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wäre, sie auf die Dauer von Santen zu trennen, zumal dieser selbst einer ehrenhaften Geünnung entbehrte. Schon lagen ihm freundlichere Worte auf der Zunge, er hatte sogar den Impuls, sein junges Weib in die Arme zu schließen, es von aller Schuld freizusprechen, da aber brach das Mißtrauen, das Möller in ihn gepflanzt hatte, und der Dämon der Eifersucht wieder hervor, alle milderen Regungen verscheuchend. „Willst du mich zu Möller hinüberbegleiten?" sagte er mit düsterer Miene. „Er wird mir den Sachverhalt genauer erzählen: auch Gustavs Bericht will ich hören/ (Fortsetzung folgt.) bin Geniestreick. Humoreske von Elisabeth Barick. (Nachdruck verboten.) Der berühmte belgische Maler Anton Wiertz, dessen Museum sich in Brüssel befindet, war fast ausschließlich Geschichtsmaler. Zu einem Porträt beguemte sein Pinsel sich nur, wenn die La me des Malers durch einen ganz besonderen Charakterkopf angeregt wurde. Maitre van Speeck, einer der reichsten Notare der Stadt, besaß einen solchen. Kahle, hohe, wulstig gerunzelte Stirn, schwer überhängende Augenbrauen, durchbohrende Augen, die darunter hervorblitzten, Adlernase, scharfer Mund mit dünnen Lippen, fahle, pergamentartige Wangen, spitzes Kinn, und das alles glatt, haarlos, knochig, auf einer weißen, hohen, steifen Krawatte — also präsentierte sich Speeck eines Tages vor Wiertz. „Ich möchte ein Bild von mir haben!" sagte er. „Hier ist die Adresse eines Porträtisten!" Der Blick des Malers, welcher den Besuch zerstreut empfangen, heftete sich jetzt auf sein Gegenüber. Dieser Kopf interessierte ihn: „Pardon, ich werde Sie selbst malen." „Wieviel kostet das?" „Zehntausend Franken." Speeck griff entrüstet nach Hut und Stock, denn er war ebenso geizig, wie er reich und eitel war. Der Maler lächelte: „Sie haben einen interessanten Kopf. — Wieviel glaubten Sie denn?" „Dreitausend höchstens." „Gut also, sagen wir dreitausend." Und man verabredete, wann die erste Sitzung sein sollte. Speeck ging. Wiertz hatte eine Idee. Diesen Typus muß er ohne Sitzung treffen. Er geht ohne Zögern ans Werk, und am nächsten Morgen schickt er mit einem Dienstmann dem Notar sein Porträt ins Haus. Welche Überraschung muß das dem guten Manne bereiten! Er sieht ihn bereits herbeigestürzt kommen, ihm zu danken und zum Gelingen dieses Geniestreiches zu gratulieren. Allein was geschieht? Der Dienstmann kommt eine Stunde später mit der Kiste wieder zurück. „Herr van Speeck hat die Kiste geöffnet, das Bild angesehen, sich wütend abgewendet und diesen Brief geschrieben", so be richtet er. In dem Briefe aber stand: „Mein Herr! — Wozu diese Farce? Ich sollte Sie unserer Verabredung gemäß am nächsten Sonnabend be suchen, um Ihnen zu sitzen. Es waren drei Sitzungen verabredet. Man kann kein ernsthaftes Porträt malen ohne derartige Sitzungen, ^ne handeln, als ob ich nicht wert wäre, ernsthaft behandelt zu werden. Sie belustigen sich auf meine Kosten. Sie senden mir bereits heute, heute! ein rasch zusammengemaltes Bild, welches mir in keiner Weise ähnlich sieht, und welches ich nicht annehmen kann. Wollen Sie dasselbe gütigst wieder zurückempfangen! M. van Speeck." Wiertz lachte laut auf. Wie es in so einem Gehirn aussehen mochte! Also sitze:: muß mau, das ist die Haupt sache, ohne dies kann ein Porträt unmöglich ähnlich werden! Diesem Manne gebührt eine Strafe. — Drei Tage später prangte das Bild im Schaufenster des ersten Kunsthändlers von Brüssel. Das Gesicht war treffend ähnlich geblieben und trotzdem auf das geistreichste karikiert. Der hellgraue Fond aber war eine Gefängnis mauer geworden, Stroh, ein Wasserkrug, eine Brotkruste lagen am Boden. Oben darüber stand: Im Gefängnis — Schulden halber: darunter in großen Zügen „Anlome Wiertz." Ganz Brüssel versammelte sich vor dem Schaufenster. „Maitre van Speeck — im Gefängnis! — Schulden halber!" Die Journale brachten lange Artikel. Es war ein Skandal. Am nächsten Morgen stand auch das Original am Fenster, wutschnaubend — und trat schließ lich bei dem Kunsthändler ein: „Wieviel kostet der Wiertz im Fenster?" knurrte er. „Der Maler hat das Bild nur zur Ausstellung ge geben. Kommt ein ernsthafter Käufer, will er den Preis selbst bestimmen." Eine Viertelstunde später war Speeck bei Wiertz. „Wieviel kostet das Bild im Schaufenster beim Kunst händler Melchior? Was?! Zehntausend Franken?! Zehntausend Franken! Herr, das ist eine infame " Speeck verschluckte das Wort Prellerei, es wäre eine Verbalinjurie gewesen: „Sehr wohl, ich werde Sie durch richterliches Erkenntnis zwingen, diese Karikatur meiner Person zu vernichten!" Wiertz zog mit großer Kaltblütigkeit einen Brief aus seinem Portefeuille und las mit scharfer Betonung: „Heute senden Sie mir ein Bild, welches mir in keiner Weise ähnlich sieht!" — „Haben Sie das geschrieben, Herr van Speeck? Erkennen Sie Ihre Handschrift an?" Der Notar war gefangen: „Also zehntausend Franken? Zehntausend Franken!" ächzte er. „Nun wohl, sie liegen bereit." Wiertz strich langsam die Asche von seiner Zigarre und sah den Notar mit einem langen, nachdenklichen Blicke an: „Halt, da kommt mir eine Idee!" rief er dann, wie zu einem Entschlusse kommend: „Eine Idee?" fragte Speeck ängstlich. Er hatte jetzt Furcht vor den Ideen des Malers: „Ganz recht. Das Werk soll einem wohltätigen Zwecke dienen. Ich werde es Ihnen nicht verkaufen. Ich werde eine Lotterie veranstalten. Zehntausend Billetts, das Billett zu fünf Franken, macht fünfzigtausend Franken. Fünfzigtausend Franken sollen den Fonds zu einer Wiertz stiftung an unserer Akademie bilden!" „Sie werden keine zehntausend Lose absetzen." — „O, ich werde das Bild in den L-traßen Brüssels eine Woche lang herumtragen lassen. Ick bin sicher, so meine Lose abzusetzen. Sollten es schließlich auch nur dreißig tausend Franken werden — das genügt immerhin schon." Speeck sprang auf. Er hatte die größte Lust, seinen Gegner tatsächlich anzufallen. Allein der Maler hatte so solide Muskeln und sah den Notar so fest an, daß dessen Kampflust verrauchte. Dreißigtausend Franken! Aber er, van Speeck, der resvektabelste aller Brüsseler Notare, sollte auf den Straßen Brüssels eine Woche lang umhergetragen werden, karikiert, „im Gefängnis — Schulden halber!" Unmöglich. „Hier ist ein Bon auf meine Kasse, Herr Wiertz", sagte er schließlich kläglich: „Fünfundzwanzigtaufend Franken!" fügte er fast bittend hinzu. „Unmöglich, dreißigtausend Franken!" Ein tiefer Seufzer des armen Reichen: „Gut denn, dreißigtausend, aber in meinem Leben trete ich nie —" „Wieder in Verbindung mit einen: Maler, der usw.", lachte Wiertz und geleitete den Notar hinaus. Am nächsten Morgen ließ er die zehntausend Franken an der Kasse des Notars erheben, zog dreißigtausend, den zuvor bedungenen Kaufpreis, ab und überwies den Rest einer wohltätigen Stiftung. Der ebenso geizige wie eitle Speeck konnte nun anstatt seines Bildes für dreitausend Franken in seinem Salon seine Karikatur für dreißig tausend aufhängen. Das tat er aber keineswegs, sondern er lief zu Melchior, dem Kunsthändler, trug das Bild höchst eigenhändig nach Hause, geriet dort in einen Wut anfall, zerstampfte es mit den Füßen, zerfetzte die Leine wand mit einem Dolchmesser und warf die einzelnen Stücke in den Kamin, wo sie sofort hell aufflammten, verkohlten und allmählich zu einem Häuflein Asche zu- sammenfielen, das grau und unschuldig dalag und keme Spur mehr, weder von einem Bllde, noch von einer Karikatur verriet.