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blauen Augen!* lachte Wally übermütig. »Sie werden mich sicher nicht schelten.* .Ich hoffe, daß es nie nötig sein wird", entgegnete Marga, indem sie ihrem neuen Zögling liebreich in die sonnigbraunen Augen sah. »Ich werde dich auch sehr gern haben, wenn du alles tust, was ich dir sage." „O, das verspreche ich Ihnen*, lautete die eifrige Antwort. „Papa hat mir heute früh schon eine ganz ge waltige Predigt gehalten, ich solle Ihnen gehorchen und danach streben, Ihnen ähnlich zu werden. Wenn ich das nicht täte, würde er mich in die strengste Schule schicken, die er finden könne. Ja, das sagte er. Es tat ihm auch leid, daß er Sie nicht begrüßen konnte, aber er mußte schon zeitig in Geschäften nach Hannover fahren. Mir im Grunde sehr lieb.* „Aber Wally, wie kannst du so sprechen?* unterbrach Marga sie vorwurfsvoll. Wally zuckte die Achseln. „Kann ich's ändern, daß ich froh darüber bin? Papa ist immer so ernst und un nahbar. Selbst Onkel Rudolf freut sich, wenn Papa ein paar Tage fortgeht. Gustav braucht dann nicht zu lernen, und Onkel verschläft den halben Nachmittag.* Marga merkte bald, daß es nicht leicht war, die Auf merksamkeit des quecksilbernen Kindes während des Unter richtes zu fesseln; da Wally jedoch den Wunsch hatte, ihrer neuen Gouvernante zu gefallen, so ging es besser, als man hätte erwarten sollen. Nach Beendigung der Stunden erbot sich die Kleine, Marga das Haus zu zeigen. Leichtfüßig sprang sie voraus, mit der Gewandtheit eines Cicerone alle Sehens würdigkeiten des alten Schlosses erklärend. Der Hauptbau, aus mächtigen Quadersteinen zu sammengefügt, stammte aus der Zeit des Mittelalters; erst viel später waren die Seitenflügel eingefügt worden. Nach der Rückseite des Parkes zu bildete ein ziemlich hoher Turm den Abschluß. In dem untern Teil desselben befand sich ein achteckiger Raum, der mit Altertümern und Kuriositäten angefüllt war. „Hier haust Onkel Rudolf*, berichtete Wally ihrer Lehrerin. „Eine Treppe höher hat er sein Zimmer, und oben im Turm ist noch eine leere Kammer, von der aus man eine weite Aussicht hat. Gustav und ich, wir wollten gern ein Versteck daraus machen, wo uns niemand stört, aber Onkel Rudolf läßt uns nicht hinauf.* „Er hat wohl eine besondere Vorliebe für dieses Turmzimmer?" fragte Marga. „Pah, der?" entgegnete Wally in wegwerfendem Tone, „der macht sich doch aus gar nichts was. Die Zimmer passen ihm nur, weil er da unbemerkt ein- und ausgehen kann. Eine kleine Tür führt direkt in den Park, und so weiß Papa nie, wenn Onkel nachts fort ist.' Marga waren diese vertraulichen Mitteilungen ihres Zöglings peinlich; sie wechselte deshalb das Gespräch und betrachtete voll Interesse die verschiedenen Gegenstände, die in Glasschränken und auf Regalen geordnet lagen. „Lehen Sie dort den kleinen, offenen Kasten?" rief Wally, auf einen leeren, mit Samt ausgeschlagenen Be hälter deutend, der unter einer Glasglocke stand. „Um den dreht sich eine ganze Geschichte. Ich erinnere mich noch - früher lag da ein prachtvoller Kristallstein, der wie ein Regenbogen schillerte. Das war damals, ehe Mama starb", fügte sie hinzu, während ein Schatten über ihr ausdrucksvolles Gesichtchen huschte. „Nun, wo ist denn der Stein hin?* fragte Marga. „Wurde er gestohlen?" „Ja, das ist eben das Sonderbare*, entgegnete Wally. „Natürlich wurde er gestohlen, aber niemand weiß, wie oder warum. Er war plötzlich verschwunden, einen Tag vor Mamas Tod. Sie wissen gar nicht, Fräulein, was die alten Diener im Schloß für ein Gejammer anstellten. Selbst Papa war ganz bestürzt.* „Hatte der Stein denn hohen Wert?" „Nein, eigentlich gar keinen. Nur hing etwas Be sonderes damit zusammen. Einer unserer Vorfahren soll ihn aus dem Orient mitgebracht haben, und es hieß, >» lange der Stein im Besitz der Familie bliebe, so lange würde er ihr Glück bringen. Seitdem er verloren ist, geht auch wirklich alles schief bei uns. Ich bin zwar nicht so abergläubisch wie unsere alte Lene und denke nicht, daß der Stein schuld ish aber — ich weiß.nicht, wie es zugeht — wir sind seitdem nie mehr glücklich ge wesen." Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen, und schon wollte Marga daS Kind mit einigen freund lichen Worten beruhigen, als sich die Tür öffnete und Rudolf Möller auf der Schwelle erschien. (Fortsetzung folgt.) I^Iock unä ^uck. Von Wolfgang Kemter. (Nachdruck verboten.) Hans-Peter, der Wirt von der „Goldenen Krone", war ein glücklicher Mensch. Zufrieden mit sich und zu frieden mit der ganzen Welt. Wie ein breiter, ruhiger Strom war sein Leben dahingeflossen: da hatte es keine Stromschnellen und keine Untiefen gegeben. Eines Nach mittags aber erlebte der harmlose, gutmütige Mann einen bösen Schreck. Da sein Geschäftchen blühte, hatte er es nicht notwendig, einen Nebenberuf zu betreiben und konnte sich ganz seinen Gästen widmen. Nach Mittag war die „Krone" so für zwei Stunden fast immer leer. Die Zeit benützte Hans-Peter, um in der Nische neben dem riesigen Kachelofen ein Nickerchen zu tun. Von der Wirtsstube konnte man ihn nicht bemerken, er aber übersah den ganzen Raum, da sich derselbe in der Scheibe der Tür, die zur Schenke führte, spiegelte. Die lebten Mittagsgäste waren gegangen, die Tische ab- und die Stube aufgeräumt, und Hans-Peter hatte bereits seinen Platz in der Nische eingenommen und war im Begriff, da eine tiefe Stille ringsum herrschte, ein- zuduseln, als zwei Männer das Gastzimmer geräuschvoll betraten. Sie räusperten sich und letzten sich ganz in die Nähe des Ofens. Hans-Peter hatte m der scheibe die beiden erkannt. Nicht zu seinem Vergnügen. Es waren Mock und Muck, wie das Dorf die beiden Unzertrennlichen kurz nannte. Sie wohnten allein in einer alten Hütte am Waldrande und trieben io allerlei, nur nichts Gutes, darüber war man einig. Etwas Unrechtes nachweisen konnte ihnen aber niemand, und wo kein Kläger ist, gibt es keinen Richter. Trotzdem wichen die Dörfler den beiden aus, und wenn irgendein tüchtiges Quantum Obst, Holz oder Gemüse gestohlen wurde, oder da und dort ein Huhn, eine Ente, eine Gans oder gar ein grunzendes Schweinchen f den Weg zum heimatlichen Stall nicht mehr zurückfand, vermuteten sie, möglicherweise nicht mit Unrecht, daß die beiden Burschen über das Schicksal dieser toten oder lebendigen Jnventarstücke, nach denen oft lange gesucht wurde, ohne den kleinsten Anhaltspunkt für eine Ver folgung zu finden, Auskunft hätten geben können. Mock und Muck also betraten die „Krone", und jeder bestellte bei der Kellnerin, die rasch erschien, ein Gläschen Schnaps und ein Glas Bier. Nachdem das Mädchen das Verlangte gebracht und die Zeche erhalten hatte, verließ es wieder das Zimmer, um sich anderen Arbeiten zu widmen. Mock und Muck griffen nach dem Branntwein, und in geübtem Schwung verschwand der Inhalt des Fläschchens in den ausgepichten Kehlen. Dann folgte ein tiefer Zug aus dem Bierglas. Hierauf wischten sie sich mit dem Hand rücken den Schaum aus dem Schnauzbart, und nun sprach Mock kurz: „Morgen ist Vollmond. Heute ist'S an der Zeit. Ich kenne den Ort, den der Kerl sich zum Schlafen ausgesucht hat." „Also", meinte Muck kaltblütig, „muß er heute noch hin sein." „Freilich, um Mitternacht, genau um Mitternacht; der Bursche^ hat sich einen ordentlichen Wamst zugelegt, der wird Speck die schwere Menge haben. Diesen müssen wir sieden und dann der alten Bürgel bringen, sie zahlt uns zehn Kronen.* „Fein, werden wir machen. Also m der Nacht vor dem Vollmond um die zwölfte Stunde muß er erschlagen werden, dann gibt das Fett eine heil- und zauberkräftige Salbe. „So sagt die Burgei." Die beiden tranken aus und verließen die Wirtsstube. - , In seiner Nische hinter dem Ofen laß Hans-Peter,