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Nr, 75. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 26. Juni 1923. Seite 2. Sachsen, Wendet sich in einer Erklärung gegen den Bezirksschulrat Arzt, der nachdem er bald nach Aus bruch der Revolution mit Frau und Kindern aus der Kirche ausirat, jetzt den christlichen Religions unterricht inspiziere- Zum Schluß wird in der Er klärung dringend das Reichsschulgesetz ver-angt, daß den Evangelischen die Möglichkeit gäbe, evangelische Bekenntnisschulen zu errichten. Dresden. (Eine Ehrung Schlageter».) Die O.V. Verbindungen Soxs Thuringta, Dresden und Bergland, Freiberg, Widmen ihren durch die Ltnktprrfl« schwer verleumdeten Cartellphilister Leo Albert Schlag- eter, dem deutschen Helden von Düsseldorf, einen Nach ruf, in dem er als deutscher Held gepriesen wird, der für sein geliebter Vaterland in den Tod ging. Zu Ehren seines Gedächtnisses findet am Mittwoch vor mittag 9 Uhr in der Dresdner Katholischen Hosktrche ein TrauergotteSdtenst statt. Dresden. (Zum Verbot der Schlageter- Gedenkfeier.) Der Beschluß drS Polizeipräsidiums vom 22. Juni 1923, durch den die für Sonnabend geplant gewesene Schlageter Gedenkfeier verboten wurde, lautet: Di« von dem Bürgerausschuß für vaterländisch« Kundgebungen -u Dresden für den 23 Juni 1923 im VerrinShau» zu Dresden geplante Schlageter Feier wird aus Grund von H 1 des VsrsinSgesetzes vom 19. April 1908 und auf Z 14, Absatz 1 de» R-publik- Schutz Gesetzes vom 21. Juli 1922 verboten. Dresden. (Das Markt-Verzeichnis für DaS alljährlich vom Sächsischen Statistischen Lande«, amt bearbeitete und bisher auch herausgegebene Ver- zeichniS der Märkte und Messen im Freistaat Sachsen ist für da» Jahr 1924 als Sonderabbruck au» dem vom Preußischen Statistischen LandeSamt (Berlin 8V?) herausgegebenen Marktverzeichni», da» alle Märkte und Messen im Deutschen Reich enthält, nur zum Dienst, gebrauch für Behörden hergestellt worden. Interessen- ten können da» Marktverzeichni» für Sachien im Sta. Wischen LandeSamt DreSden-N., Rttterstraß« 14) und unter Umständen auch bet den für Marktsachen zu ständigen staatlichen Verwaltungsbehörden «tnsehen. — (Der gut« Ton im Sächsischen Landtage.) Der frühere Sächsische Wirtschaftsmintster Abg. Schwarz hat einen Kollegen der Rechten mit .Lausejunge" be zeichnet. Derselbe Herr hat sich schon wiederholt durch seine unparlamentartschen Aeußerungen unliebsam be merkbar gemacht. Da» ist auch am Donnerstag in einer Ausschußsttzung wieder geschehen. Di« dem Land tag« als Abgeordnst« angehörrnden Landwirte Bauer, Schreiber, Pagenstecher, Leithold und Brutier haben an den Präsidenten de» Landtage» folgende» Schreiben gerichtet: »Nach Mitteilungen mehrerer Mitglieder de» PrüfungeauSschusstS hat in der Donnerktagsttzung die se» Ausschusses, ol» der Plan der Besichtigung de» Zuchthause» zu Waldheim besprochen wurde, der Abg. Schwarz geäußert: ,Da möge man auch die Land wirte mitnehmen, denn nach seiner Ueberzeugung ge hörte« di« Landwirte in» Zuchthaus." Die unter zeichneten Mitglieder de» Landtage», di« von Beruf Landwirte sind, erblicken in dieser veußerung eine un erhörte Beleidigung ihrer Person und der gesamten sächsischen Landwirtschaft, die nach wtederholler Fest, stellung deS WirtschaftSminister» ihre Pflicht der All- gemeinheit und dem Vaterland« gegenüber erfüllt hat: Wir ersuchen den Herrn Präsidenten de» Landtage», den Abgeordneten Schwarz zur Rücknahme seiner schweren Beleidigung zu veranlassen. Leipzig. (Straßenbahnsahrt 1000 M) Bon Sonnabend, den 23. Juni beträgt der Pr«i» für eine Fahrt auf der Leipziger Straßenbahn 1000 Mark. Limbach. (Sieg der christlichen Schule.) In dem kommunistischen Limbach, einer Hochburg Moskau», haben die Elternratswahlen »inen glänzen den Steg für di« christliche Schule erbracht. Die List« der christlichen Elternschaft erzielte 13, die des Gewerk- schastskartell» nur 9 Sitze. Politische Rundschau Deutsches Reich. Aönigsberg, 24. Juni. (Eine Rede des Reichskanzlers Dr. Tunoin Königsberg) Anläßlich der landwirtschaftlichen Ausstellung der deutschen Ostmesse, zu deren heutigen Eröffnung mehrere Mitglieder des Neichskabinettes anwesend waren, nahm Reichskanzler Dr. Cuno in der Hinden burg-Oberrealschule vor geladenen Gästen, unter denen fast vollzählig die Vertreter der Behörden und der Wirtschaftsorganisationen erschienen waren, Gelegen heit zu einer Ansprache. Er betonte zunächst, daß er keineswegs eine politische Rede halten wolle, daß im gegenwärtigen Augenblick die persönliche Fühlung von Mensch zu Mensch ohne Unterschied des Standes und der Partei als wesentlich erscheint. Ostpreußen ist in seiner Wirtschaft vom Reiche vollkommen un abhängig und ganz auf sich selbst angewiesen. Gerade deshalb ist es aber im Hinblick auf die schwer be troffene Wirtschaft geeignet, ein Beispiel zu sein für das, was aus Deutschland werden solle. Es ist meine tiefste Ueberzeugung. daß wir ebenso wie das Rhein land oder das Ruhrgebiet Ostpreußen nicht vergessen werden und Ostpreußen nicht vergessen werden darf. Seien Sie überzeugt, die Regierung wird Ostpreußen nicht vergessen. Angesichts der gegenwärtigen Lage taucht überall die Frage auf, was die Zukunft uns bringen wird. Man blickt dabei nach der feindlichen Besatzung im Westen. Die deutschen Männer halten dort fest und werden festhalten, wie am ersten Tags, ja, vielleicht noch fester Allen versichern sie, daß sie nicht lassen vom Reiche. Wir aber, die wir auf sie bauen, müssen unsere Politik für sie geeignet gestalten. Das sind wir ihnen schuldig. Wir müssen aber auch darauf bedacht sein, die Leiden dieser Männer zu verkürzen. Die Reichsregierung hat nicht gleichgültig und nicht leichten Herzens in der Ruhrfrags wieder- holt, sie werden keinen anderen Weg einschlagen als den, Poincaree und seinen Anhängern angesichts dieser widerrechtlichen Besetzung Deutschlands ein Nein entgegenzurufen Doch nur solange soll dieses Nein gelten, als es im Jnleresse der freien Wirtschafts entwickelung und im Interesse der Souveränität Deutschlands erforderlich ist und daraus erklärt sich auch der Versuch der Regierung, eine Lösung der Reparationsfrage zu finden. Es hat keinen Sinn, politische Ideale Zu betreiben, mit Kräften, die zu schwach sind, diese zu verwirklichen. Wir brauchen eine Politik der praktischen Erwägung und sine Politik, die auf dem Boden der Tatsachen und des praktisch Erreichbaren steht. Weiter führte der Reichs kanzler aus, daß es das Ziel und die Aufgabe der Reichsregierung gewesen sei und jetzt noch sei, die Länder, die am Friedensvertrage interessiert sind, auch zu schützen, damit unser Vaterland frei werde von den Hindernissen einer wirtschaftlichen Entwickelung. Nur auf diesem Wegs sei das zu erreichen möglich. Dieses Ziel hat die Regierung auch in ihrem Me morandum erreicht. Die Welt ist nicht mehr stumm wie bisher. Nicht mehr steht die englische und die italienische Regierung den Ereignissen im Ruhrgebiet teilnahmslos gegenüber. Beide Länder stehen nicht mehr bedingungslos an der Seite Frankreichs. Freilich, Poinearee ist nicht verhandlungswillig, ebenso jetzt, wie bisher. Er verlangt eben die Aufgabe des passiven Widerstandes. Aber keine Negierung kann den passiven Widerstand, der geboren ist aus den Qualen der Bevölkerung an Ruhr und Rhein, weil er eben jenen deutschen Männern mit unzerreißbarer Entschlossenheit aus den Herzen wächst und den wir auch nicht auf- geben können, weil wir es den Männern, die ihr Leben dabei dem Vaterlande hingegeben haben, und denen, die in den Gefängnissen sitzen, schuldig sind. Poincaree ist nicht verhandlungswillig. Nur dann wird er es werden, wenn das deutsche Volk sich eins fühlt in seinen Gliedern, wenn es durchhält und aus- hält im unbesetzten Gebiet. Wenn man aus dem besetzten Gebiet kommt, so kommt man erfrischt und gestärkt zurück Trotz vier Jahren Krieg und vier Jahren Friedlosigkeit und der vielen unsäglichen Leiden halten sie dort treu zum Reiche fest. Auch wir hier in der Heimat stehen an der Front, ohne daran zu denken: Was verdiene ich? Jeder muß daran denken: Was dient dem Vaterlands? Die Reichsregierung wird ohne alle Rücksicht gegen diejenigen vorgehen, die sich dieser Sorge zu entziehen versuchen. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Notwendigkeit für jede Regierung, mit dragonischen Maßregeln in dieser Richtung vorzugehen. — (Präsident Harding) hat in St. Louis eine Rede gehalten, der insofern besondere politische Bedeutung beigemessen werden kann, als hier der Präsident der Vereinigten Staaten zum ersten Mals nach langer Zeit wieder ein unmittelbares Interesse an europäischen Vorgängen bekundet. Harding lehnt aber nach wie vor ab, sich am Völkerbund zu be- teiligen; ein Grund mehr für Deutschland, auch dieser höchst zweifelhaften Gesellschaft der Nationen möglichst fern zu bleiben. Dagegen ist aber aus der Rede Hardings zu schließen, daß Amerika bereit ist, dem Internationalen Gerichtshof in Haag beizutreten, um zur „freimütigen aber engen Verbindung der übrigen Staaten zwecks Wiederherstellung der Stabilität bei zutragen". Wie weit dieses Wort nur eine Phrase bleibt, ist abzuwarten, die übrigen Ausführungen, die Herr Harding machte, lassen erkennen, daß ihm die Phrasen durchaus nicht fremd sind. Liest man sich seine Ausführungen Wort für Wort durch, so ergibt sich, daß er ohne Zweifel Frankreichs Partei nimmt, während er Deutschland gegenüber noch immer die alte Kriegseinstellung zeigt. Predigt er doch höchst unnützer Weise Deutschland erneut die „Demokratie", mit der schon sein Vorgänger Wilson Deutschland beglückte, und mit der Deutschland bisher die denkbar schlechtesten Erfahrungen gemacht hat. Wenn Herr Harding sich nicht schämt, in diesem Zusammenhang die nationale Ehrenhaftigkeit des kaiserlichen Deutsch, lands anzuzweifeln, so sollte er vor der eigenen Türe kehren und sich die Frage vorlsgen, wie es mit der nationalen Ehrenhaftigkeit Amerikas bestellt ist, daß der Hauptschuldige daran ist, daß das Versailler Friedensdiktat einem amerikanischen Versprechungen allzu sehr trauendem Volke auferlegt wurde, und das sich nun kaltblütig und unbewegt der Verant- Wartung für die Folgen dieses Diktates entzieht. England. London, 25. Juni. (Die schmutzige Rollo Frankreichs.) Der liberale „Starb schreibt zu den Enthüllungen des ^Oberserver": Dieser Dorten ist nichts anderes, als ein ganz gemeiner Verräter seines Landes, der Vertraute der französischen Militär behörden, der Empfänger französischen Geldes. Was für eine schmutzige Rolle spielen da die Franzosen' indem sie Dorten zu diesem Verrat anstisteten, zu dem gemeinsten Verbrechen unter der Sonne Frank reich hat uns zu der Ansicht gelenkt, daß es die alleinige Macht über das Schicksal Deutschlands habe, ohne daß es sich dazu verpflichtete, sich um die ande ren Mächte zu kümmern, die ihm in seiner Not zu Hilfe kamen. Diese Enthüllungen können jedoch kaum vorübergehen, ohne von den Alliierten kom mentiert zu werden. Belgien — (Das belgische Kabinett gesichert? Aus Brüssel wird gemeldet: Es bestätigt sich, daß Theunis sich dem Parlamente noch im Laufe dieser Woche mit allen seinen früheren Mitarbeitern vor stellen wird. Es sei immerhin noch möglich, daß sich der eine oder der andere Minister aus persön lichen Gründen zurückziehen könne. Unter keinen Umständen wird sich das Kabinett von dem vorher gehenden unterscheiden Dem „Temps" wird zu der ganzen Frage gemeldet, daß an der äußeren Politik Belgiens während der ganzen Zeit nicht die geringste Erschütterung eingetreten sei. MWMWM NlM liir MlWWlM WM Ses MerMes an MM W Wr. Der sächsisch« Ministerpräsident Dr. Zeigner sprach in einer in Planitz bei Zwickau abgehaltenen öffmt- lichen Volksversammlung über di« politische Lage iM Reich und in Sachsen. Die Nu-führungrn sind nach einem Berichte de» sozialdemokratischen Sächsischen Volkrdlatte» so ungeheuerlich, so aggressiv gegen Reichs- regierung und Vaterland, daß wir dir Verantwortung dem genannten Blatte überlassen müssen. Nach diesem Bericht« schildert« Dr. Zeigner zunächst mit eindring lichen Worten die (angeblichen! D. Rrd.) großen Ge fahren, von denen da» Proletariat bedroht sei. Die Reichswehr sei von vornherein keine Stütze für die Republik gewesen. Die Industrie usw. habe große Geldmittel aufgewendet für Organisationen zum an geblichen Schutz« gegen außenpolitische Verwicklungen. In Wirklichkeit seien diese Gebilde für inne politische Vorgänge gedacht. Die Republik habe al» wirklichen Schutz nur di« Arbeiterschaft. Auf di« Lage im Ruhr gebiet« zu sprechen kommend, schilderte der Redner ein gehend di« Verhältnisse in der Ruhrindustrir, ihrer Schwierigkeiten bezüglich de« Absatzes usw. Di« Reich«- regierung habe ganz unter dem Einfluss« gestand«», den passiven in den aktiven Widerstand überzuleiten. Die größte Gefahr der gewaltsamen außenpolitischen, Auseinandersetzung habe im April und Mai bestan den, die innerpolitische stehe jedoch noch bevor. Ueber dies« Dinge könne erst einmal geredet werden, wenn bestimmt« Archive geöffnet würden. Die Preis« steigen, der Lohn falle, die Reichsregierung sehr untätig zu. Da» Ausland erkenne, daß der Widerstand an Rhein und Ruhr zu Ende sei. Die Front stehe noch, doch zeige sie Risse. E« s«t die höchste Zeit, den passiven Widerstand aufzugeben und bedingungslos zu Ver handlungen zu kommen. Für Mitteldeutschland bergen di« nächsten Monaie groß« Gefahren und «» werde dazu kommen, daß der Arbeiterschaft die Faschisten bi« an die Kehle bewaffnet gegenüberständen. Ueöerall zeitigten di« Verhältnisse eine große Nervosität; e« brauche nur der Funk« in da» Pulverfaß zu fliegen. Und so lägen die Dinge im Reich und in den Län dern. Ueberall Demonstrationen der Erwerbslosen, deren Forderungen zu Recht bestünden. Di« Länder allein könnten nicht helfen. Di« Steuerhoheit liege beim Reiche, dessen Kostgänger Länder und Gemeinden seien. Dem Kabinett Cano drückten die Namen Becker, Heinz« und v. Rosenberg den den Stempel auf. Inner- politisch werdt e» äußerst blutig« Auseinandersktznngen geben. Cuno sei heute noch am Ruder und habe schon zweimal seine Demission angeboten. Keine Partei wolle den Mist au»räum«n. Cuno» Politik sei bankrott. E» gebe nur ein»: wer sich bankrott fühle, müsse liqui dieren; wer nicht liquidiere, werde gezwungen und eine« Tage» müsse da» Kabinett Cuno abtrrten. werde der Kamps aus dem bürgerlichen Lager beginnen mit Gift, Dolch und Handgranaten. Man solle nicht annehmen, daß sich jemals ein Kapp Putsch wieder holen werde, diesmal gehe e» ander«, eine» Tage« geht da» Gewehr los. E» sei nicht Zufall, daß in Leipzig und Dre«den derartige Elemente ang«troffm wurden, es fei nicht Zufall, daß der Reich«wehr die Masst" abhanden kämm. Die Rede Zeigner« wird ooM .Kämpfer", dem kommunistischen Blatte, al« ein Alarm- ruf bezeichnet, aber die Ausführungen Zeigner« Über dis bedingungslos« Aufgabe de« Widerstande» an Rhein und Ruhr gehen selbst diesem Blatle, wenn auch nicht au« vaterländischen Gründen, zu weit und bezeichn» iS al» falsch, zur Aufgabe de» passiven Widerstande« aufzufordern, damit tue man d<n Raubrittern der I"' dustrie und de» Junkertum« den großen Gefallen. E« heiße zupacken, sofort zupacken, wenn ein Absturz in den Abgrund verhindert werden soll. Woher Minister präsident Zeigner angesichts der letzten mannhaft«" Kundgebungen an Rhein und Ruhr, ausharren t" wollen im Widerstande) den Mut nimmt zu seine" «»«führungen über dies«n Punkt, wird wohl sein »» heimnts bleiben.