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arg getrieben. (Fortsetzung folgt.) Felix — um Gottes willen!" Stark sein, vu! Ich habe sie getötet!" Nein — nein!" keuchte Lydia entsetzt und wich von I dem Bruder zurück. Sie sank auf einen der Stühle am j Mitteltische und starrte lange vor sich hin. Als ihre Lippen « sich wieder bewegten, hörte Felix, wie sie mit atemloser ! Stimme ein paarmal „Barmherziger Gott!" sagte. Er trat I ganz nahe zu ihr heran und drückte ihr den Kopf zurück, l so daß er ihr Gesicht sehen konnte, aus dem jeder Bluts » tropfen gewichen zu sein schien. „Du — ich weiß eigentlich gar nicht, wie es gekommen I ist. Auf einmal war ich in dem Pavillon, auf dem Tisch ß standen ein paar brennende Kerzen — und, an den Tisch ; gelehnt, sie — so schön habe ich sie vorher nie gesehen —" Er fühlte, wie Lvdia zusammenzuckte. Um seine > Lippen legte sich ein Hug von Hohn. Seine Rechte glitt ß von ihrem Kopfe auf die Stuhllehne und umkrampfte sie. ; „Was Lu mir über ihr Aussehen gesagt hattest, habe » ich nicht bestätigt gefunden — nein, nein, sie war schön, I schön! — Du hast sie mit den Augen des Hasses gesehen, > meine Liebe. Ich war hingerissen, ich glaube, ich habe sie ; an mich gepreßt und bin toll gewesen — ich glaube, » vielleicht hat sie sich gewehrt — ich weiß es nicht recht, sie wird sich wohl gewehrt haben. Ich weiß nur bestimmt, daß sie sagte: „Ich liebe meinen Mann!" — und dann — ich weiß nicht: plötzlich hielt ich eine Flinte in der Hand, die ich ihr entrissen hatte — ja, ich habe sie ihr entrissen — ich kann sie nur ihr entrissen haben, wie wäre die Flinte sonst in meine Hand gekommen — ich wollte diese Frau doch nicht töten — ich liebte sie ja und wollte sie besitzen —" Felix sank in sich zusammen. Eine Weile stand er, ohne ein Wort zu reden. Sein Atem flog, Lydia hörte, wie er röchelte. Sie umklammerte seinen Arm, sie rüttelte.ihn. Da straffte er sich in die Höhe, seine Rechte fuhr über Stirn und Haar, dann atmete er tief aus. Lydia erhob sich, und mit einem Blick, in dem Angst und Entsetzen lagen, fragte sie leise: „Und dann?" Er sah sie an und wiederholte ihre Frage. Gleich darauf aber lachte er hart auf und machte ein paar Gänge durch das Zimmer. Endlich setzte er sich an den beleuchte ten Mitteltisch und brannte sich eine Zigarette an. Lydia folgte all diesem Tun mit gespannter Aufmerksamkeit, zum Schlüsse war nur ein ungeheures Staunen in ihr: „Wie konnte er nur so Lasitzen und rauchen?!" Und wie gierig er rauchte, den Qualm verschlingend und in breitem Strom zurückstoßend. Endlich sprach er wieder: „Plötzlich lag sie auf dem Boden — lang hingestreckt, und ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Da wünschte ich, daß sie tot wäre. Von da ab konnte ich wieder ganz klar denken, ganz klar." Lydia neigte sich über den Bruder. Das Entsetzen, von dem sie ergriffen worden, war gewichen. Angst und Zärtlichkeit und Mitleid hatten sie ergriffen. Und wahrend ihre Hände den Kopf des Bruders an sich drückten, sagte sie: „Du Armer, Armer!" Er entzog sich ihr und stand auf. „Diese Klarheit ist schrecklich! Aber ich weiß ganz ge nau, daß ich aufatmete, als ich wußte, daß sie tot sei. — Dann schlich ich davon, wie der richtige Mörder, der nicht entdeckt werden will; und sobald ich im Wa!de war, be gann ich zu laufen, lief und lief. Aber dabei dachte ich und überlegte. Ich sagte mir: Zu der Station darfst du nicht! Der Stationsbeamte könnte sich am Ende erinnern, daß gleich nach der Tat einer atemlos gekommen sei. So ging ich die mir bekannten Wege zu Fuß bis hierher." „Du mußt fort, Felix, gleich' morgen früh mußt du fort! Es hat dich doch keiner gesehen, niemand weiß, daß du hier warst, sie wissen ja noch nicht einmal, daß du frei bist!" „Eben darum bleibe ich," sagte er dumpf. „Bleiben willst du? Warten, bis sie dich aufspüren?" Sie bedeckte ihr zuckendes Gesicht mit beiden Händen. „Nein, Felix, nein! Sei doch barmherzig gegen dich und mich. Ich gehe mit dir. Wir reisen nach der Schweiz, und dann weiter, wohin du willst, nur dorthin, wo du sicher bist. Ich will arbeiten und du wirst dich wieder zu- rückfinden zum Leben." Sie streichelte sein Gesicht; er wehrte leise ab. „Arme, gute Lydia, du mußt stark sein! — Ich gehe i nicht fort!" „Du mußt doch!" ! „Ich bleibe hier, ganz ruhig hier. Meine Flucht könnte > sie nur auf meine Spur bringen. Wenn du nur gescheit > bist und mich nicht verrätst mit deiner Aufregung. Stark » sein mußt du. Ich warte hier, wie's wird. Ich bin neu- ! gierig, wie es kommen wird." „Um Gottes willen, wie kannst du nur —" „So ruhig sein, meinst du? Es ist so: ich bin eigentlich » ganz ruhig. Wahrscheinlich mußte alles so kommen, wie cs ! gekommen ist. Seitdem ich weiß, daß sie tot ist und keinem I anderen angehört, bin ich ruhig. Ich komme nicht von ihr I los, sie war mein Schicksal, und ich das ihre. Sie bat sich » vor mir in den Hafen einer neuen Ehe geflüchtet und ! mußte, schon im Hafen, durch mich Schiffbruch erleiden — > wie ich durch sie Schiffbruch erlitten habe." Die letzten Worte des Bruders hatten Lydia fast be- ; ruhigt. „Es mußte so sein!" Daran klammerte sie sich jetzt; . Annette war von ihrem Schicksal erreicht worden. Aber I noch versuchte sie Felix zu bewegen, mit ihr abzureisen. Er j blieb unzugänglich. „Sei gut, Lydia, sei gut: und sei meine Starke, die du ! immer gewesen bist. Weißt du, ich habe das Gefühl: ich I muß hierbleiben. Glaube, auch das ist Bestimmung. Was > sich erfüllen soll, erfüllt sich, ob ich jetzt bleibe oder gehe. - Nimm du dich zusammen, das ist alles, was du für mich ! tun kannst. — Lösch' das Licht aus, der Tag schaut schon > herein, und versuch' noch zwei Stunden zu schlafen." Er streckte ihr die Hand hin und hielt dann die ihre ; mit leisem Druck. „Ich werde mich uiederlegen, Lydia; - und so merkwürdig es dir erscheinen mag, ich werde schla- I fen können. Ich glaube, jetzt bin ich ganz ruhig, ganz." i Die Geschwister trennten sich. Nachdem Felix durch die ; kleine Tapetentür verschwunden war, stand Lydia noch eine » Weile und starrte ihm nach. „Daß er nicht fort will!" dachte l sie. Und da sühlte sie sich auch wieder von der alten Angst > überfallen. ; Langsam zog auch sie sich in ihr kleines, gegen den » Hof zu gelegenes Schlafzimmer zurück. Sie legte sich nieder. I allein der Schlaf floh sie. Ihre Gedanken erwogen alle f Möglichkeiten für die Rettung des einzigen Menschen, der ; ihr im Leben noch nahestand. Zwei Stunden später stand > sie schon wieder in der Küche und bereitere das Frühstück. I Als sie damit fertig war, ging sie sachte an die Tür I zu Les Bruders Zimmer und horchte mit ungehaltenem ; Atem. Nichts rührte sich. Leise ösfnete sie die Tür. Sie » konnte gerade auf das Bett sehen. Da lag Felix — und I schlief. Schlief und atmete ganz ruhig, wie ein Gerechter I nach ehrlichem Tagewerk. Sie konnte es nicht begreifen. ; Sachte schob sie die Tür wieder zu und sah dann nach ihrer » Arbeit. Gegen Mittag erwachte Felix und wußte nicht, wo er I sich befand, im ersten Augenblick auch nichts von dem, was ; sich einige Stunden vorher ereignet hatte. Erst nach und.» nach kam er zum Bewußtsein und besann sich. Aber nicht I Schmerz quoll in ihm auf, sondern ein ohnmächtiger Zorn > darüber, daß gerade ihm ein solches Schicksal beschiedeu ; war. Und sein ganzer Haß wandte sich gegen die tote » Annette, die er für sein Elend verantwortlich machte. Das I Schicksal war ungerecht gegen ihn, grausam. Schließlich > blieb aber von allen den Empfindungen, die ihn jetzt durch- ; fluteten, nur eine stark: die Neugierde, wie es kommen » würde. Er kleidete sich an und rief nach der Schwester. Ob sie > die Zeitung schon gelesen habe, fragte er sie. Lydia bejahte. Aber in der Zeitung stand noch nichts » von dem, was gestern in Stramitz vorgefallen. So mußte I Felix sich auf das Abendblatt vertrösten. Er hielt es zu > Hause nicht aus, es trieb ihn fort. ; Er sah ein paar Menschen, die er von früher kannte, » als er noch die Uniform trug. Sie aber erkannten ihn I nicht, er drückte sich an ihnen vorüber. In einem Kaffee- I Hause saß er neben zwei Leuten, die von der Baronin ; Briesendorf sprachen. Einer sagte: „Das ist doch die » Lublinska, deren Mann vor ein paar Jahren im Duell i fiel. Ob da nicht ein Liebhaber dahintersteckt? Sie hat's i