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ANterhaktMgs-Veitag^ 'S» hohenstein-EmMaler Tageblatt Druck und Verlag von ). Ruhr Nachf., Dr. llldan Krisch, hodenstem-Lrnstthal. rrorte Menschen Koman von Alexander Römer. <10. Fortsetzung.) . Auf den Bänken am Ufer saßen die Damen, schnallten ihre Schlittschuhe an oder ab, entweder von dem dienst eifrigen Jmigen, der seinen Groschen haschte, oder von den beflissenen Kavalieren unterstützt. Es war ein buntes Bild in Hellem Sormenschein. Dann, als die frühe Dämmerung eintrat, die grauen Nebel sich niedersentten, leerte sich allmählich die Fläche, nur ver einzelt schwebte» noch schattenhafte Gestalten umher, deren Konturen mit dem Abenddust verschwommen. Ilse Morbach hatte sich aus einem großen Schwarm gelöst, ein Rudel junger Herren und ein paar sogenannter Freundinnen. Vertraulich nahe stand sie keiner unter ihren Altersgeuossinnen. Man hatte sie und ihr kleidsames Kostüm wieder be wundert, dunkelgrünes, pelzverbrämtes Tuchkleid mit Jackett, das dazu passende Pelzbarett auf dem schimmern den Haar. Ihre Farbeir waren wundervoll in der kalten Winter- lust, ihre Augen blitzten, sie war in übermütiger Laune. Jetzt, als die Dunkelheit hereinbrach, alle dem Ufer zustrebten, war sie plötzlich verschwunden. Man sah sich nach ihr um. „Wo ist Fräulein Morbach? Wo ist Ilse? Mein Gott, sie ist doch nicht wieder hinausgelaufen, jetzt, bei diesem sinkenden Licht — ihr ist doch nichts zugestoßen?" So schwirrten die besorgten Ausrufe hin und her. „Ach, dummes Zeug/ meinte einer der Herren, „der stößt so leicht nichts zu, die findet ihren Weg allein, Fräu lein Ilse ist immer unberechenbar." Der Meinung waren im Grunde alle, und man be ruhigte sich. Ein junger Offizier mit Falkenaugen glaubte, in einer verfchwebenden Gestalt fern, am Rande des jen seitigen Ufers, die Vermißte zu entdecken — wohl möglich — na, sie würde schon an Land kommen. Ilse lief da wirklich, allein. Sie hatte es nicht mehr ausgehalten in dem lose schwatzenden Haufen. So lange die grelle Sonne schien, gab es kein Entrinnen, gab es keine Einsamkeit, jetzt, in diesem schattenhaften Licht, war es schön. Sie kannte das unter Wasser gesetzte Wiesenterrain genau, die Stellen, wo die breiten Gräben liefen, das Eis war fest, sie fürchtete sich nicht. Gerade diese gespenstische Stille und Einsamkeit tat ihr wohl. An ihrer rechten Seite war jetzt das dichte Erlen- und Weidengebüsch, dahinter Dorf Dahlen, sie war recht weit von ihrem Landungskai entfernt. Immer tiefer sanken die Nebel, sie lief wie in einer grauen Wolke. Da — vor ihr tauchte eine, in diesem ungewissen Licht und dieser Weite riesenhaft erscheinende Gestalt auf — sie schwebte ihr entgegen — ihr Herz schlug. Jetzt trafen sie zusammen, sie hemmten beide, st« hiel- ten Auge in Auge an. „Ich wußte cs doch," sagte st« leis«, aber ihre Stimme bekam einen wunderliäM Klang in dieser Luftweite — „so sehen wir uns also wieder/ r _ (RachSrüS virbokM.) „Fräulein Morbach—* Sie entdeckte, trotz der Dämmerung, in diesem Besicht des Mannes das jähe Auffahren, das Aufblitzen in seine» grauen Augen. „Wie kommen Sie hierher, allein, zu so später Stunde?" Sie stand nicht sicher auf ihren Schlittschuhen, sie glitt zur Seite, ihre Gestalt wankte. Er hielt sie fest mit seiner Hand. „Ich könnte sagen, ich habe Sie gesucht, und träfe da mit beinahe die Wahrheit," entgegnete sie lachend, während sie sich, um das Gleichgewicht wieder zu erlangen, an ihn klammerte, „aber es wäre doch Wohl übernatürlich ge wesen, hätte ich Ihr Auftauchen vorausgesehen/ „Freilich — denn vor zwei Minuten steuerte ich in entgegengesetzter Richtung," sagte Herr Reller trocken. Er hielt ihre Hand fest, und sie liefen nun nebenein ander in ruhigem Tempo, einen geraden Lauf. Er hatte die Richtung heimwärts eingeschlagen. Sie sprachen eine lange Weile gar nicht. Dann beschrieb Ilse einige Bögen und Kurven, er folgte ihr. Ihr Lauf wurde kühner, leb^ Hafter, sie riß ihn mit sich fort, sie flogen jetzt über die Fläche. Der Wind hatte sich erhoben und blähte ihr Kleid, ihr war's, als seien ihre Füße von der Erde los. Jetzt hielt sie plötzlich inne, sie wäre über eine un ebene Stelle gestolpert und gestürzt, wenn er ste nicht mit starkem Arm gehalten hätte. Schwer atmend lehnte sie sich an ihn. Auch seine Brust arbeitete — sie schwiegen noch immer beide. Sie waren ganz allein hier in dieser grauen Weite, da hinter dem Erlengebüsch, wo sie sich getroffen, tauchte die Mondsichel auf. Ilse richtete sich empor, sie stand wieder fest und sicher. „Wie schön!" sagte ste, „diese Einsamkeit, keine Men- schen, welche mit ihren Augen schon solch einen Moment zerstören. Wenn sie uns hier miteinander sähen, wie wür den sie die bösesten Geschichten ersinnen." „Sie sind anders alsJhreGeschlechtsgenossinnen,Fräu lein Morbach, Sie kennen keine Furcht. Wenn nun ei« ariderer als ich —" „Mir dort im nächtlichen Dunkel begegnet wäre, wollen Sie sagen" — ihre Augen blitzten ihn an — „er wäre nicht mein Gefährte geworden, das versichere ich Sie." Er sah ste beinahe scheu von der Seite an und musterte ihre biegsame kräftige Gestalt. WaS wollte ste von ihm? „Warum vertrauen Ste mir, dem Ihnen ganz Frem den? Schon neulich bei unserer ersten Begegnung fiel mir Ihr Benehmen auf!" Seine Stimme zitterte, er war in größerer Erregung, als er merken lassen wollte. Das entging ihr nicht. „Sie haben ein Recht, so zu fragen. Aber ich kann Ihnen nicht antworten, es ist mir selbst ein dunkle- Rätsel. Sie wissen von mir, wer ich bin, woher ich stamme, jeder Mensch hier kann Ihnen meinen LebenSlauf berichten. Sie aber hüllen sich in ein Geheimnis, sprachen von einer Vergangenheit, die nicht zu Ihres» jetzigen Her-