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längster, sondern zu seinem Leidwesen auch als Kleinster der Klasse fungierte. Trotzdem waren die beiden ganz gute Freunde. Dies kam erstens daher, daß sie in derselben Pension lebten, wo sie sogar ein Zimmer teilten und daher eine Freund schaft etwas sehr Bequemes, ja fast selbstverständliches war. Dann aber hatten sie auch einen in so vielen Dingen übereinstimmenden Geschmack — von der bevorzugten Zigarettensorie, die sie sich leisteten, bis zu den Dramen, Possen und Spezialitäten, durch welche sie sich ins Theater locken ließen. Eines Tages sagte Fritz Schmidt kleinlaut zu Karl Hunnnelsurr: „Du, weißt du, — mein Geld ist alle!" „Ich habe auch mir noch eine Mark", brummle der „lange Karl", wie er unter seinen Kameraden genannt wurde. „Ich habe diesmal nicht gut gewirtschaftet." „Und es sind noch vierzehn Tage bis zu den Ferien!" seufzte Fritz. „Meinst du, daß uns einer von den anderen was pumpsn kann?" „Vierzehn Tage vor den Ferien? — Du hast wohl 'nen Spleen!" „Ja, aber man kann doch nicht vierzehn Lage lang ohne Geld sein! — Wo jetzt alle Tage Eisbahn ist mit Militärkonzert und Glühwein!" „Und all den Tanzstundenmädels!" seufzte der lange Karl hinzu, der ein entzündliches Herz belaß. „Und unsere Kneipabende „Ja, die haben eben so viel gekostet von wegen des studentischen Komments." „Ja, aber fein ist's doch!" — Besonders, weil's die Pauker nicht haben wollen, ist's schon geradezu Ehren sache, mitzumachen." „Nicht mal Apfelkuchen mit Schlagsahne kann man sich mehr leisten!" knurrte Karl. „Und Zigaretten erst gar nicht — Und wenn man die anderen trifft, soll man sich um die Ecke drücken und sich die Backe halten und schwindeln, man hätte so fürchterliche Zahnschmerzen! — Das sind ja nette Aussichten — du, das geht doch einfach gar nicht!" „Ja, aber was kann man tun?" „Von Muttern ist nichts ranszuschlagen —" „Von nieinem Alten schon gar nicht!" „Mit Aufrichtigkeit und Tugend geht's wenigstens nicht, — aber —" „Aber was?" „Weißte, Karl, — 'n bißchen schwindeln ist ja weiter keine Sünde. — Durchs Leben kommt man so wie so nicht da ohne. — Da ist's doch eigentlich gleich, ob man bei dieser Gelegenheit damit anfängt oder später." „Tugendhelden sind überhaupt immer unausstehlich", bestätigte Karl. „Ich hab's, Karl!" rief Fritz aus. „Ich schreibe einfach nach Hause, meine Sachen wären kavut — na, es müssen schon die allernotwendigsten Sachen sein, wenn's bei Muttern verfangen soll — sagen wir also die Hosen." „Ausgezeichnet, Jritzchen!" „Du kannst es ja ebenso machen." „Nee, höre mal, ich könnte da eklig mit reinfallen. Mein blauer Anzug ist ja noch nagelneu! — Und wenn's rauskäme, ginge mir's heillos an den Kragen." „Denkst du, nur nicht? Meine Mutter nimmt's mit drei Vätern auf. — Aber frisch gewagt, ist halb ge wonnen. — Ich tu's!" „Ja, ja — du hast ja auch nicht so viele Anzüge wie ich. Tu du's nur, und dann pumpst du mir etwas." „Na, wollen sehen, was sich machen läßt!" Am nächsten Tage erhielt Frau Schmidt zu ihrer wenig freudigen Überraschung einen Brief ihres Fritz, worin dieser ihr di« schrecklichsten Dinge vvAoL, die mit der- unteren Teilen seiner verschiedenen Anzüge geschehen seien, und de- und wehmütig um sofortige Zusendung von 20 Mark flehte, woniit er die schleunigst und der Not ge horchend, nicht dem eigenen Triebe, beim Schneider be stellten Hosen bezahlen und sich so aus einem jammer vollen Zustand befreien könne. Frau Schmidt schüttelte zwar den Kopf darüber, daß die guten, festen Tuchhosen ihres Fritz hatten wie Zunder auseinanderfallen können, indessen mußte sie wohl oder übel seinen zwingenden Gründen nachgeben in Anbetracht dessen, daß die Zeit der Sansculotten längst vorüber war. Sie ging also un verweilt selbst zur Post und sandte die zwanzig Mark ab. — Fritz war hochbeglückt über den Erfolg seiner List, und der lange Karl war es gleichfalls. „Famos!" sagte er, „nun pumpe mir man gleich die Hälfte davon!" „So, edler Jüngling, meinst du? — Na, ich will kein Stein sein, aber nur unter einer Bedingung", sagte Fritz, der plötzlich nachdenklich geworden war. „Die wäre?" „Daß du mir auf acht Tage deine neuen Buxen mit- gibst — denn meine Mutter will doch neue Hosen sehen, und dann zeige ich ihr die." „Du, das geht nicht!" „Ei, geht nicht? Na, dann muß ich eben für das Geld ein Paar kaufen; dann geht's auch nicht, daß ich es mit dir verjubele." „Sie sind dir ja viel zu groß!" „Das ist für dich die beste Garantie, daß ich sie nicht trage." „Aber wenn ich sie nun brauche —" „Die ersten Tage wird's schon gehen. Du sagst, sie wären versehentlich in meinen Koffer gekommen, und ich schicke sie dir ja auch sofort. — Na, willst du oder nicht?" Karl schwankte. Er sah zum Fenster hinaus. Eben versckuvaudeu ein paar Kameraden in der gegenüber- ! liegenden Konditorei. Der Umstand siegte, und mit i schwerem Herzen sagte er: „Na, wenn's absolut nicht ' anders geht, dann meinetwegen!" „Nun zeig' auch mal die neuen Hosen, Fritz!" spraa, Frau Schmidt am zweiten Feiertag. „Ich begreife zwar nicht, wieso du sie so nötig hattest, denn mir scheinen die zwei andern noch völlig gut zu sein. Es konnte doch höchstens eine Naht aufgetrennt gewesen sein." Karls Blaue waren von gutem Stoffe und fanden Frau Schmidts Beifall. Unglücklicherweise aber kam sie auf die Idee, sie durchaus auch an Fritzens Beinen be wundern zu wollen, und obgleich Fritz sich wand wie ein Aal, gab es kein Entschlüpfen. Er mußte wohl oder übel in die unendlichen Beinfutterale des langen Karl hineinsteigen. „Aber Junge!" rief die staunende Mutter aus, „wie konntest du dir nur so lange Hosen kaufen! Der Schneider und du, ihr müßt ja zwei richtige Esel gewesen sein. — Du kannst sie- doch gar nicht tragen. Man möchte dich immer herausziehen, damit du nicht darin ertrinkst!" „Der Schneider hatte gerade keine andern da, und es niußte so schnell geheck — und sie sind auch jetzt sehr lang modern", log Fritz. „Das muß allerdings eine sehr neue Mode sein, ! Schleppen au den Hosenbeinen zu tragen!" bemerkte die Mutter spöttisch. „Ich dachte auch, weil du ja immer alles sirr mich auf Zuwachs kaufst", wendete Fritz kleinlaut ein. „Na, dann gib dir aber Ätühe, hineinzuwachsen, ehe sie kurz und klein sind. — Nein, Fritz — für sehr dumm j habe ich dich ja eigentlich schon immer gehalten — aber daß du so dumm wärest, das hätte ich doch nicht ge glaubt!" Niedergeschmettert schlich Fritz hinaus. — Aber sein Leichtsinn half ihm bald über die peinliche Empfindung hinweg, und er war schließlich froh, die Sache überhaupt überstanden zu haben. Er dachte mm überhaupt gar nicht mehr an die fatalen Unaussprechlichen, bis plötzlich ein Brief von Karl Hummelsurr eintraf, worin dieser ihre umgehende Zusendung erbat, da er bei einer unvorher gesehenen Familienfeier seinen guten Anzug tragen müsse. Fritz ging an den Schrank, um sie herauszunehmen, aber sie waren nicht zu finden. Mit ärgerlicher Hast smhb! und kranite er zwischen seinen Sachen herum, al« eben seine Mutter ins Zimmer trat, und zwar mit den vermißten Hosen in der Hand. Böser Ahnung voll schaute Fritz auf die unschuldig dreiublickenden Blauen. Seine Mutter aber sagte vergnügt: „L>o, jetzt werden sie kurz genug sein! — Sieh her, — dies ganze Stück habe ich abgeschnitten!"