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Nr 104. Pulsnitzer Wochenblatt — Sonnabend, den 1. September 1933. Seite 2. Parteien damit verbundenen Bedeutung unbedingt notwendig. Die französische und belgische Antwort auf die britische Note vom 11. August hat in London lebhafte Enttäuschung hervorgerufen. In Paris dagegen sucht man den Eindruck zu erwecken, als unterscheiden sich die Auffassungen Frankreichs, Englands und Dsutfch- land» in dem Kernproblem der jetzt aufgerollten Fra gen, dem Garantieproblem, nur in unwichtigen Ein zelheiten. Frankreich möchte territorial« Pfänder dafür in der Hand behalten, daß Deutschland die ihm aufzuerlegenden Reparationszahlungen voll au»- sührt. Ursprünglich hatte Poineare behauptet, er wolle dat Ruhrgebiet unmittelbar für Frankreich nutzbar machen und die aus diesem Gebiet erzielten Erträge gegen Deutschlands Lieferung»' und Zahlungsver pflichtungen aufrechnen. Dat Ivar die Formel der .produktiven Pfänder." Alt sich dann hrrautstellt«, daß die Erträge des Ruhrgebietes hinter dem zurück- blieben, wat Deutschland früher lieferte, brachte Potn- carö die Lesart auf, er habe da» Ruhrgebiet besitzt, um Deutschland wirtschaftlich autzuvörren und zur Kapitulation zu zwingen. Er gibt also zu, daß dis Ruhrbesetzung al» eine Folter für Deutschland gedacht war. In England lehnt man beide französische Auffassungen, die de» produktiven Pfandes und die der Folter ab. Dar wichtigste Argument, da» Frank reich und Belgien gegen die Haltung Baldwins an, führen, ist die Tatsache, daß der jetzt angeblich so wirt schastS-vernünfttg und loyal denkend«, frühere Mini sterpräsident Lloyd George bei verschiedenen Anlässen (auf der Kohlenkonferenz zu Spa im Juli 1S2O und auf den Londoner R parattonSkonferenzen im Früh jahr 1921) di« Besetzung de» RohrgebieteS als ein« unter gewissen Umständen anwendbare Maßnahme be. zeichnet hat. In Paris hofft man, England werde einer Garantie zustimmen, welch« da» Ruhrgebiet in einer gemilderten Besetzung durch di« Alliierten be läßt und die Ruhrindustrie und den Ruhrbergbau un mittelbar für die Einhaltung eine» deutschen Lie serungS« und Zahlungsplan«» haftbar macht. In Deutschland ist die Möglichkeit, gewisse Reichsteil« für allgemeine deutsch« Verpflichtungen haftbar machen, politisch, wirtschaftlich und auch psychologisch undis- kutierbar. Reichskanzler Dr. Siresemann hat in feiner Red« vom 24. August D«utschlandS Gläubigrrn zu gesagt, daß Teil« der gesamten deutschen Wirtschaft al» Garantie für dir Erfüllung einer tragbaren Repa- rationSprog ramme» zur Verfügung gestellt werden könnten. In diesem Punkte geht Dr. Stresemann wett über die einschlägigen Brstimmungen der Ver sailler Vertrages hinaus. Trotzdem ist seine Zusage in den Kreisen der deutschen Wirtschaftler ruhig, ja mit ziemlich weitgehender Zustimmung ausgenommen worden. E» bleibt allerdings zu bedenken, daß ein und dasselbe Pfandobjekt nicht beliebig ost für oer- schiedine Zwecke verwendet werden kann. Für die wert- beständige deutsche Anleihe soll die gesamte deutsch« Wirtschaft, Bank«n, Hand«l, Jndustrt«, Landwirtschaft sowi« jeder, der über steuerpflichtige» Vermögen ver- fügt, haften. E» wird nicht leicht sein, au» dieser allgemeinen Garantie eine speziell« Haftpflicht außzu- sond«rn, die den Gläubigern Deutschland« bezw, den internationalen Geldleuten, welche die deutschen Re parationsleistungen finanzieren wollen, aagebotrn wer- den kann. vertttch« und sächsische Angelegenheiten. Pulsnitz. (Volksschule.) Herr Lehrer Hof. mann ist al» ständiger Lehrer nach Doberschau bei Lautzrn übergestedelt. Pulsnitz. (Krüppelsprechtage.) Am Sonn- abend, den 8. September 1923, vorm. 11 Uhr fin den in der Hauptschule zu Großröhrsdorf und nach mittags 2 Uhr in dem Barmherzigkeitsstist zu Kamenz wiederum Krüppelberatangsstunden durch einen Spe zialarzt des Vereins Krüppelhilfe in Dresden statt. Der Besuch hierzu wird angelegentlichst empfohlen. — (Vorübergehender verbot von Eisenbahnschulsahrten.) Auf Anregung der Eisenbahndirektton Dresden hat das Ministerium für Volksbildung mit Rücksicht auf die BetrtebSlage d«r Eis«nbahn angeordntt, daß Schulfahrten bis auf weitere» zu unterbleiben haben. — (Sämtliche Banken Dienstag» ge schlossen.) Wie au» einer Anzeige der hrutigen Nummer hervorgeht, sehen sich die Bankt» gezwungen, bi» auf weitere» am Dienstag jeder Woche ihr« Kassen und Büro» für den Verkehr mit dem Publikum zu schließen. Wegen der Bedeutung der Anzeige für den Geschäftsverkehr, z. B. für die Einlösung von Wechseln und Ausübung von BezugSrechten, wird auch an dt«ser Stell« auf die Anzeige besonder» hingewirsen. Di« Bank«» folgen damit d«m Beispiel der ReichSbank, die an zwei Tagen der Woche ihre Kassen nur noch zwei Stunden offenhält. — (Da» End« de» Markenbrotes.) Auf Grund des 8 8 de» Gesetze» zur Sicherung der vrot- versorgung im Wirtschaftsjahr 1923/24 vom 23 Juli hat d«r Reichrminister für Ernährung und Landwirt- schäft durch Verordnung vom 28. August mit Zu- stimmung de» ReichSrate» den 1S. Oktober al» Endtermin der öffentlichen Vrotversorgung bestimmt. — (Deutsch« Mädchen, reist nicht in di« französische Schweiz!) van maßgebender Seit« wird dem Deutschen Au»land»institut mitget-ilt, daß deutsche Mädchen in der Schweiz, befördert in dem französische» Teil, mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Ganz abgesehen davon, daß die AuftnthallSbewMgung sehr schwer erteilt wird, sind auch die Gehälter trotz der verlockenden Schweizer Franken durchaus nicht glänzend. Häufig kam«» Mädchen, di« erkrankten oder ihr« Stellung verloren, in große» Elend und mußten schließlich auf Staats kosten hetmbefördert werden. In der französischen Schweiz werden Mädchen oft in rücksichtslosester Wesse au-genützt und beschimpft (Boche»). Selbst die Er lernung der französischen Sprache, die ohne Vorkemtt- rnss« schwer zu erreiche» ist, wiegt die großen Nachteile, denen sich di« Mädchen auSfetzen, nicht auf. — (Ein 2er Mannschaftsfahren) über 50 Kilometer veranstaltet morgen, Sonntag, der Gau Dresden de» Bunde» Deutscher Radfahrer auf der Streck« Kamenz, Pulsnitz, Radeberg, Großröhrsdorf, Elstra, Kamenz. — (N «»«Kreuz« auf dem Pressefried. Hof«) Der Not der Z-it fällt nunmehr auch der .Eanewalder Anzeiger" zum Opfer. Er stellte am Dovnerrtag sein Erscheinen ein, verabschiedet sich von seinem Leserkreise und erklärt, daß alle» versucht worden sei, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, aber die Not s«i stärker al» der Will« gtwesen. Da» Blatt erschien zugleich alt N-benau»gab« für Großpostwitz und Um- «egend. — Der Verlag de» „Siebenlrhn Nossener Wochenblatt«»" macht bekannt, daß er gezwungen sei, vorläufig den Betrieb einzustellen. — Die birher sechsmal in der Woche erscheinenden Blätter .Adorser Grenzbate", „Vogtländisch« Zeitung" in Oelrnitz und .Klingenthaler Zeitung" werden vom 1. S ptember ab bi» auf weiteres nur noch viermal wöchentlich heraus- gegeben. --- Die .Radeberger Zeitung", die .Ober- laufitzer Zeitung" in Eberkbach, da» .Flöhaer Tage blatt", da» „Oederaner Tageblatt", da» „Schönhrider Wochenblatt" erscheinen von jetzt ab statt sechs- nur noch dreimal in der Woche. — (Die Papiernot derZeitung«».) Die„Zw'ckauer Neuesten Nachrichten" verwenden infolge der Popiernot für den Druck ihrer Beilage kanarienvogrlgelbe» schwachgeletmte» Papier. — (Erziehung«- Beihilfen.) Ueber die Verwendung der vom Reiche zu Erziehungsbeihilfen zur Verfügung gestellten Mittel hat dar Ministerium für Volksbildung folgende Richtlinien ausgestellt. 1. Es sollen nur außergewöhnliche Begabungen, deren Förderung im allgemeinen Staatsinteresse liegt, be- rücksichtigt werden. Solchen Begabungen soll gege benenfalls mit Hilfe der Erziehungsbeihilfen der Zu gang zu den mittleren und höheren Schulen ermög licht werden. 2. Die Bewilligung einer Beihilfe erfolgt grundsätzlich nur für die Dauer eines Jahres. Alljährlich ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ihrs Gewährung noch vorhanden sind. 3. Die Höhe der Beihilfe richtet sich nach dem Bedürfnis des Ein zelfalles. Sie kann auch als Freistelle in öffentlichen oder privaten Erziehungsheimen gewährt werden. 4. Bei der Zuwendung der Beihilfen ist darauf Be dacht zu nehmen, daß sie sämtliche Schularten für die männliche und weibliche Jugend möglichst gleichmä ßig zugute kommen. Schulen, die der Förderung begabter Kinder dienen, vornehmlich Aufvauschulen, sind vorzugsweise zu berücksichtigen. 5. Ein Teil der Mittel ist für hervorragend begabte junge Leute be reitzustellen, denen außerhalb des normalen Bildung« - wesens der Zugang zur Hochschale in besonderen, abgekürzten Lehrgängen geöffnet werden soll. Aus diesen Mitteln können auch besonders befähigte Teil- nehmer solcher Lehrgänge berücksichtigt werden, die den Uebergang zur höheren Schule oder zu einer mittleren oder höheren Fachschule vermitteln. Die Vergebung der Erziehungsbeihilfen behält sich das Ministerium selbst vor Vorschläge können durch die Direktionen der staatlichen höheren Lehranstalten und dis Schulkommissionen bis zum 10. September beim Ministerium für Volksbildung eingereicht werden. — (At»d«rung«n in dir Ang« st «Uten- Versicherung) Durch Verordnung vom 9. August 1928 sind die L istungen und Beiträge abermals er höht wordrn. Vom 1. September 1923 ab ist di« jährlich« T«uerung»zulag« heraufg«s«tzt. Vom gleichen Zeitpunkt« an gelten neue GehaltSklass«». Nb 1 Sep tember 1923 fällt di« Gehaltrklasse 13 fort. Marken für diese Klasse werden alsdann nicht m«hr verkauft. Von dem genannten Tag« ab ist für Rückstände der Klassen 1—18 die jeweils erhältliche niedrigst« Klasse zu kleben. Die Verficherungrpflichtgrenze ist mit Wu> kung vom 1. August 1923 ab auf monatlich: a) 200 Millionen Mark im unbesetzten Gebiet, d) 250 Millto nen Mark im besetzt«» Gebi«t, im EtnbrvchSgrbiet und in dem Gebiet, in dem besonder« Bestimmung«» für die Erwerb»los«nsürsorge gelten, festgesetzt. — (Aenderung der gerichtlichen Zu- ständigkeitSgrenzen.) Durch die am 25. Au gust in Kraft getretene Verordnung zur Entlastung der Gericht« vom 28 Juli 1923 find folgend« Aindr- rung«n eing«1reten: Die Zuständigkeit der Amtsgericht« über vermögenSrechtlichr Ansprüche ist von 300000 Mark ausgedehnt auf 2 Millionen Mark. Die Beru- fungSgrenz« gegen Urteile im Amtsgericht« ist von 30 000 Mark ausgedehnt auf 300 000 Mark. Di« Re- mfionrgrenze gegen Urteil« dr» OderlandeSgericht» ist von 500 000 Mark ausgedehnt auf 5 Millionen Mark. Die Grenze für vorlärfia« VallstreckbarkeMerklärung von Urteilen ist von 300 000 Mark ausgedehnt auf 8 Millionen Mark. Die Beschwerdegrenze über den Kostenpunkt in solchen Streitigkeiten, in denen in der Hauptsache «ine Entscheidung nicht ergangen ist, ist von 80000 Mark ausgedehnt auf 800 000 Mark. — (Da» Ende der Zigarre.) Di« Welt, einst wundrrschön ringrteilt in Raucher und Nicht- räucher, wird bald aufhören, al» solche zu bestehen. Drr Raucher steht vor seiner letzten Zigarre. Er wird d-n Taöakrauch nicht m«br in ein N chiraucherkupet blasen und drr übrigen Welt durch seine Genießer sucht unangenehm auffallen. Die letzte Zigarre wird ihm bald auSgegangen sein. Wir stehen, wovon sich jeder überzeugen kann, vor Halbleeren Z'garrenläden und vor gänzlich leeren Z garrenkisten. So auVver- kauft wie heute waren die Z'garrengeschäfte kaum in Kriegrzeiten. In der Tat, die Lag« aus dem Tabak- Markt ist ungeheuer schwierig geworden — (Die Mütterberatung Ober st ein a) findet am Freitag, drn 7. September, nachm. '/,3 Uhr in der Schule statt. Arzt wird anwesend sein. Ohorn. (AItershilfe) In den Tagen vom 1. bis mit 3. September werden dis Vertrauensmän ner des Wohlfahrtspflegeausschusses bei allen Ein wohnern de« Ortes eine Sammlung für die Alters- Hilfe vornehmen. Es werden die, die es in diesen schweren Tagen noch können, gebeten, die Sammler mit einem gebefreudigen Herzen zu empfangen. Jede Gabe ist willkommen. Trotzdem sich wohl die Land wirtschaft im Landbund zusammentun und die In dustrie sich wohl zu einer Kohlenlieferung zusam- menschließen wird, um gemeinsam zu helfen, werden die Sammler auch bei ihnen vorsprechen. Angesichts dessen und auch in Anbetracht der Ermäßigungen beim Steuerabzug vom Arbeitseinkommen, werden auch die Arbeiter- und die Beamtenschaft gebeten, unterstützend und helfend einzugreifen. Ein Gebot des Herzens, eine Menschen, und sittliche Pflicht ist es, unseren Notleidenden und Darbenden zu helfen, so gut ein Jeder kann. Kamenz. (Ruhrktnder) Da» B-zirttschuft amt hat dekanntgegrben, daß sogenannte Ruhrktnder auch während ihre» Aufenthalt» in Sachsen schul pflichtig und ungesäumt der Schule zuzusühren find. Bautzen, 30. August. (Schlechte Beschaf fenheit des Getreides.) Der Kommunalver- band teilt folgendes mit: Die Beschaffenheit des Ge treides, daß die Reichsgeireidesislls in der letzten Zeit dem Kommunalverbande zugewiesen hat, war leider nicht einwandfrei. Der Kommunaloerband hat deshalb auch sofort die Mängelrüge bei der Reichsgetreidestelle erhoben und das Getreide der Reichsgetreidestelle zur Verfügung gestellt. Die Ent scheidung der zuständigen Stelle steht noch aus. Löbau. (Unerwartet« Wirkung der Le be n » M1 t t«l k o n t r o l l r.) Drr Molterrtbrsttzer Hrn- sel in Kirschau ließ in vergangener Woche feinen ge samten Betrieb in Stich, auf seinem Lastauto, mit Kind und Kegel und einem fetten Schwein beladen, wandte er dem Orte drn Rücken, um den W-iirrbetrieb seiner Molkerei, wie er erklärt«, der Arbeiterschaft, bi« ihm zu viel Schwierigkeiten bereit«, zu üderftssen. Hensel ist noch nicht zurückgrkehrt. Di« Gemeind« muß nun die Fortführung drr Molk-nt auf andere Weist möglich zu machen suchen, um di« Jrtschmilchoersor- gung des Orte» sicher zu stellt». Dresden. (Eine kommunistische An frage.) Di« kommunistische Landtagsfraktion hat iM Landtage eine Anfrage eingebracht, die sich mit der Kündigung de» tkchntschen Personals in den sächsischen Druckereien und einzelnen Industrie«^ befaßt und in der die Regierung gefragt wird, wa« sie zu tun ge denke, um die Arbeiter vor dem „Terror der Unter nehmer" zu schützen. Dresden. (Eingreifen der Landespo' lizei auf dem Lande) Der Bericht der Krimi« nalpolizei meldet: Am 27. August nachmittags hiel« ten Erwerbslose der Ortschaften Großzichachwitz. Meu« selwitz und Sporbitz in einem Restaurant in Groß' zschachwitz eine Versammlung ab, um über ihre wirtschaftliche Lage zu beraten. Ein von der Ver sammlung gewählter Ausschuß lehnte ein Verhandeln mit Gemeindevertretern ab, weil die dortigen Ge meinden zu arm seien, und Unterstützungen nicht ge« währen könnten. Daraufhin beschloß die Versamm lung, zur Selbsthilfe zu greifen. Etwa 100 Ver sammlungsteilnehmer gingen in geschlossenem Zuge zu dem Gutsbesitzer Fritzsche in Sporbitz und ver langten dort die Herausgabe eines Rindes, daß sie schlachten und unter sich verteilen wollten. Fritzsche sowie dessen Ehefrau lehnten dieses Ansinnen ab. Daraufhin gingen die Erwerbslosen auf di, Fritzsche'sch« Viehweide und trieben einen zweijährigen Bullen zu dem dortigen Fleischermeister Petersen, der ihn schlach« ten sollte. Petersen lehnte ab, ohne amtliche Fleisch' beschau, die erst am nächsten Morgen erfolgen könnte, zu schlachten. Die Erwerbslosen zogen sich dann bis auf etwa 30 Mann, die zur Bewachung de» Bullen in dem Petersenschen Grundstück bestimmt waren,