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z und Einfalt des französischen Volks für unerschöpflich hält. Wenn die sanguinischen Franzosen gar oft, fast immer den Schein für das Wesen hinnchmcn, weiß dagegen der kaltblütig berechnende, ächt praktische Engländer mit sicherem Blick dieses von jenem liesset zu unterscheiden, ^ls irgend ein Volk auf der Welt. England ist das Land des gesunden Men schenverstandes. Dem Fortschritt huldigend in jeder Beziehung, geht der Engländer doch nur stetig vorwärts, und ist darum selten genöthigt, einen Schritt zurück zu thun. Wahr ist eS, das alte go- thischc Gebäude seiner Verfassung nimmt sich wunder lich aus in unserer modernen symmetrischen Zeit; eS ist nicht aus einem Gusse, sondern nach und nach, wie die Gelegenheit sich günstig zeigte, stückweise zu, sammen getragen worden, aber es ruht auf Säulen, die jedem Sturme der Willkühr trotzen. Die stärkste dieser Säulen ist dir Preßfreiheit. Es scheint bei» nahe, als wisse man nur in England ihren Werth richtig zu schätzen, denn hier herrscht sie ohne Ein» schränkung, und obgleich sic vielleicht nirgends zügel loser, frecher, verletzender hervortritt, so sind doch gerichtliche Verfolgungen der Presse nirgends seltner. Der Engländer begreift, daß es keine Rosen ohne Dornen giebt; die heftigsten, schamlosesten Ausfälle der Tageblätter, worüber die liberalsten Liberalen bet »ins außer sich gerochen würden, uimmt er mit Gleich- »nuth hin, damit der Oeffcntlichkeit, der Alles schonungslos unterworfen werden soll und muß, kein Eintrag geschehe. Die persönliche Freiheit ist mit so wahrhaft ängstlicher Sorgfalt verbürgt und verpalli» sadirt, daß kein brittischcr Bürger, außer in den durch das Gesetz im Voraus genau bestimmten Fällen »md nur unter 'strenger Beobachtung der vorgeschrit tenen Förmlichkeiten, ihrer beraubt werden darf. Die Habeas-Korpus-Akte, welche diese Fälle und Förm lichkeiten festsetzt, betrachtet der Engländer als seine zweite lVlogns 6K>na. Schon um dieses Freibriefs willen, der allein zehn deutsche Konstituzioncn auf wiegt, kann man eS dem stolzen Jnsclvolke nicht ver argen, wenn sie mit einigem verächtlichen Mitleid «nd einiger mitleidigen Verachtung auf uns armselige Fest, landsmenschen herabschen, die nach dem Gutdünken eines Gerichtsdieners oder Gensd'arme» ins Loch ge steckt werden. Gleichwohl sind wir weit entfernt, England mit seinen verblendeten Bewunderern unbe dingt als das gelobte Land der Freiheit preisen zu »vollen, und seine Verfassung im engern Sinn« als das Meisterwerk menschlicher Weisheit anzustau- nen, das für alle Zeiten über jede Vervollkommnung erhaben sii. Sie, diese Verfassung gerade, hat so augenfällige Gebrechen, daß sie das brittische Volk selbst längst nicht mehr verkennt. DaS schreiendste ist das Uebcrgewicht der Aristokratie, welche durch unermeßlichen Grundbesitz im Staate einflußreich, sich trotziger als irgendwo den bescheidensten LolkSwüoschea entgegenstellt und die heilsamsten Verbesserungsplane durch ihr hartnäckiges Veto scheitern macht, so daß sich, bei dem gesunden Sinne des Engländers sonst unbegreiflich, neben den weisesten Jnstituzionen die grellsten Mißbräuche bis auf unsre Zeit erhalten ha ben. Durch die, wenn immer noch lückenhafte Par lamentsreform geschah indeß ein lange vorbereiteter Schritt von unbercchnenbaren Folgen. Wird endlich noch durch Ausdehnung des Stimmrechts und Ein führung geheimer Abstimmung bei den Wahlen allen fremdartigen Einflüssen ein Ziel gesetzt, so muß die vvlksthümliche Partei der Radikalen, das heißt der VaterlandSfrcunde, welche das Uebel an der Wurzel fassen wollen, in einem, dem Begriffe einer repräsentativen Verfassung weniger als zcither hohnsprechenden, Unterbaust die Oberhand gewinnen, und einem solchen Unterbaust werden dann auch die stolzen Lords schwerlich auf die Dauer Widerstand zu leisten wagen. Ja an ihrer Nothwendigkeit, an der Nvthwcndigkeit deS Oberhauses selbst, die früher nur von scharfsinnigen Publizisten einer gefährlichen Prüfung unterzogen wurde, beginnt allmählig daS Volk zu zweifeln, und solcher Zweifel ist der gefähr lichste von allen. O^Connel, der große Aufreger, den man beschwichtigt glaubte, erhebt aufs Neue seine gewaltige Stimme und schreit: Gerechtigkeit für Irland, daS gemißhandelte; die Arbeitervereine neh men in der jüngsten Zeit eine immer drohendere Stel lung. Wer mag bestimmen, was uns die nächste Zu kunft bringen kann? Siegt hier das demokratische Element, so könnte an England zuerst der Ausspruch des alten Legitimisten Chateaubriand in Erfüllung gehen, der Europa die Republik weissagt. Ein Blick auf die Zustände der pyrcnäischcn Halbinsel, wie überhaupt der Länder, wo freiheit liche Jdeeen zur Herrschaft gelangt sind, dürfte sie vielleicht dem aufmerksamen Beobachter noch mehr bestätigen. Spanien, das thräncnwerthe, liegt zwar noch immer mit dem finstersten Absolutismus in offenem blutigem Kampfe, doch kann dessen Aus gang nicht zweifelhaft sein, sobald die völkerrechts widrigen, dem mit so vielem Geräusche verkündeten Nichtintcrvcntionsprinzipe zum Trotz, fortwährend dem Pfaffcukönig Don KarloS geleisteten Unter stützungen von Außen aufhören und die schwache Re gierung Christinens entweder ihre verderbliche Halb heit mit entschiedenen Massregeln vertauscht, oder einer volksthümlichen, energischen Regierung das Feld räumt. Unterbliebe jenes, so wird dieses zu verlässig geschehen. In Portugal! scheint die Volkssache gegen Wechselfälle ziemlich gesichert, wenn gleich die Wellen der früher» Aufregung sich noch nicht ganz wieder geebnet haben und die wahnwitzigen Versuche deS vertriebenen Scheusals Don Miguel sich noch von Zeit zu Zeit wiederholen.