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I Grasen, zum Wagen tragend, der drüben auf der » Straße hielt. Rodenbach machte ein paar Schritte gegen Wessel, der II noch immer unbeweglich an dem Betpult lehnte. „Herr Leutnant von Wessel — das ist Mord!" sagte » er laut und scharf; ohne die beiden fassungslosen Zivi- !! listen eines Blickes zu würdigen, ging er hastig dem trau- I rigen Zuge nach. „Herr Leutnant — ums Himmels willen, wie konnten » Sie das nur tun?!" Doktor Schröder faßte Wessel leicht ! am Arm. Der öffnet« die Augen, sah von einem zum I anderen und schritt, ohne ein Wort zu erwidern, hinüber f zu seinem Pferde. Er löst« die Zügel, führte es langsam « aus der Waldlichtung hinaus. Draußen erst stieg er auf, ! mühselig, als hätte er steife Glieder, und ritt zur Stadt I zurück, im Schritt, ganz langsam. Aus seinem Gesicht lag I noch immer der unheimlich starre Ausdruck. Während all dies sich ereignete, schritt Lydia unruhig I in ihrem Zimmer aus und ab. Gott weiß, was die » nächsten Minuten brachten. Jetzt mußte ja dieses unselige ! Duell schon vorüber fern! Lauschend hielt sie still und hob I den Kopf — ja, die Gangtür wurde geöffnet, da — ja — i da war Felix — Gott sei Dank! Sie stürmte hinaus. „Felix!" ri«f sie glückselig, taumelte aber im nächsten ! Augenblick ein paar Schritte zurück: Wie er aussahI I „Felix-?!" Er gab keine Antwort, sondern umfaßte sie und zwang , sie so, mit ihm sein Zimmer zu betreten. Ihre angstvollen ! Blicke hingen unverwandt an seinem Gesichte. Wessel führte sie zum Sofa, drückte sie nieder, und, i ihren Kopf zwischen seine beiden Hände nehmend, sah er ! sie stumm an. Dann nickte er und begann ruhelos auf ! und ab zu wandern. „Es ist aus!" sagte er heiser, „ich habe ihn erschossen!" Lydia-schlug mit einem Schreckenslant die Hände vor ! das Gesicht. ! „Erschossen habe ich ihn — verstehst du?" Wieder der I heisere Ton aus zusammengspreßter Kehle. „Felix?" rang es sich rwch einmal von ihren zittern- ! den Lippen. i «Ja, ja, ja — mußt es schon glauben — nieder- I geknallt — ermordet hab' ich ihn! — Ihre Bugen bettelten: I mach' mich frei — da mußte ich'S doch tun!" „Du bist wahnsinnig!" schrie Lydia auf. i Er blieb stehen und strich sich über die Augen — eine I trostlos müde Bewegung. „Wahnsinnig? Vielleicht — i ich weitz es nicht — ich —." Er stürzte plötzlich zu Lydia . und riß sie empor. i „Du — eines weiß ich, ich muß sie sprechen — sie, I Annette — jetzt gleich!" „Nein — nein — nein!" „Lydia — wenn du mich lieb hast — hilf mir — ich ! hab' nicht viel Zeit, sie werden mich holen — aber vorher I muß ich sie sehen, muß sie sprechen, ich muß ihr sagen, I warum — ich — du mußt zu ihr, sie muß kommen — sie ! wird kommen!" Er sprach überstürzt und atemlos. I Lydia rüttelte ihn am Arm: „Aber Felix, komm' doch I zur Vernunft!" „Lydia, ich bitte dich, sie werden ihn bringen — sie ! darf nicht,zu Hause sein — darf nicht überrumpelt werden! ! Vorher muß ich sie sprechen — hol' sie — sag' ihr — ich I muß sie sehen — ich bitte dich, Lydia, ich bitte dich!" „Felix, denk' doch an dich selbst!" „Sei meinetwegen unbesorgt! Ich werde leben, ich I muß leben — weil ich leben will! Ader damit ich's kann — bringe sie her — ich siehe dich au!" Er war wie ein I Rasender. Und die Frau, lies cA et, aufgewühlt im » Innersten, hatte nicht die Kran .-Werstreben. Ohne ! zu überlegen, stürzte sie davon, wa., sich in einen Wagen I und versprach dem Kutscher den dopp-ttwn Fuhrlohn, wenn 1 er so rasch wie möglich fuhr. Sie war noch nicht zum Bewußtsein gekommen, da ! hielt der Wagen vor dem Stramitzer Herrenhause. Sie I ließ den Kutscher ihre Rückkunft abwarten. Alle Fenster waren noch geschlossen. Es war kaum acht Uhr morgens. » Annette schlief wohl noch. Gleichviel: jetzt mußte sie zu , ihr! Das sagte sie auch der verwundert herbeieilenden I Käthe, die nicht wagte, ihre Herrin zu wecken. Aber Lydia ließ sich nicht abweisen und stand wenige Minuten später in dem luxuriös eingerichteten Schlafzimmer an Annettes Bett. „Was ist denn nur, Lydia?" Annette richtete sich auf und sah entsetzt in das totenblasse Gesicht der an allen Gliedern bebenden Frau. „Kleiden Sie sich an, Annette, ich beschwöre Sie — und kommen Sie mit mir!" Lydia konnte kaum sprechen. Es war ihr, als müßte sie das schöne Weib Herausreißen aus dem Bette und hinunterzerren in den Wagen. „Um Gottes willen, Lvdia, was ist geschehen?" » „Fragen Sie nicht, Annette, fragen Sie nicht — kommen Sie mit mir — Felix muß Sie sprechen!" „Ihr Bruder?" Annette sah Lydia mit starren Augen an. Der Ton ihrer Stimme wurde eisig, als sie sagte: „Mit welchem Rechte versucht Ihr Binder einen solchen Überfall?" Lydia schrak zusammen. Sie hatte sich an den Ge danken geklammert, daß diese Frau, die dem Bruder so viel war, doch auch ein Gefühl sür den Unglücklichen haben müsse. Und uun dieser hochmütig abweisende Ton? Lydia faßte Annette hastig an der Schulter: „Jetzt haben Sie ja doch Ihr Ziel erreicht — wir haben aber keine Zeit zu verlieren — kommen Sie endlich!" Annette sprang auf, ihr Atem ging hörbar, rasch schlüpfte sie in ihr Morgenkleid. „Mein Mann!" schrie sie erschrocken auf. Lydias Denken verwirrte sich. „Sie lieben doch meinen Bruder — und er liebt Sie — denken Sie an ihn — er wartets" „Er hat meinen Mann ermordet!" rief Annette und schlug die Hände vor das Gesicht. Lydia trat dicht an sie heran: „Seien Sie barmherzig mit meinem Bruder!" Da fuhr Annette auf: „Ich hasse ihn! Ich hasse ihn! Sagen Sie ihm das!" schrie sie gellend. Das klang so überzeugend, daß Lydia zusammen- schauerte. „Und er liebt Sie — Ihretwegen —" Sie konnte nicht vollenden, denn in dem Augenblicke hörte man das Rollen von Wagenrädern — Annette stürzte an Las Fenster. Die geballten Hände gegen die Schläsen pressend, starrte sie auf den Wagen hinunter, dem Rodenbach und Werner entstiegen waren. Dann sank sie in die Knie, unfähig, auch nur einen Laut von sich zu geben. In Lydia rangen die verschiedenartigsten Gefühle mit einander. War diese Frau, die in ihrem wortlosen Schmerze jetzt ihre Teilnahme erweckte, nicht an dem Un glück ihres Bruders schuld? Wird er es fassen, wenn sic ihm nun sagt: „Du hast dich umsonst geopfert, denn sie hat nur mit dir gespielt, sie haßt dich! Du hast sie nicht befreit, sie sieht in dir den Mörder ihres Gatten, den Zer störer ihres bequemen Lebens!" Wenn ihn nun die Ver zweiflung erfaßt, wenn er die Waffe, Lie er gegen den anderen gerichtet, nun gegen sich selbst kehrt! Bebend betrat sie ihre Wohnung, ihr Herz schlug bis zum Halse hinauf, als sie die Tür zu Les Bruders Zimmer öffnete. Es war leer. Sie stürmte in ihr Zimmer. Da fand sie auf dem Msiteltische einen Zettel, auf dem nur ein paar Worte von ihres Bruders Hand standen: „Hüte sie mir! Sie ist jetzt mein'" Da quoll es sicdendheiß in ihr aus und sie wehrte den Tränen nicht. Siebentes Kapitel. Annette von Lublinska schritt ruhelos in ihrem Zimmer umher Das schwarze Trauerkleid aus matter Seide ließ sie noch schlanker und größer erscheinen. Ihr Gesicht war sehr blaß. Eine schreckliche Zeit lag hinter ihr, grauenvolle vierzehn Tage, seit sie durch Lydia Dork, Wessels Schwester, von Lem Tode Les Gatten erfahren, und man ihr den Toten ins Haus gebracht hatte. Die fieberhafte Erregung, die ein derartiger Un- glücksfall hervorbringt, die tausenderlei Formalitäten, die zu erledigen waren, das Leichenbegängnis, die Tesiaments- eröfsnung — all das hatte Annette bisher nicht zu Atem kommen lassen. (Fortsetzung folgt.)