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m. 287 Bankkonto: Chemnitzer Bankverein, Chemnitz. Postscheck »Konto: Leipzig 23464. mm» N II. Immer ISW. ! "Urs."!.' L" ir ZM Ich klage an! * Als Emile Zola vor einem Menschenalter unter Sem Geleit dieser Worte — ob zu Recht oder Unrecht, sei heute dahingestellt — seine wuchtigen Anklagen gegen die Männer und Parteien erhob, die Dreyfus als Landesver räter nach der Teufelsinsel verschickt hatten, stand die ganze Welt unter dem Bann der Worte des großen Dichters. Heute erhebt ein anderer unter der Aufmerksamkeit der glei - chen Welt Anklage, fürchterliche Anklage gegen den Mann, der mit seinen Zerstörungsplänen Europa nicht zur Ruhe und Ordnung kommen lassen will: Lloyd George gegen Poincaree. Der letzte englische Kabinettschef, an dessen Sturz ja Frank reich und sein gegenwärtiger politischer Leiter ein gerüttelt Matz von Schuld trägt, beginnt im Londoner „Daily Lhronicle" eine Reihe von Artikeln, die sich mit der aller- letzten Vergangenheit beschäftigen und die Wort für Wort «ine laute und eine dringliche Anklage gegen die politischen Maßnahmen Frankreichs sind, die nach Ansicht Lloyd Georges letzten Endes — und damit trifft er wohl das Urteil der Welt — auf die Entfesselung eines neuen, noch viel fürchterlicheren Krieges als des eben erlebten hinaus - lausen. Lloyd George beschäftigt .sich zunächst mit den Reden L l e m e n c e a u s, die dieser zurzeit in Amerika hält und die in der Behauptung gipfeln, datz Großbritan nien Frankreich gegenüber einen Wockbruch begangen habe, indem es das Abkommen, das Frankreich gegen die Mög lichkeit eines deutschen Angriffes sichern sollte, den sog. englisch-französischen Garantien ertrag, zu schließen abgelehnt habe. Lloyd George sagt demgegenüber, daß der ur sprüngliche Vertrag eine Antwort an diejenigen sein sollte, die verlangten, daß Frankreich das linke Rheinuser annektieren solle. „Es gab in Frankreich eine große Par tei, die Clemenceau zu der Forderung drängte, daß man den Rhein als natürliche Grenze Frankreichs behandeln und die überwältigende Niederlage Deutschlands ausnützcn solle, um die französische Grenze bis zu diesem schicksalsrcichen Flutz auszudehnen . . . Als Beweis galt diesen Leuten, daß die französische Grenze ohne eine natürliche Barriere des Schutzes entbehre. Frankreich sei zweimal in einem Menschenalter von seinem furchtbaren Nachbarn überfallen worden. Die deutsche Militärmacht sei zwar zerschmettert und deutsche Provinzen an Frankreich und Polen zurück gegeben, aber die deutsche Bevölkerung sei immer noch 50 Prozent größer als die französische und wachse in be- ängstigendem Matze, während die französische Bevölkerung stillstehe. Deutsche Städte und Dörfer wimmelten von kräf tigen Kindern. Man kann nicht mit einem Franzosen sprechen, ohne zu merken, wie das Gespenst des Heran wachsenden Deutschlands Frankreich verfolgt und in Furcht versetzt. Der Rhein sei, so sagen sie, die einzig mögliche Verteidigungslinie, für die die Natur gesorgt habe. Die Tatsache, — so fährt Lloyd George fort — daß dies die Unterwerfung von Millionen Män ne r n d e u t s ch e n B l u t e s, deutscher A b st a m- mung und Sympathien unter fremdes Joch bedeuten, und daß die Einverleibung eines so zahl reichen, Frankreichs Herrschaft mit jeder Faser widerstreben den fremden Elementes für die französische Negierung be ständig« Schwierigkeiten und Besorgnisse schaffen würde, während sie Deutschland nicht nur zur Wiederaufnahme des Krieges anreizen, sondern diesen als Befreiungskrieg rechtfertigen würde — alles dies macht auf die „rheinische Ribtung" der französischen Politik keinerlei Eindruck. Diese Richtung ist so stark wie jemals. In einer Beziehung ist sie sogar noch stärker, denn 1919 hatte der leitende Staatsmann Kraft und Weisheit genug, ihren übel be- ratenen Forderungen zu widerstehen. Aber wo ist 1922 die Voraussicht und die Kraft? Es besteht die tat sächliche Gefahr, daß diefünfzehnj ä ihrige Besetzung unter diesem oder jenem V o r - wand ins ungemessene verlängert wird. Wenn sie ihr Ende erreicht, wird dann «in Ministerium in Frankreich sein, das stack genug ist, die Truppen zu rückzuziehen ? Wird, ehe die fünfzehnjährige Besetzung zu Ende ist, ein Ministerium oder «ine Reihe von Mini sterien da sein, stark genug, um der Forderung zu wider streben, die unaufhörlich in der französischen Presse er hoben wird, datz die Besetzung „effektiv" gestaltet werden solle? Von der Antwort aus diese Fragen hängt der Frieden Europas, der Frieden der Welt, vielleicht das Leben unserer Zivilisation ab. Unaufhörlich wird gedrängt, das Unheil zu begehen, durch das noch einmal Ströme von Blut vergossen wer den sollen. Die Versuchung wächst, der Widerstand wird schwächer. Amerika und E r o ß b r it a nn i en ql lek n können, wenn sie zus am men h a lt en, die Katastrophe abw*enden. Aber sie können das nur, wenn sie klar zu verstehen geben, daß der Angreifer — wer immer es ist — die unbvfiegliche Macht dieser bei den Eroßstaaten gegen jede Nation in Kampslinie ausge reiht finden wird, die versucht, die Welt in einen neuen Konflikt zu verwickeln. In Deutschland gibt es Leute, die Rache predigen. Ihnen muß gesagt werden, daß ein Nevanchekrieg dieselben Alliierten Seit« an Seite finden wird, bereit, den Friedensstörer zu strafen. Es gibt Leute in Frankreich, die die Annexion von Gebieten fordern, die von einer anderen Nasse bewohnt sind. Sie müssen gewarnt werden, datz ein derartiger Schritt ihnen die Sympathien Groß britanniens und Amerikas entziehen wird und daß, wenn der unvermeidliche Befreiungskrieg aus- bricht, Amerika und Großbritannien mit ihren Sympa thien offen auf der Seite derjenigen sein wer den, die für nationale Freiheit kämpfen. Die Zeit ist gekommen, daß dies« Dinge gesagt werden, und wenn sie nicht an hervorragender Stelle gesagt wer den, wird die Menschheit eines Tages diejenigen, die diese« Stellen innehaben, zur Rechenschaft ziehen. Der Zweck des Vertrages — so führt Lloyd George weiter aus — ging dahin, Cleinenceau gegen die Angriff« jener Parteien zu stärken, die damals darauf ausgingen und noch darauf ausgehen, Frankreich zu dem ungeheuren Fehler zu verführen, Gebiet zu annektieren, das st e t s rein deutsch war. Clemenceau weiß sehr wohl, datz Großbritannien die letzten drei Jahre hindurch und bis vor wenigen Monaten jederzeit bereit war, mit oder ohne die Vereinigten Staaten die Last dieses Garantievertrages auf sich zu nehmen. Zu Anfang dieses Jahres habe ich in Cannes «inen endgültigen Vorschlag in diesem Sinne gemacht. Ich habe im Auftrag« der britischen Regierung an den damaligen französischen Premierministef, Briand, ein schriftliches Angebot gemacht. Ich strebte danach, die Mitwirkung Frankreichs zu sichern für den gemeinsamen Versuch, die Lage Europas zu klärest und einen wahrhaften Frieden vom Ural bis zur atlantischen Küste herzustellen. Französisches Mißtrauen und französische Besorgnisse stellten ein ernsthaftes Hindernis für die Regelung dar und ich war der Meinung, datz, wenn m m Frankreich klarmach«, daß es gegenüber der Drohung mit einem Ueberfa'l auf die Hilfe des britischen Reiches rechnen könne, die französische öffentlich« Meinung «her ge neigt sein würde, über die Europa bewegenden Fragen zu verhandeln. Briand begrüßte das Angebot und war ruhiger Be trachtung der europäischen Schwierigkeiten geneigt. Man vereinbacke die Konferenz von Genua, um die Lage von Europas Kredit- und Handelsverkehr zu besprechen. Auch hatte man beschlossen, den Versuch zur Herstellung des Friedens mit Rußland und zur Wiedereinreihung dieses großen Landes in die Gemeinschaft der Nationen zu ma chen. Damit war ein erster Schritt auf dem Wege wahr hafter Beruhigung geschehen. Die Beratungen in Genua schritten günstig sock, und man hätte vielleicht Ergebnisse erzielt, die den Aufruhr miß trauischer Nationen besänftigt und die Aussickft auf Ver brüderung «ingeleitet hätten. Aber Satan hat in Europa noch nicht ausgespielt! Eine Ministerkrisis in Frankreich schmetterte unsere Hoffnungen zu Boden. An der Schwelle der Erfüllung wurde die Konferenz abge brochen. Noch einmal ergriff das Mißtrauen das Ruder, und gerade, als Europa in den Hafen der Verständigung einzulausen schien, ward es heftig in die stürmisch« See internationalen Mißtrauens zurückgeschleudert. G ü o ß- britalnjntiens Angebot, wurde mit Verach tung zurückgewiesen. Man erklärte uns mit bru taler Ossenbeck, ohne eine Militärkonvention werde es nutz los sein. Wir ließen uns darauf nicht ein. Europa hat durch Militäckonventionen zu viel gelitten, als daß, man die Wiederholung solch gefährlichen Erpenments versuchen dürste. Der Vertrag mit Großbritannien liegt nun imP«- pierlorb, aber wir haben ihn nicht hineingeworfen. Lle- inenceau hätte sein« Anklagen in Pans gegen Män ner seiner eigenen Rass« richten müssen und nicht in Newyock gegen Engländer. Mit dem Vertrag war der Versuch der Herstellung des Friedens in Europa zunichte gemacht. Die Geschichte der Genua-Konferenz ist zu frisch, als datz man sie zu wiederholen brauchte. Das neue französische Ka binett spielt« nicht die Rollo, die für die einladende und für ein erfolgreiches Ergebnis des Programms von Cannes ver antwortlich« Regierung am Platze gewesen wäre, sondern vielmehr diejenige eines tadelsüchtigen Kriti» kers, der Schritt für Schritt zum Weitergehen überredet werd«n mutzte und der bei jedem Hindernis drohte, die Sacb« im Stiche zu lassen und unter dem höhnischen Gelächter Frankreichs das übrige Europa sein« Last weiter schleppen zu lassen. Wenn Frankreich Großbritanniens Garantie für den Schutz seiner Grenze annimmt, schwindet jeder Vorwand für die Annerion des linken Rheinufers. Wenn dies di« Erklärung ist, wenn die französischen Minister entschlossen sind, unter keiner Bedingung, auch nicht am End« der Bos «tzuNgsfrist, den Rückzug vom Rhei« anzutreten, dann öffnet sich «in neues Kapitel in der Ge schichte Europas und der Welt und es ist so Schreck liches zu befürchten, wie es die Menschheit noch nicht erlebt hat. Die deutschen Provinzen auf dem linken Rheinufer find in Rasse, Sprache, Ueberliefe - rung und Sympathien unbedingt deutsch. In Europa gibt es 70 Millionen Deutsche. Binnen einer Generativ «möge» es hundert sein. Siewerden sich nie be ruhigen, solange Millionen ihrer Lands leute aus dem andernUfer des Rheines unter fremdem Joch« schmachten und er wird nur ein« Frage der Zeit und der Um stände sein, daß der unvermeidliche Be freiungskrieg beginnt. Wir wissen, — so schließt Lloyd George seinen «rsten Artikel — was der letzte Krieg bedeutet hat. Niemand kann die Schrecken des nächsten vorhersagen. Unerbittlich mar» schiert di« Wissenschaft vorwärts, wie immer sie ihren Weg nimmt, geschiebt es auf das Geheiß, der Men- shen, sei es zu Aufbau oder zu Zerstörung. I ft es zuviel verlangt, daß Amerika rechtzeitig ein tätiges Interesse an der Entwicklung nehme, die sich a m R h e i n vollzieht? Weder Großbritannien noch Amerika können cs sich erlauben, zu ignorieren, was an seinen Ufern vorgeht. Es ist «in weiter Weg vom Rhein zum Mississippi, aber nicht mehr so weit, als er ehedem war. Nicht weit vom Rhein gibt es Gräber, in denen Männer schlummern, die vor noch nicht sechs Jahren von den Ufern des Mississippi kamen. G Den Auslassungen Lloyd Georges gegenüber nur di« eine kurze Frage: Weshalb ergreift der verschlagene Mamr, dem am Versailler Schandveckrag die gleich« Schuld zU- kommt wie Frankreich und Amerika, erst heut« die Flucht in die Oeffentlichleit? Warum hat er das„ was er heut« saat, nicht schon der .Welt offenbar gemacht, als er noch im Amte war, als die Konferenzen von Lannes und Genua gescheites waren ? Heute werden seine Raisonements posthum und gegenstandslos und man wird das Gefühl nicht los, daß er lediglich seinem Amtsnachfolger Bonar Law ein Bein stellen und sich in empfehlend« Erinnerung bringen will. M M« Wmnz hat am Sonnabend begonnen, Poincaree, Musso lini, der Faszistcnhäuptling, und der Belgier Theunis haben sich mit Bonar Law nach freundschaftlichem Händeschütteln zusammengesetzt, um mit dem bösen und heimtückischen Deutschland hochnotpeinlich zu verfahre«. Uebcr die erste Besprechung, di« früh 12 Uhr im Aus wärtigen Amt begann, und abends ^7 Uhr endete, wird französischerseits die kurze amtlich« Mitteilung berausge- gebcn, daß die alliierten Minister in «ine Vorbesprechung des Neparationsproblems und der Frage der