traf, mit denen sie scheinbar ungeheuer wichtige Dinge zu be sprechen hatte. So fand Renate Gelegenheit, ihre Augen schweifen zu lassen. Sie fühlte die reine Freude, die sie stets erfüllte, wenn sie junge, frohe Menschen sah. Aber ihre Augen suchten nur den einen. Da erschrak sie und eine heiße Röte ergoß sich über ihre Wangen. An der Tür, die den großen Saal von den Nebenräumen trennte, stand Otto Storm. Er sprach mit einer jungen Dame. Sein Lachen klang an ihr Ohr, und Renate fühlte in diesem Augenblick einen Schmerz, der einer wahnsinnigen Eifersucht glich. Sie preßte die Hand aus das Herz, und eine Angst vor einer ungewissen Zukunft, die ihr Qual und Leiden bringen konnte, machte sie erbeben. Später, lange Zeit nachher, mußte sie oft an diese Minute des Leides denken, dw er ihr unbewußt verursacht, gerade, als sie sich auf Las Wiedersehen mit ihm so sehr gefreut. Scheu trat sie zurück und ging weiter. Sie merkte wohl, daß die Herren die Köpfe nach ihr wandten, während die Damen zu flüstern begannen, sobald sie an ihnen vor über war. Die Lider senkten sich über die strahlenden Augen. Das weiche Seidenkleid, im tiefen Bronzeton, floß an ihrer Gestalt herab. Das Haar bedeckte in weichen Scheiteln Stirn und Wangen, ließ das Gesicht schmäler, jünger erscheinen, und die Last des gokdfchimmernden Haares fiel in einem Knoten schwer in den Nacken. Eine große Brosche aus funkelnden Granaten, die zwei Orchideen hielt, war der einzige Schmuck. Hier, an der breiten Wand, warf ein Spiegel Las festliche Bild zurück. Im Vorbei schreiten schaute Renate hinein. Da war ihr, als ver löschten die Flammen, als sei das lichte Blau, das ihr überall von den Mützen der jungen Menschen entgegen- strahtte, plötzlich grau und düster. Sie sah zwei Augen, die sich in ihr Gesicht drängten, an die sie jetzt nicht mehr gedacht. Sie fühlte ihr Herz in unregelmäßigen Schlägen pochen: Lukas Halmer war hier, stand wie vor Jahren vor seiner Mutter, die im schwarzen Seidenkleids, einen Reiherbusch im Haar, eine Gruppe junger Damen und Herren um sich versammelt hatte. Wie in Furcht vor dem Kommenden strebte Renate I Lem Tische zu, an dem ihre Mutter saß. War sie so ängstlich? ; Sie, die den Kamps mit dem Leben ausgenommen, bangte i vor dem Manne, der sie betrogen, verraten, um kleiner, I nichtiger Dinge wegen aufgegeben hatte? Ihre Lippen waren erblaßt, als sie in den Nebensaal ; eintrat. Renate strich mit den Fingern über die Stirn. Sie » wunderte sich, daß sie ihrer Erregung nicht Herr werden I konnte. Gerade mitten im Trubel des Festes kam sie sich ver- ; lasten und unglücklich vor, seitdem sie an dem Geliebten » vorübergegangen, ohne daß er sie gesehen. Es war ihr wie > ein Symbol des Lebens, immer allein, immer verlassen, z und sie wollte nicht einsam bleiben. Sie gestand es sich ein, ; daß sie das Glück ihres Lebens nicht im Schaffen sah, son- » dern in der Vereinigung mit einem geliebten Menschen. I Nicht nur in der Arbeit mochte sie sich wiederfinden, son- l Lern in dem Zusammenstreben mit einem geliebten Men- I schen. Seit ihrer gelösten Verlobung mit Lukas Halmer hatte l sie den Gedanken an eine Heirat nie wieder gehabt... bis z sie Otto Storm kennengelernt. Damals war in ihrem ? Herzen eine Flamme ausgeglüht, wie sie während der Lie- » beszeit mit Lukas nie gebrannt. Wie in einer jähen Er- i leuchtung fühlte sie schmerzlich und beseligt zugleich, daß z sie aus der Hand dieses Mannes alles entgegennehmen » könnte, was ihr Glück und Unglück bedeutete. Als sie da- . mals das Fest verlosten, war es ihr eine zage Gewißheit, j daß Storm ihr jene tiefe Neigung entgegenbrachte