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bestimmte Gefahr, daß wir damit sehr nützlich« Hemmungen beseitigen, die bisher bei den Her ren Mördern obgewaltet haben. Es wäre auch falsch, im Zusammenhang zu vergessen, daß unsere gesamte Strafgesetzgebung zum guten Teil aus den Händen des beamteten Richter- tums in die der Laienrichter geglitten ist. An Stelle des juristischen Denkens, das nun und nimmer die Belange der Allgemeinheit verges sen und deshalb den Verbrecher nicht mit über mäßiger Weichlichkeit behandeln wird, tritt das volkstümliche, unter bestimmten Umstän den auch zu unangemessener, falscher Milde nei gende Empfinden. Eine soziale Gefahr, die nicht unterschätzt werden darf! Es sei wiederholt: Nichts lieblicher und schöner, als schonende, verzeihende Barmherzig keit, als menschliches Gefühl für den Mitmen schen. Aber dieses Gefühl, diese schonende Barmherzigkeit können wir gerechterweise auch von der Gegenseite verlangen. Statt dessen muß jeder Unbefangene zugeben, daß Verwahr losung und Verwilderung erschreckend wachsen und daß die zurzeit erkannten Strafen nicht im stande sind, vom Verbrechen zurückzuscheuchen. Bauen wir auch sie ab, was droht dann den anständigen und rechtlichen Bürgern im Lande? Wird doch die kriminalistische Neigung nicht unbeträchtlich erhöht durch die moderne Gepflogenheit der massenhaften Begnadi gungen. 1821 haben die Verantwortlichen in Preu ßen über 12 000 Personen die gerichtlich er kannte Strafe erlassen. Nimmt man die Be währungsfrist hinzu und erfahrt, daß z. B. in Thüringen innerhalb eines Jahres über 1200 Strafverfahren niedergeschlagen worden sind, Strafverfahren wegen meist gemeiner Verbrechen, so wird einem deutlich, woher die gegenwärtige Dreistigkeit der Uebeltäter kommt. Amnestie und Begnadigungen, die in der Hauptsache aus politischen Gründen ge währt werden, deren der Parteimann, falls er rechtzeitig Partei ergriffen hat, so gut wie sicher ist, müssen das Gerechtigkeitsgefühl untergra ben, Rechtsprechung und Strafvollzug zum lächerlichen Zerrbild machen. Mit falsch ange brachter, unüberlegter Weichherzigkeit oder gar mit jener Vegnadigungs- und Abolitionstech- nik, die u. a. ein Zeigner anwandte, wird nicht nur das Vertrauen auf die Rechtspflege, son dern auch der Staat selbst zu Grunde gerichtet. Das weitschichtige und gefährliche Problem muß von ganz anderer Seite her angefaßt wer den. So lange das Verbrechertum an Frech heit, Waghalsigkeit und Roheit zunimmt, jo lange müssen wir im eigensten Interesse auf unangebrachte Milde verzichten. Die geballte Faust dem, der mit dem Revolver in der Hand auf Raub und Totschlag ausgeht, die geballte Faust dem, der sich schamlos an unseren Kin dern vergreift, die geballte Faust dem Rohling jeder Sorte! Erst dann haben wir das Recht und die Pflicht, den Opfern wirtschaftlichen und sozialen Elends beizuspringen und sie vor den härtesten Folgen einer Verzweiflungstat zu be wahren. Nur solch' eine Reform genügt in Wahrheit den Forderungen der Zeit. Der Ent wurf des Reichsjustizministeriums sieht erfreu licherweise die gerichtliche Unterbringung von Unzurechnungsfähigen, die auf Grund des 8 51 des Strafgesetzbuches freigesprochen werden müssen, in Irrenhäusern vor. Bisher hatte der Richter merkwürdigerweise ein solches Recht nicht; die Entscheidung lag immer bei der Poli zei, die versagte. Unzurechnungsfähige und ver mindert Zurechnungsfähige müssen, um ihren bösen Trieben nicht uachgehen zu können, in ummauerte Häuser; dagegen sind solche Ver wahrungsaustalten weder für Gewohnheits verbrecher, noch gar für beklagenswerte „An fänger" der geeignete Ort. Wollen wir der Kriminalität wehren, jede schlechte Tat gerecht sühnen und dadurch doch den ruhigen Bürgern nicht unerschwingliche Opfer auferlegen, so wer den wir uns wohl oder übel zu Grundsätzen be kehren müssen, an denen sogar das freiheitliche England bis vor kurzem noch festgehalten har. Soweit es angeht, muß der jugendliche wieder besserungsfähige Sünder überhaupt vorm Ge fängnis bewahrt bleiben; Beschränkung der persönlichen Freiheit im Alltagsleben auf be stimmte Zeit, Geldstrafen, Unterbringung an Arbeitsstätten wären zumeist hinreichende und genügend stark empfundene Sühnen. Vorm Gefängnis bewahrt bleiben sollte aber auch nach Möglichkeit alles hart gesottene Gesindel, denn das Gefängnis hat für diesen Abschaum der Menschheit längst keine Schrecken mehr. England, dies liberalste aller liberalen Länder, pflegt immer noch die Auspeitschung vorzuneh men, wenn es gegen besonders schändliche mit anderen Mitteln nicht überwindbare Verbre chen zu kämpfen hat. Wiederholt ist dort durch eine einfache Parlamentsbill, sobald Not am Mann war und die Verwahrlosung nicht mehr zu zügeln schien, das alte Strafgesetzbuch sus pendiert und dafür kurzerhand eine Strafe be stimmt worden, die den Schuldigen fühlbares körperliches Unbehagen schasste und sie dadurch todsicher auf den Weg der Besserung brachte. Was der Mond erzählt... Seelenbefreiung. Von Walter Steeger. Die Lichter der großen, steinernen Stadt sind erloschen, still und ruhig die Straßen geworden. Aller Lärm, alles Getute und Getöse ver stummt. Die armen, gehetzten Mensche» schla fen für wenige Stunden. Nur dort, in der Ee- lehrtenstube brennt noch Licht und will gar nicht verlöschen. An einem Schreibtische sitzt ein Mann, das Gesicht in dem Händen vergraben. Er sitzt schon lange so, und es ist auch nicht das erste Mal, daß ich ihn so sitzen sehe. Ein Pro fessor und Doktor ist er, und einer von denen, die an Hochschulen die Jugend in die Wissen schaften einführen. Dicke und gelehrte Bücher über Naturwissenschaft und Philosophie hat er auch schon geschrieben. Aber er hat keine Freude mehr an seinen Büchern, auch nicht an den vie len andere», die auf mächtige», hölzerne» Regalen stehen und verstaubt sind. Oft höre ich ihn schon nachts aus tiefstem Herzensgründe aufstöhnen, wie einen, dem ein großes und schweres Leid drückt. Oft habe ich ihn auch in seiner Stube auf und ab gehen sehen, mit den Händen auf dem Rücken, un ruhig und schlaflos die Nacht durchwachend. Und jetzt nimmt er seine schmalen, feinen Hände vom durchgeistigten Gesicht; seine müden Augen irren von einem Gegenstand zum anderen, bis sie bei mir haften bleiben. Aus seiner gequäl ten Brust aber entringen sich Fausts Worte: O sähst du, voller Mondenschein, zum letzten Mal auf meine Pein .... Und dann steht er hastig auf, tritt an das Fenster und öffnet es, daß frische Luft hereinströmt. Seine Blicke aber weilen hieroben bei meinen Brüdern und Schwestern, den Sternen .... Wahrheit und Klarheit will ich haben! dringt es durch die nächtliche Stille. Wer bin ich? Woher bin ich? Wer werde ich sein? Immer und immer wieder durchzieht ihr Fra gen mein Inneres und doch erhalte ich keine Antwort hierauf. Wann werde ich eine Ant wort bekommen, wann? Wo faß' ich dich, un endliche Natur? Euch Brüste,,wo? Ihr Quel len alles Lebens, an denen Himmel und Erde hängt, dahin die welke Brust sich drängt — ihr quellt, ihr tränkt, und schwächt' ich so ver gebens? Du unergründlicher Kosmos, der ich dich mit meinem armseligen Wissen erforschen und ergründen wollte, wie schwach und töricht bin ich dabei verfahren! Nie, nie wirst du dich uns so zeigen, wie du bist und ausschaust! In deine inneren Geheimnisse dringt doch kein er schaffener, unvollkommener Geist! Anders mußt du sein, als dich unsere menschlichen Augen erfassen können und sehen; ganz, ganz anders. Und wer bist du, du Ding an sich? Wer, was? Bist du die große, unerforschliche, unfaß bare Gottheit, die lebt, schuf, erhält und re giert? Die Gottheit, die mein früherer Meister Haeckel leugnet, und die ich bisher auch geleug net habe? O bekäme ich doch eine Antwort! Und auch du, Friedrich Nietzsche, kannst mir kei nen Seelenfrieden geben mit deiner Philoso phie! Auch du vermagst nicht die Rätsel des unendlichen, urtiefen Kosmos zu lösen. Du auch nicht! . . . Und er tritt vom Fenster zurück. Mit zit ternden Händen sucht er auf einem Bücherge stell, bis er endlich ein kleines, unscheinbares Buch gefunden, das nun die Finger durchwüh len. Und durch unsere Regionen hallt plötz lich der Schrei einer befreiten Menschenseele, mächtig und stark, die sich endlich, endlich frei und leicht weiß von der drückenden Last vieler Jahre: Studiere nur und raste nie, du kommst nicht weit mit deinem Wissen; das ist das Ende der Philosophie, zu wissen, daß wir glauben müssen! Ehe»«itzer Schlachtviehmarkt vom S. bruar. Aus» leb: 507 Rinder, 594 Kälber, 374 Schaff, 2003 scluveine, zusammen 3282 Preise für 56 Kg. Lebendgewicht m Goldmark: Lehsen I. Kl. 46—50 Ktllber 1. Kl. — do. 2. Kl. 38-42 do. 2 Kl. 75 do. 3. Kl 28—33 do. 3. Kl. 68—70 do. 4. Kl 18—25 do. 4 Kl. 50-66 Bullen I. Kl. 46-56 Schaf« 1. KI. 54-f>5 do. 2. KI. 38—43 do. 2 Kl. 40—56 do. 3. Kl 32—36 do. 3 Kl. 3o—35 do. 4. Kl. 25—28 Schioelne I Kl. 66—68 Kalben und do. 2. Kl. 70—72 Kiihe 1. Kl. 48—48 do. 3. Kl. 62-65 do. 2. KI. 46-48 do 4. Kl. 55-66 do. 3. Kl. 35—42 do. 5. Kl. 55—65 oo. 4. Kl. 25—36 do. 5. Kl. 15—22 Nach ministeriell:r Verordnung werden für jede Gat tung die am häufigsten gezahNen Preise notiert. Ausnahmen in jeder Galtung über Noliz. Uebersland: Rinder 33, dnbon Ochsen 12, Bullen 0, Kühe 12, Kalben—, Kälber—, Schafe—, Schweine42. Bremer BavmwollbSrse vom 9 Februar, abend« 6 Ud>. Offizielle Notiervnq. Fully middling american e. <-. 28 mm loko 26,01 <26 43) Dollarcent« für ein engl. Pfund. Alexandria, 9 Februar. Baumwolle. Sake- laridi« ve März 67 90 <68.05), Mat 65,09 <65.10), November 45,80 (45,251. Oberägvptiscke Ashmounl oerFebruar 35 50 <35,40), April 35,75 (35,65), Oktober 33,85 (33,85). Dresdner Produktenbörse vom 9. Februar. Roagen 250—255, Weizen 247—252, Sommer gerste 270—290, Wintergerste 225—250, Hafer 195-212, Hafer, besch. Mais 230-235, NapS 390—400, Wicken 25,50—26,50, Lupinen blau —, Lupinen, gelb 19,75—20.75, Pelusch ken 24,50-25,50, Erbsen 27,00-29.00, Rotklee 24-27,50, ITrockenschnitzel 11,75-12,25, Zucker- schnitzel 19,50-21 50, Kartoffelstöcken 22,75 bis 23,25, Weizenklele 16,20—16,70, Roggenkleie 16,40—16,90, Väckermundmebl 41,00—42.50, Jnlandmehl 37,00—39,00, Roggenmebl 38,00 bis 40,00. Berliner Produktenbörse vom 9. Februar, Am Produktenmarkt fanden die starke» Preis erhöhungen Amerikas und Liverpools einen vcr- hältnismässig schwachen Widerhall, trotzdem das Inland mit Warenangeboten zurückhielt und Mühlen, soweit sie kaufen mutzten. Mehrforde- rungcn bewilligen mutzten. Der Nachfrage im Lieferungsaeschäst für Weizen und Roggen stand entsprechendes Angebot, allerdings zu erhöhten Forderungen, gegenüber, doch wurde von beiden Seiten Vorsicht geübt, so datz es nicht zu grö ßeren Umsätzen kam. — Getreide und Oelsaaten per 1000 Kg., sonst per 100 Kg. In Goldmark der Goldanleihe oder in Reutenmark. Weizen märk. 250—254, Roo gen mark. 249 bis 252, Landgerfte 253—268, Futtergerste 213 bis 238 Hafer märk. 186-193. Mais 228, Wei- zenmehl34,75—37,00 Roggenmehl 34,25—37,00 Weizenkleie 16,00—16,20, Roggenkleie 16,00 bis 16,20, Raps 400-405, Leinsaat 400-405, Vik- toriaerbsen 29,00—34,00, kleine Speiseerbsen 22,00-23,00, Futtererbsen 20,00-22,00, Pe- luschken 18.00—19,00, Ackerbohnen 21,00 bi« 22,00, Wicken 19,00—20,00, Lupinen blaue 13,00—14,50, Lupinen gelbe 16,00—17,00, Serra della, alt —, Serradella, neu 16,50—18,60, Rapskuchen 18,80—19,20. Leinkuchen 24,50 bis 25,00, Trockenschnitzel 9,70-9,90, Zuckerschnitzel 19,00—20,00, Torfmelasse 9.80, Kartoffelflocken 20,40-20,80. „Wissen Sie, was die Familie Piefke heute abend geplant hat? Ich muß mich dort endlich einmal sehen lassen." „Ach, Cie wohne» nicht im Nassauer Hof?" „Nee, danke! Da wird mir zuviel Franzö sisch gesprochen. Ich wohne wieder in den „Vier Jahreeszeiten"." „Ich möchte auch nicht im „Nassauer Hof" wohnen. Für Piefkes ist es ja das Eldorado, denn es ist fabelhaft elegant, luxuriös und international." „Und teuer," fügte Henny lachend bei. „Das ist bei Piefkes die Hauptsache," lachte Robby spöttisch auf. „Also was treibt die Fa milie Piefke heute abend?" „Man will heute abend ins Kurhaus, auf der Terrasse speisen, da es ja schön warm ist." „Und man da am besten von dem staunen den Publikum gesehen werden kann. Lehren Sie mich die Piefkesche Psyche kennen, die kümmert sich den Teufel um schönes Wetter. Was nützen mir die Brillanten wenn sie kei ner sicht?" Astrid und Henny lachten beide vergnügt auf. „Sie hegen ja eine unermeßliche Sympathie für Familie Piefke." „Missen Sie, Fräulein Hermsdorf, wen» der Mann nicht zufällig Hauptaktionär von uns wäre, da sollten Sie mal hören, was ich diesem Geldprotz zu sagen hätte. So aber schweige Ich und erscheine heute abend auf der Kurhausterrasse." „Aber bitte, erschrecken Sie nicht. Mama Piefke hat einen neuen Brillantenschmuck. Papa Piefke hatte wieder einmal in Gulden spekuliert und hat derartiges Geld verdient, daß er es schnell in einen Brillantschmuck für Mama Piesle beim Juwelier in der Wilhclm- straße umgesctzt hat." „Das war auch höchste Zeit! Mama Piefke hatte ja bisher nur drei Finger voll an der Hand." „Nobby, bist du neidisch?" „Sehe ich so aus, Henny? Sagen Sie Fräulein Hermsdorf, da hat wohl Sörensen frei heute abend?" „Das nehme ich sicher an." „Dann hat er ja Zeit für seine Angehö rigen." Die drei waren während ihrer Unterhal tung am Kochbrunnen angelangt. „Wir müssen uns hier verabschieden, also auf Wiedersehen heute abend, gnädiges Fräulein. Komm, Henny, gib ein Patsch händchen." Henny sah ihn nur vernichtend an und ver abschiedete sich herzlich von Astrid, die dem Paar noch lange nachsah. Sie beneidete dieses Fräulein Henny, denn in der Liebe eines Man nes wie Nobby Wehler war eine Frau sicher und geborgen. „Nobby sag doch schnell, was war das für eine Baronaffäre, die Fräulein Hermsdorf an deutete?" „Und du willst die Behauptung aufstellen, daß du nicht neugierig bist? Also laß dir schnell erzählen, Henny." In kurzen Umrisse.» erzählte er ihr die bewußte Affäre. — Mama Geheimrat stand der vollzogenen Tatsache der Verlobung Hennys hilflos gegen über, aber die tolle, lustige Laune des Braut paares steckte sie an, und es machte sie unend lich glücklich, daß ihre Henny einen so präch tigen Menschen fürs Leben gefunden hatte. Und gleich mußte sic an ihren Jungen denken, der noch so schwer zu kämpfen hatte, und ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. „Der arme Hans!" „Was ist mit ihm, Mama Geheimrat?" „Der arme Junge sitzt nun da in einer ab hängigen Stellung als Sekretär oder so, ist un glücklich in ein armes Mädchen verliebt und hat gar keine Aussichten, noch etwas im Leben zu erreichen." „Der arme Junge fährt im September nach Amerike und bringt viele schöne Dollars heim — und heiratet," lachte Robby ihr ins Gesicht und tanzte mit der alten Dame im Zimmer herum, und Henny klatschte den Takt dazu. Erst nach langem Flehen erzählte Nobby Mama Ge heimrat alle Neuigkeiten über ihren Sohn, die sie so glücklich machten, daß sie schnell erst einmal ein bißchen weinen mußte. 13. Kapitel. Auf der Weinterrasse des Kurhauses saßen Piefles mit Astrid und Monsieur Derpi» und aßen alles, was teuer war, mit und ohne Messer. Mama Piefke hätte eine Königin von Saba in den Schatten gestellt, so strahlte sie im Glanze ihrer Brillanten. Kein Finger der armen Frau außer den Daumen konnte sich seiner unbedingten Freiheit erfreuen. Das machtvolle Wogen des üppigen Busens ließ aus dem breiten Kollier zuckende Blitze schie ßen. Von dem Finkelfunkel der Boutons zu schweigen. Papa und Lolotte waren beim Großeinkauf in Brillanten auch nicht leer ausgegangen, und so hätte die Kurhausverwaltung gut daran getan, an die übrigen Gäste der Weinterrasse blaue Schutzbrillen zu verteilen. Lolotte kokettierte zur Abwechslung mal wieder mit Monsieur Dcrpin mit einem ver schwenderischen Darbieten aller möglichen, in diesem Falle unmögliche» Reize und unend- lichep „o bütte" und „o Eoooott". Monsieur Derpin, ein erst im Krieg zum Offizier avancierter französischer Unteroffizier, der ei» ganz leidliches Deutsch sprach, hatte es ernstlich erwogen, ob er sich nicht besser zu Piefkes Schwiegersohn eignen würde als zum Vesatzungsoffizier. Aber es schien Lolotte Pief kes Fatum zu sein, daß alle die, auf die sie ei» Auge warf, das ihrige lieber auf der schöne» Gesellschafterin ruhen ließen. So auch Mon sieur Derpin. Unablässig schweiften seine Froschaugen, so oft es anging, hinüber zu Astrid, die ihn gar nicht beachtete; denn sie durchschaute seine Manöver ganz genau. Etwas wie Mitleid mit Lolotte empfand sie, daß diese wieder das Opfer eines Mitgiftjügers werden sollte. Sie wünschte cs, schon aus ihrem deut schen Gefühl heraus, daß Emil Piefke bei seiner Antipathie gegen diesen französischen Offizier bleiben möge. Monsieur Derpin hatte entdeckt, daß Astrid seine Muttersprache völlig beherrschte, und sprach von da an mit Vorliebe französisch mit ihr. Astrid jedoch antwortete ihm immer deutsch, denn sie fand es unerhört taktlos von ihm, daß er in Gegenwart der anderen, von denen er ganz genau wußte, daß sie ihn nicht verstanden, französisch sprach. Man war gerade beim Fisch angelangt, dem Papa und Maina wieder mal tapfer mit dem Messer zuleibe gingen, als Nobby, schön wie ein junger Gott, im Smoking an dem Tisch auftauchte." „Grüß Gott die Herrschaften alle mitein ander." „Nanu, det ist doch Herr Wehler!" „Und ob er das ist, Herr Piefke." „Wie geht's denn, junger Mann?" „Einen Augenblick, Herr Piefke, erst die Damen! Gnädige Frau, gehorsamster Diener! Nein, nein! Bitte, lassen Sie sich beim Esse» nicht stören. Gnädiges Fräulein, bin entzückt, Sie so schon und blühend wiederzusehen. Eoit zum Gruß, gnädiges Fräulein." Das Letzte galt Astrid. Nachdem er den drei Damen der Anciennität nach die mehr oder weniger be ringten Hände geküßt hatte und den französi schen Offizier, der sich erhoben hatte, vorläufig noch geflissentlich übersah, wandte er sich wie der an Piefke. „So, nun fragen Sie los." „Wo kommen Sie her?" „Aus den „Vier Jahreszeiten"." „Hihi. Sie sind gut. Ick mcene doch, ob Sie von Berlin kommen?" „Direkt von dort." „Sind Sie geschäftlich hier?" „Verlobungshalber." „Kiek einer an!" Monsieur Derpin wurde immer nervöser, und sagte ziemlich aufgebracht: „Bitte, Mon sieur Piefke, stellen Sie mich diesem Herrn vor." „Ach so! Ihne» hatte ich ja ganz verdöst! Also, meine Herren, det is Herr Wehler — und det is Musjö Derpäng." Eiskalt verneigten sich die beiden, und man nahm dann allgemein das „gemütliche" Souper wieder in Angriff. (Fortsetzung folgt.)