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m. 95. Unterhaltungs-Beilage zum hohenstein-Enlstthaler Tageblatt Tlrntsblatt. Erscheint wöchentlich zrveinmal. — Druck und Verlag von I. Ruhr Nachfolger vr. Ulban Drisch, tzohenstein-Lrnstthal. Vas Glück von Velmenkorkt Roman von Marie Walter. (8. Fortsetzung.) So zog der Frühling ins Land, aber Gustav weilte noch immer dahsim: er war während des ganzen Winters kränklich gewesen, und deshalb sollte sein Fortgehen erst in der wärmeren Jahreszeit erfolgen. An Marga he tte er sich mit grober Liebe augeschlvssen, im Gegensatz zu Wally, die zwar keine offene Rebellion zeigte, aber auch kein Hehl daraus machte, welchen Groll sie gegen ihre Stief mutter empfand. Bald nach Neuiahr erkrankte Tante Regina an einer Lungenentzündung, der sie nach wenigen Tagen erlag. Das bedeutete einen groben Verlust für Marga, denn bei der guten alten Dame hatte sie stets Rat und Trost gefunden. Nun fühlte sie sich noch vereinsamter, zumal sie mit keiner ihrer Bekannten näher befreundet war. Um diese Zeit hielt sich Nora von Larsfeld in der Nähe von Schloß Delmenhorst bei einer verwitweten Schwester auf. Da sie den Freiherr» kannte, w stattete sie auch Marga einen Besuch ab. Die sichtliche Zurückhaltung der jungen Frau störte sie nicht im geringsten. Seit jener Begegnung mit Paul Santen, bei der dieser eine so große Demütigung erlitten hatte, hegte Nora ein gewisses Interesse für Marga, und durch ihr frisches, ungekünsteltes Wesen, ihr heiteres Temperament gelang es ihr schließlich, einen freundschaftlichen Verkehr mit der Herrin von Delmenhorst anzubahnen. Eines Nachmittags trat sie unangemeldet bei Marga ein. „Sie sehen recht blaß aus, meine Liebe", sagte sie, die schweren Falten ihres Reitkleides mit der Hand zusammen- raffend. „Gehen sicher zu wenig an die Luft. Würde das nicht erlauben, wenn ich Ihr Gatte wäre." „Egon ist über Land geritten", erwiderte Marga, „und die Kinder sind ansgegangen. Ich habe etwas Kopsweh — da bin ich ganz froh, mich ausrnhen zu können." „Kopfweh?" wiederholte Nora. „Gkaub'L gern. Wally wird schon dafür sorgen. Ein rechter Tollkopf! Keune sie von früher her." „O, sie kann auch sehr lieb sein", verteidigte Marga ihre Stieftochter. „Hübsch ist sie jedenfalls", entgegnete Nora in bedeut« samen Ton. „Und nun sie lange Kleider trägt und sich zu putzen liebt, wird sie bald gering Bewunderer finden." „Das ist wohl etwas Natürliches", fiel Marga arglos ein. „Allerdings", gab Nora zu, „nur — ja, wie soll ich'S Ihnen sagen?" unterbrach sie sich in momentaner Ver legenheit. „Es ist mir eigentlich peinlich, aber aus Teil nahme für die Kleine kann ich nicht schweigen. Vielleicht sollte ich es lieber Ihrem Manne mitteilen?" „Ist etwas nicht in Nichtigkeit mit Wally?" fragte Marga, ein unbehagliches Gefühl nied-erkämpfend. Skora xuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht, nur so viel kann sagen, daß die Leute bald dariiber reden werden. Apropos — ist Wally verlobt?" .Verlobt? Das Kind? Wie kommen. Sie daraus?" (Nachdruck verboten.) „Sie nennen Wally noch ein Kind?" — lachte Nora unwillkürlich. „Mich dünkt, das wäre schon ein recht großes. Wie alt ist das Fräulein? Ich glaube, siebzehn Jahre. Na, wenn sie also nicht verlobt ist, dann müßte jemand auf sie aufpassen, denn selber kann sie's anscheinend nicht." Marga wechselte die Farbe. „Meinen Sie damit", fragte sie gekränkt, „daß ich nicht genügend über sie wache?" „DaS meine ich durchaus nicht", entgegnete Nora. „Jedermann weiß, welch' eine musterhafte Stiefmutter Sie sind. Aber — kennen Sie die kleine Ortschaft Lesum hinter dem Tannenwäldchen?" „O ja — auf meinen Spaziergängen besuche ich manch mal eine arme Frau und deren gelähmte Tochter." „Und zuweilen geht auch Wally hin, Ihren Schütz lingen etwas zu bringen, nicht?" siel Nora ein. „Nun, an Ihrer Stelle würde ich sie nicht wieder allein hin schicken. So — jetzt habe ich Ihnen einen Wink gegeben, wenn ich's auch nicht gerne tat." „O bitte, erklären Sie sich deutlicher!" drängte Marga, in deren Zügen sich eine starke Beunruhigung malte. „ES ist wirklich nicht recht, nur eine versteckte Anspielung zu machen." „Eigentlich hätte ich gar nichts sagen sollen", er widerte Nora ausweichend. „Stur mein Interesse für Wally, die ich seit ihrer Kindheit kenne, veranlaßte mich, Sie zu warnen. Sie hätten die Wahrheit doch bald — und vielleicht in unangenehmerer Weise — erfahren." „Welche Wahrheit?" fragte Marga bestürzt. „Bitte, sagen Sie mir, was Sie wissen." „Nein, nein!" wehrte Nora ab, „ich darf nicht zu viel verraten. Wenn Wally einen Bewunderer hat, so ist da nach kein Grund für Sie, sich darüber aufzuregen. Nur wäre es meiner Ansicht nach besser, er träfe sie zu an gemessenen Zeiten und am richtigen Ort, anstatt in der Dämmerstunde auf abgelegenen Waldwegen. Ich hab« Ihnen den Ort genannt — Lesum —, und das ist mehr, als ich zu tun beabsichtigte." „Wissen Sie auch, wer dem Mädchen so nachstellt?" fragte Marga in erregtem Ton. „Es ist ein alter Bekannter von mir", lautete die Ant wort. „Eigentlich ein alter Freund, obgleich er sich in der letzten Zeit nicht als solcher benommen hat. Aus diesem Grunde darf ich nichts weiter verraten, auch nicht seinen Namen. Forschen Sie selbst nach, nieine Liebel Nun ich Ihnen einen Wink gegeben habe, werden Sie das übrig« schon ausfindig machen können. Ich wiederhole Ihnen aber nochmals — Sie haben keine Ursache, sich auf zuregen, Wally ist ja etwas störrisch und unlenksam, hat jedoch keine Untugenden, wie wir von unseren Pferden sagen. Also adieu! und vergessen Sie Lesum nicht!" Damit verabschiedete si§ sich hastig, nicht ahnend, wie rasch sich Marga, der sie eigentlich wenig Willenskraft zu- traute, aufraffen würde, um sich mit eigenen Augen von