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vermischter Sand hinter dem kleinen, neuen Häuschen, aber es stehen schon ein Fliederbaum darauf und eine Birke. Der richtige Garten wird sehr schnell fertig sein, man kann sich billig Obst und Gemüse für den Haushalt ziehen und hat obendrein noch eine sehr gesunde und ver gnügliche Beschäftigung für alle Familienmitglieder. Vater Hartwig kauft sich ein gutes Werk über Gartenbau, Gemüsekulturen und Blumenzucht, was seine Frau des teuren Preises wegen nicht einsieht. Aber es ist doch sehr schön, einen Garten zu besitzen. Nun hat sich Vater Hartwig auch schon das zum Garten bau nötige Gerät angeschafft. Eine Harke, eine Hacke, eine Baumsäge, eine Mistgabel, eine Rosenschere, eine Gießkanne, Spaten, Weidenkörbe, Bast und eine Sichel zum Grasschneiden. Die Hausfrau findet die Hälfte des Handwerks zeugs unnötig und kriegt vom vielen Graben den Rücken nicht mehr ganz grade. „Das verstehst du nicht", beschwichtigt der Haus herr. „Diese Dinge gehören zum Gartenbau wie die Luft zum Atmen, liebe Melanie. Wenn schon, denn schon! ist meine Devise, und von nichts kann nichts werden. Eine ordentliche Grundlage ist überall nötig, wo man etwas erreichen will. Sollst mal sehen, was du nun am Wirtschaftsgeld sparst, wenn dir das Gemüse im Garten zuwächst. Johannis- und Stachelbeersträucher habe ich auch schon bestellt. Die sind im Dutzend billiger. Wir werden, nachdem du dir genügend zum Einmachen gepflückt hast, Wein von den übrigen Beeren keltern. Schreibe doch bald an Onkel Brolweit nach Ostpreußen und bitte um das Rezept für seinen vorzüglichen Obst wein, den er selber macht. Und hier sieh mal... Samen .... zwanzig Tüten für vier Mark.... fabelhaft billig, nicht?" Frau Hartwig sieht und liest andachtsvoll die Na men auf den Päckchen. „Asperula, Campanula, Kaul- fussia, Lupinus, Maloppe...." „Ist das Gemüse?" fragt sie erschöpft vom Buch stabieren der Fremdwörter. „Nein, Sommerblumen. Gemüse kauft ich gleich schocklveis als Pflänzlein vom Gärtner. Da kann Mutter und Tante Frieda gleich nachher was von abbekommen, solche Masse wird der gut gedüngte Boden tragen. Gestern habe ich schon Radieser und Rettiche am Zaun lang gesät." „Am Zaun lang?" Frau Hartwig verfolgt mit be stürztem Blick die Handbewegung ihres Eheherrn. „Da ddda drüben, wo unser erstes Beet fertig ist?" „Natürlich da drüben", regt er sich auf. „Soll ich dich da etwa vorher um Erlaubnis bitten?" „Nein.... das gerade nicht", bekennt fie. „Nur, ich dachte.... weil man doch zuerst Petersilie in der Küche braucht, habe ich da, wo du Rettiche und Rqdieser gesät hast...." „Etwa Petersilie gesät?" Sie nickt geknickt. Das ist der Anfang des Gartens. Aber später wird es besser. Man gräbt, pflanzt, sät fach- und sachgemäß, es gibt überhaupt keinen Samen, den man nicht in die Erde streut, um sein kostbares Land auszunützen. Das Beet mit den dreierlei verschiedenen Samen wird be sonders interessant. Daraus wächst es so rasch und grün und stark in der Lenzsonne, daß es eine Freude ist. Schließlich drängt sich darunter wieder neues Grünzeug hervor. „Unkraut", schilt Vater Hartwig und reißt es aus. „Unkraut", denkt Mutter Hartwig erschrocken und zieht es vorsichtig fort, um der Ueppigkeit darüber nicht zu schaden. „Am Ende Brennesseln mang die Radieser", schreien die Kinder und zupfen mit. Was stehen bleibt, kann sich nun prachtvoll aus- breiten, beginnt zu blühen und zu wuchern, ist leider alles andere als das, was man gesät und für Unkraut ausgerissen hat. Es ist sehr schmerzlich. Aber nun wachsen dafür schon Kopfsalat, Kohlrabi und die gelegten Erbsen und Bohnen in der Erde. Nur schießt der Salat so beängstigend in die Höhe, als ob er sich zum Spargel ausbilden will, und die Kohlrabipflänzchen werden anstatt größer merklich klei ner. Die Erbsen holen die Spatzen, ehe sie aufgehen können, und die Bohnen kommen überhaupt nicht, weil Peterle nachgesehen hat, ob sie schon Keim« im Boden angesetzt haben. Das verrät er aber den Eltern nicht, die immer noch auf den grünen Segen warten. Dagegen stehen die Obststräucher herrlich. So ein üppiges Blattwerk hat man selten in anderen Gärten gesehen. Zwar wollen keine Früchte ansetzen. Die ganze Kraft schießt in die Blätter. Die gesäten Blumen scheinen Pferdedung nicht zu vertragen. Ihre Blüten fallen bereits als Knospen ab. „Dieser Pferdedung ist mein Tod", klagt Vater Hartwig. „Hab' ich nicht Kuhdünger haben wollen? Aber nein.... weil zufällig ein Pferdestall in der Nähe war, mußtest du deinen Kopf durchsetzen mit dem bil ligeren Pferdemist vom Kohlenfritzen...." „Bitte.... Deine Bücher sind daran schuld", wehrt sich Frau Hartwig. „Darin wird Pferdedung für Sandboden empfohlen. Und wozu du deine Rosenschere gekauft hast, ist mir auch klar." „Rosen? Sitze ich auf Rosen, wenn ihr mir alles wieder jm Garten vermurkst, was ich säe oder pflanze? Die Bengels haben Sonnenblumenkerne zwischen den Bohnen gesteckt. Das Spinatbeet hat Tante Friedas Köter zerwühlt, der mir nie wieder meinen Garten be treten darf, und die einzige Beilchenstaude, die zum Blühen gekommen ist, mußtest du natürlich in einen Blumentopf setzen und deiner Mutter zu Ostern schenken." „Na, da habe ich doch Geld gespart, Schatz", wendet Fran Hartwig sanft ein. „Wir wollten ja überhaupt durch den Garten sparen. Aber bis jetzt hast du immer nur Geld dafür ausgegeben." „Ist es dein oder mein Geld?" „Deins", gesteht sie noch sanfter. „Können wir nicht lieber Kartoffeln legen? Sie find immer teuer und schlecht, wenn man sie kauft?" „Oder Vater.... ,wir bauen einen Hühnerstall", schreit Fritz. „Au ja, Hühner", frohlockt seine Schwester, „dann hast du immer frische Eier, Mutti. Und wir legen eine Hühnerzucht an, setzen Glucken, legen jeder zwanzig Eier unter und Kriegen so Hunderte von Küken...." „Ist eigentlich wahr", meint Frau Hartwig. „Das lohnt sich viel mehr als solch sandiger Garten, wo nichts drauf wächst. Hühner aber, brauchen Sand zum scharren. Sollst mal sehen, Vater, wie sich das rentiert!" Vater antwortet zwar nichts, aber er überlegt und kauft einige Werke über Geflügelzucht. Er sieht sich dann seinen Garten an, und sein sorgenümdüstertes Gesicht erhellt sich. „Was dnn steht, kann drin bleiben für die Hühner", meint er dann. „Man spart Futter dabei, und Geflügel soll viel Grünzeug bekommen." Vierzehn Tage später ziehen zehn Hühner und «in stolzer Hahn in das schmucke Holzhäuslein ein, das ihnen Familie Hartwig zum Willkommen gebaut hat. Eine Sommerreise wird man zwar nicht machen können, weil erstens das Geld nicht mehr dazu reicht und weil man zweitens die Hühner nicht allein lassen kann. Aber man weiß doch nun wenigstens, wofür man einen Garten hat.... Unter Kollegen Skizze von Herbert Steinmann Der lustige, etwas angeheiterte Herr in den besten Jahren und Fritz Kamecke flogen fast gleichzeitig um elf Uhr fünfzehn Minuten nachts aus dem kleinen Tanz kaffee im Berliner Norden hinaus. Nun standen sie sich, leise schwankend, unter der trüben Gaslaterne gegenüber und sahen noch, wie der breitschulterige Wirt befriedigt die starken Hände in die Hosentasche schob und hinter der Glastür verschwand. Fritz, Amateurboxer, ehemaliger Schlosser und sonst noch etwas, starrte dem anderen ins Gesicht: „Menschens- kind, wie ist das eigentlich gekommen? Ich kenne Sie ja gar nicht, und nun setzen Sie uns beide 'raus, kaum daß ich mir das erste Glas einverleibt habe? Nanu, da soll doch . . ." Der Herr in den besten Jahren kicherte vor sich hin: „Na, hören Sie mal, Ver — Ber — ehrtester, das war doch ganz einfach. Sie wollten mein Bier austrinken, und der Dicke da, der Wirt, der wollte das nicht dulden, und da habe ich gesagt: „Lassen Sie ihn doch von meinem Bier trinken, soviel er will!" Da gab's Krach, und sie setzten uns alle beide auf die Straße. Das ist ein« Ge meinheit, wo ich noch so einen furchtbar großen Durst habe . . ." Es ist nicht ganz klar, ob Fritz Kamecke diese Schil derung verstand. Denn er zählte in diesem Augenblick an seinem Rocke die Knöpfe ab und schien etwas zu überlegen. „Nee", knurrte er schließlich, „es geht nicht, geht gar nicht. „Wenn's anders wäre" — er beugte sich flüsternd zu dem lustigen, angeheiterten Herrn vor, der irgendein Liedchen summte — „wenn's anders wäre — Telephon — zehn Äutodroschken — jede mit vier Mann — und die Bude da drüben wäre ein Trümmerhaufen. Verstehen Sie? Aber es ist anders . . ." Vielleicht er wartete Fritz Kamecke, daß der Mann ihm gegenüber fragen würde, was anders sei. . Aber der Angeheiterte tat nichts dergleichen. Er hatte den eleganten steifen Hut abgenommen und schwenkte ihn mehrmals grüßend gegen die Straßen laterne. Fritz Kamecke überlegte. War es nicht schon eine Dummheit von ihm gewesen, sich aus dem Verschlag da drüben in dem leeren Lagerhause heraus zu trauen, nur um mal Menschen, Licht und Straßen zu sehen, Musik zu hören, ein Glas Bier zu trinken? Was fing man auch sonst mit dem vielen, vielen Geld an? „Wollen wir nicht nach dem Alexanderplatz fahren und da herum einen nehmen?" fragte Fritz Kamecke lauernd. Der angeheiterte Herr setzte langsam seinen Zylinder auf. Seine Gestalt schien zu wachsen. Ganz dicht drängte er sich an Kamecke heran. Seine Stimme klang heiser und drohend: „Du, hör mal, mein Junge! Wat soll denn das heißen? Alexanderplatz? Willst du mir was vom Polizeipräsidium erzählen, du? Ich könnte dir..." Die Verwandlung des netten, angeheiterten Herrn in einen brutalen Kern mit gefährlich glitzernden Augen, dieses überraschende Wegfallen jeder Maske ließ Fritz Kamecke nicht unberührt. „Ach so", knurrte er. Ihm war eine große Last vom Herzen genommen. „Gehen wir wo anders hin!" schlug er lachend vor. Der Fremde hatte schon wieder seinen Zylinder schief gesetzt und lachte nun auch: „Na, denn man los! Aber das Lokal bestimme ich, mein Lieber." Zwanzig Minuten später saßen sie in einem Kellerlokal mit wunderlich gemischtem Publikum, mit Holztischen und einem Plakat: „Man bittet beim Empfang der Waren sofort zu zahlen! — Zerbrochenes Geschirr ist sofort zu ersetzen." Und hinter dem Schanktisch hing an einem langen Nagel ein Gummiknüppel. Fritz Kamecke und der andere saßen sich gegenüber. Jeder von ihnen starrte versonnen in den Inhalt seines Glases. Ab und zu warf Kamecke einen verstohlenen Blick zu dem nun nicht mehr angeheiterten Herrn hin. Ja, es stimmte schon! Diese fahle Gesichtsfarbe, dies« so typischen Bewegungen und vorhin dieser Vorfall an der Laterne... „Wie lange warst du denn das letzte Mal drinnen?" fragte Kamecke unvermittelt. Der andere zuckte zusammen. Sekundenlang sahen si «sich in die Augen. „Zwo Jährchen — auf'm Autobus 'ne Padde, wollte sagen, 'ne Brieftasche gezogen Ge heimer sieht es — ich Esel — Rückfall — na, unh- ab — du kennst sowas", sagte der Herr in den besten Jahren ruhig. ' ? Fritz Kamecke nickte. Ja, er kannte sowas nur zu genau und mußt«, wie es in den Zellen des Polizei präsidiums zuging, vor den Schranken im Moabiter Kriminalgericht und draußen in Tegel im roten Ge fängnisbau: auch die „Plötze", das große Zuchthaus in Plötzensee, war ihm nicht unbekannt. In diesem Augenbick vergaß er alle Vorsicht, alle Schlauheit. Nur einmal sprechen dürfen, nur ein einziges Mal alles erzählen, was einem auf der Seel« lag wie eine Riesenlast. Die ganzen Wochen lang, di« «r nun versteckt da oben in dem Verschlag in dem leeren Lager hause zugebracht hatte wie ein wildes Tier, allein, ganz allein mit dem vielen Geld, da hatte er diese brennende Sehnsucht gehabt zu erzählen. Und nun sprach er hastig, sich fast überstürzend. Er erzählte von dem großen Ein bruch, den er allein erdacht und ausgeführt hatte. Er sprach davon, wie er das Versteck einrichtete, Lebens mittel aufstapelte, Rückzugswege anlegte und wie er ge schwiegen hatte, immer geschwiegen. . . Sein „Kollege" hatte aufmerksam zugehört. Ab und zu spielte ein mitleidiges Lächeln um seine schmalen Lippen. Und als Fritz Kamecke jetzt schwieg, berauscht und erschöpft von der Schilderung seiner Erlebnisse, da hob der andere das Glas und leerte es mit einem Zuge. Dann sprang er auf und begann laut zu singen, wie es nur ein Betrunkener kann. Zischeln ringsum. „Ruhe! Ruhe!" Der Herr in den besten Jahren sang weiter. Der Wirt schritt auf ihn zu. Der große Nagel hinter dem Schanktische war leer. Und dann flog der Herr in den besten Jahren in dieser Nacht zum zweiten Male hinaus. Kaum klappte die Tür hinter ihm zu, als sich vom Schanktisch her ein kleiner, dürrer Kerl eilfertig zu Fritz Kamecke hindrängte und heiser flüsterte: „Mensch, weißte denn nicht, wer das war? Wenn du was auf dem Kerbholz hast, dann mach' bloß, daß du wegkommst!" Verständnislos starrte Kamecke den Warner an. Der drängte: „Mensch, verschwinde! Das war Paul Hartwig, ein ehemaliger Greifer. Wenn se schwierige Fälle auf dem Präsidium haben, holen sie ihn 'ran, weil er der Deubel selber ist. . ." Mit einem wilden Fluch fuhr Fritz Kamecke hoch. Die Tür wurde aufgerissen. Ein Ruf erklang: „Hier Kriminalpolizei!" Da wankte Fritz Kamecke mit einem bitteren Lächeln nach der Tür und streckte den Eintretenden die Hände entgegen. Ein Lächeln aus -en Lippen. Zwar sagt der Dolksmund: „Nach Lachen kommt Wei nen", und darin liegt unter der Voraussetzung der Ent stehung dieses auf die Bibel zurückzuführenden Wortes auch heute noch unzweifelhaft viel Wahres. Unzeitgemäßes, wo möglich rohes Lachen ist natürlich vom Uebel. Jeder takt volle Mensch wird es gefühlsmäßig vermeiden und braucht sich doch nicht der Lebensweisheit zu verschließen, daß ein freundliches Lächeln, wozu man sich unter Umstän den sogar zwingen muß, nicht nur von vornherein eine gut«