Volltext Seite (XML)
Nr. !02. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, oen 28 August 1W3 SeitZ 2. Reichsbank eine Verteidigungsrede für die Reichsbankpolitik gehalten, ein Abschiedsgesuch aber nicht eingereicht. Stresemanns große politische Rede hat in Frankreich wie in England eine vorwiegend günstige Ausnahme gefunden. Eine grundlegende Reform des ganzen Steuerwesens soll bevor» stehen. Man erwartet, daß im Oktober die Vorarbeiten zu dieser völligen Neuordnung des Steuerwesens in Angriff ge nommen werden. Nach dem vom 1. September in Kraft tretenden neuen Post, taris wird voraussichtlich eine Postkarle 30 000, rin Fern- brief 75 000 M kosten. Poincarö hat an diesem Sonntag nicht nur eine, sondern zwei Reden gehalten, und zwar die eine in Chaffey und die an- derc in Goudrecourt. — Von einem Willen zur Verständi gung, den manche Leute in Deutschland nach der Strese mann-Rede von Poincare erhofften, war nichts zu merken. Der Kommandant der amerikanischen Legion, Alvin Owslen, beabsichtigt, in das Ruhrgebiet zu reisen, um die dortige Lage kennen zu lernen. Oertliche und sächsische Angelegenheiten Pulsnitz. (An dis Herren Arbeitgeber aller Berufe!» Zur Frage der Bekämpfung der Erwerbslosigkeit übermittelt der Arbeitsnachweis einen Aufruf folgenden Inhalts: Dis Zahl der Arbeits- losen wächst mit jedem Tage. Brauchbare und ar beitswillige Kräfte aller Berufe, dis lediglich durch die Ungunst der wirtschaftlichen Verhältnisse ihre Ar beitsstelle verloren haben, warten auf Beschäftigung. Mit allen Mitteln muh dahin gestrebt werden, dem weiteren Steigen der Erwerbslosigkeit Einhalt zu tun und dis Arbeitsuchenden möglichst rasch wieder in den Wirtschaftsprozetz sinzureihen. An alle Arbeitgeber ergeht daher das dringende Ersuchen, alle Vorhände nen Arbeitsstellen unverzüglich dem öffentlichen Ar beitsnachweis zu melden und keine weiteren Ent- lassungen mehr vorzunehmen Bei der gegenwärtigen Erwerbslosigkeit ist es ferner notwendig, alle die Arbeitskräfte, die nicht unbedingt auf Verdienst an gewiesen sind, wie Doppelverdiener, verheiratete Frauen, gegen einheimische Erwerbslose auszuwechseln. Jedes weitere Anschwellen der Erwerbslosigkeit be- deutet eine Verschärfung unserer innerpolitischen Lage und hat erhebliche unproduktive öffentliche Lasten zur Folge. Der Arbeitsnachweis erwartet bei seinen auf den Abbau der Erwerbslosigkeit gerichteten Bestre bungen die tatkräftige Unterstützung aller Arbeit- geberkreise. Meldungen offener Stellen werden an den öffentlichen Arbeitsnachweis Pulsnitz (Rathaus) Tel. Nr. 3 und 83 erbeten. — (Die Empfänger von Invaliden-, Alters, Kranken- und Witwenrenten) erhalten vom 1. September ab statt des bisherigen Betrages durchweg 40100 M; die Quittung ist dem entsprechend auszufüllen. Die Waisenrenten- quittung <O) hat vom gleichen Tage ab zu lauten bei 1 Kinds auf 20100 M, bei 2 Kindern auf 40100 M, bei 3 Kindern auf 60100 M usw Die Zulageempfänger aus der Unfallversicherung erhalten am 1. September den am 1. August ge zahlten lausenden Monatsbetrag in dreifacher Höhe als Nachzahlung für August. In die Quit tungen sind Beträge nicht einzurücken. Die Quit- tungen sind zu unterschreiben und abstempeln zu lassen Vom 1 September ab erfolgt die Zahlung der Unfallrenten halbmonatlich und zwar am 1 und 16. des Monats vormittags am Post- schalter. — (Heute geht es ohne Zeitung nicht mehr! Der „Deggendorfer Ztg." wird von einem Manne berichtet, der versäumt hatte, im vorigen Monat die Zeitung zu bestellen, daß er bei der jetzt erfolgten Bestellung geäußert hat: „Bestellen werde ich die Zeitung, auch wenn sie im Monat noch so viel kosten sollte Denn glauben Sie mir, das Nicht- Halten des Blattes während dieser Tage hat mir einen Schaden von mehreren Millionen gebracht." — (Das Zeitu ngssterben.) Bei der Zei- tungsstelle des Reichspostamtes haben bis 20. August 113 deutsche Zeitschriften und Zeitungen angezeigt, daß sie ab 1. September nicht mehr erscheinen Die Zahl wird sich bis Ende dieses Monats noch wesent lich erhöhen. — (Ein Wirtschäftsbesitzer als Rog ge n d i e b.) Einem Gutsbesitzer in Obersteina bei Pulsnitz wurden auf dem Felde etwa 70 Kornpupprn ausgedroschen. Durch Hinzuziehung eines Spürhun des der Radeberger Polizei wurde der Roggen bei einem Wirtschaftsbesitzer in Odersteina auf dem Boden vorgefunden und konnte dem Geschädigten zurückge- geben werden. Großröhrsdorf. (Stromd iebstahl.) Im Stromversorgungsgebiet des Großröhrsdorfer Elektri zitätswerkes machte sich ein Abnehmer des Strom- diebstahls insofern schuldig, als er in seiner Pauschal anlage elektrische Kochapparate benutzte. Er wurde mit seiner Familie dieserhalb vom Amtsgericht Rade berg am 23. Juli dieses Jahres zu einer Geldstrafe von zusammen einer Million Mark verurteilt und hat außerdem dem Elektrizitätswerk eine Entschädi gung in Höhe von über eine Million zu bezahlen. Dresden. (Auflösung des bürgerlichen Ordnungsdien st es.) Das Polizeipräsidium macht bekannt: Der bürgerliche Ordnungsdienst in Dresden ist durch Beschluß vom 8. August 1923 gemäß § 2 des Reichsvereinsgesetzee vom 19. April 1918 in Ver bindung mit Artikel 124 der Reichsoerfassung aufge löst worden — Wo bleibt da das gleiche Recht Aller? Der bürgerliche Ordnungsdienst wurde nach dem Muster der sozialdemokratisch > kommunistischen prole torischen Hundertschaften eingerichtet, um die Geschäfts- und Handelewelt vor dem Terror der Straße zu schützen und die Versammlungsfreiheit auch der links, radikalen Elemente zu gewährleisten. Wenn nun das Polizeipräsidium den bürgerlichen Ordnungsdienst auflöst, so müßte es folgerichtigerweile auch die pro letarischen Hundertschaften auflösen. Dresden. (Einbruch in ein Modehaus) Am Montag früh beobachteten Wächter der Wach und Tchließgesellschast, die das ModrhauS Renner zu be wachen hatten, wie ein gutgekleideter Mann über die Gitter eines Seitenringanzek Koffer und Warenpakete auf di« Straße zu bringen versuchte. Die alarmierte Polizei schloß «inen R ng um di« Baulichkeiten des Modehauses und begann dann im Innern des Hauses mit den Nachforschungen nach dem Diebe. In einem Waschraum sand man die alten Kleider des Diebes. Er halt« sich bereits aus den Lagern der Firma eine Anzahl Rucksäcke und Koffer beschafft, die er mit aller- Hand wertvollen Waren angefüllt hatte. Mehrers ver dächtige Personen wurden verhört. Der Dieb scheint sich bereits in der Nacht zum Sonntag in dem Ge schäftshaus« einschlteßen lassen zu haben. Dresden. (Markt st andgerichtDreSden.) In de» Kühlräumen der Dresdner Hauptmarkthalle wurden kürzlich 9 Zentner Butter und 8 Zentner Margarine beschlagnahmt, die der Händler Kirsch in Dresden dort eingelegt hatte. Im zweiten Falle wur den 20 Zentner Butter und 13'/, Zentner Margarine mit Beschlag belegt, die den Seiden Händlern Preuß und Glöckner gehörten. Sie hatten Plakat« auSge- hängt, daß Margarine aukverkauft und Butter noch nicht eingetroffen sei. Die drei Personen erhielten vom Marktstandgericht Strafbefehls über je 6 Wochen Ge fängnis und 50 Millionen Mark Geldstrafe. Leipzig, 27. Aug (Eröffnung der Leip- ziger Herbstmesse) Die diesjährige Leipziger Herbstmesse hat mit dem gestrigen Sonntag ihren offiziellen Anfang genommen. Soweit sich aus den Ausstellungsanmeldungen ersehen läßt, kann gesagt werden, daß die Zahl der Aussteller der der letzten Frühjahrsmesse ziemlich gleichkommt. Ein Gang durch die Meßhäuser der Innenstadt zeigt, daß vor allem die Glasindustrie, Keramik, Spielwaren, Poc zesian rc. große Anstrengungen gemacht haben, um Proben ihrer großen Leistungsfähigkeit zur Schau zu bringen. Eine genaue Zahl über die besuchenden Gäste läßt sich auch nach nicht angeben Aus den Anmeldungen bei der Meßleitung geht hervor, daß wiederum eine große Anzahl Besucher aus dem Aus- lande, insbesondere auch aus Uebersee eingetroffen ist, doch dürfte die gegenwärtige wirtschaftliche Lags und die noch ungeklärte politische Lage nicht ganz ohne Einfluß bleiben. Die technische Messe auf dem städtischen Ausstellungsge'rände zeigt sich wieder als eine einzigartige Schau der Technik und macht auf den Besucher einen imposanten Eindruck und gitt aufs neue Beweise von der gewaltigen Leistungs fähigksit der deutschen Industrie. — Der amtliche Bericht des Messeamtes über den Verlauf des ersten Meßtages besagt u. a: Die Besucher aus dem In lande sind diesmal allem Anscheine nach nicht soge nannte „Sehleute", sondern ernste Kaufreflektanten, was bei den heutigen Spesensätzen erklärlich ist. Das Jnlandsgeschäft geht auf solider Bedarfsbasis vor sich, soweit die stark gesunkene Kaufkraft die reguläre Ergänzung der Warenbestände erlaubt. Aus der all gemeinen Mustermesse ist für Glaswaren ein Besuch besonders englischer, skandinavischer, holländischer und türkischer Einkäufer zu verzeichnen, von denen man ansehnliche Abschlüsse erwarten darf Neben den Käufern des Inlandes wurden hier namentlich iia lienische und tschecho slowakische Interessenten bemerkt. In Bijouterien zeigt sich Schweizer und holländische Kundschaft interessiert. In Lederwaren ist das Ge schäft bisher noch zögernd, ebenso in Bürstenwaren und Besen. Auf der Teriilmesse war schon von der ersten Stunde an lebhafter Verkehr. Auf der Tech Nischen Messe herrschte schon am Sonntag Vormittag reges Leden, das gegen Mittag so zunahm, daß ein Unterschied gegen frühere Messen kaum noch erkenn bar war. Eine gewisse Zurückhaltung der Käufer am ersten Tage findet wie stets auch diesmal statt, aber all« Anzeichen sprechen für einen normalen Ge- schäftsverlauf. Die Baumesse weist abermals erheb liche Fortschritte in Bezug auf Baustoffe, Bau maschinen und Bauausstattung auf. Auch hier war der Verkehr rege. — (Der zweite Tag der Leipziger Herbstmesse.) Ueber den Verlauf des zweiten Messetages wird mitgeteilt: Der Messe montag brachte weiteren umfassenden Zuzug aus In- und Ausland Mit Rücksicht auf die hohen Spesen sind die Besucher vielfach bestrebt, den Leip ziger Aufenthalt möglichst kurzfristig zu gestalten. Infolgedessen wird das Geschäft kurz und entschlossen abgewickelt. Auf der deutschen Schuh- und Leder- messe interessierten Material kraftsparende Neuheiten. Am Schuhmarkt selbst führt Gebrauchsschuhwerk Lebhafter Geschäftsverkehr herrschte an den Ständen für Porzellane, für Stahlwaren, Toilette Artikel, Sport- artikel. Man rechnet aber auch mit einer steigenden Belebung der anderen Jndustrieerzeugnisse. Aus der Technischen Messe lag das Geschäft schwankend, dem Vortage gegenüber jedoch günstiger. Auch das Aus land ist in erheblichem Maße an den Käufen an den I verschiedenartigsten Ständen beteiligt. Zwickau. (Die Stadt al« lachende Er bin.) D>« kleine StadHMMLM^tzat j-tzt aus einer amerikanischen 10 000 Dollar zugesprochen erhalten. Das ist nach dem augenblick- Uchen Kurse umgerechnet eine Summ« von etwa 4ö bis 50 Milliarden Reichsmark, ein Betrag, der es der Stadt ermöglicht, ihre gesamten Schulden abzuzahlen und sich so von allen augenblickiichen Nöten zu be freien. Die Bürger der Stadt strahlen vor Glück. Die Erbschaft bildet überall das Tagesgespräch. Eine Regierungskundgebung. tsä. Dresden. Die Nachrichtenstelle in der Staats kanzlei verbreitet folgende Kundgebung: An dis sächsische Bevölkerung! Die Schwierigkeit Ler Lebensmittelversorgung in gegenwärtiger Zeit hat in den landwirtschaftlichen. Erzeugungsgebieten leider mehr und mehr zu der Ueberzeugung geführt, sich abzuschließen und vorerst!dis Bezirkseinwohner aus den landwirtschaftlichen Erzeugnissen des Bezirkes zu versorgen. So verständlich dies an sich erscheinen mag, so muß es doch zu einer kata strophalen Notlage der Hauptbedorssgebiete ohne eigene landwirtschaftliche Erzeugung, insbesondere der Großstädte, führen. Zwar geschieht die Abschließung nicht sowohl durch nackt« Ausfuhrverbote der örtlichen Behörden, als vielmehr in der Form der freien Vereinbarung zwischen den Organi sationen der Verbraucher nnd der Landwirt«. Wohl aber geschieht die Bekanntgabe der Abmachungen zuweilen in «incr Form, die den freiwilligen Lieferungsvereinbarungen in bedenklicher Weise den Anschein und die Wirkung eines behördlichen Ausfuhrverbotes gibt. Wenn das Land Dachsen als überwiegendes Bedarfs- gebiet beim Reiche jeder Zeit im Interesse der Versorgung der sächsischen Bevölkerung durch nachdrücklichstes Vorgehen mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verhindert hat, daß sich die Ueberschußländer, wie Bayern, Mecklenburg usw., aus dem Gebiete der Lebensmittelversorgung abzuschließen versuchten, so kann dies erst recht nicht innerhalb des Lan des geduldet werden. Von dem Solibaritätsgefüh! der säch sischen Bevölkerung muß erwartet werden, daß eine aus gleichende Zufuhr von Lebensmitteln aus den Erzeugungs bezirken nach den Bedarfsgebieten nicht unterbunden wird- Auch dis Kontrollausschüsse müssen sich diese von der Ar beiterschaft stets verfochtenen Gsdanksngänge zu eigen ma chen. Unsere gefährdete Ervährungslage verträgt keinen Orts- ober Bezilkspattikularismus. Das übergeordnete Interesse der allgemeinen Berbraucherschast verbietet jede bezirksweise Abschließung. Es wird deshalb von der Be völkerung der landwirtschaftlichen Erzeugergebiete erwartet, daß sie im Interesse der Bewohner der Bedarssgebiete Ab- sperrungsmethoden nicht auskommen läßt, die von der Re gierung keineswegs geduldet werden können. Politische NmMch«.. DeutstHes Reich. Berlin, 27, August. (Die Rote Fahne be schlagnahmt.) Di« „Rote Fahnr* wurde in der Nacht zum Sonntag von der Abteilung I ä der Poli zei au« bisher unbekannten Gründen beschlagnahmt. München, 2k. August. (Die Bayernreist des Reichskanzlers) Der gestrige Besuch des RrichskanzlerS Dr. Stresemann in Mittenwald erfolgte bei s«hr schlechtem, regnerischem Wrttrr. Der im Auto mobil avgekommene Reichskanzler nahm mit dem Ministerpräsidenten Dr. von KniMg dessen Gattin so- wty dem Retchsgesandten von Haniel und einigen be gleitenden Herren das Frühstück ein. Im Anschluß daran zog sich der Reichskanzler zu einer Besprechung mit dem Ministerpräsidenten Dr. von Killing zurück. Am Nachmittag« nahm der Reichskanzler in der Woh nung des bayerischen Ministerpräsidenten den Kuffet «in. Gegen Nachmittag sand die Abreise nach Garmtsch statt, von wo der Retchrkanzler am Sonntag nach München zurückkehrt. — Hem« Nachmittag wurde in München solgrndes Kommunique über den Kanzler- besuch ausgegeben. Der Reichskanzler hat anläßlich seines persönlichen Besuches beim bayerischen Minister präsidenten Gelegenheit genommen, die wichtigsten Fra gen der äußeren und inneren Politik, insbesondere auch hinsichtlich des Verhältnisse« zwischen Reich und Ländern, eingehend zu besprechen, Im Vordergründe stand bezüglich drr inneren Politik die Einsetzung wirtschaftlicher Maßnahmen, dir angesichts der augen blicklichen Notlage unverzüglich getroffen werden müs sen. Dabei wurde in grundsätzlicher Uebereinstimmung die Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenar beiten zwischen Reich und Bayern festgelegt. — (Ein Stresemann.Interview.) Der Hauptschrtstleiter der „Münchner Neuesten Nachrichten' hatte in Mittenwalde rin« Unterredung mit dem Reichs kanzler Dr. Stresemann, der u. a. erklärte, die jetzig« Koalisationrregterung sei die stärkst« Zusammenfaffang der parlamentarischen Kräst«, di« man in Deutschland bisher gekannt habe. Eine Rrihe Fragen, die in der nächsten Zeit zur Erledigung kommen, würden unter Umständen nur auf dem Weg« sogenannt«« diktatori scher Maßnahmen zu lösen sein. Die jetzige Koalition habe all« staatsunterstützends Elemente, auch die außer halb der jetzigen Koalition, zur Mitarbeit aufgefordrrt, insbesondere auch di« bayerisch« Volkspart«i. Der Reichskanzler erzählte weiter, «s sei für ihn eine Be stärkung des von ihm vertretenen Gedankens der gro ßen Koalition, daß der Generaldirektor eines der größ ten Wrltunternehmen, Geheimrat Duisburg, um dir