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Volksleben, und als Folge von Allem in dem kur« zen Zeiträume eines halben Jahrhunderts eine jeder Fessel ledige Entwickelung und Blüthe menschlicher Dinge, wie sie in der ganzen Weltgeschichte nicht ihres Gleichen haben, eine Stufe der Glückseligkeit, hinter welcher die kühnsten Erwartungen der Men schenfreunde weit zurück geblieben sind. Doch In Asien sieht's zu finster aus, als daß un ser Blick auf diesen traurigen Steppen lange verwei len möchte, seine Hoheit, der Großlürke, der Schach von Persien und auch — der Selbstherrscher aller Reußen kann und soll unsere Leser wenig Intereffircn. Die Zustände Amerikas sind unsern Wünschen nur er reichbar, es ist uns kaum gestattet, in unserm Käm merlein an ihre Verwirklichung zu denken, geschweige daß wir durch Schilderung derselben die Lüsternheit darnach reizen dürften! Wenden wir uns also nach Europa, dem alterschwachen, preßhaften, das zwischen Osten und Westen gelegen, je nach dem Beispiele der Nachbarschaft, von beiden einen Abglanz wicder- strahlt. Hier, wo sich die Endpunkte der beiden feindlichen Gegensätze berühren, ist die eigentliche Wohlstatt des Kamvfcs, der seit länger als 50 Jahren diesen Welttheil erschüttert, und wenn er hier erloschen scheint, dort plötzlich wieder mit verstärkter Wuth entbrennt; der Kampf des Absolutismus mit dcmPrinzipe der Volkshcrr schäft, des histo rischen Rechts mit dem natürlichen oder vielmehr der abenteuerlichen verjährten An maßung mit den Forderungen der Vernunft. Frankreich gab die Losung zu diesem Kampfe und trug den andern Völkern mehr als einmal das Banner muthig voran. Es verdient daher auch, daß wir ihm in diesem Rundgcmälde den ersten Platz im Vordergründe einräumen, zumal noch immer aller - Blicke dorthin erwartungsvoll gerichtet sind. Wird cS den Hoffnungen entsprechen, die es in den Juli- tagen abermals herrlicher als je weckte? Frankreich, das schöne Frankreich, mit seinem großmükhigen, edlen —Volke, das den Haß der Fürsten gegen sich, aber die Sympathie der Völker für sich hat, ist leider auch das Land der Leichtfertigkeit, der Unbeständigkeit, der Widersprüche und Karakterlosigkclt, und jenes gut- müthige Volk hat bis diese Stunde immer nur dem Egoismus der Gewandten zum Spiclball gedient. Dieselben Franzosen, denen einst die freieste republi kanische Verfassung nicht frei genug war, beugten bald darauf ihren Nacken geduldig unter den eisernen Fuß des größten aller Tirannen und ertrugen fünf zehn Jahre lang daS noch schmachvollere Joch der jämmerlichen Bourbonen. Während man im Jahre 1791 über daS sogenannte unbeschränkte Veto des konstituzionellen Königs buchstäblich Thränen vergoß, sah man wenig, Jahre später ruhig zu, wie der Ei genwille eines Einzigen die kostbarsten Garantieen uut Füße» trat und zuletzt ganz vernichtete, und ließ sich Millionenweise zur Schlachtbank führen, um — den Ruhm des großen Kaisers zu vergrößern! Man pries, und mit Recht, die Preßfreiheit als den An fang und das Ende aller Freiheit, als die Lkbensluft einer freien Nazion, und schlug sich, hinter Pflaster steinen gegen Krieggeübtc Söldlinge mit zweifellosem Hcldenmuthe, als die Minister Karls X. verwegen und dumm genug waren, dieses Palladium durch ihre berüchtigten Juliordonnanzen anzutasten. Aber waS ihnen die Gewalt der Bajonette nicht zu entreißen vermochte, wußte ihnen Ludwig Philipp durch List abzuringen. Nach 5Jahren gelang es ihm, den angeblich der Volkswillc alS „die beste der Republi ken" auf den Thron gerufen hatte, dieselbe angebetrte Preßfreiheit durch seine Septembergcsctze so zu be schneiden und zu verstümmeln, daß sic nichts mehr ist, als ein elender Schatten, um Kinder und Thoren zu täuschen, nach dem eignen Ausdruck französischer Blätter schlimmer, alS die Zensur selbst. Ihre Gesetz bücher brüsten sich mit den schönen Nahmen Ocf- fentlichkit, Schwurgerichte; aber sic sind nur der scheinheilige Mantel dcs hinterlistigsten Despotis mus. Jene hindert nicht, daß dem unglücklichen Ge fangenen, wenn durch Monatlange Qualen der von der Folter nur dem Nahmen nach verschiedenen „heimlichen Haft" auch die männlichste Kraft und Slandhaftigkcit gebeugt ist, in den Vorverhören wider feinen Willen Geständnisse erpreßt werden, die man ihn bei der öffentlichen Verhandlung mit frecher Stirn vorhält, gegen die er nur Gott zum Zeugen anrufen kann. Die Geschwornen, unter heuchlerischen Formen im Grunde von der Regierung allein ernannt, sind, sobald es die Macht will, nichts weiter als verächt liche Eommissäre, die auf Kvmmandowort verdammen und lossprcchcn. Die persönliche Freiheit, das köst lichste Gut des Bürgers, steht unter dem Schutze dcr geheimen Polizei! Kurz man kann denen nicht ganz Unrecht geben, welche dcr Mcinung sind, daß die Franzosen über den beständigen Jagen nach Freiheit dis jetzt nicht dazu gekommen sind, die Freiheit selbst nur einen Augenblick zu kosten. Seil dem Anfänge ihrer Ncvoluzivn haben sic immer nur eine verdor bene despotische Regierung mit der andern vertauscht. Wir wiederholen cs, das Volk: dcr Gcwerbsmann, dcr brave Handwerker, dcr Arbeiter, der sein Brot im Schweiße seines Angesichts ißt, jene kräftigen Ge stalten in den Straßen von Paris, mit den aufgc» streiften Hemdärmcin und den gebräunten Antlitz, dieses Volk ist edel und kcrngut, wie überall das Volk, aber auch cinfältig, wie überall daS Volk, und darum leicht zu täuschen. Wird es sich ewig täuschen lassen? Es sicht gcschriebcn: wer Unkraut säet, der soll keinen Waizcn ermcn! Ludwig Philipps Regie rung begann mit einer Täuschung, sie wird mit einer Täuschung enden, ihrer selbst nämlich, wenn sic, wie weiland Karl X. mit seinen Spießgesellen, die Geduld .