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MM-MW MW M UM Unterhaltungs-Beilage zum Druck und Verlag von I. Ruhr Nachf. Dr. Alban Arisch, Hohenstein-Ernstthal. (Nachdruck verboten.) (30. Fortsetzung.) Dreiundzwanzig st es Kapitel. Lydia ?)ork saß, über eine Stickerei geneigt, an dem Mitteltisch ihres einfach möblierten Zimmers. Ab und zu blickte sie nach der Tür. Dann sah sie jedesmal aus die kleine, goldene Taschenuhr, die sie vor sich auf den Tisch gelegt hatte. Es war schon fast Mitternacht und ihr Bruder noch nicht zurück. Lydia legte ihre Handarbeit auf den Tisch und stand auf. Die Linke fuhr über die Stirn, hinter der sich tausend quälende Gedanken drängten. Langsam schritt sie durch das im Halbdunkel liegende Zimmer zu ihrem kleinen Schreibtisch am Fenster und langte nach einem Buche, aus dem ein gesticktes Lesezeichen heraus ragte. Damit trat sie wieder in den durch einen undurch lässigen Lampenschirm bewirkten, scharf abgegrenztcn Lichtkreis in der Mitte des Zimmers und nahm ihren früheren Platz ein. Sie versuchte zu lesen. Allein sie horchte immer aufs neue nach der Tür. Schließlich öffnete sie die Tür, die in das kleine, dunkle Vorzimmer führte, und ließ sie offenstrhen. Um halb eins endlich vernahm sie Geräusch von der Treppe her und dann von der Tür. Sie erhob sich rasch, schritt in das Vorzimmer und drehte die elektrische Be leuchtung auf. Sie hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde. Im nächsten Augenblick trat Felix ein. Angstvoll sah sie nach ihm hin, aber er schien ihr unverändert. Nur als er ihr die Hand reichte, glaubte sie jenes Lächeln um seine Lippen zu erkennen, das sie immer nur in den ver zweifelten Angenblicken bei ihm wahrgenommen hatte. Sie horchte scharf auf den Ton seiner Stimme, als er zu ihr sagte: „Daß du so lange aufgeblieben bist!" „Ich mußte dich erwarten, Felix. Ich war sehr un ruhig." Er hing seinen Überzieher an einen Kleiderhaken, so konnte sie sein Gesicht nicht sehen, aber als er sich ihr wieder zukehrte, sah sie mit einem raschen Blick, daß er die finster znsammengezogenen Augenbrauen zu glätten suchte. Er trat in das Zimmer, Lydia folgte ihm, nachdem sie im Vorzimmer das Licht abgedreht hatte. Felix saß schon lange am Tische und blätterte ge dankenlos in dem Buche, das dort lag. Jetzt blickte er auf. „Du bist wohl sehr neugierig, was, Lydia?" Ihr entging der höhnische Ton nicht, der in seiner Stimme lag. Sie setzte sich zu ihm an den Tisch und griff nach der kleinen Taschenuhr, um sie auszuziehen. „Neugierig ist wohl nicht das richtige Wort, Felix —" „Ob ich geheilt bin? — So rasch geht es nicht, meine Liebe — das glaubst du mir doch? Ja, ja, ja — das mußt du glauben." Seine Augen blickten unstät an der Schwester vorbei. Dann rieb er sich die Stirne und stand auf. „Das eine kann ich dir heute schon sagen, Lydia — damit du eine ruhige Nacht hast, weißt du — es ist jeden falls aus!" Schiffbruch im Hafen Roman von Zda Bock. Bei diesen Worten trat in Lydias verhärmtes Gesicht I ein stilles Leuchten. Sie streckte ihre Rechte dem Bruder > entgegen, er legte die seine zögernd darauf. »Ja, ja, ja: es ist aus, Lydia, sicher ganz aus — ganz ' aus —" Er drückte den Kopf ins Genick, als schmerze er ihn, I und schloß die Augen. Nach einer Weile sagte er in 1 einem . gewöhnlichen Tone: „Nun wollen wir aber schlafen gehen, Lydia — zum I erstenmal wieder als freier Mensch —" , ; Warum zuckte er dabei so zusammen? Dem scharfen ; Auge der besorgten Frau war es nicht entgangen und ihm i selbst schien es gleich darauf zum Bewußtsein gekommen j zu sein. > „Dieses Wiedersehen hat mich doch mehr mitgenom- ; men, als ich selbst ahnte," sagte er plötzlich. „Wäre es dir nicht Erleichterung, wenn du sprächest?" > fragte Lydia leise. Er schüttelte den Kopf und ging zu ; der kleinen Tapetentür, die zu dem Zimmer führte, das » Lydia ihm eingeräumt hatte. Die Hand auf der Klinke, I stand er einen Augenblick. Dann wandte er sich wieder z und schien auf die Schwester zukommen zu wollen. Mit ; ein paar Schritten war Lydia bei ihm. „Du willst mir noch etwas sagen — sei gut, Felix — I sprich dach, sprich!" Sein Gesicht nahm einen unheimlichen Ausdruck an, , vor dem Lydia sich entsetzte. „'s ist ja einerlei! Wenn ich nicht rede, wirst du eben- I sowenig schlafen können, wie wenn ich rede — also!" Ihr stockte der Atem, ihr starr auf Las verzerrte Ge- . sicht des Bxuders gerichteter Blick wollte in seine Gedanken . eindringen. I „So sprich doch!" sagte sie hastig. Felix lehnte sich gegen die Tapetentür. So stand er mit » leicht vorgeschobenem Kopfe, mit den unruhigen Augen an , der Schwester vorbeisehend. „Weißt du, Lydia, ich habe schon unterwegs darüber ! nachgedacht, wie alles gekommen ist." ; „Was denn, was denn? Was ist denn gekommen, i Felix?" Er sah die Schwester, die in großer Erregung vor ihm » stand, wie geistesabwesend an und legte dann seine Hände ! auf ihre Schultern. „Du mußt wissen, Lydia — daß alles aus ist — aus I — aus!" Lydias Augen weiteten sich. Hatte sie den Sinn seiner ! Worte verstanden? Leise, wie aus höchster Qual hervor- I gepreßt, sagte sie: „Felix —!" Er nickte. Die Hände glitten von ihren Schultern - herab. „Sie ist tot!" sagte er fast tonlos und erfaßte die I Hände seiner Schwester, weil ihm war, als müsse sie jetzt ! umsinken. Seine Stimme wurde fest und rauh, als er ; wieder zu sprechen begann: . „Du mußt jetzt stark sein — wenn du mich lieb hast!" I