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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
- Erscheinungsdatum
- 1925-04-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841112631-192504152
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841112631-19250415
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841112631-19250415
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-04
- Tag 1925-04-15
-
Monat
1925-04
-
Jahr
1925
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
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des Thüringischen Statistischen Landesamts, und er weist mit Recht darauf hin (ohne dies in allen wichtigen Richtungen auszufiihren), daß dies seine Ursache in einer Veränderung der Bezie hungen der beiden Geschlechter hat. Hier liegt in der Tat der tiefere Kernpunkt, und zwar liegt er nicht etwa lediglich darin, daß die fabrik arbeitende Frau, die selbständig gewordene Stenotypistin weibliche Reize verliert und männ lich-sachlich wird, er liegt viel tiefer in einer immer stärker werdenden Abkehrstellung gegen die bürgerliche Liebe, gegen die Ehe und Haus- haltgründung. Nicht etwa so, daß in Malthus- schem Sinne eine Enthaltsamkeit vom Liebes leben stattfinde, um den wirtschaftlichen Folgen solcher Bindung zu entgehen — nein, das Liebes leben wird keineswegs eingeschränkt, nur wesent lich verändert und seiner rechtlichen und bürger lichen Form entkleidet, und von einer Bindung ist keine Rede, sodaß mithin von vornherein die etwaigen wirtschaftlichen Folgen wegfallen sol len. Das junge Mädchen, das in seiner Selb ständigkeit glaubt, Freiheit und Liebe zugleich gebrauchen zu können und im übrigen auf seine eigene wirtschaftliche Kraft zu vertrauen, ist da bei noch nicht einmal der schlimmste Feind der Familie; ein schlimmerer Feind der Familie wird der junge Mann, der sich daran gewöhnt, die Freuden, die für gewöhnlich mit der Ehe ver bunden wurden, ohne jede Verantwortung zu ge niesten, oder gar vom Weibe sich immer mehr abzuwendsn. Denn das mutz einmal gesagt wer den: die frauenfeindliche Richtung des Hagestol- zentums macht sich immer mehr breit: immer ge ringer wird die Scheu, sich zu einer mann-münn- lichen Eigenart zu bekennen; ja man erblickt dar in sogar ein hohes Märtyrertum — und mit jedem Steigern solcher Empfindung, auf die man gar stolz ist, wird um so mehr die Familiengrün dung zu einer Einrichtung für die „geistig Armen" gestempelt, die gerade gut genug er scheint, den gutmütigen Papa zu erfreuen, der auf einer früheren Stufe der Weltentwicklung Zurückgeblieben ist. Das ist der bittere mondäne Zug in jenen Zentren, die wir Erohstädte nennen, und all mählich wird das Land davon angcsteckt. Solche Entwicklung geht freilich langsam. Sie ist nicht einmal eine Frage von Jahren, sondern von Jahrzehnten; die Ereignisse des Weltkrieges und der Nachkriegszeit, die seelischen Vergiftungen in Gefangenenlagern und in französischer Sklaverei wirken sich aus; die wirtschaftlichen Sorgen und Entbehrungen lassen mehr als nötig die Frau in den Augen des Jünglings als eine Last des Lebens erscheinen — von Kindern ganz zu schweigen —, und die „Freuden" des Lebens scheinen ja so glitzernd, reichhaltig, kaleidoskopisch rind greifbar, daß man der alten ehrbaren For men nicht mehr zu bedürfen glaubt. Einheirat und Eeldkaufehe werden ohne Scheu gejucht und angepriesen — nicht einmal mehr verbrämt durch Gesellschaftsrücksichten und Familienschran- lcn. Die Beziehungen der Geschlechter zu ein ander haben jedes Ideal verloren. Man hat wegen mancherlei Fehlern und Auswüchsen, die die frühere feudale Ordnung und Klassierung auswies, diese Ordnung zer schlagen; aber allzu völlig hat man das getan in einer Revolution, die nichts, wirklich gar nichts an die Stelle der öffentlichen Rücksicht, der Fami lientradition und der gesellschaftlichen Moral zu setzen hätte. Früher galt es noch etwas, aus guter Familie zu jein, angesehene und geachtete Verwandte zu haben, in der Hierarchie der Menschheit etwas geworden zu sein; — das wirkte gewih nicht immer ehrlich und gut, aber für die Familie war es nützlich und vorteilhaft, für den Zusammenhalt der Nation war es von Wert. Nur mehr Klugheit und sozialen Sinn Hütten die Angesehenen haben und beweisen müs sen, und es wäre keine allgemeine Deklassierung für sie eingetreten, die durch keine entsprechende Höherklassierung der Aufsteigenden voll ersetzt worden ist. So glühend man die Befreiung sozial unterdrückter Menschen gutheitzen und jeden Dünkel der Geburt oder des Geldes verab scheuen mutz — die wahren Werte, die sich an eine geburtkiche oder durch Bildung erworbene Tradition knüpfen, sind für den Bestand des Familienlebens, soll es über das primitivste ge schlechtliche Zujammenlaufen hinausgehen, uner läßlich. Auch eine gewisse wirtschaftliche Macht, Besitz und Vermögen, gehören zum Zusammenhalt von Familien. Der Staat hat in seinem Unglück alle Lebensarbeit der ernstesten Nolkskreise enteignet und dafür den klassenlosen Geschäftemachern Ge legenheit gegeben, ihr Haupt emporzuhcben. Aber diese taten es jeweils nur für sich und hat ten keine Familie — waren auch nicht in der Lage, Familienwerte zu schaffen. Nach Artikel löö der Neichsverfassung werden die Familien güter zerschlagen — und bei allein abbauenden Bemühen findet man dennoch keinen Ersatz für das, was da zerstört wird; der gebundene Besitz schien ein Unrecht gegenüber den Enterbten und war doch das Mittelstück für den Erhalt des Familiensinnes und seiner Kraft, wie jedes Erb recht es ist, das ein Gut in einer Hand bleiben läßt, damit es nicht — zerschlagen — alle Fami lienglieder von der väterlichen Scholle vertreibe und klassenlos mache. Das alles mögen unabänderliche Zeichen unse rer Zeit sein — geradeso wie die selbständigen jungen Mädchen mit Hausschlüssel, die ihrer Mutter keine Rechenschaft über ihren Ausgang geben, oder wie die Herren Söhne, die ihren Vater nur zu treffen wünschen, wenn sie Geld brauchen — aber eine Auflösung der nationalen Kraft, wie sie von dem deutschen Gemütsleben nicht ohne schwerste Gefahren geschieden werden kann, bedeutet das alles gewiß. Familienstolz, Familiensinn, Familienzusammenhalt sind mehr und mehr geschwunden. Durch Mahnungen zur Umkehr ist nicht zu helfen — vielleicht durch tie fere Erkenntnisse vom Zusammenhang der Nach kommenschaft mit den ältesten Vorfahren, also von der Macht der Vererbungsgesetze, von der Kraft und Gewalt des Erbguts. Eine Fami lienforschung, für die ein Interesse geweckt würde, könnte (ganz allmählich!) das deutsche Volk wieder zur Besinnung kommen lassen — zu einer Besinnung an die Zeiten, als man die Frauen ebrte, Vater und Mutter ehrte, Stamm und Sippe ehrte und durch solche Ehrung groß und glücklich wurde. Der Taumel von Tanz und Flirt, und was es sonst noch an mondänen Selbsttäuschungen gibt, vermag jene Besinnung nur immer weiter hinauszuschieben, ein Ein ¬ druck, der durch Statistik, Literaturhinweise, Beispiele und Erfahrungen voll begründet wird. Völker mit einer Jahrtausende alten Ge schichte — wie Chinesen und Juden — lehren uns trotz ihrer wechselnde» und oft unglücklichen Schicksale, dast es der Familienzusammenhalt ist, der sie vor dem Untergang bewahrt und der sie ewig leben läßt. Für den Deutschen spielt, ge mäß seinem Nationalcharakter, die Schätzung der Frau die ausschlaggebende Rolle, wenn er den Familiensinn sich bewahren oder zurückcrobern will, und die sexuelle Frage ist der Schlüssel zu dem Tor der Ewigkeit eines Volkes. Diese für das Leben eines Volkes so dringend notwendige Schätzung der Frau droht, so sehr wir Einzelne von ihnen durch Kleiderluxus, Theaterfreuden und schöne Wohnungen verehren, doch im ganzen betrachtet, vor der Not der wirtschaftlichen Sorge, der Wohnung, der Geld- und Jndustrir- wirtschaft, zu versinken, weil der Mann sein Ee- mütsleben ganz an das Geschäftliche hingegebcn hat und von wirklicher Sorge für die Erhaltung und Wahrung der Vvlkskraft im allgemeinen nicht viel versteht. Denn statt tiefgehender bio logischer Einsicht in die Kräfte des Soziallebens frönt der Kaufmann, und nicht nur er, auch mancher, der sich Wissenschaftler nennt, einer krassen Anbetung des Technischen, des Mechani schen, des Formalen und Aeußerlichen — und Volk und Familie gehen dabei trotz glänzender technischer Erfolge langsam aber sicher zugrunde. Und das Glück kam... Von Walter Steeger Frieder stand nm Fenster seines Zimmers und schaute hinunter in den blühenden Garten. Gottes Segen lag darüber Am Anfang der Woche hatte er an Gertrud geschrieben und ihr seine Liebe gestanden. Eine Antwort war ihm noch nicht geworden. Unruhe und bange Zweifel erfüllten seine Brust. Liebte sie ibn nicht? Nein, nur nicht daran denken. All die tau send kleinen Anfmerksamkeiten, die sie ihm bis her erwiesen, wenn er ihre Eltern besucht hatte, ihre innigen Blicke und die leise, zitternde Stimme, wenn sie einmal allein und unbeob achtet waren, verrieten ihm ja ihre Liebe . . . Wie eigen ihm doch heute war. Als ob das Glück zu ihm kommen wollte .... Irgendwo sang eine Geige das Hohelied der Liebe. Er wurde weich. An der Tür hatte es geklopft und zögernd wurde sie geöffnet. Auf der Schwelle stand . . . Gertrud. Mit einem Aufschrei eilte Frieder auf sie zu. Seine Arme hielten den bebenden Mäd chenkörper, hielten sein Glück. Ich konnte ja nicht schreiben." flüsterte Gertrud. ..Zwei-, dreimal versuchte ich einen Brief; es omg nicht. Und als ich deine Stimme in meinem Herzen nach mir rufen hörte, da tonnte ich nicht länger mehr warten ... ich mutzte ihr Folge leisten. Nun bin ich gekom men. dich zu den Eltern zu holen, datz sie uns ihren Segen geben." „Gertrud!" in diesem Worte lag die ganze Seligkeit Frieders, die er empfand und ihn keine weiteren Worte mehr finden liest. Fester schmiegte sich Gertrud an seine Brust. Beider Lippen fanden sich zu einem langen, inni gen Kusse. . . . . . . Fröhlicher und jubelnder sangen die Vö gel wie sonst. Denn über die Straße schritt hinein in die sonnige Maienzeit das lachende Glück. . . Ak Mucha MilmWe Berliner amtliche Notierungen Berit», 14. April. Telegraphische »lu». »abl»«« ins: 14. Geld 4 Vrw » Leid , Vries Hvlltnrd 100 kl. .67,44 1 I»7.00 168,'.-1. Auciio« »Ure» 1 Pe o 1,50 1,6.0 1.60 1.61 Neigten los Frr-. »1,1» S1.1v 21,14 LI,*» Storivkgcn iuu Ar. 67,12 S7,»K «7.17 67.1.7. Dänemark 100 »r. 77,16 77.2ö 77.20 77.4.) schwkdin Ivo jkr. 1 8.04 L18»L 1.8,0» 118.31 Quinton» 100 sinn. Ml. lü.« 10.6» 10. 6 10/0 JIaNcn Ivo Lira 17,20 17.24 17.25 17.2'./ eondon t Pld. Sterl. 20,07 20,1L 20,-7 20,12 Rewvork l Dollar 4,lvö 4,»05 4.105 4.205 P-n» 100 si.sr kl.61 21,54 21 0 Schwel» iso grc«. 81,04 84,24 81,05 81.28 Spam n Ivo Pe«. 50.68 kV,78 6'?,K7 Dt.-Oesterr. i»0 Schilling Lil, 05 L».2O 5S.< 6 e,v.20 Prag lvo Kr. »2,4» 12,47 12.43 12, <7 üudapcst 100000 Kr. »,dL d.SS 5,8» Nuigarten ISS ilewo 8,00 8,07 8.oü 8.-7 Jago lawien Ivo Dinar 6,78 6 kV 6.75 6,80 Ala de Janeiro > Mi r. 0,4?» 0.15 0.4» o. ir. Japan l Jc» 1,75 1.76 1,74 1.74 etaahon 100 (f-riwo 20,27 20. L 2 20,42 20.17 Daniia 79,65 70,85 70.65 70.85 Konstantinopel r i« 2.10 2,'8 2 ) Ltyktt 7.2S 7,S1 6,»!» 7,01 Cbemniker Schlachtvirkmarktvom 14. April. Aufmeb: 197 Rinder, 433 Kälber, 85 Schafe, 1754 Schweine, znjammen 2469. Goldmark: Piepe für 50 Kg. Lebend- gewicht in Octisen 1. Kl 47—50 Kälber 1. Kl. —— do. 2. Kl. 49—44 do. 2 Kl 78-80 do. 3. Kl. 30-36 do. 3. KI. 70—75 do. 4. Kl. — do. 4 Kl. 40-50 Bnlien 1. Kl. 50—52 Schafe I. KI. 52 do. 2. Kl. 44—47 ds. 2. KI. 40-48 do. 3. Kl 86-40 do. 3 Kl. — do. 4. Kl. — Schweine 1 Kl. 62 Kalben und do. 2. Kl. 62-65 Kühe I. Kl. 47-50 do. 3. Kl. 56-58 do 2. Kl. 47—50 do 4. Kl. 50—56 do. 8. KI. 4i—44 do. 5. Kl. 50-55 do. 4. Kl. 30-36 do. 5. Kl. 18—26 Nach ministerieller Verordnung werden für jede Ea'» Imig die am häufigsten gezahlten Preise notiert. Ausnahmen in jeder GaMmg über Äon;. lleberstnnd: Rinder 9, davon Lehsen 4, Bullen 2, Kühe 3, Kalben —, Kälber —, Schafe —, Schweine 3U4. Berliner Produktenbörse vom 14. April. Nach viertägiger Geschästsunterbrcchmm lagen vom Anstande Nachrichten vor, die teils fester, scils matter Natur waren. So hatten die ame- rikaniichen Notierungen aus den amtlichen Saaten- tandSbericht nm Sonnabend einen starken Ank« chwung erfahren, der aber am Montag zum Teil wieder verloren ging, so datz hier die Ansangs- notierungcn für Brotgetreide etwas höher als nm lebten Donnerstag ivareu. Gerste still, Hafer wenig «»geboten und bei weiterer Frage des Konsums, sowie Polen fest. Mehl ruhig, ebens« Futterartikel. — Getreide und Oelsaaten per 1000 Kg., sonst per 100 Kg. In Goldmark der Gold- anlcihc oder in Nentenmark. Weizen märt. 247—2ö0. Roggen märk. 230 bis 232, Landgerste 210—230, Fnttcrgerste 185 bis 205 Hafer märk. 190-19!). Mais—,—, Wei» zcnmehl 32,25—34,25, Roggenmebl 31 00—32,75, Wcizenkleie 14.00, Roggenkleie 14.40-14,50, RapS 390, Leinsaat 38Ü—385, Viktoriaerbsen 23,00—29.00. kleine Speiserrbscn 19.00—21,00, Futtcrerbsen 18,00—19,00, Peluschken 19,00 bis 20,00, Ackerbohnen 18,50—20.00, Wicken 19,00 bis 20,00, Lupinen blaue 10,00-11,50, LnpineN gelbe 12,00-14,00, Serradella, alt —, Serra della, neu 13,00—15,00. Rapskuchen 15.20—15,50, Leinkuchen 21,30—21.00, Trockruschnipcl 9,90 bis 10,20, Znckerschnibel 17,50—18,50, Torfmclasse 9,20. Kartostelflocken 19,10-19,50. Tabletten In ollen Apotheko u. Brogerien echäMich für Äänger/ ReSner/ Raucher Der Journalist wehrte lächelnd ab. „Lasten Sie stecken, Verehrtester, lassen Sie ruhig stecken. Schn Sie mal, die Auszahlung eines Schecks läßt sich telephonisch verhindern. Ich traue Ihnen ja eine solche Schuftigkeit nicht zu, mein lieber Herr Direktor, aber — aber ich gehe gern sicher in Geldsachen! Deshalb werde ich jetzt mit Ihnen in Ihr Büro fahren und dort den Betrag in Kassenscheinen erheben." Meier sagte kein Wort mehr. Stumm legten die beiden Männer die Fahrt zurück. Stumm gingen sie an die Kaste zu Herrn James Mussler, der große Augen machte, als sein Chef ihn an wies, zehntausend Mark an den Journalisten auszuzahlen. Mit höflichem Dank die Scheine seinem Porie- feuille einverlcibend und mit einer Verbeugung, die von der tadellosen Erziehung dieses elwas ramponierten Gentlemans Zeugnis ablegie, ver liest Hans Kuno von Zitzewitz das Büro. Raoul Meier ging direkt zu Herrn Anton Möller und schnauzte ihn vor dem gesamten Per sonal ohne jeden ersichtlichen Grund derartig an, daß der Prokurist einen roten Kopf bclam und mit erhobener Stimme um seine Entlassung bat. Meier, dem im Augenblick alles egal war, wollte sich gerade ins Privatkonto! begeben, als Herr Löwensons. der Börsenvertrcter, der etwas vergessen hatte und daher noch auf einen Augen blick von der Börse zurücktam, herzutrat. „Wissen Sie schon, Herr Direktor, daß Zitzc- witz, der Redakteur von den „Berliner Nachrich ten" heute morgen Knall und Fall entlasten ist?! — scll sehr faule Sachen gemacht haben, der Herr Baron!" Dem Bankier wars, als drehte sich der ganze Büroraum mit allen Angestellten um ihn. „Entlassen?" fragt er mit einem Gesicht, wie nur ein Geschöpf in der ganzen Zoologie es aufzuweisen hat. „Ja, entlasten!" erwiderte der Börsenvertre ter, während es über das Antlitz des nicht weit abstehenden Kassierers wie Wetterleuchten zuckte s und auch Herr Möller so recht schadenfroh drcin- snh. „Entlassen?" sagte der Bankier noch einmai und seufzte tief auf. Dann besann er sich und jagte: „Ja, das hab' ich gewußt — bloß ich wußte nicht — aber natürlich, das war ja vorauszu sehen — Spieler — leidenschaftlicher Hazardeur und so weiter — wohin soll das führen — ent lasten —". Er ging kopfschüttelnd und ganz geknickt in sein Zimmer. 21. Kapitel. Als Raoul Meier eben zur Börse gehen wollte empfing er ein Telegramm Andrewski, der ihn um seinen sofortigen Besuch bat. Voll der düsteren Befürchtungen fuhr der Spekulant dorthin, aber völlig fassungslos war er, als ihm der Direktor der „Preußischen Bank" dieselbe Nachricht gab, die den Verleger der „Ber liner Nachrichten", Herrn Dr. Thorussen, heute früh so erregt hatte?" „Und Ihr Gewährsmann kann sich nicht irren?" Der kleine Kommerzienrat schüttelte das fast kahle Haupt. „Ganz ausgeschlossen, mein Lieber. Uns trifft es ja wenig; soweit man sich für solche Fälle decken kann, sind wir gedeckt, aber Sie, Herr Meier —" Der Bankier richtete sich hoch auf. „Ich, Herr Kommerzienrat! — ich?! — nun, ich glaubte bisher sicher, daß Sie mich stützen würden —." Mit einer leisen Niickwärtsbewegung zuckte der Kommerzienrat die Achseln. Seine Miene be kam etwas förmlich Glaciertes. „Bedaure unendlich, mein verehrter Herr Direktor, aber wir sind selber nicht in der Lage; was wir tun konnten, haben wir bereits getan, denn, nicht wahr, ohne unser Dazwischentrcten gestern und vorgestern ständen Sie doch heute schon Kopf?'" Raoul Meier zuckte ungeduldig die Achseln. „Aber noch weiter gehen, als wir schon ge gangen find, nein, mein lieber Direktor, daß hieße das Institut, dem ich vorzustehen die Ehre habe, den größtem Gefahren anssetzen! Das geht nicht! Wir haben unter der Hand eine große Anzahl der Titres zurückgekauft und Sie so ent lastet. Ihren Riescncngagements den Rücken decken, dazu müßte unser Institut zehnmal größer jein, als es in der Tat ist. Sauve, qui peut! Ich habe Ihnen rechtzeitig Nachricht gegeben! Sehen Sic, war zu tun ist; übrigens fahren Sie jetzt zur Börse?" Raoul Meier nickte. Sein Gesicht war blaß, aber mehr vor Wut und Empörung, als vor innerer Angst. „Dann," erwiderte der Kommenzienrat mit jener brutalen Offenheit, wegen der er berüch tigt war, „halte ich es für besser, ich warte noch ein bischen. Es ist jedenfalls richtiger, man sieht uns jetzt nicht zusammen!" „In der Tat, Ihr Renommee könnte darun ter leiden!" cntgegenete der Spekulant bitter, und entlockte damit dem.anderen doch nur ein Lächeln. Auf Raoul Meiers Gesicht erschien heute jenes Lachen nicht, mit dem er sonst jeder Situa tion begegnete. Er fühlte, daß er verloren war, und begann sich heute schon nach einem Schlupf loch umzusehen, durch das er wenigstens seine eigene Person in Sicherheit bringen könnte. Auf der Börse sahen ihn die Leute an, wie einen, von dem plötzlich bekannt geworden ist, daß er an einer schweren, ansteckenden Krankheit cidet. Er selbst aber ging mit eiserner Stirn durch die Kulisse, setzte sich in seiner Box neben den Börsenvertrcter, Herrn Löwensons, und plau derte über die gleichgültigsten Dinge. Im Anfang war denn auch die Börse merk würdig ruhig. Die Kauflust war gering, aber die Kurse wichen trotzdem nicht. Da sah Raoul Meier den glänzenden Schädel seines ehemaligen Freundes Andrewsky aus- tauchen und mit einem Schlage änderte sich das Bild. Wer weiß, welchen Zweck er damit ver folgte, aber der Kommerzienrat mutzte auch zu anderen geplaudert haben. Oder war von noch einer anderen Seite das Kriegsgeriicht verbreitet worden? Die große Wage, deren Schalen „Hausse" und „Baisse" heißen, kam auf einmal mächtig ins Schwanken. Die Gesichter der Fixer strahlten, und die Haussiers, deren König Raoul Meier bisher war, ergrifft der blasse Schrecken. - Im Handum drehen sanken die Kurse um 5, 6, 8 und 10 Pro zent! Da wagte Raoul Meier den letzten großen Streich und liest seine Agenten, deren er sich für diesen Tag besonders versichert hatte, vor allem rumänische Anleihe in großen Mengen anfkaufen. Und was niemand zu hoffen gewagt, durch diese unerhörte Kühnheit kam die Deroute zum Ste- offiziellen Bestätigung unterstützt, wurden von hen. Die Kriegs- und Krisengerüchte von einer dieser, jeden neuen Eindruck sofort willig folgen den Menge nicht mehr für wahr gehalten. Die Fixer fluchte», und die Haussiers scharten sich abermals um Raoul Meier, der »och einmal triumphierte. Jetzt erkannte er, oder vielmehr er glaubte die ganze Niedertracht Andrewskis zu erkennen: Dieser Schuft hatte die Kriegsnachrichten nur er funden, um ihn zu verderben! Wer weiß, wie lange er schon in der Gegenmeinung stand und mit Raouls Feinden gegen das eigne Kind sei ner Bank, die rumänische Anleihe, arbeitete! Die Kurse zogen gegen Schluß der Börse an, das Geschäft wurde rege und es sah aus, als sollte die große Gewitterwolke, die nun schon tagelang am Börsenhimmel schwebte, noch einmal machtlos vorüberziehen. (Fortsetzung folgt.)
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