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03-Drittes-Blatt Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 09.11.1913
- Titel
- 03-Drittes-Blatt
- Erscheinungsdatum
- 1913-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-19131109039
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-1913110903
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-1913110903
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-11
- Tag 1913-11-09
-
Monat
1913-11
-
Jahr
1913
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zu feiern, den Natinnalgesang „Deutschland Uder allss" anzustimmen usw." Rühmend heben die französischen Gäste die musterhafte Ordnung hervor, mit der das Turnfest vorbereitet und geleitet wurde. Ent gegen den. vielfachen Angriffen aus die Turner in der deutschen Presse erklären die Franzosen: „Wir haben nicht einen einzigen. Turner gesehen, wisderholen wir es, der zuviel getrunken hatte. Bemerkt sei außerdem, daß kein Schnaps gebracht wurde." Beziehentlich der Wettkämpfer meint Dr. Lachaud, daß bei einem Vergleich zwischen Tur nern und Gymnasien (d. h. französischen Tur nern) die Ueberlegenheit den ersteren zukommt, die im allgemeinen besser vorbereitet und kräf tiger sind — vielleicht weniger Virtuosen (d. h. Gipfelturner); aber die sind nicht notwendig — das Niveau ist besser, weil die Körperübung seit fast einem Jahrhundert obligatorisch ist. Interessant ist auch eine Bemerkung über die Turnerinnen: „Es ist gut, hier hin- -uzufügen, daß sie anders als unsere sungen Mädchen beschaffen und anders bekleidet sind, physiologisch gesprochen. Das Korsett fehlt ih nen; aber wenigstens sichert ihre normale Ent wicklung einen besseren Nachwuchs; sie haben glücklicherweise nicht die Koketterie der schlanken Figur, die bei uns so bedauerlich wütet." MchsMes Hohenstein-Ernstthal, 8. November 1913. — Das R e ch t, f r e IN d e Kinder zu züchtigen, kann als ein Ausfluß des öffentlichen Rechtes angesehen werden. Ein Mann hatte einem sieben Jahre alten Jungen, der seinen gleichaltrigen Sohn mißhandelt hatte, auf frischer Tat mit einer Wäscheleine zwei Schläge gegeben, die einen Striemen hin- tsrließen. Der Mann wurde in allen drei In stanzen freigesprochen. Das Oberlan- desgericht in Jena betonte dazu, daß der An geklagte im Rechte war, als die Ungezogenheit des ersten Knaben ihre Siihne auf frischer Tat erhielt. Die Züchtigung sei mich keine unzuläs sige gewesen bezüglich des gebrauchten Werk zeuges. Gewiß hätten die Eltern gemeinhin selbst das Züchtigungsrecht ihrer Kinder. Das ausschließliche Recht der Eltern auf Züchtigung müsse aber zurücktreten gegen das Recht der All gemeinheit auf Zucht und Ordnung, auch ihr entgegenstehender Wille verdiene da keine Be achtung. — Ehemnih, 7. Nov. Eine hiesige Fami lie, deren Sohn in London weilt, erhielt dieser Tage ein Telegramm folgenden Wortlautes aus der Themsestadt: „Unabsichtlich Schlägerei ge raten, sende mir sofort telegraphisch 600 Mark Kaution für Haftentlassung nach Peterborough 60 Bridge Street. Brief erklärt. Herbert." Da aber die betreffende Familie mit ihrem Sohne für derartige Fälle ein bestimmtes Kennwort verabredet hatte, das natürlich der Schwindler nicht kannte, schöpfte man Verdacht und erkun digte sich telegraphisch bei einem Londoner Freunde des Sohnes und erhielt umgehend den Bescheid, daß nichts ähnliches vorgefallen sei. Auf diese Weise gelang es, einen ziemlich raffi niert angestellten Betrug, wie er in ähnlicher Forni ja schon öfter vorgekommen ist, zu ver hüten. — Zwickau, 7. Nov. Ein frecher Raub anfall ist an einer in der Märienstrabe hier wohnhaften älteren Frau begangen worden. Im Laufe de>s Tages hatten sichbei der Frau, deren Mann in Amerika lebt, zwei Individuen, ein Gelegenheitsarbeiter und ein Eifendreher, die erst vor kurzem aus der Strafanstalt entlassen worden waren, eingeinietet. Gestern vormittag haben die beiden Kerle die kränkliche Frau in ihrer Wohnung überfallen, ihr einen Knebel mit solcher Gewalt in den Mund gestoßen, daß sie eine Anzahl Zähne verlor und verschluckte, dann ans Bett gefesselt und ihr das Geständ nis abgepreßt, wo sie ihr Geld verborgen hatte. Sie Hawn darauf aus der Kom-mode 65 Mark geraubt, die die Frau erst kürzlich von ihrem Manne geschickt erhallen hatte, und mit der Beute die Flucht ergriffen. Durch schwache Hilferufe der armen Frau wurde man aü'inerk sam und holte die Polizei, die daun die Woh nung öffnete. Die Verbrecher sotten sich nach Chemnitz oder Dresden gewandt haben. — Zwickau, 6. Nov. Die Stadtverord neten bewilligten zur weiteren inneren Einrich tung des im Bau begriffenen König Albert- Museums und zur Ausgleichung mehrerer Ueber- schreitungen des Voranschlages die Summe von 70 000 Mark. 650 000 Mark sind für den Museumsbau bereits bewilligt worden. Im April nächsten Jahres wird die feierliche Ein weihung stattfindeu. — Plauen, 7. Nov. Es ist als sicher feststehend, daß ein Teil der dem Kaiser für militärische Zwecke vermachten Knautschen Erb schäft zur Errichtung eines Flugstützpunktes in Plauen Verwendung finden wird. — Plauen i. V., 6. Nov. Die „berühm ten" Wackei- und Schiebetänze sind hier noch nicht verboten, doch wachen die Aufsichtsbehör den scharf dariiber, daß durch Tanzproduktionen dieser Art kein öffentliches Aergernis ensteht. Ein hiesiger Zeichner hatte sich in einem Tanz saal mit seiner Partnerin beim Schiebetanz so anstößig aufgeführt, daß ein Kriminalbeamter s Anzeige erstattete. Daraufhin wurde der unge- izogene Tänzer vom Schöffengericht zu 10 Mark — Leisnig, 7. Nov. Ein recht bedauer licher Unglücksfall hat sich iin benachbarten Sit ten zugetragen. Daselbst hatte sich die 6jäh- rige Tochter des Arbeiters H. während der Ab wesenheit ihrer Eltern am Ofenfeuer zu schaffen gemacht, wobei ihr Hemd Feuer fing. Das Kind rannte in seiner Angst mH die Straße, wo ihm von hilfsbereiten Leuten das brennende Hemd vom Leibe gerissen wurde. Leider waren aber die Verletzungen schon so schwer, daß das bedauernswerte Kind bald starb. — Dresden, 6. Noo. Eine neue Attrak tion ist für den Dresdner Flugplatz gewonnen worden. Am Sonntag, den 16. November, tvird der Fallschirm-Flieger Thomick aus Dres- lau mit seinem in 45 Abstürzen erprobten Fall schirm vom Luftschiff „Sachsen" abspringen und dieses Manöver wiederholen. Einer solchen Vor führung wohnt ein wissenschaftlicher Wert inne. Denn Ivie Pegoud werden wahrscheinlich auch andere Flieger in Zukunft nur noch mit an geschnalltem Fallschirm aufsteigen, was den Fliegern ein nicht zu unterschätzendes Gefühl der Sicherheit verleiht. Jedenfalls darf man der Leitung der städtischen Flugplatzverwaltung einen regen Eifer und das Bestreben nachrüh- meu, dem hiesigen Flugplatz eine führende Stelle zu sichern. — Dresden, 7. Nov. Die Stadtveyoüd- neteu verwiesen den sozialdemokratischen Antrag auf Aenderung des geltenden Stadtverordneten- WahlrechtS an den Rechtsausschuß und nahmen die Lubmissionsvoclage endgültig an. In der Debatte kam es zu heftigen Auseinandersetzun gen zwischen den bürgerlichen und den sozial- demokratüchen Stadtverordneten — Die Ein wohnerzahl der Stadt Dresden mit Albertstadt betrug am 1. Oktober d. I. 561 600. — Eine Kurssteigerung um 300 Prozent erfuhren an der gestrigen Börse die Aktien der Dresdner Felsen'keller-B'wuerei. Der Kurs stellte fick auf 1100,25 Prozent Geld, gegenüber der letzten Notiz von 800 Geld. Zittau, 7. Nov. Die Gemeindevertre tuiigen von Hirichfelde und Scharre beschlossen einstimmig die Vereinigung der beiden Gemein- Aeurltes mm Lage. * Unaufgeklärte Vergiftung. Wie aus Koburg gemeldet, waren vier Schwe stern des Landwirts Fölker, die bei ihm zu Besuch weilten, an Vergiftungserscheinungen er krankt. Drei Frauen find bereits gestorben. Jetzt sind auch der Landwirt Georg Bürger und dessen Bruder, sowie auch der Wibtschaftsgehilfe Kahlfelder anscheinend an Gist gestorben. Eine im Landtrankenhause befindliche Schwester ist ebenfalls lebensgefährlich eükvanlt. Die Ursache der Erkrankungen ist noch nicht festgestellt. * Fe per auf einem Petroleum dampfer. Aus Kalkütta schreibt nian unterm 6. November: In Tutikori brach auf dem Petroleumdanipser „Twingwona" Feuer aus. Da man gerade mit dem Ausladen des Schif fes beschäftigt war, befanden sich außer der Be satzung noch eine große Anzahl Kulis an Bord. Bei Ausbruch des Feuers stürzte sich alles in. die Rettungsboote. Das erste Boot schlug um und die Insassen stürzten ins Wasser, das in folge des ausströmenden Petroleums brannte. Die Frau des Kapitäns un.d ihr 12 Monate altes Kind, die sich unter den Insassen befan den, konnten gerettet werden, nicht aber die 3 Jahre alte Tochter des Kapitäns, die sich auch in dem Boote befand. Die genaue Zahl der Verwundeten ist noch nicht bekannt, man nimmt aber an, daß die Zahl mindestens 20 beträgt. Das Feuer entstand aus einem Leichter, wo ein Pet.oleumleiluiigsrohr explodierte und übertrug sich aus den Dampfer. * Gegen E n e r g o s. Die Münchner Polizeidirektion ha: gegen die Firma Energos u. Co. in München, früher in Dresden, dm Lieferantin elektrischer Massage-Apparate, um fangreiche Erhebungen wegen Verdachts des Be trugs eingeleitct. Der Betrug wird u. a. in «dem Versprechen der Wiederherstellung vollen gesun den Haares in seiner früheren Naturfarbe er blickt; von ärztlicher Seite wird dies als un möglich bczäichnet. Die Akten wurden bereits an die Staatsanwaltschaft, abgegeben. Auch wurde in den Geschäftsräumen eine behördliche Durchsuchung vorgenommen, bei der eine Menge Schriften beschlagnahmt wurden. * Eine neue türkische Sieges marke. Zur Erinnerung an die Wiedergewin nung Adrianopcls hat die türkische Regierung eine neue Serie von Briefmarken herausgegeben. Die Marken zeigen die Ansicht der Selimmoschee in Adrianopel Sie wird in drei Werten, zu 10, 20 und 40 Para, in grüner, roter und blauer Farbe hergestellt. * Die österreichische Bahn auf die Zugspitze. Die Innsbrucker Statthal- rerschast har für das Projekt einer schmalspurigen Zahnradbahn mit elektrischem Betrieb von Ehr wald entweder nach dem Ehrwalder Köppen oder zur Luttcrgrube, die die erste Teilstrecke, der auf österreichischem Gebiete projektierten Bahn von Ehrwald auf die Zugspitze darstellt, die Trassen reviskon anbcraumt. * Einem rätselhaften Ver brechen ist nian in Villevup hei Deutsch-Oth auf die Spur gekommen. Als der Arbeiter MM WS MM. Roman von H. C o u r t h s - M a h l e r. 13 (Nachdruck verboten. „Hast Du Theodora und Alexander schon begrüßt?" sragie der Fürst seinen Sohn. „Ja, ehe ich zu Dir kam. Theodora war wie immer recht langweilig und still und Alexan der schien schlechter Laune zu sein. Dies Ehe paar sieht man leider nie vergnügt. Ich gehe jetzt zu Tante Sibylle, um ihr guten Morgen zu sagen und mich an ihrem heiteren Gesicht zu er freuen." „Und nebenbei läßt Du Dich von ihr noch ein wenig in Deinen demokratischen Ideen be stärken", sagte der Fürst lächelnd. „Ach, Papa — Tante Sibylle zuliebe ginge ich in ein Kloster — sie ist eine charmante, ent zückende Dame." „Ja, ja — ich weiß schon. Wenn sie nicht weißes Haar hätte, würde sie Dir, wie fast al len Männern, den Kopf verdrehen." Prinz Joachim lachte fröhlich aus. „Das kann eine Prinzessin Sibylle auch noch mit weißem Haar. Du findest sie ja auch im Grunde Deines Herzens unwiderstehlich." Serenissimus lachte. Es war ein schwaches, dünnes Lachen — ein Lachen, das man sehr selten hörte und das den Klang verloren hatte. Aber er lachte doch. Und darüber war Prinz Joachim sehr ersreut. Ja — Tante Sibylle? Schon ihr Name ge nügte, um alle frühen Lebensgeister zu wecken. Sehr herzlich verabschiedete Fürst Egon sei nen zweitjüngsten Sohn. * Wenige Minuten später schritt Prinz Jo achim mitten durch das Getümmel des Wochen marktes. Mit lachendem Gesicht sprang er zur Seite, als er in Gefahr kam, mit einem riefigen Gemüsekorb zu kollidieren. Wo er vorüb'erkam, stockte das Geschäft. Aller Augen sahen ihm mit lä , chelndem Wohlgefallen nach. Prinz Joachim konnte wohl in seiner schlan ken, jugendkräftigen Männlichkeit noch verwöhn teren Augen gefallen, als denen der guten Schwar- zenfelserinnen. „Prinz Joachim kommt über den Markt?" Diese Kunde pflanzte sich mit Windeseile von Stand zu Stand fort, und für die Dauer der nächsten Minute stockte jeder Handel. Es gab nichts Wichtigeres zu tun, als den jungen Prinzen anzufehen. war es gewöhnt und sah den Leuten lachend in die Augen. Manchem rief er einen I frohen Gruß zu — es waren ihm ja alles be kannte Gesichter, und wenn er sich auf der Straße sehen ließ, gab es kein ehrfurchtsvolles Schwei gen, sondern frohe Zurufe und vergnügtes La chen. Ebenso vergnügt strahlten die Gesichter der Schwarzenfelscr, wenn Prinzeß Sibylle auf der Straße zu sehen war. Diese und Prinz Joachim waren die Lieblinge der Schwarzenfelser. Prin zeß Sibylle, die Prinz Joachim jetzt aufsuchte, war die Witwe des verstorbenen Bruders des Fürsten Egon. Von Geburt Wienerin — sie ent stammte einem österreichischen Fürstengefchlecht — hatte es die lebensfrische, gemütvolle Frau verstanden, in dem kleinen deutschen Fürstentum aller Herzen zu gewinnen. So lange Fürst Egons Gemahlin lebte, teilte sie sich mit dieser in die große Volkstümlichkeit. Sie und Fürstin Marie waren unzertrennliche Freundinnen gewesen. Die beiden Schwägerin nen hatten sich sehr gut verstanden. Gemeinsam gaben sie den Ton an am fürstlichen Hose, und >vo sie sich zeigten, wurde es amüsant und le bendig. Nach dem frühen Tode der Fürstin, die man allseitig herzlich betrauert hatte, ging von Prin zeß Sibylle allein alle Anregung, alles geistige Leben aus. Ihr Frohsinn, ihre Lebenssrische und Klugheit waren wie ein Quell, der im mer neues Leben spendet. Das blieb auch so, als später der Erbprinz sich mit der Prinzessin Theodora vermählte. Diese war zu passiv und zu indolent, um die Führung zu übernehmen. Eine Prinzessin Theodora konnte nie eine Prin zessin Sibylle entthronen oder ersetzen. Sie wollte es auch gar nicht und beugte sich mit allen an deren willig unter das beglückende Zepter der geistvollen, liebenswürdigen Frau. Wohl kriti sierten einige eingefleischte Höflinge nach wie vor heimlich ihre „demokratischen" Ansichten so gut wie die des Prinzen Joachim. Aber zuletzt beugten sich auch die unaus- stclMchsten Nörgler dem Zauber, den diese noch als angehende Greisin entzückende Frau aus- stvahlte. Man ließ sich willig von ihrer sprühen den Laune fortreißen, wenn sie eine neue „Hetz", ein neues „Gaudi" in Szene setzte. Ihre Stärke war die frosheste Lebensbejahung. Und trotz schwieriger Finanzverhältnisse setzte sie immer alles durch. Wenn Fürst Egon zuweilen, voll der Sor gen, ein wenig bremsen wollte und versuchte, seiner Schwägerin etwas zu versagen, dann strahl ten ihre dunklen Augen, in denen ein so war mer Humor lebte; übermütig und in ihrem noch immer wienerisch anklingenden Dialekt sagte sie gemütlich: „Geh, Durchlaucht — seit nil fad — grab Du brauchst ein wenig Sonnenschein. Wir rosten ja alle miteinander ein in unserem verschlafenen Residenzchen, wenn wir nit a bisserl fesch sind. Pack Dein Sorgenbündel nur ein Weilchen zu sammen, es stiehlt Dir keiner was davon. Morgen packst es wieder fein sorglich aus. Undi kosten soll Dich das Gaudi nit einen Heller — ich zahl's halt. Also geh — laß mir das Planier und gönn es Dir und den andern auch." Da gab der Fürst jeden Widerspruch auf und unterwarf sich ihrem Zauber. Sie besaß viel Temperament, Prinzeß Si bylle. Ihr sprühender Geist, das rassige Blut und ihre Begeisterung für alles Gute und Schöne rissen sie zuweilen fort — über das Ziel hinaus. Die engen Schranken, die den fürstlichen Hof ein- kreisten, lockten sie manchmal, sic zu durchbrechen. Das geschah aber dann immer mit so viel un widerstehlicher Liebenswürdigkeit, daß ihr nie mand zürnen konnte. Schön war sie nie gewesen, aber über ihrem Gesicht lag der Abglanz großer Seelengüte, eines freien, großen Geistes und anmutiger Schel merei. So erschien sie immer reizend. Das Alter vermochte diesem Gesicht nichts von seinem Zauber zu neymen. Sie war noch heute mit weißem Haar eine herzgewinnende Erscheinung und entzückte, wo sie sich sehen ließ. Mit großer Vorliebe arrangierte Sibylle bei den Hoffestlichkeiten Theatervorstellungen, lebende Bilder und allerlei Maskeraden und Mummen schanz. Immer war sie von einer Lebhaftigkeit und Unermüdlichkeit, die bei ihrem Alter be wunderungswürdig war. Dabei stellte sie nicht etwa große Ansprüche an die Geldbeutel der Mitwirkenden. Sie hatte ein außerordentliches Geschick, aus Nichts etwas zu machen und wußte jedem einen praktischen Wink zu geben. Alles, was jung und begeisterungsfähig war, schwärmie für sie, denn unter ihrer Führung schien das Leben doppelt schön. Sie bewohnte noch heute, wie bei Lebzeiten ihres Gatten, das sogenannte Prinzenpalais. Das war ein schlichtes und schmuckloses Gebäude, mit einer graugestrichenen, nückfternen Fassade. Es bestand aus zwei Stockwerken. Seinem stolzen Namen entsprachen höchstens die ziemlich hohen und breiten Fenster und der hinter dem Hause liegende parkähnliche Garten, in dem die Prin zessin herrliche Gartenfeste zu arrangieren pflegte, die immer das Entzücken der Schwarzenfelser Gesellschaft, bildeten. Dieses Haus hatte Prinzeß Sibylle bezo gen, da sie mit ihrem Gemahl in Schwarzenfels ihren Einzug hielt als junge Frau. Sie war glücklich darinnen gewesen an der Seite ihres Gemahls, mit dem sie einen reinen Herzens- bund geschlossen hatte. Daß dieser Ehe kein Kin dersegen beschielten war, hatte zuweilen in den srohen dunklen Frauenaugen einen Schatten auf steigen lassen, aber sie hatte sich bezwungen. „Alles muß der Mensch nit haben, sonst wird er halt zu übermütig. Es soll nit sein — also schicke ich mich drein." Damit sand sie sich ab Und als die Für stin Maria starb, wurde sie deren Kindern eine treusorgende Mutter. Ihr ausgesprochener Liebling war Prinz Joachim, dessen Wesen dem ihren entschieden ver wandt war. Des Erbprinzen stille, verschlossene Art war ihr unverständlich. Sie bedauerte ihn darum, als sei cs eine Art Krankheit. „Er kann halt nit aus sich herausgehen — so ein armes Hascherl", sagte sie ost bekümmert. Aber trotzdem hing sie auch an ihm mit ihrem reichen Herzen, das so viel Liebe zu verschenken hatte, zumal seit dem Tode ihres Gemahls. Nun lebte sie schon seit zehn Jahren als Witwe im Prinzenpalais, und sie hatte diesem Hause, das in einer schmalen, stillen Neben straße am Markt lag, den Stempel ihrer Per sönlichkeit aufgedrückt. Da war alles hell, fon- nig und behaglich. An allen Fenstern blühte ein reicher Blumenflor und verschönte Die nüchterne, graue Fassade. Die nach dem Garten hinaus liegende Terrasse verschwand fast unter der Fülle blühender Blumen. Für ihre eigene Person war Prinzeß Si bylle schlicht und anspruchslos. Sie sparte, wo sie konnte, von den Zinsen ihres Vermögens, um ihren beiden Neffen zuweilen den Ueberschuß zu- kommen zu lassen oder ihnen einige heitere Feste zu schaffen. Wenn Prinz Joachim in heimlichen Nöten war, dann ging er zu Tante Sibylle — und die half — ohne Moralpauke. Sie zwinkerte nur mit den Augen und sagte mehr zärtlich als strafend: „Hast wieder ein Loch in der Börse gehabt, Du llnband?" Zu ihrem Hofstaat gehörten nur wenige Personen, die ihr alle treu ergeben waren und für sie durchs Feuer gegangen wären. Ihre ein zige Hofdame war alt und gebrechlich, die Gicht hatte ihre Hände krumm gezogen, und sie brauchte viel mehr Hilfe und Bedienung, als die Prin zessin selbst. Diese gab sich in ihrer Herzens güte den Anschein, als könne sie ohne das Fräu lein von Sassenheim gar nicht fertig werden. Dabei aß die arme Sassenheim tatsächlich nur das Gnadenbrot. (Fortsetzung folgt.)
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