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Nr. 90 Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 31. Juli 1923 bette 2. ReichMiPM M NkHskoSlilttt ar, dos dMfche Volk. Der Reichspräsident und die Reichsregierung haben folgende Kundgebung erlassen: »Zu der schweren Bedrückung und Entrechtung, der die besetzten Gebiete am Rhein und der Ruhr ausgesetzt find, gesellt sich dort wie im nichtbesetzten Deutschland steigende Wirt- jchastsnot. Bis zum heutigen Tage verhindert Frankreich jede Lö sung der Reparationssrage, die Deutschland auch nur das Leben läßt. Durch den Einbruch ins Ruhrgebiet hat es die Wirt- schafts- und Finanzkrast Deutschland aufs schwerste getroffen und erschüttert: so ist Deutschland zu einer ungeheuer lichen Vermehrung seiner Zahlungsmittel gegen seinen Willen gezwungen. Eine unerhörte Entwertung des Geldes ist die Wirkung. Dazu kommen eben jetzt am Ende des Erntejahres natürliche Schwierigkeiten der Ernährungsversorgung, die sich in diesem Jahre, da die Ernte um mehrere Wochen verspätet ist, verschärfen. Alle diele Nöte führen zu schweren körperlichen, schwere ren seelischen Leiden der Bevölkerung. Zwar kann auch nach dem Zeugnis unbefangen urteilender Politiker und Sachverstän diger des Auslandes, auch in den Gläubigerstaaten, Deutschland zu einer wirklichen Gesundung der Verhältnisse nur durch eine vernünftige Regelung der Repurationsfrage kommen. Bis da hin aber mutz und wird da» deutsche Volk sich au» eigener Kraft aufrecht erhalten. Die deutsche Regie rung wird fortfahren, alle irgend möglichen Matznah men zu treffen, die dieses Ziel zu erreichen helfen. Zunächst gilt es, die Finanzen des Reiches zu stär- Ken, um der ungeheuerlichen Entwertung des Geldes Einhalt zu tun. Bei der Einkommensteuer ist bereits durch ent sprechende Vorauszahlung dasür gesorgt, daß nicht nur von den Lohnsteuerpflichtigen, sondern auch von den übrigen Einkom- mensteuerpflichtigen schon während des Veranlagungsjahres die Steuer entsprechend der Geldentwertung geleistet wird. Nach einem den gesetzgebenden Körperschaften zugehenden Gesetzent wurf sollen auch die Vermögenssteuer und die Erb - schftssteuer so gestaltet werden, daß sie der Geldentwertung folgen. Die Börsenumsatzsteuer ist vor kurzem verdop pelt worden. Bei den Verbrauchssteuern sollen zur Erzielung eines rascheren Eingangs die erst jüngst vom Reichs- tag verkürzten Fälligkeitssrtsten aus das geringstmögliche Matz gemindert werden. Dem Reichsrat ist bereits ein Gesetzentwurf zuge gangen, der als Opfer für Rhein und Ruhr auf breitester Grundlage von allen Leistungs fähigen im unbesetzten Deutschland dnrch Verviel fachung der bereits der Geldentwertung angepatzten Einkommensteuer-Vorauszahlungen große Leistungen anfordert. Diese Maßnahmen werden dem Reiche rasch sehr erhebliche Geldmengen zuführen. Die Ausgabe einer wert beständigen Anleihe soll breitesten Volkskreisen die Möglichkeit bieten, das Sparbedürsnis zu befriedigen, sich gegen Entwertung zu sichern und so auch dem ungesunden Ansturm aus Warenvorräte und Devisen entgegenzuwirken. Die aus dem Gebiet de« Devisenverkeh rs beschlossenen Maßnah men werden dahin wirken, daß Devisen in stärkerem Umfange als bisher dem Reiche zufiicßen und so für unentbehrliche Ein fuhr, insbesondere von Lebensmitteln, reichlicher zur Verfügung gestellt werden können. Einfuhr überflüssiger Luxus- waren wird nach Möglichkeit gehemmt werden. Die Anpassung der Löhne und Gehälter an die Geldentwertung ist bereits gesichert und wird weiter festgchalten werden. Die Reichsbanb hat Matznahmen beschlossen, die grundsätzlich die Frage des Goldkre dits der Lösung näherbringen. Die hiermit kurz gekennzeichneten Maßnahmen werden, soweit sie der Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften be dürfen, von diesen voraussichtlich im Lause der nächsten zwei Wochen verabschiedet und sofort in Kraft gesetzt werden. Wenn auch nicht bei jeder dieser Maßnahmen die Wirkung sogleich deutlich sühlbar sein wird, als Gesamtergebnis wird, so weit es an der deutschen Regierung liegt, dadurch eine Entspannung der Wirtschaftslage eintreten. Da« deutsche Volk wird mit diesen Maßnahmen sich selbst in seinem Kampfe um Leben, Recht und Freiheit Halt und Stütze geben und zugleich den Beweis erbringen, wie stark sein Wille ist, sich trotz aller auf ihm lastenden schweren Rot in diesem Kampfe entschlossen zu behaupten. Angriffe gegen die staatliche Ordnung können die Lage nicht bessern, sondern nur den Weg zur Genesung erschweren. Das deutsche Volk will von solchen Störungen nichts wissen. Es will leben, arbeiten und seine staatliche Ordnung bewahren, die es sich selbst in der Zeit schwersten Unglücks aus eigenem Willen gegeben hat. Große und schwere Pflichten obliegen allen Ständen. Im Vordergründe steht die Sicherung der Ernährung. Für die Landwirtschaft und den H a n d e l ist cs darum staatsbürgerliche Pflicht, so schnell wie mög lich und in weitestem Umfange die Ernteerträge dem Verbrauch zukommcn zu lassen. Die Lohn- und Gehaltsbemessung von Arbeitern und Angestellten muß die Ernährung und Erhaltung der Familie ermöglichen. Auf allen Männern und Frauen de» ganzen Volke» liegt die Pflicht, in klarer Besin nung die tägliche Arbeit fortzuführen und in allen Sorgen und Kümmernissen der Gegenwart die Ruhe und Ordnung des Staate» als die Grundlage künfti gen Aufstieg» unsere» Volkes zu bewahren. Allen end lich, die im politischen Leben der Parteien, in der Presse oder sonst im öffentlichen Leben tätig sind, obliegt es, das Ihre zu tun, um unser Volk stark zu machen in der Erkenntnis der Ursachen und der N otwendigkeit unserer Lage wie im Entschlusse des Ausharrens. Dienst am Vaterland ist die beste Gewähr für das Wohl des einzelnen. Für Deutschland haben unsere Volksgenoffen am Rhein und an der Ruhr Ungeheures auf sich genommen. Sie mögen uns Vorbild sein l Wir würden sie verraten, wenn wir vom geraden Wege der Pflicht abließen. Wie sie, müssen wir ihn gehen, für Leben, Frieden und Wohlsahrt unse res Volkes, sür die Freiheit Deutschlands." Der Reichspräsident, gez. Ebert. Der Reichskanzler, gez. Euno. Die Reichsminister: von Rosenberg, Oeser, Hermes, Becker, Brauns, Heinze, Geßler, Stingl, Groener, Luther, Albert. al» ob st« eine Aenderung der PoUzetstundr bezwecke. Dir Festsetzung der Polizeistunde auf 1 Uhr nacht» entsprechend der Verordnung über die Polizeistunde vom »7. August 192, bleibt unverändert. Die Poli- zeibehörden stad aber befugt, dort, wo «in örtliches Bedürfnis bestehen sollte, da» Ende der Polizeistunde, also den Wiederbeginn de» Schankbetriebe», auf Grund de» Notgesetze» vom 24. Februar 1823 selbständig festzuse-en. Mütterberatung.) Die Mütterberatung in Oberlichtenau findet am Mittwoch, den 1. August, nachmittags 3 Uhr in der Schule statt. Arzt wird anwesend sein. Ried erlichten««. (Steinmarder.) Dem Wirt- schaftsbesitzer Köhler verschwanden seit einiger Zeit mehrere junge Hühner. Jetzt stöberte der Hofhund eine ganze Steinmarderfamilie auf. Drei junge Stein marder konnten getötet werden, während die Alten entflohen. Kamenz. (Unentgeltliche Behandlung der Ruhrkinder.) Nach einer Mitteilung des Herrn Or. weck. Schulze, Vorsitzender des freien Aerzte- Vereins zu Kamenz und Umgegend, haben sämtliche Aerzte des Bezirks die unentgeltliche Behandlung der Ruhrkinder übernommen Dieses freundliche Ent- gegenkommen seitens der Herren Aerzte ist dankbar zu begrüßen Größere Ausgaben und Selbstverlege sind natürlich ausgeschlossen. Dresden. (Sächsische Industrie und Währungssrage.) Der Verband Sächsischer Industrieller sieht die Umstellung des deutschen Geld Verkehrs auf eine rechnerische Goldwährung (Goldmark oder Festmark) als unaufhaltsam und nunmehr auch notwendig an. Nachdem neuerdings der Uebergang zu wertbeständiger Rechnung noch weitere Gebiete ergriffen hat, ist das Bedürfnis nach wertbeständigen Anlagemöglichkeiten unabweisbar geworden. Deshalb bedauert der Verband Sächsischer Industrieller, daß die Einrichtung eines EoldkontenoerkehrS und damit verbunden der Uebergang zum Goldhandelswechsel am Widerstand der Reichsbank zunächst gescheitert sind. Der Verband Sächsischer Industrieller hat die Reichsregierung gebeten, trotzdem die notwendigen Maßregeln einer positiven Währungspolitik durch- zusetzen, die allerdings auch den sosortigen weitgehen den Abbau der ohnehin gescheiterten Devisenregulierung und der sonstigen Reste der Zwangswirtschaft ebenso wie den Uebergang zu vernünftigen Steuertarifen unbedingt erfordert. — (Umbenennung des sächsischen Kul tus m i n t st e r i u m s.) Das Eesamtministerium gibt eine Verordnung heraus, nach der die Bezeichnung Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts mit Rücksicht auf den in der Bewertung des Aufga benkreises dieses Ministeriums eingstretenen Wandel in „Ministerium für Volksbildung" umgeändert wird. Bautzen. (Beurlaubt) Herr KreiShaupimann von Nostitz Wallwitz ist sür di« Zeit vom 3. bi» zum 30. August d. I. beurlaubt. Er wird während dieser Zeit durch Herrn Geheimen Regierungßrat Dr. Raschke vertreten. Fitta«. (Blutiges Drama.) Als am letzten Sonnabend früh ein Unbekannter, der die Grenze hatte überschreiten wollen, in der tschecho slowakischen Grenzwache an der Grottauer Straße von dem Finanz« inspektor Ruß durchsucht werden sollte, zog der Fremde plötzlich einen Revolver und gab drei Schüsse aus unmittelbarer Nähe auf Ruß ab. Die Schüsse trafen Ruß in den Nacken und in den Hinterkopf, so daß der Beamte in kurzer Zeit seinen Geist aushauchte. Der mit im Zimmer befindliche Beamte stürzte sich sofort auf den Verbrecher, konnte jedoch nicht ver hindern, daß dieser durch die Tür ins Freis gelangte und entkam. Bei der von der sächsischen wie tschecho slowakischen Gendarmerie und einer Abteilung Zoll- beamten sofort aufgenommenen Verfolgung wurde der Mörder in der Nähe des alten Bergwerks unter einem Strauchs versteckt aufgefunden. Von da aus gab er eine Anzahl Schüsse auf seine Verfolger ab. Diese erwiderten das Feuer. Getroffen von einer Kugel brach dann der Mörder tot zusammen. Er heißt Seifert und stammt, wie festgestellt wurde, aus Königstein a. d. Elbe. — Der auf so schreckliche Weiss dem Leben, seinem Wirkungskreise und seiner Familie entrissene Finanzinspektor Ruß wohnt schon viele Jahre in Grottau. Er erfreute sich sowohl bei seinen Behörden und Kollegen, wie auch bei dem Publikum, auch dem Zittauer, infolge seines verbindlichen, freund lichen Wesens allgemeiner Achtung und Beliebtheit. Seifhennersdorf. (Auszeichnung.) Die Theologische Fakulität der Universität Leipzig hat den Pfarrer Vetter auf Grund seiner wissenschaftlichen > Arbeit über die Zusammenhänge vom jüdischen Talmud > und Neuen Testamente zum Lizentiaten der Theologie - promoviert. Jwlckau. (Streik im sächsischen Berg- ! bau.) Die hiesigen Bergarbeiter haben am Mittwoch k die Arbeit niedergelegt. Die Bewegung wird von Siner zentralen Streikleitung, die sich aus den Be triebsräten sämtlicher Zechen zusammensetzt, geleitet. In Zwickau kommen 18000 Bergarbeiter in Frage. Auch im Lugau-Oelsnitzer Revier ist es zu einem Ausstand gekommen. Die Belegschaft des Vertrauens- schachtes vom Eottessegenkonzern OelSnitz i. V. legte am Mittwoch mittag die Arbeit nieder. sssssssss All Illsm will!» tchr! Der Exlstrnzkampf der gesamten deutschen Presst ist an einem entscheidenden Wendepunkt angelangt. E» ist bekannt, daß die deutschen Zeitungen und mit ihnen das ,Pul»nitzsr Wochenblatt* im Interesse ihrer Leser schaft und ihrer Inserenten und in Würdigung der bedeutungsvollen Aufgaben der Presse im Dienste de» Volke« bisher nur zögernd und in völlig unzureichen' der Weise ihre Bezug»' und JnseratengeSührrn der unaufhörlichen Steigerung aller Gestehungskosten, der Matertalpreise, der Löhne und Gehälter usw. angepaßt Haden. Die im Verlaufe de» vergangenen Monat» sich überstürzende Teuerung hat die gesamten Herstellungs kosten der Zeitungen um ein vielfache» gesteigert. Da» »Pulsnitzer Wochenblatt" wird auch weiter v-rsuchen, bi» an die Grenze de» Möglichen di« Interessen seine» Leserkreises zu berücksichtigen. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, da» die gesamte Leserschaft, die von der Be deutung de» von ihr gehaltenen Blatte» und von der Notwendigkeit seine« Fortbestandes durchdrungen ist und dafür bis auf den Tag zahlreiche Beweise erbracht hat, dieses Entgegenkommen durch weiter« Treue und Anhänglichkeit würdigen und das relativ geringe Opfer der maßvollen, aber dringend notwendigen Steigerung der Zeitungspreise gern tragen wird. Da« „Pulsnitzer Wochenblatt" kostet für die Zeit vom 1. bi» 15. August 1923: für Selbstabholer 19500 Mk. ins Haas gebracht 20 000 Mk. Der V-rlag strht sich fernerhin gezwungen, den Postbezugspret« seiner Zeitung im Einverständnis mit der Postvsrwaltung al» „freibleibend" zu bezeichnen. Infolge der Notwendigkeit, den bereit» vor 4 Wochen bei der Post angemslderen Preiß zu erhöhen, werden wir den Unterschiedsbetrag zwischen dem an die Post bezahlten und dem neuen GesawtmonatSpreis unmit telbar von unsern Beziehern einztehen. Wir bitten unsere Leser, uv.» in dieser für das Zeitungrgewerbe besonder» schweren Zeit auch weiter hin w!« bisher vollzählig die Treue zu halten. Hochachtend Pulsnitzer Wochenblatt. Auswärtige Zeitungkpreis«: Hamburger Fremden- blatt halbmonatlich M 90000, Leipziger Neuesten Nach richten halbmonatlich M L0 000, Drerdner Anzeiger halbmonatlich M 45 000, Dresdner Nachrichten halb monatlich M 40 000, Zittauer Morgenzettung halb monatlich M 40 000, Großröhrsdorfer Anzeiger halb monatlich M 20 000, Westlausttzrr Zeitung, Königs' brück, halbmonatlich M 20 000. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Berlin, 80. Juli. (Die große Koalition al» Nachfolgerin de» Retchrkabinettlk) In bezug auf die KabinettSfrage ist noch alle» in der Schwebt. Daß da» Kabinett Cuno zurücklreten wird, daran wird nicht gezweifelt. Line formelle Entschet' düng ist aber natürlich noch nicht getroffen. Sie wird erst fallen, wenn sich ein neue» Kabinett und zwar unter Einbeziehung der Sozialdemokraten zusammen' gefunden hat. Da» Kabinett Cano hat keine Erfolgt zu erzielen vermocht. Allein, man macht ihm die» kaum zum Vorwurf. Sein Rücktritt soll daher auch nicht al» Niederlage betrachtet werden. An amtlichen Stellen vermeidet man, wie immer in solchen schweren Fällen, «in« M«inung»äußerung. Ob da» Kabinett d«r großen Koalition bi» zum Wiederzusammentritt dt» Retchttage» in der nächsten Woche zusammen« gebracht sein wird, muß dahingestellt bleiben. Un wahrscheinlich ist es nicht, da die darauf gerichtete» Bestrebungen ja nicht erst von heute oder gestern sind' Berlin, 30. Juli. (Sozialdemokratie und Kabinett-Wechsel) Die heute vormittag bego»« nenen Besprechungen de» sozialdemokratischen Partei« vorstander mit der Führung drr sozialdemokratische" Reich-tag-fraktion wurden in den NachmittagLstunden zunächst beschlußlo- abgebrochen. Die Besprechungen befaßt«» sich im wesentlichen mit de« parlamentarische" Lags. Betont wurde, daß da» jetzige Kabinett z»"' mindesten i« seiner d«rzetttg«n Zusammensetzung rE im Amte bleiben könne. Di« Auffassung innerhalb dt» Partrivorstandr» entbehrt aber der Einheitltchkett- Während Persönlichkeiten der Partei, wie Herma»" Müller, für ein« Rtsi«rung»koalitton mit der D«»'' schsn Volk»part«t eintreten, wenden sich andere Führe* der Partei dagegen und befürworten mehr eine wohl« wollende Neutralität gegenüber einer n«ven rein bür« gerlichen Regierung, fall» dies« die von der Part" auf,»stellenden Forderungen zu erfüllen versprecht" würde. Diese Forderungen dürften vornehmlich wir»« schaftltcher Art sein. Die Sozialdemokratie gibt D mit d«n Versicherung«», die im l«tzte» Rstch»regi«ru«S''