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Marx' Wahlaufruf In der gestrigen Besprechung der Vertreter der im Volksblock — so nennen sich jetzt die Linksparteien — vereinigten Parteien erklärte sich Reichskanzler a. D. Wilhelm Marx zur Annahme der Reichs- prosidentschaftskandidatur mit folgen den Ausführungen dankend bereit: Mein Entschluß, mich für die Wahl des Reichs präsidenten zur Verfügung zu stellen, ist mir nicht leicht geworden. Die hohen Aufgaben, mit denen das deutsche Volk in der Rcichsversassung den Reichs präsidenten betraut hat, erfordern von dem Inhaber dieses Amtes höchstes Verantwortungsgefühl und treueste Pflichterfüllung. Ich danke den deutsche» Männern und Frauen, die zu mir das Vertrauen haben, daß ich meine ganze Kraft ohne Rücksicht auf meine Person und irgend eine Partei für das Wohl von Volk und Reich einzujetzcn bereit bin. Die höchste Pflicht des Mannes, den das deutsche Volk als sei nen Vertrauensmann zu dem hohen Amte des Reichs präsidenten beruft, ist der Schutz und die Wahrung der Verfassung, aus der ihm seine Rechte und Pflich ten erwachsen. In freiem Entschluß, zu dem sich das deutsche Volk aus dem Zusammenbruch in kraftvoller Selbsthilfe aufgerafft hat, bekannte sich das deutsche Volk zum Dolksstaat, zur Republik. Ausgabe des Staatsoberhauptes muh cs sein, diesen Willen des Volkes zu achten und zu sichern. Auf diesen Grund festen der Verfassung soll sich in Freiheit und gegen seitiger Duldung unser nationales, wirtschaftliches und kulturelles Leben entfalten. Unser aller Streben muh darauf gerichtet sein, das öffentliche Leben rein zu halten und vor Zersetzung seiner inneren Kräfte zu bewahren. Je ernster dieses Streben das ganze Volt in all' seinen Schichten beseelt, um so sicherer wird es zu erkennen vermögen, was der Gesundung u»d dem Wiederaufstieg dienen will Aber um so entschiedener wird cs auch alle unlauteren Machen schaften von sich weisen, die nicht Reinigung, sondern Beunruhigung und Verhetzung bezwecken. Solange ich politisch tätig bin, ist es immer mein Ziel und Streben gewesen, unser so tief zerrissenes Volk zu gemeinsamer Arbeit am Wohle des Vater landes zusammenzuführen. Mein Glaube, dah sich das Volk nicht nur im Kriege, sondern auch im Frie den als eine unlösliche Schicksalsgemeinschaft einmal erkennen, fühlen und betätigen wird, ist so unerschüt terlich wie mein Vertrauen auf Deutschlands Zu kunft. Diesem Ziele werden wir »äherkommcn, je mehr es uns gelingt, unser ganzes öffentliches Leben mit wahrhaft demokratischer Gesin- n u n g und sozialem Geiste z» durchdringen. Fühlen wir uns alle wirklich innerlich miteinander verbun den als ein Volk, dein in seiner tausendjährigen Ge schichte Glück und Leid in reichstem Mane zuteil ge worden ist und das sich jetzt wieder einmal aus tief- jlcr Rot zu neuer Geltung und Gröhe emporringen muh, dann werden wir uns auch über alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze, sowie über alle Unterschiede des Glaubens und der Weltanschau ung hinaus gern und freudig die Hände reichen. Mein ganzes Leben hindurch habe ich mich um die Wahrung und Pflege der hohen Güter christlicher und deutscher Kultur bemüht. Gerade in dieser Arbeit wuchs in mir die Erkenntnis, wie reich und oielgeüaltig das kulturelle Leben unseres Volkes ist, wie aus den starken Kräften der Ueberliefcrung gesundes neues Leben treibt, wie sehr jede echte Ueberzeugung Achtung verdient, und dah ein ruhi ges Zusammenleben nur verbürgt werden kann, wenn der Staat die Gewissensfreiheit seiner Bürger gc- wührieistet und wenn das Volksleben von gegenseiti ger Rücksichtnahme und Duldsamkeit erfüllt ist. In diesem Geiste zu wirken, wird mir stets eine der vornehmsten Pflichten sein. Wir brauchen diesen inneren Frieden vor allem deshalb, weil wir immer noch nor der schweren Aufgabe stehen, den äußeren Frieden sichern zu müssen. Wie ich Ziele und Wege der deutschen Außenpolitik sehe, darüber habe ich durch meine Arbeit im Dienste des Reiches volle Klarheit geschaffen. Das deutsche Volk will die Verständigung im Geiste der Gerechtigkeit und wahrhafter Weltbcfriedung, ein Ziel, das nur er reicht werden kann, wenn das Recht der Völker auf Freiheit und Selbstbestimmung gewahrt bleibt. Zentrum und Reichsregieruug lt? iaene D ra b t m c l t> u n a> Berlin, 6. April. Wie wir erfahren, haben führende Parlamen tarier des Zentrums dein Reichskanzler Dr. Luther gegenüber eine Erklärung abge geben, in der mit aller Entschiedenheit bestritten wird, daß bei den Verhandlungen mit der Sozialdemokratie über die Präsidentschaftskandi datur Marx die Möglichkeit eines Sturzes des Reichskabinetts auch nur andeu tungsweise erörtert worden wäre. Die Zen trumsfraktion des Reichstages denke nicht daran, gegenwärtig ihre Haltung zur Regierung Luther zu ändern. Osterferien im Reichstag Von unscrcm oorlnmeoMsNchc» MNorbcüer Berlin, 4. April. Im Reichstag herrschte heute Ferienstim mung. Das Haus war sehr schwach besetzt. Selbst die sonst so eifrigen Tribünenbesucher hatten für den letzten Sitzungstag vor Ostern wohl mit Recht keine besondere Sensation er wartet und waren nur in geringer Anzahl er schienen. Die Verhandlungen nahmen, da viele der H np^ftreiter im parlamentarischen Kampf wohl schon in Feriensonderzügen sitzen mögen, einen sehr ruhigen Verlauf. Das Haus zeigte sich heute freigebig und verteilte Ostergeschenke, indem zunächst H i l f s m a sz n a h m e n für die besetzten Gebiete beschlossen wurden. Fer ner gchen auch die Beamten nicht leer aus, de nen ein höherer W o h n u n g s g e l d z u - schuß bewilligt und die Aussicht au, die Er höhung ihrer Bezüge eröffnet wurde. So dann wurde das heikle Thema der Woh nungsnot und der Zwangswirtschaft ange schnitten. Ueber Zwangswirtschaft und freie W"tj')aft gehen die Meinungen weit ausein ander, aber ül r die Notwendigkeit d.s Mieter schutzes waren alle Parteien einig. Inzwischen war im Hause die Nachricht van der furchtbaren Grubenkatastrophe auf der Zeche Matthias Stiunes bekannt geworden. Präsident Loebe unterbrach dis Verhandlungen, indem er die warme Anteilnahme des Hauses zum Ausdruck brachte. Zehn Tote auf „Matthias Stinnes" Aus der Zeche „Matthias Stinnes" ist am Sonnabend der letzte Tote geborgen worden. Einschließlich eines im Krankenhausc gestorbenen Schwerverletzten, beträgt die Zahl der Toten zehn. Die bcrgpolizeilichr Untersuchung beginnt Montag früh. Zum BauunglUck in Böhle» An der Unfallstelle in Böhlen sind am Sonn abend, nachdem einige lose herabhängende Geröllstücke vorsichtig beseitigt worden waren, mit Erlaubnis der Baupolizeibehörde die Bergungsarbeiten wieder in Angriff genommen worden. Eine aus der Belegschaft bestehende freiwillige Helserschar von etwa 200 Mann ist eifrig tätig, nm die Kcröllmassen außcr- und innerhalb des Schornsteinstumpscs zu beseitigen. Ihre Bemühungen waren auch erfreulicherweise von Erfolg, denn bis Sonntag nachmittag waren außer den bereits am Freitag geborgenen zwei Leichen weitere sechsTote ausgehobe». Auch diese Lei chen waren, wie die zuerst geborgenen, völlig ver stümmelt. Die Strafanträge im Prozeß gegen die Kommunisten Im Tsch e ka-P roz eß stellte am Schluß seines Plaidoyers der Reichsanwalt folgende St ras an träge: N e u m ann Todesstrafe, 7 Jahre Zuchthaus und 000 Mark Geldstrafe, sowie dauernde Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Skoblewski Todesstrafe, 10 Jahre Zuchthaus, SOO Mark Geldstrafe und dauernden Verlust der bür gerlichen Ehrenrechte. Wegen Beihilfe zum Morde Todesstrafe gegen Pöge, Margies und Szon, außerdem Pöge 8 Jahre, Margies 9 Jahre, Szon 4 Jahre Zuchthaus sowie dauernder Verlust der Ehrenrechte und bOÜ Mark Geldstrafe. Mcus 4'/- Jahre Zuchthaus, 400 Mark Geld strafe, 0 Jahre Ehrverlust, Marschner :> Jahre Zuchthaus, 800 Mark Geldstrafe und 5 Jahre Zucht haus, 800 Mark Geldstrafe und 0 Jahre Ehrverlust, König und Diener je 5'/, Jahre Zuchthaus, 000 Mart Geldstrafe und .0 Jahre Ehrverlust, Maier 6',', Jahre Zuchthaus, 000 Mark Geldstrafe und 10 Jahre Ehrverlust, Kuhls 2 Jahre Gefängnis und 800 Mark Geldstrafe, Huke 8 Jahre Zuchthaus und 800 Mark Geldstrafe, Hallup 2 Jahre Zuchthaus und 200 Mark Geldstrafe, Jntorf 1^/« Jahr Ge fängnis und 100 Mark Geldstrafe, Les nisse die gleiche Strafe, Frau Lesnisse 10 Monate Gefäng nis. Die Untersuchungshaft soll bei allen Angeklagten entsprechend angerechnet werden. Die Angeklagten nahmen die Anträge ruhig entgegen. Nächste Sitzung Montag 10 Uhr. Sächsisches Hobenstrin-Crnftthal, 6 April 1925. Bei fallendem Luftdruck zunehmende Trübung bei Abnahme der Temperatur wahrscheinlich. FrützlkmStvetter Weit habe ich die Fenster meiner Stube ge öffnet. Denn auch ich will die erquickende, neu- belebende Frühlingslust atmen. O, wie herrlich ist es doch brausten: wir sehr freue ich mich über den Glanz der Sonne. Glück lich bin ich. das; sie nun endlich — nach so lan- zer Zeit — uns wieder scheint, keine Nebel schleier. kein araues Reqenwettcr sie mehr hin dert. uns ihre erwärmenden Strahlen zu senden. Denn arm an Sonnenlicht und -wärme wa ren die letzten Wochen. Nun aber beginnt es zu knospen und zu blühen, neu belebt sich die Natur. Heute ist ein Tag, der alle Herzen beglückt und dankbar zum Schöpfer stimmt. Mögen uns immer — wie auch unserem deutschen Vaterlande — sonnige Tage beschieden sein! — W. Stg. —stg. Leuchtender Frühlingssonncnschcin begleitete am gestrigen Sonntag Palmarum die jungen Men schenkinder, die sich unter Führung der Herren Geist lichen in gemeinsamem Zuge nach unseren beiden Kirchen begaben, um dort eingcsegnet und in de» Bund der erwachsenen Christen ausgenommen zu wer den. Beide Gotteshäuser waren von einer zahlreichen Gemeinde besucht, die an dem feierlichen Gang der jungen Christen herzlichen Anteil nahm. Die Zahl der Neukonsirmierten war nicht allzu groß: so waren cs in der Parochie St. Lhristophori 70 Knaben und 71 Mädchen, und je 40 Knaben und Mädchen in der Parochie St. Trinitatis. — Schlicht und einfach war dann die gutbesuchte Nachfeier der kirchlichen Jugend- vereine zu St. Lhristophori, die im „Schiitzenhaus" stattfand. Gedicht-, Gesangs- und Posaunenvorträgr bildeten einen würdigen Rahmen. Herr Pfarrer Rietzsch sprach Worte der Begrüßung und gab dem Wunsche Ausdruck, daß der Lenz auch in die Herzen der Ncukonfirmierten einziehcn, alle Nebelschleier zer reißen möge. Er bat, die Darbietungen nachsichtig zu beurteilen, die geboten werden, denn „Bcrufskünst- ler" sind's wohl nicht, die sich in den Dienst einer gute» Sache gestellt haben, aber — in ihrem Herzen wohnt ein Gott, den sie loben und zu dessen Ruhm auch das wenige geschieht. Helfs Gott, daß es wvhl- gclingc! — Sodann sprach Herr Pastor Haaß. Seine Geleitworte an die Neukonsirmierten waren von einem tiefen Empsindcn, von der Liebe, ein gutes Ziel, einen sicheren Weg für die Zukunft zu zeigen, durchglüht. Zwei Worte, so ungefähr ließ er sich ver nehme», haben einen berauschenden Klang, eine ge waltige Macht: Kraft — Freiheit! Der Traum der Kindheit ist ausgeträumt. Und doch ist die Jugend die goldene Zeit, darum: bewahrt euch eure Jugend! Geistige Kräfte, die sich nur dann regen, wenn auch der Körper gesund ist, sind Tatendrang, Hosfnungs- freudigkeit, Unternehmungslust. — Aber tapser sein heißt es in diesem Leben, daß man allen Versuchun gen trotzen kann, auf dem Lasterweg nicht mitläuft. „Sich selbst bekriegen, ist der schwerste Krieg, sich selbst besiege», ist der schönste Sieg!" — Herr Pastor Haaß schnitt im weiteren Verlaufe seiner Rede den Ge meinschaftsgedanken an und unterstrich, daß vor allem die Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater suchen sei. Lebt nach Jesu Gebot, denn ihr werdet stark und kräftig und könnt allein Versuchungen widerstehen! rief er den Neukonfirmierten zu. Stark sollen sie auch im christlichen Glauben werden, der nicht nur für die „Schwachen" da ist. Der christliche Glaube fordert eine entschlossene Hingabe des eige nen Jchs an die Persönlichkeit Gottes, Liebe, Selbst verleugnung, die Gewißheit, daß Jesus unser Erlöser ist. — In alle» Menschen herrscht der Zug der Frei heit. Frei will ein jeder sein. Aber frei ist nur der, der ungehindert seine Pflicht tut und das Sitten- gesell erfüllt, was Christus fordert. Freiheit finden wir allein bei Jesus Christus, und der ist wirklich frei, den der Heiland frei macht! Mit der Bitte, recht zahlreich in die christlichen Jugcndvereine zu kommen, dahin, wo der Gemeinschaftsgedanke seine edelste, beste Pflcgstätte gefunden, wo man guter Haushalter Gottes ist, schloß er seine mit starkem Beifall aufgenommene Ansprache. Das vom Jungfrauenverein aufgefiihrtc Stück „Das unbe gabte Kind" (verfaßt von Herrn Pastor Rietzsch) er innerte uns wieder an die Zeit des Jahres 1920, das allüberall den Verfall unseres Vaterlandes zeigt: im Staate, in der Wirtschaft und im engen Kreise der Familie. Zwei Pole stehen sich in diesem Stücke gegenüber: Der böse Zug einer neuen Zeit, verkör» pert durch einen arbeitslosen Burschen, die mahnende Stimme der alten, auf Recht, Glauben und Treue aufgebaute Zeit, dnrgestellt von der Schwester jenes Burschen. Kampf ist das Leittnotiv, der Kampf zwischen den duntlen Mächten der Hölle und detz rei nen, himmlichen Geistern. Aber wie auch draußen, trotz Finsternis und Dunkelheit endlich die hellglän zende Sonne siegt, so siegt schließlich auch hier das Gute über das Böse. Reine, selbstlose, hingebende Liebe hat schließlich auch die starre Kruste eines bösen, kalten Herzens gebrochen, daß auch darin das Gute, Gottgewollte seinen Einzug wieder — und nun für immer — halten kann. Die Mädchen gaben ihr Bestes, was sie geben konnten, und ver halfen dem Stück zu ciiicm vollen Erfolge. Aber auch Herrn Pastor Rietzsch sei gedankt, daß er uns in einer lebendigen Handlung, voll des Feuers und des Erlebens, die uns noch einmal an die schwere, trübe Dämon Gold Roman von Hans Hyan. 20s ' Nachdruck verboten.- Die Frau des Fabrikanten hatte sich indessen nie dazu verstanden, ihrer Schwägerin auf dem Wege des Sichverstehens entgegenzukommen. Ihr waren die Frauen, welche sich, wie sie meinte, absichtlich als Tugendspiegel gaben, ein Greuel. Und dann war sie nicht dumm genug, um nicht die geistige Ueberlegenheit von Erna zu erkennen, und, besonders in männlicher Ge sellschaft, zu fürchten. Wo sie eintrat, sollte man keiner anderen Frau huldigen und es war mehr als einmal vorgekommen, dah bei Geselligkeiten, die sie und die Schwägerin gemeinsam besuchten, der weitaus größere Schwarm von Herren sich um Frau Erna sammelte, was um so bitterer war, als sich auch stets die klügsten und bedeu tendsten Männer zu dieser hingezogen fühlten. So war der Verkehr zwischen den beiden Frauen und damit natürlich auch zwischen den Familien mehr und mehr eingeschlafen, und wenn sich die beiden Ehepaare noch hin und wie der trafen, oder auch bei größeren Geselligkeiten sich gegenseitig pro forma einluden, so hatten doch die Frauen sich längst vollständig von ein ander zurückgezogen. Als ihr trotzdem heute morgen Hedwig ge meldet wurde, war es Ernas erster Gedanke, sie diese Entfremdung in keiner Weise merken zu lassen und ihr so liebenswürdig als möglich ent gegenzukommen. Frau Hedwig hatte ein recht, leidendes Aus sehen und in der offenbaren Erkenntnis, daß da zu schwarz besonders gut stehe, hatte sie ein Kleid in dieser Farbe aus feinem Tuch, mit Schmelz- nailetten und Crepe de Chine-Knöpfchen gar- ert, angelegt. Die Gattin des Bankiers bat sie, Platz zu neh- und half ihr über die im Anfang natürlich ziemlich peinliche Lage mit ein paar leichten ge fälligen Redensarten hinweg. Dann aber, als die andere noch immer nicht auf den eigentlichen Zweck dieses so ungewöhn lichen Besuches konimen wollte, fragte Erna, deren offene Natur unangenehme Dinge stets so rasch als möglich zu erledigen strebte, sie gerade zu nach dem Zweck ihres Kommens. Frau Hedwig zuckte zusammen, als sei ihr Gott weiß wie unzart begegnet worden. Und mit einem tiefen Seufzer sagte sie endlich: „Ich habe eine Bitte an dich!" Erna nickte bedeutsam. „Die ich dir, soweit cs in meinen Kräften steht, von Herzen gern erfülle." Dann wieder eine ziemliche Pause, bis Erna sagte: „Was ist es denn'? — Unter uns Frauen kann es dir doch nicht so schwer werden — irgend ein kleines Herzensbekenntnis — oder, ich weiß ja nicht, was dich bedrückt — bitte, sprich dich doch ganz frei aus, du kannst dich darauf verlassen, ich habe für alles Verständnis." Frau Hedwig wartete noch eine geraume Weile, dann sagte sie, halb schüchtern und doch auch wieder die gekränkte Unschuld posierend: „Du hast doch gewiß von dem Zerwürfnis zwi schen mir und meinem Manne gehört?" Erna wurde ein bißchen rot, wie stets, wenn heikle Dinge zur Sprache kamen und sagte: „Za, zufällig — dein Mann muß dem meinen irgend einen nicht sehr freundlichen Brief geschrieben haben. Denn Raoul sagte mir, daß ich euch vor läufig auf keinen Fall besuchen sollte, was," setzte sie freimütig hinzu, „auch sonst unterblieben wäre, da unsere Familien ja in letzter Zeit so ehr wenig Anschluß miteinander hatten." Hedwig nickte. „Za, leider —" „Za, und siehst du," fuhr Erna fort, „da habe ch natürlich Raoul gefragt, weshalb er das nicht haben will?! Na, da hat mir Naoul denn ge- sagt," sie zögerte einen Augenblick und setzte dann, ihre Schwägerin voll ansehend, hinzu: „Er sagte — dein Mann hätte dich — na, du weißt ia schon, Hedwig." Und unwillkürlich nahm sie die noch im schwar zen Seidenhandschuh steckende Hand ihrer Schwä gerin und drückte sie herzlich in der ihren. „Zch habe so viel Mitleid mit dir gehabt, Hedwig," sagte Erna, sich zu der leise Weinen den vorbeugend, „ich weiß, wenn eine Frau das tut, eine verheiratete Frau, die liebe Kinder hat, dann muß vieles in ihrer Ehe nicht so sein, wie es sein sollte. — Aber dein Mann hat auch keine Schuld, ich kann mir das schon denken, er überhastet sich mit seinen Geschäften, will vor wärts, stößt sich an tausend Hindernissen, und wenn er dann zu dir kommt, dann ist er müde und abgespannt, und du lebensvoll und genuß- froh, wie du einmal bist, du fühlst dich vernach lässigt." „Aber ich habe ja gar nichts getan, was un recht wäre!" schluchzte Hedwig, deren rote Lip pen zuckten. „Dieser Mensch hat mich gebeten, ihm Modell zu stehen — und das habe ich getan mit meinem Hals und mit den Armen, das war alles —," sie schluchzte noch lauter, „und darum macht Theo dor — nun so einen — furchtbaren Lärm." „Aber wäre es auch dabei geblieben?" fragte Frau Erna, „glaubst du wirklich, liebe Hedwig, daß so ein Künstler sich damit begnügt, deinen Hals und deinen Nacken zu modellieren?" Mitten in ihrem Schmerz lachte Frau Hedwig. „Wie du das sagst, Erna! — Wünschen würde er sich natürlich bald noch mehr, aber die Frage ist, ob man ihm solche Wünsche gewähren würde." „Zch weiß nicht," die Gattin des Bankiers schüttelte leise den Kopf, „in solchen Dingen sollte eine Frau nie sagen, was sie tun würde — man soll sich vielmehr darüber klar werden, was man j tut, und da ist es nun allerdings kaum zu ent schuldigen, wenn eine verheiratete Frau — aber nein, dir sind gewiß schon so viele Vorwürfe in dieser Hinsicht gemacht morden, daß ich mir das gern ersparen kann, deshalb bist du ja auch ge wiß nicht zu mir gekommen, du möchtest, daß ich dich mit deinem Mann wieder ausjöhne, nicht wahr?" Frau Hedwig nickte eifrig. „Za, ja, auf dich hält er so große Stücke! — Er hat mir in der letzten Zeit so ost deinen Namen genannt und dich mir als Beispiel hings- stellt, daß ich dir fast böse geworden wäre." Frau Erna schwebte es in diesem Moment auf den Lippen: „Aber böse warst du ja immer! — Nein, im Gegenteil, du bist klug genug, um einzusehen, daß, wenn ich jetzt mit dir zu deinem Manne gehe, ich da eine gewiße Bürgschaft für dein ferneres Wohlverhalten übernehme und dein Mann sich sagen wird, so lange du mich als Freundin hast und behälft, so lange kannst du noch nicht schlecht sein." Erna, die bei diesen Empfindungen in den Schoß ihres dunkelbraunen Seidenkleides, das in einer modernen und sehr kleidsamen Reformfaj- son gearbeitet war, higabblickte, fühlte, wie Frau Hedwigs dunkle Augen forschend auf ihr ruhten, und sich dieser selbstischen Empfindungen schämend, sagte sie rasch: „Den Männern gefallen immer andere Frauen besser, als die ihren, aber, wenn sie niit ihnen zusammen leben würden, dann dürften sie sehr bald einsehen, daß es sich doch mi' keiner so gut leben läßt, wie mit der eigenen: denn das ist einmal klar, selbst da, wo materielle Gründe die Wahl beeinflussen, herrscht doch ein gewisser starker Znstinkt vor, der die zu einander Passenden auch zu einander bringt." „Da hast du ganz recht!" Hedwig sagte es so recht glücklich, „mein Mann würde mit einer >o klugen Frau, wie du es bist, auf die Dauer gar nichts anzufangen wißen!"