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Hchenßem-EmsUhaler TageMunöLnpM Nr. 28 Dienstag, den 3. Februar 1925 Beilage WUMM MMO. Lin Sedenkblatt zu seinem 80. Geburtstag am S. Februar. Ernst vo» Mildenbruch, brr unucrüth- Itche deutsche Dichter, der rwr Ib Jabrcn die Augen »um levten Schlummer Imlub. hat schon vor U5 Iatireu mit wnbrtmst vrovlic- ttlchem Geist DeutichlnndS Schicksal vor Augen gesehen und am 82. Mtir» IM9 im Deutschen Schniverein »u Basel solgcndcs Gedicht vorgetragen, daS »nö von Krau Olga TrSldsch, hier. srdl. »nm Abdruck »ur VcrsUgung gestellt wird: Deutschland und die Welt. Wenn ich an Deutschland denke, Tut mir die Seele weh, Weil ich ringshcr um Deutschland Die vielen Feinde seh'! Mir ist zu Nacht dir Ruhe Des Schlafes dann verstört, Weil stets mein Ohr das Flüstern Und böses Raunen hört, Mit dem sic sich bereden Zu Anschlag und zu Rat, Um Deutschland zu verderben Durch eine schwere Tat. Dann kehren die Gedanken Bei ferner Zukunft ein Und fragen: Wird denn jemals Das Deutschland nicht mehr jein? Und wenn ich also denke, Wird mir so weh, so schwer, Wie wär' die Welt, die reiche, Alsdann so arm und leer. Durch alle Menschen würde Alsdann ein Fragen geh'«: „Wie kommt es, dah die Völker Sich heut' nicht mehr vcrsteh'n? Wo ist sie hingegangen Die grobe, stille Macht, Die eines Volkes Seele Der and ren nah' gebracht. Den wunderbaren Spiegel, Wer schlug in Trümmer ihn, Aus dem das Weltcnantlib Tiefsinnig widerschicn?" Dann würden sie sich schlagen Verzweifelnd Brust und Haup- „Wir baten unsers Reichtums Uns frevelnd selbst beraubt! Die Welt, die grobe, reiche, Ward öde, arm und leer. Die Welt hat keine Seele, Cie hat kein Deutschland mehr!" Du Land voll Blut und Wunden, Die Unrecht schlug und Spott, Dir blieb von allen Freunden - Ein einziger, dein Gott! Nur einer, doch der Stärkste, Der nicht im Stiche läbt — Deutschland, du Land des Glaubens, Halt deinen Glauben fest. Du hast es ja ertragen, Was nie ein Volk ertrug, Dab dreibig Jahr' die Geibel des Krieges dich zerschlug. Tränen, wie du sie weintest, Hat nie ein Volk geweint, In solchem Todesjammer War nie ein Volk versteint. Doch mitten in dem Jammer, In Todesnot und Graus, Nie losch das Licht der Sterne In deinem Herzen aus. Aus allen Schrecken hob sich Dein sübes Angesicht, Umspielt vom Kindeslächeln Der heiligen Zuversicht. Und was sie dir genommen Eins ward dir nie geraubt: Deutschland, dir blieb die Zukunft, Weil du an sie geglaubt. So bist du auscrstanden Lebendig aus dem Tod, So wirst du jetzt bestehen Auch diese Zeit der Not. Du buhle nicht um Freundschaft Und schmeichle nicht dem Neid; Bleib du getreu dir selber Und warte deiner Zeit. Und warte bis die Menschheit, Die heut' am Alter krankt, Zurück zu ihrer Seele, Zn dir zurück verlangt. Das wird »ach langen Jahren Voll still ertrag'ncr Pein Deutschlands Vergeltungsstunde An seinen Feinden jein. MM MtllAMMWW. Soll die Mietzinssteuer Staats« und Gemeindesteuer sein? Ueber die Absichten des Arbeits- und Wohl« sahrtsministeriums erfahren wir folgendes: Der für den Wohnungsbau bestimmte Teil der Aufwertungssteuer wird in Sachsen als reine Gemeindesteuer erhoben und verwendet. Diese sächsische Regelung ist unter den deutschen Ländern einzigartig geblieben. Zn allen ande ren deutschen Ländern sind die Wohnungsbau mittel entweder vollständig Staatsmittel oder doch zu einem namhaften Anteil dem Staate Vorbehalten. Im Gegensätze dazu sind in Sach sen dem Staate überhaupt keine Mittel für die Förderung des Wohnungsbaues belassen wor den; ja dem Staate ist nicht einmal das Recht Vorbehalten worden, Vorschriften über die Ver wendung der Mittel zu erlassen. Jede Ge meinde verwendet ihre Mittel für sich und nach eigenem Ermessen. Dieser Zustand hat sich als unhaltbar herausgestellt. Vor allem macht er eine planvolle Bekämpfung der Wohnungsnot vollkommen unmöglich. Die Ertrüge der Aufwertungssteuer sind im Land außerordentlich verschieden groß und die Unterschiede in der Wohnungsnot sind noch viel größer. Gerade wo die Erträge am niedrigsten sind, etwa in reinen Arbeiterwohngemeinden, ist die Wohnungsnot häufig am größten. Aber auch unter den großen Gemeinden sind sehr große Verschiedenheiten festzustellen. Chemnitz hat größere Wohnungsnot als Dresden, aber nur 10.90 Mark Ertrag der Wohnungsbauab gabe auf den Kopf der Bevölkerung, während Dresden über 15 Mark, also um die Hälfte mehr, verfügt; das muß zur Folge haben, daß Chemnitz entweder sehr viel größere eigene An strengungen machen muß, die Wohnungsnot zu beheben oder um die Hälfte länger Zeit braucht und dauernd stärker leidet als Dresden. Frei tal hat dieselbe Wohnungsnot wie Dresden, aber nur 6.40 Mark Steuerertrag auf den Kopf der Bevölkerung. Im Gegensatz dazu kennen andere Landesteile, zum Teil sehr lei stungsfähige, kaum noch eine Wohnungsnot oder können sie sehr rasch beheben. Bleibt die gegenwärtige Regelung aufrechterhalten, so müssen sich zwangsläufig immer stärkere Unter schiede im Lande herausbilden. Das Woh nungsprogramm der Regierung geht dahin, in einer bestimmten Reihe von Jahren die drin gendste Wohnungsnot im ganzen Lande gleich mäßig und planmäßig zu beheben. Dieses Ziel kann auf keine andere Weise erreicht werden als dadurch, daß die für den Wohnungsbau be stimmten Teile der Aufwertungssteuer wie in anderen deutschen Ländern als Staatssteuer eingehoben werden, sodaß die leistungsfähige ren Gemeinden mit dazu beitragen, die Woh nungsnot in minder leistungsfähigen zu be- heben. Wichtig« Kleinigkeiten. Die Eisenbahnwagen vierter Klasse sind oft die segenbringenden Stätten für die in Husten ¬ bonbons, Heftpflaster, Streichhölzern und ande ren Kleinigkeiten arbeitenden „Handelsherren" der Straße, bald zeigen Vertreter des Okkultis mus oder des Spiritismus ihre Tändeleien, bald warten Sänger und Musiker mit den neusten Schlagern auf. Meist ist es elender Dilettantismus, erzeugt im dichten Gedränge, in der Hast der Verhältnisse, denn „Zeit ist ' Geld". Die Passagiere in den vielen anderen Wagen dürfen auch nicht vergessen werden. Sel ten kommt es vor, daß die Vorträge den Durchschnitt einer bescheidenen Vortragskunst erreichen. Eines Tages waren die nach Zwickau aus der Richtung Werdau eilenden Reisen den angenehm überrascht, als die Wellen der „schönen, blauen Donau" einherrauschten. Ein Geiger und ein Mann mit einem „Mundhölzel" besangen den Ruhm, die Unsterblichkeit des Walzerkönigs Strauß so klar, fein abgetönt und schön im Klang, daß man erstaunt zu dem Geigenkünstler und Sänger aufsah. Es war in der Tat ein Künstler! „Bombenelement! Wie kommen Sie hier her?" frage ich ihn. „Hin! — Za — blasen Sie mir mal ordent lich den Marsch! Rütteln Sie mich wieder aus! Es ist nötig!" „Sie mit JhremGeigenspiel, Ihrer Stimme!" „Du lieber Kott! Ich habe vier Kinder und eine schwache Frau. Zch mußte den „Künstler" an den Nagel hängen. Jetzt singe ich jeder mann etwas vor, wenn's nur Geld bringt." Ein paar einleitende Akkorde, und dann singt er das schöne Lied: „Ein kleiner Schwips in einer Maiennacht Hat mir die Jugendzeit zurückgebracht." Wie viele tüchtige Leute mögen sich jetzt in Positionen, in Lebensverhältnissen höchst selt samer Art befinden, mit denen sie sich nur widerstrebend abfinden. * * * „Zuckersüße Apfelsinen, 16 Stück nur eine Mark," ließ sich dieser Tage mit weithin schal lender Stimme ein Händler vernehmen. Auf einem Wagen waren Körbe voll der schönen Früchte verstaut. „Kaufen Cie, kaufen Sie, noch find die Tage der Apfelsinen." — „Was, noch zu teuer, kommen Cie her, Sie sollen 18 für 1 Mark kriegen." — „Nein, so etwas ist nicht zu glauben. — „Soll ich die vielen Dinger alle selbst essen?" — Na, sehen Sie, es wird sich schon machen." — „Appelsinen aus dem Lande der Träume, kommen Sie heran!" Der ohne Zweifel tüchtige Ausschreier hatte sich auch nicht träumen lassen, jemals Apfel- „MW UM WWW". Roman von Friede Birkner. Amerika«. ILovorlavt bo Karl Kövler u. lko:, Berlin. 9 N»wor,iä oekboiri'^ „Hm, ich weiß!" sagte Robby. „Du willst, dir deine Existenz selber gründen. Ja doch, ist ja schon gut! Und dann willst du auch noch nicht so bald von Piefkes weg. Du," sagte er nach einer Pause, „das ist ja ein verflixt hüb sches Frauenzimmer, die Gesellschafterin bei Piefkes! Wie wär' es denn?" Hans sprang mit zornigem Gesicht auf. „Bei aller Freundschaft für dich — aber das mutz ich dir auf das entschiedenste verbieten! Fräulein Hermsdorf ist eine Dame, und ich kann keinerlei solche Bemerkungen über sie dulden." Robby, mit den Händen in den Hosentaschen, sah ihn vergnügt an. „Na also, denn stimmt es ja!" Verdutzt hielt Hans inne. „Was denn?" „Daß du sie liebst!" „Wen?". „Die schöne Astrid Hermsdorf. Nein, nein, Hans, da hilft kein Leugnen. Ich bin orien tiert. Und ich mutz dir sagen, mein Zunge, da würde ich auch Chauffeur bleiben. Sie ist ja ein eigenartig schönes Mädchen." Hans kaute an seiner Unterlippe und mutzte nicht, was er sagen sollte, bis er sich endlich zu einem Geständnis durchrang. „Za, ja und nochmals ja! Ich liebe sie, meine kleine Königin. Soll der Teufel da standhaft bleiben — ich kann es nicht. Cag' doch selbst, mutz man sie nicht lieben?" „Und sie? Weitz sie, wie es um dich steht?" „Wo denkst du hin! Sie hat doch keine Uhnung. Wie stellst du dir denn das vor — ich, der Chauffeur, soll ihr sagen: Mein Fräu lein, ich liebe Cie und ich werde Sie so bald als möglich heiraten. Nein, mein Lieber, das riskiere ich nicht. Cie ist ja so stolz. Der Chauffeur.existiert als Mensch gar nicht für sie. Cie ist wohl artig und höflich — aber damit ist's auch aus. Ehe diese Piefkcsche Verlobungs- fanfar» auf die Tagesordnung kam, beglückt« . mich Lolotte mit ihrer Neigung. Mein Lieber, da gab es nichts zu lachen! Und da mein ich immer, Astrid hat das bemerkt und denkt, daß ich da mitgemacht habe. Stelle dir vor — ich und Lolotte!" „Das will ich mir lieber nicht ausmalen. Mama Piefke ist ja auch ganz wundervoll. Wenn ich an sic denke, muß ich auch immer an den Witz denken: Mutter, kieke mal ans'» Fensta, Kläbers Fritze will nich glooben, det du schielst." Hans lachte hell auf. Robby nahm dann das vorhergehende Thema wieder auf. „Wie denkst du dir das nun mit deiner angebetenen Astrid? Was soll denn werden?" „Gar nichts. Vorläufig liebe ich sie aus der Entfernung, und kn glücklich, wenn ich sie nur sehen kann." „Ritter Toggenburg." „Nenne es, wie du willst. Um im Bilde der Romantik zu bleiben,, nehmen wir Mama Piefke als Drachen an, der meine Ungebetene quält und peinigt. „Und du kommst eines Tages hoch zu Rotz, kämpfst mit dem Drachen ..." . Brülle: So mutz ich dich noch toter töten." „Und nimmst Astrid mit auf dein Schloß." . „Wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch. Ach ja, mein lieber Robby, im Märchen ist das ganz schön, aber in der Wirk lichkeit muß ich nicht gegen einen Drachen kämpfen, sondern gegen eine ganze Welt, die plötzlich auf dem Kopf steht." „Was bei Mama Piefke ganz besonders neckisch sein müßte." „Du hast gute Witze machen, du sitzt ja im Trocknen und hast deine Henny sicher." „Womit du beweisest, daß du deine liebliche Schwester nicht kennst. Taxiere, wenn die einen Bock hat, daun sagt sie wochenlang nein, wenn ich sie frage, ob sie Henny Wehler heißen möchte," sagte Robby sorgenschwer. „Es wird sich schon alles historisch ent wickeln. Um mal von etwa anderem z» reden — was sagst du zu der Piefkeschen Verlobung? Du kennst doch den Nauen-Hochberg auch? „Natürlich, den Burschen kenne ich. Aber latz doch die Protzen ruhig in ihr Unglück hineinrennen. Da wird Emil eben einmal um einige Milliönchen ärmer." „Du kannst dich doch noch auf diese Falsch- spiel-Asfäre damals im Kasino entsinnen?" „Ganz deutlich, Oppen war damals das Schaf, der ihn ins Kasino gebracht hatte. Von der anderen Affäre weißt du doch auch?" „Nein, was denn? Schwebt noch etwas über ihm?" „Zn Hannover hat er doch vor zwei Jah ren im V-Klub zehntausend Mark auf Ehren wort verloren und hat sie am nächsten Tage mit einem gefälschten Wechsel bezahlen wollen." Nicht möglich! Und was wurde aus der Angelegenheit?" „Da das Geld im Bac verloren, das ja ver boten war, hat der Klub die Sache nieder geschlagen und sich damit begnügt, den Herrn Baron Udo von Nauen-Hochberg zum Klub hinauszuwerfen und ihn veranlaßt, Hannover sofort zu verlassen." „Das ist ja ein feiner Kunde? Wovon mag er denn jetzt leben? Er tritt fabelhast elegant auf." „Seine Eleganz ist sein Kapital. Du siehst ja — es hat ihm schon eine reiche Heirat cin- gebracht." „Ob er dich nicht erkennen wird, Robby, zur Verlobungsfcier?" „Das glaube ich nicht, denn ich war da mals noch viel schmaler und hatte auch einen Bart wie du. Jedenfalls kann man Lolotte nur zu dem Mann gratulieren." „Das hat sie sich durch ihre Gemeinheiten gegen Astrid verdient." „Hast du eine Ahyung, wann die Hochzeit sein soll?" „Ich weiß nicht. Jean ließ jedenfalls mal in der Küche etwas verlauten, daß er gehört hatte beim Servieren, daß man die Hochzeit für Weihnachten plane. Er soll wahrscheinlich als Engel am Weihnachtsbaume hängen." „So, na da muß ja der Herr Baron noch sechs Monate in Angst und Nöten schweben." „Geschieht ihm ganz recht, diesem Hoch stapler." Spät in der Nacht trennten sich die Freunde, nachdem st« noch eine gemeinsame Karte nach . Wiesbaden geschrieben hatten, in der natür lich weder die Chausfenr- noch die Cchwager- angelegenheit berührt wude. 7. Kapitel. „Le grand festin chez Emil Piefke!" Riesen aufregung im Haus. Mama Piefke schwitzte schon seit Tagen vor Aufregung- und Angst, Lolotte saß stundenlang bei Gerson, Emil ' Piefke mußte andauernd Rechnungen bezahlen, Astrid war todmüde von aller Vorbereitung, und Hans kam den ganzen Tag nicht vom Auto weg, da fortwährend irgendwer eilig irgend wohin fahren mutzte. Das Menü hatte Astrid auf Mama Piefkes Befehl zusammengestellt, aber mit der strikten Weisung, nur das Teuerste auszuwählen. Geladen waren ungeführ fünfzig Gäste, in der Hauptsache Gesinnungsgenossen Piefkes, die auch, dem Phönix gleich, aus ihren Niederun gen zur wahren Glorie der Spekulanten empor gestiegen waren und gleich Piefke mitleidig auf die Zwischcnstationen des gut bürgerlichen Schieberbernfes herabsahen. Sie wie Piefkes — Piefkes wie sie, huldig ten dem Prinzip, daß man Leute, mit denen man ein Geschäft abschlietzen wollte, gründlich bei solcher Gelegenheit füttern mutzte. War ihnen nach dem dritten Gang noch nicht übel genug, daß sie sich ergaben, so kapitulieren sie sicher nach der Käseschüssel und schlossen aus purer Mattigkeit jedes Geschäft ab. Und di« Kosten für das Festessen waren für Piefkes und Konsorten wieder gedeckt. Untermischt waren „Neureichs" mit einigen Typen vom Kaliber Baron Nauen, auch einige Herren der Indu strie und des Großkapital» von ehedem, die aus Geschästsrücksichten nicht hatten ablehne!« können. Vom tieferen Sinn des Festes waren nur einige Gäste unterrichtet, die meisten waren da aus geschäftlichem Zwang oder aus Neugier. Denn es interessierte doch Echwnbke brennend, ob es bei Piefkes feiner znging als bei ihm selbst. Gedichte an Fracks und Toiletten saßen auf Figuren, die der liebe Gott bestimmt nicht in seinen Feierstunden erschaffen hatt«. Aus wochenlang«« Zurede»« Astrids hatte