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Nr. 136. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den 15. November 1923. Sette 2. mangel auf den Winter rÄftete, davon legen die schon seit längerer Zeit anhaltenden, jetzt aber mit größerem Nachdruck durchgesührten Holzzufuhren aus den be nachbarten Wäldern Zeugnis ab. Mit Hocken und Packen, mit Wagen und Wägelchen schafft man herein, was man vermag. Mit ReWangen zieht man aus und holt von den Bäumen herab, was dürr und abgestorben ist. Vom Waldboden schafft man die Tangeln fort, um sie als Streu oder Brennmaterial zu verwenden. Das Wurzelwerk selbst auf älteren Holzschlägen gräbt man aus, um es zu Heizzwecken nach den Wohnungen in die Stadt zu bringen. Alles deutet darauf hin, daß man den Ernst der Lage er kennt und mit den Gefahren eines schweren Winters rechnet. Möchten die tatsächlichen Verhältnisse gün stiger sich gestalten, als der vorschauende Blick sie zur Zeit erkennen läßt. - (Tin sächsische» Einheitrbrot?) Wie au» Dresden gemeldet wird, schweben zurzeit an den maßgebenden Stelle» Verhandlungen über Einführung eine» Etnheitrbrote» in Sachsen, da» etwa zu Vö Pro- zent ausgemahlen sein soll. — (Gelöste und nicht benutzte Eisen- bahnfahrkarten), Bettkarten und Bettbescheini- gungen dürfen an den Eisenbahnschaltern nur an dem Tags, an dem sie gelöst worden sind, zurück genommen werden. Bei Fahrgelderstattungen aus Billigkeitsgründen werden 20 Prozent des Fahrgeld betrages, mindestens aber 50 Eoldpfennige, für jede Karte als Verwaltungskosten einbehalten. — (TeilweiseErmäßtgung d«rReichS - bahn-Tarife.) Am 1. Dezember werden die Ein- heit»sätze für die zweite und erst« Wagenklaffe im Reichsbahnoerkehr von 9,9 und 19,8 Pfennig auf 6 6 und 13,2 Pfennig für 1 Kilometer herabgesetzt. In gleicher Weise werden auch die Schnellzug»zuschlLge in der zweiten und ersten Klasse ermäßigt. Da» Spannung»verhältni» der einzelnen Klaffen, daß heute 1 : 11 : 4,8 und 1 : 9,7 beträgt, wird dann 1 : 1 >/, : 3 : 6. Vom 20. November d. I. ab wird der «z-äcktarif der Reichsbahn dahin ermäßigt, daß nach dem um 30 Prozent erhöhten Etlguttartf berech net wird. Ale Mtndestsracht werden 20 Pfennig erhoben. Dresden, 13. November. (Große Ereig nisse werfen ihre Schatten voraus.) Dem Telunion Sachsendienst wird geschrieben: Geht man heute durch die Straßen der Stadt und durch die Hallen der Kaufhäuser, so wird man erstaunt be kennen müssen, daß unsere Geschäftsleute sich außer ordentlich rasch der Goldmark, die ja eigentlich noch garnicht vorhanden ist, zugewendet haben. Die Flrig- keit, mit der das geschehen ist, muß doch einigermaßen stutzig machen und die Aufklärung geben die ange brachten Schilder mit der Ankündigung, daß bei Be zahlung mit wertbeständigem Gelds ein Rabatt von 10 °/, gewährt wird. Wer hat nun von dieser Mani- pulation den Nutzen? Doch derjenige, der zuerst in den Besitz von wertbeständigem Geld gelangt ist und damit seine Bedürfnisse eindecken kann. Der Ange stellte und Arbeiter, der auf das wertbeständige Geld auch heute noch wartet, muß nicht nur Kleidungs- stücke usw., sondern auch die nötigsten Lebensmittel um 10 «/, teurer bezahlen, als der andere, der so glücklich ist, schon heute wertbeständiges Geld sein eigen zu nennen. Die Geschäftsleute der Konfektions-, Tertil- und Wäschebranche sind noch radikaler vor- gegangen, sie verkaufen nur gegen wertbeständige« Geld. Die Verrechnung der Goldmark erfolgt aber nicht etwa zu dem täglich festgesetzten Kurse des Dollars, sondern die Geschäftsleute fordern einen er- heblichen Aufschlag, „um sich vor unvermeidlichen Verlusten zu schützen." Ausländische Valuta wird nach dem Stande der Tschechenkrone berechnet, die jetzt mit 18'/, Goldpfennig bewertet wird. Wo bleibt das Eingreifen der Behörden gegen eine solche bei spiellose Ausbeutung des.kaufenden Publikums? Dresden. (Die richtige Antwort.) Einer von denen, die eine gewisse Mitschuld tragen an un serem Valutaelend, erhielt hier dis gebührende Ant wort. Er wollte, wie dem „Pirnaer Anzeiger" be richtet wird, Arbeitern, die einen Teil des Lohnes in Rentenmark der Handelskammer erhalten hatten, die Rentenmark zu Spekulationszwecken abluren. Die Arbeiter gaben ihm keine Rentrnmark, wohl aber bekam der Volksausbeuter die Fäuste in so ausge dehntem Maße zu spüren, daß ihm für einige Zeit die Neigung vergangen sein wird, sich auf Kosten des Volkes im Nichtstun zu bereichern. Wenn jedem, der sich in dieser Weise am Volke versündigt, so gedient würde, wäre vielleicht manches nicht so arg, wie es leider gekommen ist. Dresden. (Der Brotpreis) ist hier auf 110 Milliarden für 1 Sorte und auf 100 Milliarden für 2 Sorte ermäßigt worden. slk Dresden, 14 Nov. (Eine deutschvolk»- parteiltch« Anfrage.) Abg. Frl. Dr. Hertwig (DVp.) hat folgende Anfrage im Landtage »tngebracht: Dem Vernehmen nach wird der in Bearbeitung be findliche Referentenentwurs, die Reform der Höheren Schulen betreffend, bald sertiggestellt sein. Die an der Schulreform interessierten Kreise erwarten, daß ihnen Gelegenheit gegeben wird, sich gutachtlich zu dem Ent würfe zu äußern, eh« er an den Landtag geht. Die zuständig« Stelle würde der LandeSschulbeirat sein. Da dieser aber noch nicht besteht, halten wir e» für dringend notwendig, daß ein Ausschuß au» Vertretern der Lehrerschaft der Höheren Schulen, der Eltern und anderer an der Höheren Schule interesfierter Berufs organisationen gebildet wird, um zu den geplanten Maßnahmen Stellung zu nehmen. Ist di« Regierung bereit, einen solchen Ausschuß zu bilden und einzube rufen, noch ehe der Gesetzentwurf im Sesamtministerium beraten wird? tsck. Radeberg, 14 November. (Großer Ein bruch» bi «bstahl.) In der Nacht zum Sonntag wurde in einem hiesigen Schneidermaßgeschäft ein Einbruchrdiebstahl verübt, bei dem den Dieben u. a. zwei Ballen Mantelflauschstoffe, vier Ballen AnzugS- stoff« sowie verschiedene Anzüge in die Hände fielen. tsck. Schirgiswalde, 14, Nov. (Sächsischer Zentrumspartettag.) Am Sonntag wurde hier ein außerordentlicher Parteitag der sächsischen Zen rrumrpartet abgehalten. Nu» dem Referat de» bis herigen Landesvorfitzenden Heßlein ließ sich erkennen, daß der gesamte Vorstand der Partei nicht länger im Amte bleiben wolle, weil er sich nicht mehr im vollen Besitze de» Vertrauen» der ZentrumSwähler glaubte. Nach dem Referat erklärten der Landes»orfitzende Bürgermeister Heßlein und der gesamte geschäfttfüh- rende Ausschuß, daß sie gewillt seien, von der Partei leitung zurückzutreten. Bet der Neuwahl wurde Fa brikant Hanisch zum LandeSvorfitzenden gewählt, in den geschäftsführrnden Ausschuß: Dr. Soppa-Schtrgi». walde, Knappe jun. Bautzen, Dr. Albert-Dresden, Lehrer Straube-Dre-dm, Lehrer Rolle Dre»dm, Lrhrer Gün- ther-Lcutersdorf, Heiduschka Dresden und Gewerkschaft»- sekretär Nowak-Leipzig. Moritzburg. (Einbruch) Das zum Schloß gehörige, im Staatsforstrevier liegende; sogenannte Höllenhaus wurde von Dieben erbrochen. Dis an Türen, Schränken usw. befindlichen Messingschlösser und dergl. wurden gestohlen. tsck. Naunhof, 14 November. (Ungeheizt« Schulzimmer.) In dm hiesigen Schulen muß bi« aus weitere» der Unterricht ausfallen, da di« Zimmer nicht mehr geheizt werben können. Jeden Morgen holen sich dir Schulkinder die Schulaufgaben für den kommmden Tag. Nur ein durch Ofen heizbarer Zim mer wird planmäßig ausgenützt. tsck. Leipzig, 14. Nov. (MassendieS stähl« aus einem Gute.) Unter den Felddiebstählen der letzten Zeit hatte besonder« da» Lörviger Gut zu lei- den. Der Pächter hat allein von der Kartoffelernte 3oO Zentner etngebüßt. Die Dieb« marschierten in großer Zahl direkt hinter der Kartoffelwaschine und sackten di« Kartoffeln »in. Künstlichen Dünger stahl man am Hellen Tage, während die Arbeiter mit dem LuSstrrurn beschäftigt waren, zmtnerweise von den Feldern. Der Flurschütz« war stine» Leben» nicht mehr sicher. Die Diebe hatten einen gutfunkrionieren- den Aufpafferdtenst eingerichtet. Erst vor wenigen Tagen mußte sich der Inspektor, der drei junge Bur- schm mit fünf Zentnern gestohlenen Rüben erwischte und sie festnehmen wollte, schwere Mißhandlungen ge fallen laffm. Nunmehr hat die Polizei eingegriffen. Die drei Burschen waren erkannt worden, das gestoh len« Gut sand man in einem Schrebergarten. Ein größere» Polizeiaufgebot nahm darauf ein« Razzia in der Gartenkoloni« vor. Reichliche Mengen von Kar- toffeln und Rüben und Stroh konnten beschlagnahmt wrrden. In einer Laube waren nicht weniger als 19 Ballen Stroh untergebracht, di« all« vom Lösnigir Gut gestohlen waren. Die Gartenbesitzer gaben dir Diebstähle zu. Politische Nrmdscharr Deutsches Reich. Berlin, 13 November. (Dr. Schacht zum Währungskommissar ernannt) Zum Wäh- rungskommiffar ist der Direktor der Darmstädter- und Nationalbank Dr. Schacht ernannt worden. — (Entscheidung jüberdasRheinland.) Die Sorge um da» Schicksal von Rhein- und Ruhr land steht jetzt mehr denn je obenan, und das muß so sein. Denn wehr als die Hälfte der Bevölkerung an Rhein und Ruhr ist der Arbeitslosigkeit anheim« gefallen, dadurch und im Zusammenhang mit der zu- nehmenden Arbeitslosigkeit im unbesetzten Deutschland und der katastrophalen Finanzlage de» Reiche» «in Problem für die Regierung erstanden, wie es in sol- chem Ausmaß wohl b«ispi«l»lo» ist. Nach dem Haager LandkriegSabkommen ist diejenige Macht, die ein Ge- biet besetzt hält, verpflichtet zur Sicherung und Ver- sorgung diese» Gebiete». Frankreich aber lehnt e» ab, da» Wtrtschast»leben in der ökonomischen Herz kammer Deutschlands wieder in Gang zu bringen, sodaß da» Rhein- und Ruhrgebiet völliger Verelendung entgegen gehen würde, wenn nicht vom Reiche au» Hilfe kommt. Der unverkennbar« Will« unstre» Peinigers Poineare« ist, daß Drutschland sich an den Arbtitslosenunterstützungen verblute. Den nackten Hunger durch Almosen zu bannen, reicht aS«r nicht einmal au»; e» muß für Arbeitsverdienst gesorgt werden, damit den Notleidenden nicht der innere Halt verloren geht. Nimmermehr können wir da» un» so teure Rhein- und Ruhrland seinem Schicksal über lassen. Hier ist die deutsche Frag«, die unser Herz und Hirn jetzt zu bewegen hat. Welche» wird da» Ergebni» der Besprechungen in der R«tch»kanzlei an diese Frag« sein? Berlin, 14 November. (Reichstagszusam- mentritt am Dienstag) Der Neltesttnrat dr» Reichstage» trat entgegen den bisherigen Dispositionen auf Veranlassung mehrerer Parteien bereit» heut« zu- sammrn und beschloß nach «inständiger Beratung, di« Sitzung de» Retchrrage» am Dienstag, den 20. November, nachmittag» 1 Uhrstatt' finden zu lassen. Auf di« Tagesordnung wur den außer kleineren Verträgen mit auswärtigen Staa ten di« politisch« «ussprach« gesetzt. Am Sonnabend, den 17 November, Vormittag» wird der Auswärtige Ausschuß tagen. Dies« oder eine der späteren Sitzun gen werden dann über das Schicksal des Reichstages entscheiden. Im Augenblick ist es noch ungewiß, welche Partei -in Mißtrauensvotum etnbring«n wird. Doch herrscht innerhalb der Sozialdemokratie, der D eutsch- nationalen und auch bei einem grossen Teile der Volkspartei eine so lebhafte Missstimmung gegen Stresemann, dass mit de» Tatsache, dast ein Mißtrauensvotum eingebracht wird, unbedingt zu rechnen ist. Es würde dies allerdings nicht der Fall srtn, wrnn di« bürgerliche Arbeitsgemeinschaft sich bereitfinden könne, einen Antrag einzubringen, in dem die Führung der Geschäfte durch den Kanzler gebilligt wird. In diesem Falle würde ein solcher Antrag da» Signal zu der entscheidenden Abstimmung sein, die zeigen soll, ob der Kanzler sich auf rine parlamentarische Mehrheit stützen kann oder nicht. Da kaum damit zu rechnen ist, dass eine solche Mehrheit sustandekommt, dürfte sich die Auflösung des Reichstages schwer um gehen lassen. Stresemann selbst hat durch seins Haltung, daß er den Zusammentritt de» Re'.chItageS möglichst lang« noch verschieben wollte, zum Ausdruck gebracht, daß er dem Volke dir Erregung, di« aus einer Auflösung immerhin sich ergibt, gern erspart bätke. Dadurch, das? die Haltung der Fraktionen dies ihm un möglich macht, bekommt er die Gelegenheit, das Parlament vollkommen aus;uscbalten und ?«- nächst einmal unter versicht auf Neuwahlen für längere Zeit die Regierungsgescdäfte unabhän gig von Parteistimmungen ;u sühren. Die Auflösung des Reichstages würde je denfalls den Beginn einer rein diktatori schen Regierung bedeuten. Diese diktatorische Regierung, die in so ziemlich naher Aussicht steht, orrursacht heute schon dem sozialdemo kratischen Zentralorgan, dem „Vorwärts", schwer« Be denken. Er erklärt, der Gedanke, den Reichstag auf- zulösen, ohne ihn innerhalb der verfassungsmäßigen Frist von 60 Tagen neu wählen zu lassen, sei ver brecherisch. Ein« solche Auflösung wäre «in glatter Siaatestr-ich. Durch die Reichstagsauflösung werde die Lrage aufgeworfen, ob die deutsche Repu blik ohne und gegen die Sozialdemokratie regiert werden könne. Rrchtsdiktatur und Anarchie oder Aufrichtung «ine» sozialistischen Staatswesens unter «»tscheidendem Ein fluß der sozialdemokratischen Partei ist nach dem .vor wärts" jetzt di« Hamlrtfragr, um die sich alles dreht. Der Lall Stresemann sei schliefirich nur ein Zwi schenspiel. Ls ist aber gewiss, das? sich Strese mann an den Einspruch der Sostaldemokraten wenig kehren wird. Berlin, 14. November. (Sozialdemokra tische Forderungen an die Reichrregit« rung.) Der Vorstand der sozialdemokratischen Reichs tagsfraktion tagt« gestern vor- und nachmittags, um zu d«n aktuellen politischen Fragen Stellung zu neh men. Ueber die Beschlüsse der Fraktion schreibt heute morgen der .Vorwärts:" Die Fraktion war einmütig der Auffassung, daß di« passive Haltung d»r ReichS- regierung im Konflikte mit Bayern die größt« Gefahr für die Reichsregierung heraufbeschwören müsse. In Anbetracht der vrrsaffungswidrigen Zustände in Bayern müsse di« ReichSregi«rung schleunigst zu durchgreifen den Maßnahmen greifen. In Bayern müsse in jeder Beziehung verfassungsmäßige Zustände geschaffen wer den. Von Rsichswegen müsse ein Strafverfahren gegen Lübbendorf, Hitler und Konsorten, die de» Hochverrat» gegen da» Reich schuldig seien, eingeleitit werken. Der FraktionSvorstand beriet ferner über die Vorgänge an Rhein und Ruhr. Er beauftragt« di« Fraktionsoorsttzrnden auf das schärfste Stellung zu nehmen, gegen die von der Retchsregierung schon in den nächsten Tagen beabsichtigte Einstellung der Zah lung der Erwerb»losen- und Sozialunterstützungen. Trotz der traurigen Finanzlage di» Reiche» müßten an die Bevölkerung de» Rhein- und Ruhrgebiet«» diese Unterstützungen ebenso lange gezahlt werden, als wie irgend einen anderen Teil de» Reiche». Ein gegenteilige» Vergehen treib« weite B«völkerung»krets« an Rhein und Ruhr geradezu in die Hände des Separatismus. Der Fraktionsoorstand beauftragte leine Unterhändler in der Partrtsührerbesprechung, die für Dien»tag vom R«ich»kanzl«r abgesagt worden war und deshalb auf di« nächsten Tage verschoben wor den ist, diese Gesichtspunkte mit aller Entschiedenheit zur Geltung zu bringen.