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dinen Zuschuß von seiner Schwiegermutter gerechnet. Aber »tue Überraschung war eS ihm doch gewesen, als Karo- Knerr- Mutter ihm kur» vor dvr Hochzait eröffnet hatte, Laß st« ihrer Tochter nicht» an darem Seide mitgeben könnte; ihr Kapital fei in de» letzten Jahren sv zusammen- geschmolzen, daß die Zins« gerade noch für Fran Diestel allein auSreichten. Er Hatto sie guten Mut»« getröstet. Hatte st« nicht schon genug Opfer für seine Ausbildung zum Lehrer ge bracht? Sr hatte Karoline doch nicht des Geldes wegen geheiratet. Aber er seufzte doch, als er daran dachte, daß seine schriftstellerischen Versuche ihm bisher so gut wie gar nichts eingebracht hatten. Er mußte -urücklegen, wenn er später einmal daran denken wollte, die Universität zu beziehe«. Unter solchen Sedanke» war er »ach Poggenhagen ge kommen. Nun faß er neben Bernhard vo» Bählow am Lisch« und übersetzte mit khm an- Lasar- gallischem Kriege. Er kam sich dabei zuweilen selbst noch wie ein Schiller vor. Den eigentlichen lateinische» Unterricht er hielt Bernhard auch nicht von ihm, sondern bei Herrn Kastor Mergenthien; mit Johanne» machte er nur die häuslichen Aufgaben, und der Lehrer betrachtete da- als willkommene Gelegenheit, seine mühsam durch Selbst unterricht erworbenen Kenntnisse zu befestigen. Heut« ließ sich Alic« von Bählow gar nicht sehen. Nur sM«n nahm sie noch an den Stunde» teil. Seit sie ihm ru seiner Verheiratung Glück gewünscht, hatte er lein Mort mit ihr gesprochen. Sr ahnte nickst, daß sie im Nebenzimmer saß, — mit hoißen Wangen über dal Heft der Monatsschrift gebeugt, dat der Kutscher heute aus Ratzeburg mitgebracht hatte. Erst hatte sie gewohnheitsmäßig in dem Heft geblättert, und dann wahllos angefangen zu lesen. Dann hatte sie «mfgemerkt. Wie Wichte der Verfasser der Novelle, die Ke zufällig anfgcschlagrn, die leuchtende Welt des Südens, di« Küste des Mittelmeeres in ihrer zauberischen Pracht zu schildern. Und wie lebendig trat ihr eigener Aufent haltsort vor ihre Seele, gerade als sitze sie im Garten zu San Remo und blicke hinaus auf das Meer und die Hellen Gestade. Auch die Handlung fesselte sie. DaS war so klar und plastisch dargestellt, wie die nordischen Seefahrer die neue Heimat fanden, von der sie sich nicht losreißen konnten, al- der Winter vorüber war. Als hätte sie diese Männer alle geschaut, so war ihr zumute, — als seien eS ihre hoch- gewachsenen blondhaarigen Landsleute, die der Dichter da geschildert. Und als sie zum Ende kam, und SeekönigS Weib im eichengefügten Bollwerk am Strande saß und de- Teuren harrte, den das Meer nicht wiedergab, — da war ihr, als sei sie selbst das Weib mit dem Herzen voll Sehnsucht. Große Tränen fielen auf daS Blatt. Langsam blätterte sie zurück. Und als ihre Augen auf di« Überschrift fielen, die sie vorher nicht beachtet, da war ihr, al- hätte es gar nicht anders sein können. „SeekönigS Meerfahrt. Von Johannes Jessen" — laS sie. Und plötz- Kch löste sich all die Spannung ihrer Seele, all der Druck, der fett Monaten auf ihr gelegen, seit jenem Tage, da sie sich bewußt geworden war, daß sie den jungen Schul meister liebte, in «in wildes, leidenschaftliche- Schluchzen auf. .... Siebzehntes Kapitel. Der Winter war träge dahingeschlichen. Im Neuen dammer Schulhause hatte er manche Veränderungen mit sich gebracht. Au Weihnachten war der alte Jessen gestorben und mit allen Ehren von der ganzen Gemeinde zur letzten Ruhe ge leitet worden. Die Schulkinder hatten gar erbaulich am offenen Grabe gesungen. Dann war der Schnee über den niedrigen Hügel gefallen, und der Lauf der Dinge war über ihn hinweggegangen, als sei, der da unten ruhte, nie gewesen. Für Johanne- Jesse» bedeutet« der Tod deS Vaters ein« «eu« Belastung. Run da- Ruhegehalt de- Alten fort- ftel, mußte fitt den verkrüppelten Bruder, der immer in der alten Weif« dahinlebt», und für Anna, gesorgt werden. ES LKeb nur die «ine Möglichkeit, st« mußten beide ins Schul- Han» ziehen. Anna Sftsss« war immer elender geworden. Ale Knchhofrosen ans ihren Wangen blühten heL Sang gerade noch zur Pflege ihres kranken Bruders und zu klei nen Handreichungen aus. Und so war auch Gesine im Schulhause nicht zu ent behren. Sie hatte gleich bei des Vater Tode erklärt, sie wollte bei einem Bauern in einem emlegeneren Dorfe eine Stellung al» Wirtschafterin annehmen. Aber dann hätte man im Schulhaus« ein« bezahlte Magd halten müssen. Karoline war eifrig aus den Gedanken eingcgangen; aber Johannes hatte Gesine gebeten, zu bleiben. Es war ja schlechterdings nicht möglich, ein Mädchen ins Haus zu nehmen. Wo sollte das Geld Herkommen? Und der Schulacker war so ungünstig verpachtet, daß Jessen sich entschlossen hatte, die Bewirtschaftung vom nächsten Herbst an selbst in die Hand zu nehmen. Da würde ihm Gesine eine wertvolle Hilfe sein. Aber leider war das Verhältnis zwischen den beiden Schwägerinnen ganz unerträglich geworden. Johannes litt darunter, obwohl er noch lange nicht alles erfuhr. Gleich zu Anfang war es zum offenen Zwist zwischen den beiden ge kommen, als Gesine den Postabschnitt gefunden hatte, der zu der Geldsendung gehörte, dis das Stuttgarter Verlags« hauS als Honorar für die Erzählung vom Seekönig ge schickt hatte. Sie hatte der Schwägerm auf den Kopf zu gesagt, daß sie das Geld heimlich für sich behalten habe. Karoline hatte geleugnet; denn es war zu spät, die Wahrheit einzugestchen. Einen Teil des Geldes hatte sie nämlich schon ausgegeben, um sich in Ratzeburg im Mode- geschäft von Hannchen Munsmann eine entzückende Feder boa zu kaufen. Am Tage darauf hatte Gesine den Brief träger abgefangen, und nun war die Wahrheit ans Licht gekommen. Es hatte «ine furchtbare Szene zwischen den Schwägerinnen gegeben. Karoline hatte sich in ihrem Schlafzimmer eingeriegelt, und Gesine in ihrer Angst, di« Schwägerin könnte sich ein Leid antun, die Tür ausge- brocheu. Ein Glück, daß Johannes gerade in Poggenhagen gewesen war! , Natürlich hatte Karoline den Rest des Geldes heraus- geben müssen. Und damit Johannes die Wahrheit nicht er fuhr, hatte Gesine von den wenigen Spargroschen, die st« besaß, das Fehlende hinzugefügt, — nicht um der Schwäge rin zu helfen, nein, wahrhaftig, deswegen nicht; das hatte sie ganz bestimmt erklärt, sondern um ihrem armen Bru der dir Schande zu ersparen. Und so hatte Johannes zwar über die Vergeßlichkeit seiner kleinen Frau bei der Ablieferung des Geldes den Kops geschüttelt, aber doch einen Tag reinen Glücks gehabt, als er den ersten Lohn seiner Schriftstelleret vor sich sah. Und in seiner Freude war er so unvernünftig gewesen, Karoline und jeder seiner beiden Schwestern von dem Gelde abzugeben, nm sich einen besonderen Wunsch erfüllen zu können. Kaum aber hatte Gesine die Schwägerm ohne Zeugen getroffen, so hatte sie sie gezwungen, ihr dies Geld heraus zugeben. Seit der Zett haßten sich die beiden auf den Tod; und Gesine hätte ihren Gedanken, eine Stellung anzuneh men, vielleicht längst ausgeführt, wenn sie nicht glaubte, über ihres Bruders Wohl wachen zu müssen, das sein- eigene Frau zu bedrohen schien. Karoline hatte schon nach den ersten Wochen angefaw- gen, sich unglücklich im Schulhause zu fühlen. Sie kam sich so überflüssig vor. Johannes hatte seine Arbeit, die ihn den Tag in Anspruch nahm. Aber sie, — sie stand müßig herum. Das wäre ihr nun an und für sich nicht als da» Schlimmste erschienen, wenn sie nur Gelegenheit gehabt hätte, sich die Zeit zu vertreiben, wie es ihre Art war. In Ratzeburg waren die Freundinnen gewesen und die Promenade am Markt und an schönen Tagen gemein same Ausflüge in die reizvolle Umgegend. Es hatte nie an Bewunderern gefehlt. Aber hier? Was nützten ihr ihr« schönen Kleider, wenn niemand da war, dem sie sie zeigen konnte? Anfangs hatte sie sich für Johannes geputzt, und er hatte sich über seine hübsche kleine Frau gefreut. Aber auf die Dauer wurde ihr das langweilig. In den ersten Wochen hatte es ihr noch Spaß ge macht, in Neuendamm ihre schönen Sachen zur Schau zu tragen. Im stillen dachte sie dabei an Stahmer. Di« Knechte, dir Mägde, sogar die Kinder guckten ihr nach. Denen war die neu« Lehrersfrau eine Art WettwmÄer. So etwas hatte man hier noch nicht gesehen. Aber di« älteren Leute schüttelten die Köpfe, (Fortsetzung folgt.) .