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„Empfehlen Sie mich, bitte, der Baronin!" Else sah ihn forschend an, dann aber hastig: „Danke — indessen — jetzt muß ich mich beeilen." „Das heißt, Sie wollen mich loswerden?" „So ungefähr! In unserer Straße zeige ich mich nicht gern in Herrenbegleitung." „So engherzig?" „Ich nicht, aber die anderen! Auf Wiedersehen, Herr Baron — ich habe mich sehr gefreut." Dreizehntes Kapitel. Endlich schlug es zwei! Der Dienst war aus. So rasch war Hans schon lange nicht fertig gewesen. Er tele phonierte den Portier an, ihm einen Wagen zu besorgen, das tat er immer offiziell, um die Kollegen zu ärgern. Er versprach dem Kutscher doppeltes Trinkgeld, wenn er in fünf Minuten im Hotel „Imperial" wäre. „Baron Briesendors oben?" fragte er den Hotel portier. „Im Speisesaal, Herr Baron!" Und dann sand Hans den Vetter beim Mittagessen, zu dem ihn der gleich einlud. Hans nahm gern an. „Hunger hab' ich sowieso — und wenigstens kannst du gleich losschießen!" „Beim Essen nicht," unterbrach ihn Max mit ernstem Gesicht. „O weh! 's würde mir Wohl der Appetit vergehen!" Hans wechselte einen Augenblick die Farbe, sprach aber dann von gleichgültigen Dingen, bis sie gegessen hatten. Als dann sich Max zum „Schwarzen" eine Zigarette an zündete, sagte er: „So, wir wollen jetzt hinauf in mein Zimmer gehen." Hans schritt langsam hinter ihm her, die Treppen hinauf. Der Hals war ihm wie zugeschnürt. Ihm wurde jetzt erst klar, wie fest er darauf gerechnet hatte, daß Onkel Karl ihn nicht würde fallen lassen. Geschah es doch — dann war er fertig. In des Vetters Zimmer angelangt, fetzte er sich aus die neben dem Fenster stehende Chaiselongue, und während Max an den Waschtisch trat, um sich die Hände zu waschen, zündete Hans sich die dritte Zigarette im Verlauf einer Viertelstunde an. „Also los," sagte er nach einer Weile ungeduldig. Max schritt, während er sich die Hände abtrocknete, unruhig auf und ab. „Ich habe nicht viel zu sagen!" „Er will also nicht?" „Er stellt Bedingungen!" „Bedingungen?" Hans sah erregt auf. „Der alte Herr empfing mich riesig nett — sieht bril lant aus —" „Dank der holden Apollonia!" schaltete Hans grimmig ein. - „Vermutlich! Er hörte mich also ruhig an, und was er dann sagte, ist nicht einmal so unsinnig." „Nun?" - „Mit dir ist er fertig, vollkommen fertig! Einer, der auf seinen. Tod spekuliert, ist ein gemeiner Kerl!" „Blödsinn! Als ob ich das jemals getan hätte!" „Aber den Anschein erweckt hast du, und jetzt hat sich der orte Herr in die Idee verbohrt und läßt sich's nicht aus/.eden." „Von mir aus?" „Gar so gleichgültig dürfte dir das nicht sein! Deiner Mutter zuliebe wäre er aber geneigt, dir nochmals zu helfen." Hans atmete tief auf. „Aber nur unter der Bedingung, daß du —" Max stockte. „Na — was soll ich — mich aufhängen vielleicht?" „Nein. Er will dir sogar eine Summe zur Verfügung stellen, wenn du —" , „Also los — was, wenn ich —" „Dich losreißt aus dem Sumpf. Du sollst „dr"'ben" ein neues Leben beginnen!" „Drüben?" Was heißt das?" Hans sprang auf und ergriff des Vetters Arm. „Klipp und klar: du sollst für ein paar Jahre übers Wasser und dir in Amerika eine anständige Existenz gründen!" „Der Alte ist Wohl toll geworden!" Hans warf sich auf die Chaiselongue zurück und lachte — Max setzte sich neben ihn und strich ihm beruhigend über das Gesicht: „Sei doch gescheit! So ganz unrecht hat der alte Herr wirklich nicht! Wenn er dir heute selbst deine Schulden zahlt — was ist damit gewonnen? Mit dem leben, was dir zur Verfügung steht, könntest du ja doch nicht, weil du die Kraft nicht hast, dein Leben mit deinen veränderten Verhältnissen und Aussichten in Einklang zu bringen. Du kannst aber auch nichts tun, um dein Einkommen zu er höhen — so wie du nun einmal geartet bist, ist's unmöglich. Drüben — da ist man ein freier Mensch — da kann man arbeiten!" „Großartig! In Amerika, da kann ich Schreiber werden oder Schuhwichsverküufer, oder Stiefelputzer — und kann's damit zum Milliardär bringen, nicht wahr?" „Du beherrschst Sprachen, Onkel Karl und ich haben alles überlegt — du gehst mit mir nach Tokio, ich bringe dich in einem großen Exporthause unter, mit dessen Chef ich sehr befreundet bin — die Leute zahlen glänzend!" Hans war wild in die Höhe gefahren. „Nie!" schrie er laut, „nie! Ich kann mich nicht so losreißen von allem, was mir lieb und vertraut ist. Ich tauge nicht zu einem Leben der Plage und Schufterei, bloß um mir das Stückchen Brot zu verdienen. Und — ich käme vor Heimweh um da drüben!" Er warf sich zurück und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. „Du ungebärdiges, großes Kind, du! Glaubst du denn, mir ist's so leicht geworden, die liebe, alte Heimat aufzugoben und drüben Wurzel zu fassen? Und ich habe Wurzel gefaßt! Warum solltest du nicht auch können, was ich konnte! Schäme dich, Hans, schäme dich!" „Du hattest deine bestimmte Stellung! Du gingst nicht auf gut Glück hinaus!" sagte Hans dumpf. „Und du hast mich, einen Menschen, auf den du dich verlassen kannst, während ich auf mich allein angewiesen war." Hans umklammerte des Vetters Hände. „Du bist lieb und gut — es ist zu schrecklich!" „Das erscheint dir nur im ersten Augenblick so, Junge! Gewöhne dich an den Gedanken, dann verliert er bald seinen Schrecken." „Nie!" „Ach, Unsinn! Heute und morgen sollst du ja auch nicht fort. Überrumpeln wollen wir dich nicht. Ich habe um Nachurlaub nachgesucht, werde ihn wohl auch erhalten — vier Wochen haben wir dann noch Zeit." „Erwartet denn Onkel Karl Bescheid?" „Gewiß! Er soll für ihn bestimmend sein!" „Und wenn ich „Nein" sage?" „Dann magst du sehen, wie du allein fertig wirst!" Hans vergrub die Hände in die Hosentaschen und lief auf und ab. Er war blaß, auf seinen Zügen lag ein schmerzlicher Ausdruck. Sie sprachen beide nichts mehr. Max wußte, wie grauenvoll dem Vetter dieses „Entweder — oder" sein mußte. Vom nahen Kirchturm schlug eine Uhr. Hans fuhr auf. „Wie spät ist's denn?" „Halb vier hat's geschlagen!" „Herrgott!" Hans riß den Überrock vom Kleiderfiock und griff nach seinem Hute. „Ich muß fort!" „So eilig? Du wirft doch jetzt nicht so davonstürmen?" rief Max ganz befremdet aus. „Ich bitte dich, halte mich jetzt nicht auf. Du sagst ja selbst, daß ich Zeit habe, mich zu entscheiden. Ich muß fort!" „Dann gehe ich mit — allein lasse ich dich jetzt nicht!" „Ich — ich bleibe gar nicht allein!" „Ach so — Weibersachen? Und daran kannst du jetzt denken, in dieser Situation?" „Wenn ich 'ne Verabredung habe! Du bist gerade wie Mama! Man soll vorausahnen! Ich bin doch kein Prophet!" „Nein, aber ein sehr unvernünftiger Mensch — also gehe nur! Du siehst, ich frage nicht einmal, wer es ist!" (Fortsetzung folgt.)