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Nr. 83 Pulsnitzer Wochenblatt. — Sonnabend, oen 14. Juli 1823. Seit« 2- ziehungen fast aller Gründer der Roggenrentenbank zur öffentlichen Lebensverficherunasanstalt und zur sächsischen Landwirtschaft deren Wünschen ganz bs sonders entgegengekommen wird. Von allgemeinem Interesse für die Oeffentlichkeit ist noch, daß in der Vorstandssitzung dem Beitritt 16 weiterer Gemeinden, darunter der Städte Chemnitz, Dresden, Roßwein, Wurzen, zugestimmt wurde Grotzröhrsdorf. (EinWaldbrand) entstand am Mittwoch mittag in den Abteilungen 37 und 38 des Fischbacher Staatsforstreviers (zwischen dem so genannten Bretniger Eroßteich und dem Stern. Dem Feuer sind mehrere Hektar zum Opfer gefallen. Kamenz. (Waldbrand.) Am Dienstag mittag brach im Cunnersdorfer Rittergutswald an der Schön, bach —Braunaer Grenze ein Walddrand aus, durch den ca. 100 Quadratmeter etwa 30 jähriger Bestand vernichtet wurden Das Feuer konnte durch rasch herbeigeeilte Bewohner der umliegenden Ortschaften noch rechtzeitig erstickt werden, sodaß größerer Scha den vermieden wurde. Ueber die Entstehungsursachs ist noch nichts bekannt. Kamenz. (Durch die Unsitte, Nadeln in den Mund zu nehmen), ist schon oft Unheil entstanden. Eine hiesige Berufsschülerin, die auch diese Angewohnheit hatte, verschluckte hierbei kürzlich eine Nadel, die sich in der Speiseröhre festsetzte Zu ihrer operativen Entfernung mußte sich das Mädchen nach Dresden begeben. Der Vorgang möge erneut allen denen eine Warnung sein, dis von der gerügten Unsitte nicht lassen können. Kamenz. (Beschlagnahmte Butter.) Von der hiesigen Polizei wurden gestern vormittag bei einem auswärtigen Landwirt 8 Söckchen Butter wegen Preistreiberei beschlagnahmt Abends erlitt das gleiche Schicksal eine auswärtige Händlerin, bei der 6 Stückchen Butter und 2 Schock Eier mit Be schlag belegt wurden; sie hatte die Butter und Eier in Ortschaften der Umgebung aufgekauft, ohne im Besitz der erforderlichen Genehmigung zu sein. Im ersteren Falls wurde die Butter der Notsiondsküche zugewiesen, wodurch sie den Armen und Bedürftigen unserer Stadt zugute kommt, während im anderen Falle über das beschlagnahmte Gut dis Verfügung der Amteanwaltschast einzuholen ist. Dresden. (Vorsicht beiAuswanderung nach Brasilien.) Dem Telunion - Sachsendienst wird geschrieben: Dir große Arbeitermangel aus den brasilienischen Kasfeepflanzungen veranlaßt die Plan- tagsnbesitzer, auf alle möglichen Arten Arbeitskräfte zu erlangen. Infolgedessen suchen vielfach gewissen lose Agenten durch Versprechungen aller Art die un- wissenden deutschen Einwanderer als Arbeiter für die Kaffeepflanzungen des Staates Sao Paule anzu- werben. Da sich für diese Arbeiten im allgemeinen nur Italiener eignen, werden Auswanderungswillige vor dem Treiben solcher Agenten gewarnt. Es empfiehlt sich, in allen Auswanderungssragen zunächst den Rat des Reiche Wanderungsamtes (Dresden, Friesengasse 6 oder Leipzig, Friedrich Karl Straße 22) einzuholen, der kostenlos erteilt wird. Dresden. (Das Eigentumsrecht anein gezogenen Waffen) In der Presse ist in letzter Zeit mehrfach die Frage aufgeworfen worden, was aus den Waffen wird, die bei der vom Ministerium des Innern ungeordneten Nachprüfung der Waffen- scheine eingezogen werden. Diese Waffen werden, wie schon einmal mitgeteilt wurde, von den Vehör» den nur in Verwahrung genommen. Das Eigen tumsrecht der von der Einziehung Betroffenen bleibt gewahrt. Dresden. (Erhebliche Preissteigerun gen beim Dresdner Viehmarkt.) Der dieser Tage abgehaltene Viehmarkt brachte, wie die Dresd ner Fleischerinnung mitteilt, infolge des geringen Auf- triebes in allen Viehgattungen hohe Preissteigerungen. Besonders wirkte sich diese Erhöhung bei Rindern aus, die rund 100 Prozent betrug. Auch bei Schwei nen und Kälbern sind gewaltige Strigerungen zu verzeichnen. Naturgemäß müssen den Biehpreisen, die übrigens auf allen Märkten in gleichem Maße stie- gen, sich die Fleischpreise automatisch anpassen Dresden. (Gegen das Berufsschulge- setz) Der Gesamtoorstand des Sächsischen Gewerbe- schuloerbandeS hatte in seiner letzten Sitzung eine ein gehende Aussprache über den Referenten - Entwurf eines Berufsschulgesetzes. Es wurde ein Ausschuß ge wählt, der nach folgenden Richtlinien zu arbeiten hat: Der Entwurf ist abzulehnen: 1. weil er sprachlich eine Unklarheit in seinem Namen enthält, denn wenn man der Einbürgerung des Wortes Berufsschule im deut schen Sprachschatze auch nicht mehr entgegentreten kann, so muß man ihn dann schon sinngemäß als Sammelnamen auf alle Schulen ausdehnen, die ihre Schüler auf einen praktischen Beruf vorbereiten. Das sind z B. Bau-, Maschinenbau-, Kunltgewerbe-, TeXtil-, Gewerbe- und Werkschulen, aber nicht allein die Fortbildungsschulen; 2. weil er versucht, ausschließ lich die Verhältnisse der bisherigen Pflichtfortbildungs- schulen gesetzlich zu regeln. Dies kann aber erfolg reich nur geschehen, wenn gleichzeitig ein Gesetz ge schaffen wird, das auch die Rechtsgrundlagen der gesamten beruflichen Schulen zeitgemäß ausgestaltet. Dies ist wiederum erst möglich, nachdem das vom Reich in Aussicht gestellte Rahmengesetz für Berufs schulen in Kraft getreten ist Der Versuch, der reichs. gesetzlichen Regelung dadurch oorzugreifen, das für eine einzelne berufliche Schulgattung, ohne gleichzei tigen, organischen Einbau in das gesamte berufliche Schulwesen ein Sondergesetz geschaffen werden soll, ist scharf zu verurteilen. Dresden. (Ein kommunistischer Auf- r u f.) Der kommunistische „Kämpfer" veröffentlicht un ter der Ueberschrift ,schweren Kämpfen entgegen" einen Aufruf, dessen Inhalt sich mit dem der Rede deckt, die der Abg. Böttcher am Donnerstag abend im Sächsischen Landtag hielt. Es heißt darin u. a : Wir gehen entscheidenden Kämpfen entgegen. Wir müssen uns und dis Massen vorbereiten, ohne Nervosität, mit kühlem Blut und klarem Kinn. Die festgesetzten Termine des Loeschlagens können nicht wieder hin ousgeschaben werden. Das ändert nichts an der ge fährlichen Lage. Die Partei muß ihre Organisation so schlagfertig machen, daß sie auch im offenen Bür gerkrieg in keinem einzigen Bezirk versagt. Im Falle der Lahmlegung der legalen Verkehrsmittel, der Eisen bahn und Post, ein Generalstreik oder bei militäri schen Kämpfen, muß dis Verbindung zwischen den Organisationen, der Druck und die Verbreitung von Propagondamatenal usw. unbedingt sichergestettl sein. Erschießen die Faschisten, die bis an die Zähne be waffnet sind, die proletarischen Kämpfer, so müssen diese erbarmungslos alle Faschisten vernichten. Siel Der Bezugspreis für die 2 Julihülste beträgt: 7V0V Mark für Selbstabholer 7300 Mark bei freier Zustellung ins Haus MMUM Ses .Wischer MUMMS". An unsere geschätzten Leser! Infolge der fortschreitenden Geldentwertung sind wir gezwungen, auf den sofortigen Eingang der Be- zugsgelder unbedingt zu rechnen Wir bitten deshalb unsere Leser, das Vezugsgeld bereit zu halten, damit unseren Austrägern beim Vorzeigen der Quittung der Betrag zur Verfügung steht. len die Faschisten jeden zehnten Streikenden an die Wand, so müssen dis reoolütionären Arbeiter jeden fünften Angehörigen der Faschistenorganisationen an die Wand stellen." Im Zusammenhangs mit diesem Aufrufe wird bekanntgemacht, daß der 29. Juli im Zeichen proletarischer Massendemonstrationen gegen die faschistische Reaktion stehen muß. Leipzig. (Kapitän Ehrhardt aus der Haft entflohen) Kapitän Ehrhardt, der sich am 23. Juli vor dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik wegen seiner Teilnahme am Kapp Putsch verantworten sollte, ist am Freitag vormittag aus dem Polizeigefängnis, in dem er während seiner Un tersuchungshaft untergsbracht war, entwichen. Es wird vermutet, daß Ehrhardt bei seiner Flucht Hel fershelfer gehabt hat. Der Oberrsichsanwalt hat sofort veranlaßt, daß alle Maßnahmen zur Wieder- greifung hes Flüchtlings ergriffen werden. — Die Flucht Ehrhardts ist durch Helfershelfer von außen her ins Werk gesetzt worden. Der Gang zwischen dem Gefängnis und dem Gerichtsgebäude ist durch zwei Eittertüren und zwei Haustüren abgeschlossen. Die Eittertür wurde geöffnet vorbefunden. Die Haus- türen sind mit einem Nachschlüssel geöffnet worden Nach dem Passieren des Ganges wurde die Tür von außen wieder geschlossen und der Schlüssel stecken ge lassen, sodaß eine Verfolgung aus dem Innern des Gefängnisses nicht möglich gewesen wäre. Infolge dessen muß damit gerechnet werden, daß Ehrhardt unter dem Personal der Eefängnisangestellten Hel fershelfer gehabt hat. Zweifellos ist die Flucht von langer Hand und mit größter Sorgsallt vorbereitet worden, das ihn mit seinen Freunden entführte. Der Polizeipräsident von Leipzig wird auf die Ergreifung Ehrhardts eine hohe Belohnung aussetzen. Rittersgrün. (Neuartiger Leichenwa gen.) Hier ist ein neuartiger Leichenwagen in Be trieb genommen worden, um eine Verbilligung der hohen Begräbniskosten zu ermöglichen. Es ist ein Geschenk an di« hiesige Kirchgemeinde von evange- lisch-lutherischen Deutschen in Amerika, ein auf zwei Nädern fahrender Wagen, der von vier Mann ge zogen wird. Er entspricht allen Anforderungen auf praktische Verwertbarkeit und würdige Form des Begräbuisses. Penig. (Erfindung) Schlossermeister Pflücke hat eine Luftdruckbremse erfunden, durch die Autos sofort zum Stehen gebracht werden können und trotz der eintrstenden Plötzlichkeit des Haltens des Autos ein Ueberstürzen ausgeschlossen ist. Die Erfindung ist zum Patent angemeldet worden. Politische Nundscha». Deutsches Reich. Berlin, 14. Juli. (Die Anbahnung der wertbeständigen Löhne.) Im ReichSarbeitS- Ministerium ist eS gestern mit Arbeitsroertretern zu einem Einverständnis über die Anbahnung wertbestän diger Löhne gekommen. Bei den am Montag statt- findenden Verhandlungen über «ine Neuregelung der Bergarbeiter!öhn« werden wahrscheinlich Besprechungen über wertbeständige Löhne im Bergbau stattfinden, welche sich auf der Basts der Entschließung des Reichs- arbeitSministeriumS bewegen. Die «rbeitgebrrorrtretek sollen sich bereits mit einer wertbeständigen Gleitung der Bergarbeiterlöhne Einverstanden erklärt haben. Für die Ermittelung der wertbeständigen Lohnes kom men bezirkliche Indexziffern infrage, welche unter Hin zuziehung der Parteien ausgestellt werden. Jedenfalls kommt dann eine 14tägtge oder noch längere Kohlen- Preisfestsetzung infrage. Berlin, 13. Juli. (Zur Baldwin-Erklä rung.) Der „Tag" schreibt zur Baldwin-E-klärung: Der englische Handel verträgt auf die Dauer die fran zösische Methode nicht, das ist d«5 Pudel« K-rn. Bald win berührt die heikle Frage de« passiven Widerstande« nicht, um sich weder gegen Frankreich noch gegen Deutschland zu wenden. Düs bedeutet, England will weiterhin bet den Verhandlungen und drn weiteren Erörterungen in Berlin und Pari» unter der MaSk« eines ehrlichen Makler« Ratschläge für di« Beilegung der Menschen und Werte zerstörenden Konflikte erteilen- Frankreich. Paris, 13. Juli, (Die Aufnahme der Bald win-Erklärung in Pari?.) Gegenüber der gest rigen Erklärung Baldwin« im Unterhaus«, die zU später Stunde nach Paris gemeldet wurde, wird in den hiesigen politischen Kreisen strengst« Zurückhaltung an den Tag gelegt. Man empfindet dankbar die freundlichen Versicherungen, die der englische Premier in ferner Reds cm die Adresse Frankreich« richtet« und erwartet nunmehr einen englischen Entwurf zur Ant wort an Deutschland. Di« von Baldwin ausgespro chene Erwartung, daß sine Einigung herbeigeführt w-rden könnte, wird skep-.isch SeuriE. Es güt hier aber al« gewiß, daß Baldwin seinen gestrigen kurzen Erklärungen ausführlich« Darlegungen seiner Absichten folgen lassen wrrde, sobald vom Quai d'Or say die Antwort auf das englisch« Natworiproj«« aN Deutschland in London vorlirgen wird. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß der Gedanke einer internatio nalen SachvkrständigentoMmisfion in dcr zweiten eng lischen Erklärung einen hervorragenden Platz «inneh- men wird. Hier wird angenommen, daß der englische Entwurf, von dem in der gestrigen RegirrungSerklü- rung die Red« war, noch Ende dieser Woche dem Quai d'Orsay zugehen wird. Paris, 14. Juli. (Der französische Mi ni st errat über die BaldwtnErklärung.) Unter dem Vorsitz« des Ministerpräsidenten Poineare« beschäftigt« sich gestern vormittag der Ministerrat neben anderen Fragen auch mit der vorgestrigen Baldwin- rede. Der freundliche Ton der Londoner Erklärungen wird hier indessen lediglich als ein Vorzeichen de« englischen Programms aufgefaßt, habe aber tm Quai d'Orsay einen günstigen Eindruck hinterlassen. Nach dem der englische Fragebogen nunmrhr endlich über wunden worden sei, werde man in Paris mit beson derer Sorgfalt den englischen Plan erörtern und ihn in allrn Punkten mit dem französischen R-parationS- plan vergleichen. Hier wird damit gerechnet, daß London auf seine Not« nicht eine (christliche Antwort «rwSrtet, sondern mit Paris übl-r den Inhalt in Be sprechungen eintreten werde und daß London von den französischen Bedenken immerhin Notiz nehmen wird- Fernerhin wird angenommen, daß die Londoner Re gierung im wesentlichen dir Einberufung einer Sach- oerständigenkonserenz zum ersten Punkte seines Plane* macht. Erretcht Frankreich in der Fragt der interalli ierten Schulden positive Zaficherungen seitens Eng lands, so werde «s die meisten Einwände gegen dit Ernennung «ine» Sachverständigen - Ausschuss«» fallen lassen. Russland. — (Steigerung derPreiseinMoSkau.) In Moskau find, wie die .EkonomitscheSkaja Schis»' berichtet, die Preis« in der vierten Juniwoch« weiter gestiegen. Di« allgemeine Preissteigerung beträgt 1k Prozent. Am meisten gestiegen sind: Hafer um I2l Prozent, Gerste um 117 Prozent und Zucker um 100 Prozent. Die Broipreise steigen bedeutend langsamtk und haben sich in der BertchtSwoch« nur um 11 Pro zent erhöht. Der Goldpreis ist während der viert«" Juniwoche nur um 1 Prozent gestiegen. England. London, 13. Juli. (Die Londoner Börst und die Regierungserklärung.) Die gestri gen Erklärungen über die RrparationSpolitik der Rt- gierung sind ohne wesentlichen Einfluß aus di« Börst geblieben. Der französische Franken der etwa» ge schwächt eröffnete, erholte sich tm verlaufe d«r Börst- Die belgisch« und italienische Währung verhielten M ähnlich. Dir deutsche Mark kam anfänglich gut heran*- ging dann aber doch wieder bi» auf 1600 000 fÜ< ein Pfund Sterling zurück.