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Der Ltmgang mit Büchern. Plauderei von HeinzSiebert. Soll man lesen oder soll man nicht lesen? Viele im Leben erfolgreiche Menschen sagen nein und warnen ent schieden vor den Folgen der „Lesewut", vor der Weltfremd heit der Büchernarren, vor der Selbstüberschätzung, zu der sie neigten, die aber in den Stürmen des Daseins früher oder später elend zerbrechen müsse. Diese Warner selbst befolgen ihre Lehre meist getreulich: sie greifen höchstens nach Fachliteratur oder ganz leichter Ware; im übrigen lesen sie, wie sie so schön sagen, „im Buche des Lebens." ^Es lohnt sich nicht, diese Verächter Gutenbergs zu widerlegen und ihnen etwa das Heer seiner Lobpreise! ent gegenzustellen. Es ist ja klar, daß ein gutes Buch für jeden normalen Menschen eine Schatzkammer ist (wie John Rus kin sich ausdrückt), und daß das Richtige an den Angriffen der Büchcrfeinde in einer Selbstverständlichkeit besteht, die schon die sieben Weisen Griechenlands in klassischer Kürze ausgesprochen haben: Nichts übertreiben! Hiermit kommen wir züm Thema und fragen zunächst: Wieviel und welche Zeit darf und soll man dem Umgang mit Büchern widmen? Das ist natürlich säst bei jedem Leser verschieden. Wer in Stellung ist, kann manchmal beim besten Willen wochen lang seine „Schatzkammer" nicht aufsuchen. Es gibt gewiß pflichtvergessene Jünglinge, die sich auch im Kontor durch Privatlektüre „bilden"; aber das sind wirklich keine Muster knaben. Unterm Tisch gelesene Bücher verdienen ja meist auch gar nicht, gelesen zu werden. Erst das Geschäft, dann das Vergnügen! Ein Vergnügen nämlich soll das Lesen immer sein, auch wenn es sich um sehr ernste Dinge handelt, ein Vergnügen gleich einem Gespräche mit treuen, klugen Freunden. Wenn es irgend geht, soll auch der Vielbeschäftigte sich eine halbe Stunde am Tage für ein literarisches Seelcn- bad reservieren, um den Staub und Schmutz der Berufs arbeit abzutun. Wer aber mehr Zeit hat, kann diese gern zum größeren Teil den Büchern widmen — in langsam- nachdcnksamer Vertiefung und solange die Aufnahmefähig keit reicht. Aber, bitte, nicht beim Kasseetrinken und beim Vutter- brotessen oder während des überwachens der Schularbei ten der Kinder. Kasfeeflecke, Fettflecke, Tintenflecke — wahrhaftig, wenn das geduldige Papier reden könnte — es würde vor Entrüstung brüllen über eine solche Mißhand lung! Einen Freund, den wir versehentlich beschmutzen, bitten wir tausendmal um Entschuldigung und schämen uns über unsere Ungeschicklichkeit auch dann noch, wenn er uns längst verziehen hat; Flecken in Büchern sollten uns schamrot machen und für die Zukunft zu peinlicher Sauber keit veranlassen, übrigens schädigt das Lesen beim Essen ja auch die Verdauung. Die Augen leiden, wenn man zu lange liest, zumal bei künstlicher Beleuchtung oder gar bei einer Kerze im Bett vorm Einschlafen. Es ist den Augen auch nicht zuträglich, wenn sie während einer Fahrt im rumpelnden Omnibus gezwungen werden, die Zeilen eines Romans zu durch laufen. So ein Omnibus sollte neben dem Plakat mit der Inschrift: „Nicht rauchen!" ein anderes zeigen, das das Lesen verbietet und neben der herzlichen Bitte um Scho nung der Pferde eine nicht minder herzliche um Schonung der Augen enthält, übrigens ist der Omnibus hier nur ein Beispiel: was von ihm gilt, gilt mehr oder minder auch von Droschken, Straßenbahnen, Autos, Eisenbahnen usw., nicht zuletzt vom Reiten auf Schusters Rappen; das einzige passende „Milieu" für Lesende ist Leibesruhe und Ein samkeit Im Korbstuhl auf dem Balkon oder im Lesesaal einer Bibliothek — da wirkt der Umgang mit Büchern am segensreichsten. Daß man die Bücher vor Flecken bewahren soll, haben wir schon erwähnt. Aber auch vor manchem anderen soll man sie beschützen. Man soll nicht seine Zeigefinger be lecken, um bequemer umblättern zu können — Finger spitzenabdrücke mögen für Untersuchungsrichter von hohem Wert sein, Bücherliebhaber aber entsetzen sich über sie. Man soll Bücher nicht aufgeschlagcn in der Sonne liegen lassen, denn wenn die Sonne Larin liest, färbt sie die Blätter gelb; man soll ein Buch aber auch nicht breit auf den Bauch legen, um bei Wiederaufnahme der Lektüre genau zu wissen, wo man aufgehört hat — denn leicht geht dadurch der Einband aus dem Leim. Ein Lesezeichen er füllt den gewollten Zweck besser — doch soll man dazu nicht Scheren, Briefbeschwerer oder dergl. benutzen. „Esels ohren" sind Beweise eines Charakters, der mehr Ähnlich keit mit dem eines Tigers als dem des sanften Grautieres hat, dessen Horcher ihnen den Namen leihen. Eine noch schlimmere Grausamkeit verrät, wer Bücher mit der Hand, mit dem Bleistift oder einer Haarnadel aufschlitzt, wer den gelesenen Teil eines Buches nach hinten herumbiegt, wer sich beim Lesen mit dem Ellbogen auf die Blätter legt. Ein wahrhaft gebildeter Mensch wird jedes Buch vor dem Lesen einbinden lassen — nicht zu fest — und lieber weniger Bücher kaufen als uneingebundene dulden. Er wird jedem einen Schutzeinband geben oder wenigstens einen solchen bereit halten, um das Buch hineinzulegen, wenn er es aus dem Schrank nimmt. Er wird dafür sorgen, daß die Bücher im Schrank nicht wie Heringe an einandergepreßt werden, aber auch nicht schief stehen. Er wird sie vor allem nicht leichtfertig an Hinz und Kunz ver borgen — denn entweder bekommt er sie niemals wieder oder meist in höchst bedauernswertem Zustand. Zum Schluß: Darf man bemerkenswerte Stellen an streichen und darf man Randbemerkungen machen? Hm, ja und nein. vistm§uo, sagt der Kasuist, auf deutsch: Man muß unterscheiden. Dummköpfe dürfen's nicht, aber ge scheite Leute sollen's. Nämlich: törichte Glossen beleidigen das Buch, verständige dagegen erhöhen seinen Wert. Man kann hier und da auf Bücher stoßen, in denen Randbe merkungen das eigentlich Erhebliche und Erhebende sind, viel häufiger aber auf andere, die durch alberne Frage zeichen, Ausrufe und Faseleien des „Vorlesers" herab- gewürdigt sind. Der rechte Umgang mit Büchern ist, wie man sieht, gar nicht so einfach. Wer ihn versteht, der hat ein gutes Stück Selbsterziehung hinter sich und wird auch im Umgang mit Menschen nicht durch schlechte Sitten auffallen. An Rück sichtnahme, Ordnungsliebe, Talent zum Zuhören wird er es mit den Fachmenschen gewiß ausnehmen können. Wer Bücher liebt, der ist meist auch wert, selbst geliebt zu werden. pflanzeneigenLümlichkerien. Wird ein junger Fichtenbaum durch Sturm oder dergleichen zu Boden geworfen, ohne daß die Wurzel aus der Erde gerissen wird, so ist die Grundbedingung für eine Harsenbildung gegeben. Ter Gipfeltrieb wird wieder nach oben wachsen, zudem werden etliche Ler Scitenzweige im Weitcrwachsen sich zu Fichtenbäumen umbilden, während die meisten Seitenzweige verdorren. So entstehen dann vier, fünf oder mehr Bäume. Das erinnert in der Gestalt an eine Harfe. Bei durch Wind- oder Schncedruch ent- gipselten Fichten wachsen oft die obersten stchengebliebencn Seitenäste zu Gipfeltrieben aus. Da ist dann so eine Fichte von mehreren Gipfeln gekrönt, die kandelaberartig auf einem Stamme stehen. Wer alpine Gewächse an ihrem natürlichen Standort und die gleichen Gewächse in den Gärten des Tieflandes beobachtend betrachtet hat, dem ist es nicht entgangen, daß die Gestalt der gleichen Gcwäckse in der Ebene ganz anders ist als im Hochgebirge. Im Hochgebirge sind all diese Pflanzen gerade das Gegenteil von jenen des Tieflandes Sic sind klein, gedrungen, polsterartig, die Blätter sind zierlicher, aber derber, die Blumenfarbe ist intensiver. All diese Erscheinungen zusammen nennt man alpinen Pslanzcnwuchs, der bedingt wird durch die Lebens verhältnisse im Hochgebirge und der sich in der Ebene unter veränderten Lebcnsbcdingungen auflöst.