Volltext Seite (XML)
„Weil —" sie stockte und warf den Kopf in den Nacken, . ihn voll ansehend: „Darf ich ganz ehrlich sein?. Alles H sagen?- I „Alles!" " „Und Sie werden mir nicht zürnen?" „Könnte ich das?" Er zog verstohlen ihre Hand an » die Lippen. „Also gut. Sie wissen, ich wohne in der Pension I Lutter. Der Hauptmann a. D. Otto von Lutter, der I Vater meiner kleinen, blonden Freundin Else, hat den ' lieben, langen Tag nichts zu tun —" Annette stockte I wieder. „Nun?" ! „Er hat eine besondere Passion, sich über Menschen, k deren Name der Tag ihm zuträgt, zu informieren. Seine I Tochter nannte Ihren Namen —" „Und flugs wußte der Herr Hauptmann a. D. —" Annette nickte, ohne ihren Begleiter dabei anzusehen. „Oder tat wenigstens, als wüßte er. Vielleicht ist er I auch schlecht informiert —" Hans blieb stehen und entzog Annette seinen Arm. ; „Er wird schon richtig informiert sein. Jetzt pfeifen i wahrscheinlich schon die Spatzen auf dem Dache, daß ich I total fertig bin." Er zuckte die Achseln. „Schließlich kann's mir ja ' egal sein!" „Aber das ist doch schrecklich!" Annette sah ihn ganz unglücklich an. „Viel schrecklicher ist es, daß mir die Sache einen ? Nachmittag verderben soll, auf den ich mich so sehr > gefreut habe!" „Zürnen Sie mir?" „Hätte ich ein Recht dazu? Sie sind ja so lieb! i Aber, liebe, gnädige Frau, ich verdiene es wirklich nicht, I daß Sie sich meinetwegen auch nur einen Gedanken I machen! Mir geschieht ganz recht!" „Warum sprechen Sie so?" „Weil es wahr ist! Eigentlich hatte ich meine ganze I Zukunft auf die falsche Voraussetzung aufgebaut, daß ein I alter Junggeselle, der „Erbonkel", »licht mehr heiraten ; würde. Und nun hat er geheiratet. — Aber wollen wir » nicht lieber eine interessantere Unterhaltung aufnehmen, I gnädige Frau?" Annette schob langsam ihren Arm unter den seinen: ! „Reut Sie Ihr Vertrauen?" sagte sie leise. Er drückte ihren Arm an sich. „Es ist zu komisch, I aber ich glaube, es gibt keinen Menschen, zu dem ich I größeres hätte!" Annette sah bittend zu ihm auf, als wollte sie sagen: ! „Warum zögerst du dann noch, mir alles zu sagen?" I Und als wollte er der stummen Aufsorderung Folge I leisten, fuhr er fort: ! „Ich habe auch zwei Wege —" „Nun also?" Das klang so freudig, daß Hans unwillkürlich das I Gesicht nach seiner Begleiterin wendete: „Ja — zwei Ü Wege hätte ich —" „Und die sind?" „Der eine führt nach Tokio, wo ich ein neues Leben ; beginnen soll! Um den Preis will mein Onkel ein letztes ; tun!" „Und der andere?" „Der andere? — Na — der ist noch 'n bißchen I weiter —" ; „Nein!" rief Annette entsetzt. Sie hatte nur zu gut i verstanden. Hans verzog schmerzlich die Lippen. Nach I einer Weile sagte er: „Das sieht nur so schrecklich aus. Wenn ich die Wahl ! habe, mich unter trostlosen, neuen Verhältnissen müh- I selig durchquälcn zu müssen — oder alles hinter mir zu I haben —l" „So sollen Sie nicht sprechen — das ist feig! Sie ! sind so jung, das Leben liegt noch vor Ihnen, es wird, I es muß einen anderen Ausweg geben!" Hans preßte ihren Arm ganz leicht an sich: „Wie » gut Sie sind! Aber heute ist heut' — ich will jetzt nichts » anderes denken — vier Wochen sind lang — die Galgen- > frist gehört mir — wenn Sie wollen — uns!" Er sah ihr bittend in die Augen. Annette blickte scheu zu ihm auf. In ihr tobte eine hilflose, wahnsinnige Angst. Sie liebte ihn! Herrgott, ja, sie liebte ihn leiden schaftlich! Er durfte nicht fort — nein, nein, nein! Es mußte etwas geschehen! „Wollen wir in ein Theater gehen, Annette?" fragte Hans, bedrückt durch ihr Schweigen. Sie schüttelte den Kopf. „Das könnte ich jetzt nicht!" „Sie fallen sich nicht so bedrücken lassen!" Und sich gewaltsam zu einem leichten Ton zwingend, sagte er ge zwungen heiter: „Ich bin ein sauberer Gesellschafter! Was mache ich nur, damit Sie wieder lustig werden!" „O nicht — Sie sollen mich nicht für so leichtsinnig halten — ich möchte nach Hause!" „Nach Hause? Sie wollen mich jetzt alleinlasscn?" „Seien Sie mir deswegen nicht böse — ja, ich möchte heim!" Hans drängte und bettelte. Aber Annette blieb fest, so daß Hans endlich verstimmt eine Droschke heranwinkte. Annette stieg rasch ein. Als Hans sich zu ihr setzen wollte, wehrte sie bittend ab: „Ich schreibe Ihnen — ja? Auf Wiedersehen!" Hans konnte seine tiefe Verstimmung nicht unter drücken. Er zog den Hut, und ohne abzuwarten, bis der Wagen sich in Bewegung setzte, schritt er rasch davon. Vierzehntes Kapitel. Annette verbrachte eine schauderhafte Nacht. Von dem Augenblick an, da sie sich von Hans von Briesendorf losgerissen, war sie eine Beute verzweifelter Seelen kämpfe. Wenn sie sich nicht mit Aufbietung ihrer letzten Kraft geflüchtet hätte — sie würde eine Tollheit begangen haben! Ihr war es, als hätte sie sich Hans an den Hals werfen und ihm sagen müssen: „Quäl' dich doch nicht! Ich' bin reich, nimm mein Geld, nimm mich — nur sei fröhlich, sprich nicht so mut los, ich kann's nicht ertragen!" Aber sie durste nicht die Herrschaft über sich verlieren! Wußte sie denn, welches Empfinden er sür sie hatte? Sie gefiel ihm — ja! Aber was war das im Vergleich zu dem Fieber, das sie schüttelte! Zum ersten Male in ihrem Leben, daß ein Mann ein so starkes Empfinden in ihr ausgelöst! Und nun sollte sie's unterdrücken, kaum daß es geboren! Konnte das sein? Eine beklemmende Angst erfaßte Annette. Das durfte nicht sein! Irgend etwas mußte geschehen! Aber was? ! Sie konnte ihm doch nicht sagen: „Nehmen Sie mein Geld und bezahlen Sie Ihre Schulden!" — Nein, das konnte sie nicht — aber — sie konnte sie einfach bezahlen! Mit einem Ruck saß Annette ausrecht im Bette, wo sie stundenlang schlaflos gelegen hatte, und starrte mit weitaufgerissenen Augen ins Dunkle. Ja — das konnte sie! — Aber, wie es anstellen! — Da fiel ihr der Vetter ein — Max Briesendorf, den Hans seine Vernunft nannte! Jawohl — der! Sie wurde plötzlich ganz ruhig. Als sie am Morgen erwachte, wußte sie, welchen Weg sie einzuschlagen habe. Leise stahl sie sich davon. Vom nächsten Postamt telephonierte sie ins Hotel „Imperial", dessen Namen ihr Hans zufällig genannt hatte, als sie sich nach seinem Vetter erkundigte, und erhielt den i Bescheid, daß Baron Briesendorf eben beim Frühstück sei. 1 Sie ließ ihn bitten, sie in ungefähr einer Viertelstunde !zu erwarten. Dann bestieg sie den nächsten Wagen und fuhr in das Hotel. Als Annette die ihr bezeichnete Tür zögernd öffnete, stand Max Briesendorf mit nach der Tür gewendetem Kopf da, einen gespannten Ausdruck im Gesicht. „Frau Baronin — ich weiß die Ehre zu schätzen —" „Was aber nicht hindert, daß Sie sehr erstaunt sind! Sie werden noch viel erstaunter sein, wenn Sie erfahren, was mich zu Ihnen führt. Ich brauche Ihren Rat!" Annette ließ sich müde auf das Sofa sinken, während Max in einiger Entfernung auf dem Stuhl Platz nahm. „Lieber Baron, das, was ich Ihnen sagen will, wird Ihnen so ungeheuerlich erscheinen—" Sie stockte hilflos, bald aber überwand sie sich und sagte mit fester Stimme: „Ihr Vetter Hans muß gerettet werden!" (Fortsetzung folgt.)