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Pulsnitzer Fayevlatt 2. Beilage zu Nr. 249 Sonnabend, 24. Oktober 1931 83. Jahrgang Die Änderung im Überlandverkehr mit Kraftfahrzeugen sächsische Ausführungsverordnung. Mit dem 1. November d. I. tritt im gewerbsmäßig betriebenen Überlandverkehr mit Kraftfahrzeugen eine we sentliche Änderung ein. In der Reichsnotverordnung vom 6. Oktober d. I. werden sowohl für den Verkehr mit Per sonenkraftfahrlinien als auch insbesondere für den Güter fernverkehr neue Bestimmungen erlassen, die zu einer Aus führungsverordnung geführt haben. Diese wird im neue sten sächsischen Gesetzblatt veröffentlicht. An der Zuständigkeit des Ministeriums des Innern für die Genehmigung von Personenkraftfahrlinien hat sich nichts geändert. Wesentlich ist nur, daß in Zukunft über Widersprüche öffentlicher Verkehrsunternehmungen gegen die Genehmigung endgültig auf Beschwerde hin der Reichsverkehrsminister entscheidet. . Wesentlich einschneidender sind die Bestimmungen über den Güterfernverkehr. Wer gegen Entgelt Güter mit Kraftfahrzeugen auf Entfernungen über 50 Kilometer für andere befördern will, bedarf der Genehmigung der höhe ren Verwaltungsbehörde, in Sachsen der Amtshaupt mannschaft oder des staatlichen Polizeiamtes. Zur Beseitigung eines ungesunden Wettbewerbes Zwischen Eisenbahn und Güterfernverkehr mit Kraftfahr zeugen sind die Unternehmer gebunden, die vom Reichs- vcrkehrsminister einheitlich für das ganze Reich festgesetzten Beförderungspreise innezuhalten. Schuldhafte Zuwider handlung hat ein Strafgeld zur Folge, das in dem Hun dertfachen des Unterschiedes zwischen dem vereinbarten und dem festgesetzten Beförderungspreise besteht. Gegen den Strafbeschluß ist die Klage beim Verwaltungsgericht erster Instanz für zulässig erklärt worden. Da die Reichsverordnung bereits am 1. November dieses Jahres in Kraft tritt, müssen die beteiligten Ge werbetreibenden ungesäumt um Genehmigung bei der zu ständigen Behörde nachsuchen. Ist das Genehmigungs- bersahren bis zum l. November dieses Jahres noch nicht durchgesührt, so ist den Unternehmern auf ihren Antrag «ne Bescheinigung hierüber auszustellen. Diese hat der Kraftwagenführer bei sich zu führen. Dresdner Brief Der Iägerhof Im grünen Winkel gegenüber dem Finanzministerium in Aeustadt liegt still und wenig beachtet ein Strick alter Zeit, «n Ueberrest ehemaliger Herrlichkeit, — der Jägerhof! Das Museum für sächsische Volkskunde hat hier einen passenden Platz gesunden. Hohe rote Dächer krönen das langgestreckte Abäude, und die drei gedrungenen Türmchen mit ihren lchräggestellten Fenstern und der geschweiften Bedachung geben der langen Front reizvolle Unterbrechung. Wucherndes Grün, das im Herbst in goldig roten Farben aufleuchtet, klettert an den Wänden empor und vor dem Tore wölbt ein Akazien- bäum seine Zweige. — Der Iägerhof! — Beinah vierhundert ^ahre sind vergangen, da zogen die Kurfürsten mit ihren wittern und Reisigen zum Kriegsspiel der Jagd, da kein Ernster Krieg ihre Kräste forderte. Da klang das Hifthorn,, da bellte die Meute. So nahe grüßte der Wald, der meilen weit die Höhen deckte, die Heide mit ihren Quellen und Brünnlein, ihren Schluchten und Hängen und dem Wildreich- wm des Unterholzes. Jagdfreudig waren die sächsischen Für sten alle, und Vater August schuf für seine Jagden das eigene Gebäude, den Iägerhof. Außerhalb der wenigen Häuschen, die Altendresden bil deten. lag er. nahe genug dem lockenden grünen Wald. Hunde wurden dort gehegt, Jagdgeräte aufbewahrt. Und die Stall meister mit ihrer Schar von Jagdknechten sorgten für des Kurfürsten Rosse. Ein großer Hof war umzäumt, dort hielten de, wenn fürstlicher Besuch kam, Ringelrennen und Stechen, Tierkämpse und Hetzen ab. Aber auch der Trinkfreuden durfte wcht vergessen werden. Ein herrlicher Saal, dessen zwer smster den Frontgiebel unterbrechen, der aber noch viele Muster an der Längsseite hat, dehnt sich im unteren Stock werk. An den Wänden schmückten seltne Geweihe den Raum, Pierzehnender, von der Hand des Kurfürsten selbst erlegt, «e Schaufeln des Elches und die scharfen Hauer des Wild- lchweines. , Dies schöne Gebäude, schon in seinen ersten Anlagen be° Waders und vielversprechend, wurde von den Nachfolgern Augusts bedeutend vergrößert. Jedoch Johann Georg 1. war der letzte Hand daran legte, den Jägerhos zu dem zu wachen, als der er weit und breit gepriesen wurde, zu einem Ar „Wunderwerke Dresdens". Freilich entstand dieses in der Mit, als der Kursürst noch nicht in die Wirren des 30 jährigen Krieges verwickelt war. Der Iägerhof war der Stolz des Wagen Fürsten. Ein 40 Meter langes und II bis 12 Meter breites Zeughaus war das Hauptgebäude; es ist das Gebäude, bas wir jetzt noch sehen. Ihm schloß sich ein zweites Haus mr, in dem die Dekorationen zu großen zu großen Festen festen aufbewahrt wurden und das die Stallungen für Hunde und ein Bärenhaus enthielt. Diese beiden Gebäude und der dazugehörige Hosraum nahmen den vierten Teil der ganzen Neustadt ein. In schweren Tagen des Krieges und unerhörter Ver- wustungen blieb nur wenig Zeit zu Jagd und Festen, trotzdenk bat Johann Georg seinem geliebten Iägerhof weitere Aus- Schmückung zuteil werden lassen. Das obere Stockwerk des Hauptgebäudes enthielt mehrere sürstliche Zimmer, worunter uch namentlich der Saal durch kostbare „Tapezereien" und! Deckengemälde auszeichnete. — Noch manche Hofjagd hat in Lateren Tagen der Iägerhof gesehen. Prächtige Gestalten, von Sonne und Wind gebräunt, in jagdgrünen Gewändern, mit starker Hand die Meute festhaltenb, Stallmeister hoch zu Rotz, Anweisungen gebend, wenn es hinausging in die Dresd ner Heide zu Hirschjagd und Sauhetz. Beim Hussa und Hallo stoben sie fort, mit Hallali kehrten sie heim, reiche Deute im Iägerhof bergend. Dann sah der alternde Kursürst, der durch falsche Beschlüsse dem Land den Frieden, sich selbst die Ruhe des Genusses geraubt hatte, beim Schmaus im Iägerhof und suchte alle Drangsale in einem guten Trunk zu vergessen, oder eine Därenhetz im Hof erfreute die jagdfrohen Gäste. Auch alle Jagdtrophäen, deren Johann Georg eine große Menge eingebracht hatte, wurden hier verwahrt, sowie auch ein Ver zeichnis seiner Jagdbeute während mehr als 40 Jahren, im ganzen über 100 000 Stück Wild, worunter sich viele Vären und Wölfe befunden hatten. — Daß die Jagd in jener Zeit nicht nur eine Freude, sondern auch eine Notwendigkeit war, erhellt daraus, daß das Wild des Nachts oft bis auf die Festungs werke herankam und bedeutenden Schaden anrichtete. So war der Iägerhof, das Wunder Dresdens, in seiner Art recht Wohl am Platze. Als aber später, nach langen Jahren verheerenden Ringens, die Stadt sich streckte, als neue Lebensbedingungen neue Bauten forderten und die grünen Arme des Waldes sich immer weiter zurückzogen, fiel auch unser Iägerhof mehr und mehr der Vergessenheit anheim, bis neuerstandene Heimatliebe dieses Juwel der Vergangenheit aus seinem Bornröschenschlas erweckte und ihn mit einer neuen Gewandung einem neuen, schönen Zweck entgegenführte. Regina Berthold. Ein neues Krebsheilmittel? Professor Boronoff, der durch seine Verjüngungs- experimente bekannt gewordene Forscher, berichtete auf einem Aerzte-Kongreß in Paris über seine erfolgreichen Versuche, einen Affen mit Krebs zu infizieren. Krebs galt bisher alM ausschließlich menschliche Erkrankung. Versuche, ihn auf^ Tiere zu übertragen, sind bisher stets gescheite«. Voronoff will nun durch ein von dem krebskranken Affen gewonnenes Serum ein neues wirksames Heilmittel gegen den Krebs gefunden haben. Die Lehr- und Erziehungsanstalt für Knaben in Dresden-Striesen 1773 von Freimaurern, namentlich Mitgliedern der Loge „Zu den drei Schwertern und Asträa zur grünenden Raute", ge gründet und noch heute von 15 Mitgliedern dieser Loge ver waltet, woher sie auch von alters her im Volksmunde den Namen Freimaurer-Institut erhalten hat, ist eine öffentliche Oberrealschule, die gleich den staatlichen und städtischen Schulen unter der Oberaufsicht des Ministeriums für Volksbildung steht. Mit Ler Schule ist ein Internat verbunden, in dem der Schwerpunkt des Institutes ruht. Schon allein die Loslösung von der Tradition und neue Bildungsideale bereiten den Eltern in der Erziehung der Jugend heute große Schwierigkeiten. Dazu tritt, daß das Familienleben vielfach unter dem Zwang der Verhältnisse seine Erziehungswerte nicht entfalten kann. Diese Schwierig keiten beheben zu Helsen, ist das Arbeitsziel des Freimaurer- Instituts. Es will die Familienerziehung ersetzen, soweit dies überhaupt möglich ist. In der Einrichtung von Erzieher familien zu 20—25 Schülern ist die ständige Verbundenheit zwischen jungen Menschen und Erzieher, der zugleich Lehrer ist, und die individuelle Behandlung des Einzelnen gewähr leistet. Solcherart will das Institut die ihr anvertraute Jugend in Verbindung von Erziehung und gründlicher wissen schaftlicher Ausbildung auf der Grundlage einer Kultur des Gemüts, der Kunst und der Religion in starker Liebe zu Volk und Vaterland zu charaktervollen lebenstüchtigen Menschen heranbilden. »- Neuzeitlich eingerichtete, weite, lustige Räume in Internat und Schule mit großem Spielplatz bieten Unterkunft für 250 Schüler und Gelegenheit zur Betätigung in Sport und Spiel, Eine wesentliche Bereicherung der Bestrebungen bietet das in herrlicher waldreicher Umgebung des sächsischen Erzgebirges liegende, dem Institut gehörige Wanderheim in Schellerhau, das mit seinen weiten Wiesen und Wäldern nicht nur zu> ausgiebiger Uebung Gelegenheit bietet, sondern auch klassen weise für den Unterricht in der Form der Schullandheims benutzt wird. Interessenten bitten wir, weitere Einzelheiten aus den Jahresberichten der letzten beiden Schuljahre entnehmen zu wollen. Sie können, ebenso auch die Aufnahmebedingungen, in der Schulkanzlei, Dresden-A. 21, Eisenacher Straße 21, abgesordert werden. Es wird noch besonders darauf aufmerksam gemacht, daß Schüler, deren Eltern nicht Freimaurer sind, selbstverständlich auch ausgenommen werden. Edisons letzte Erfindung: Künstlicher Gummi. Nach einer Meldung aus New Pork hat Edison die Welt um eine neue Erfindung bereichert. Die zwölfjährige Arbeit des greisen Erfinders an der H erste llu n g kü n stl i ch e n Gummis ist von seinen Assistenten Fred O t t und Charles Daily erfolgreich zum Abschluß gebracht worden. Edison hat noch auf dem Totenbett, bereits auf der Schwelle von Leben und Tod, den Triumph seiner letzten erfinderischen Arbeiten erfahren. Der greise Erfinder war bereits zu schwach, um die Nachricht von seinem letzten Erfolg zu ver- nehmen. Sein Arzt übermittelte ihm die Nachricht durch Klopfen von Morsezeichen auf den Puls. Ott und Daily gelang ganz plötzlich der Nachweis, daß der von Edison angegebene Weg der H er ste llun g kü n st- lichen Gummis aus der in Amerika wachsen den Goldgerte richtig war. Me Assistenten Edisons stellten nach einer Mischung des Saftes der Goldgerte mit anderen Ingredienzien eine dauerhafte, zur praktischen Ver wendung anstatt von Gummi geeignete Masse dar. Die Frage von der letzten Erfindung Edisons muß über raschen, wenn man mit der Geschichte des künstlichen Kaut schuks auch nur einigermaßen vertraut ist, denn schon im Jahre 1912 wurde auf der Hauptversammlung des Vereins deutscher Chemiker in Freiburg (Breisgau) von Geheimrat Duisberg ausführlich Uber ein von dem deutschen Pro fessor Fritz Hofmann ausgearbeitetes Verfahren zur synthetischen Herstellung von Kautschuk be richtet. Dieses Verfahren ist während der Kriegszeit, als Deutschland durch die Einfuhrsperre keinen Rohgummi er- halten konnte, von der IG-Farben-Industrie in großem Maß stabe mit recht gutem Erfolg in die Praxis umgesetzt worden. Da der synthetische Gummi später aber nicht mit dem heute in reichlichem Maße vorhandenen natürlichen Kautschuk in Wettbewerb treten konnte, ist die Fabrikation wieder aufgegeben worden, zumal der künst liche Kautschuk durchaus nicht die dem Naturprodukt eigenen Eigenschaften aufwies. Wissenschaftlich liegt das Kautschuk problem heute so, daß keine ernsthaft zu nehmende Stelle mehr an der künstlichen Herstellung arbeitet, da die Kaut schukanpflanzungen in so reichlichem Maße Nomaterial liefern, daß die laboratoriumsmäßige Her stellung niemals wirtschaftlich aussichts- reich zu werden verspricht. Letzter Bück aus die Erde ... Zum 275. Geburtstag Halley«, des Lübeckers des wieder- kehre«den Kometen. Die Anteilnahme an den Vorgängen am Himmels körper liegt zutiefst in der menschlichen Seele begründet. Insbesondere die Weltenwanderer am Himmel, die Kometen — deren Namen man sich auch in Irr- oder Haarsterne verdeutschte — erregten zu allen Zeiten leidenschaftliche Anteilnahme, man sah ihrem Kommen teil weise mit abergläubischer Furcht entgegen, hielt sie für Zucht ruten Gottes, der sie in Perioden-Zwischenräumen über die Erde sandte. Wir kennen jetzt eine ganze Anzahl solcher periodisch wiederkehrender Kometen, — das Verdienst aber, den ersten dieser Irrsterne entdeckt und nachgewiesen zu haben, gebührt dem Engländer Edmund Halley, der am 29. Oktober 1656 — also vor nunmehr 275 Jahren! — in Haggerston bei London geboren wurde und am 14. Januar 1742 in Greenwich im hohen Alter von fast 86 Jahren, starb. Halley war ein mathematisches und astronomisches Genie, der im Alter von 20 Jahren eine Methode über Bestimmung von Planeten veröffentlichte und im selben jugendlichen Alter schon der Insel St. Helena Ruf verlieh: er be stimmte von dort aus die Sterne des südlichen Himmels. In gereifterem Alter aber und als Professor der Geometrie an der Universität zu Oxford nahm er die wissenschaftliche Berechnung vor, die seinen Namen über die Jahrhunderte hinaus lebendig erhalten sollte: er sprach — das war im Jahre 1705! — die Vermutung aus, daß die Kometen in den weit auseinanderliegenden Jahren 1531, 1607 und 1682 Wiederkünfte derselben Kometen seien, und außerdem versicherte er, daß dieser Komet Anfang 1759 nochmals zurück kehren werde. Das hielt wissenschaftlicher Untersuchung stand, man nannte diesen Kometen zur Ehre des mittler weile Heimgegangenen Entdeckers den Halleyschen. Bis jetzt ist der Halleysche Komet in 17 Erscheinungen bekannt, deren früheste im Jahre 12 vor Christi Geburt sicht bar wurde und deren letzte wir Heutigen im Mai 1910 sahen. Noch im Jahre 1910 gab's genug Männlein und Weiblein im deutschen Vaterlande, die mit ausgesprochener Bangigkeit den Dingen entgegensahen, die da kommen sollten. Alle solche Befürchtungen wurden enttäuscht, — die Nacht vom 18. auf den 19. Mai verlief ohne besondere Er eignisse. Nichts davon, daß — wie ein Pessimist gcweissagt hatte — von der Erde in einigen Stunden keine Reste mehr blieben, oder daß diejenigen, die an den Zyan dämpfen des Schweifes nicht erstickten, durch Milliarden von Meteoriten erschlagen wurden. Besonders die Damen waren enttäuscht: sie hatten sich die Himmelskörper überhaupt „ganz anders^ vorgestellt — teils waren sie ihnen nicht hell genug, teils zu klein. In Berlin hatten sogar findige Leute den Vorgang geschäftlich ausgenützt: sie empfahlen: „Letzter Blick auf die Erde vor dem Weltuntergang! Pro Person 5 Pf., drei Personen 'n Iroschen." Man atmete weiter im rosigen Licht und freute sich auch dieser Begleiterscheinungen an dem bedeutsamen astronomi schen Vorgang, der die Männer der Wissenschaft den Namen des vor 275 Jahren geborenen Forschers wieder mit hoher Achtung nennen ließ!