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beutete, daß sie seine Worte stark berweifler da er jedoch ein anderes Thema anschlug, so ermähnte sie die kleine Bremerin nicht wieder, behielt sie aber trotzdem im Ge dächtnis. 3. Kapitel. Die Unterredung mit Paul Santen hatte Marga mehr enttäuscht als befriedigt. Sie vermochte sich sein seltsames Wesen nicht zu erklären, muhte nicht, wie sie seine Worte auffassen sollte. Instinktiv fühlte sie, daß etwas zwischen sie getreten war; dennoch zweifelte sie keinen Augenblick an seiner Treue, an der Aufrichtigkeit seiner Gefühle. Nach Art der Liebenden befürchtend, ihn durch irgend eine Äußerung verstimmt zu haben, schrieb sie ihm einen Brief, in dem jede Zeile ihre Liebe und Hingebung für ihn verriet, eine Hingabe, die von ihm nicht in gleicher Weise erwidert wurde, denn er begnügte sich mit der kurzen Antwort, sie solle ihm ihre Ankunft in Hoya melden, er werde ihr dorthin ausführlich schreiben. Gegen Ende der Woche reiste Marga mit ihrer Tante ab, ohne Santen noch einmal gesehen zu haben. Nach kurzer Fahrt erreichten sie Hoya, wo sie Holbach, der Professor der Botanik war, freundlich empfing, und da er sowohl wie seine Frau sich außerordentlich teilnehmend und herzlich zeigten, so fühlte sich Marga rasch heimisch bei ihnen. Am Tage nach ihrer Ankunft erhielt sie den ver sprochenen Brief von Santen. Mit freudig klopfendem Herzen erbrach sie das Schreiben, doch alles Blut wich aus ihren Wangen, als sie den Inhalt las. Da stand es in dürren, kalten Worten, daß er bedaure, kein armeS Mädchen heiraten zu können. Seine Aussichten für die Zukunft seien ebenso schlecht wie die ihrigen, und so wäre es zwecklos, auf bessere Zeiten warten zu wollen. Er gäbe sie deshalb frei und verzichte auf ihre Hand. Grausamer war wohl selten die Herzensregung eines jungen Mädchens zerstört worden als Marga Rühlings erster Liebestraum. Unter der Wucht dieses Schlage brach sie fast völlig zusammen, und da sie ihr herbes Leid niemand anzuvertrauen wagte,, so mußte sie ein körper liches Unwohlsein Vorschüben, um die Ursache ihrer Seelen- aual zu verbergen. Sie fühlte sich namenlos unglücklich, so unglücklich, dab sie den Tod herbeisehnte, weil ihr das Leben nur noch als eine Last erschien. Allein ein jugend- kräftiger Körper unterliegt nicht so leicht, und auch Marga blieb die Erkenntnis nicht erspar^ daß das Schicksal, un bekümmert um unsere Schmerzen, uns zwingt, weiter zu leben und seinen Stürmen standzuhalten. Als sie etwas ruhiger geworden war, macht« sie sich Vorwürfe, Santen- Bewerbung so rasch Gehör geschenkt zu Haden; sie hatte ihm den Sieg zu leicht gemacht, ihm zu blindlings vertraut. Mit brennenden Wangen zerriß sie seinen Brief, fest entschlossen, auch ihn für immer auS dem Gedächtnis zu verbannen. Wäre sie erfahrener ge wesen, so würde sie ihre Briefe von ihm zurückverlangt haben, doch daran dachte sie nicht. Mit der Vergangenheit völlig abschließend, faßte sie ihre Zukunft nun ernstlich inS Auge. Für die nächste Zeit war sie ja geborgen, allein ihr Stolz sträubte sich, lange von der Gastfreundschaft anderer zu leben. Um sich nicht von ihrer Tante trennen zu müssen, beschloß sie, Schüler zu suchen und tagsüber Unterricht zu erteilen. Alle ihre Bemühungen blieben jedoch erfolglos, und schon überlegte sie, ob sie nicht lieber in eine große Stadt, etwa nach Hamburg oder Hannover, ziehen solle, als ein Ereignis eintrat, daS bestimmt war, ihrem ganzen Leben eine andere Richtung zu geben. An einem klaren Oktobernachmittag hatte sie «inen Ausflug in die weitere Umgebung unternommen, da Holbach einige seltene Farrenkräuter wünschte, die an einer bestimmten Stelle wuchsen. Sie schritt rüstig aus, und als sie nach einer Stunde eine kleine Anhöhe erreicht batte, blieb sie stehen, um die Aussicht ins weite Land und auf den glitzernden Weserstrom zu genießen. Nach einer Weile setzte sie ihren Weg fort, ohne sonderlich auf die wenigen Fußgänger und Fuhrwerke zu achten, die ihr auf der Landstraße begegneten. So sah sie auch anfangs kaum nach den beiden Equipagen hin, die in halbraschem Tempo an ihr vorüber- rollten. Erst als eine dritte folgte, schaute sie auf; doch im Nu stieg ihr ein« heiße Blutwell« ins Gesicht, denn st« hatte Paul Santen erkannt, neben dem eine auffallend schöne, junge Dam« saß. peinlich sür Tante Regina und für mich auch. Ein Jugend freund meine- Vater-, der in Hoya lebt, hat unS ein- geladen, einige Zeit bei ihm zu verbringen, da seine Frau leidend ist und gern jemand zur Gesellschaft haben möchte. Vielleicht kann ich in dem Ort« Schüler finden." „Schrecklich, daß ich so arm bin!" Meß Santen hervor, indem er aufsprang und erregt im Zimmer hin- und Her ling. „Ich weiß wirklich nicht, was wir nun anfangen werden." „Wir müsfen geduldig warten", warf Marga sanft ein. „Ja, ja, wir müssen warten", nickte er, sich gleichsam an dieses Wort anklammernd. „Natürlich müssen wir warten. So wie di« Dinge liegen, können wir vorläufig keine Entscheidung treffen. Man darf nicht- überstürzen, sondern muß alles reiflich überlegen." Marga saß mit gesenktem Blick und klopfendem Herzen vor ihm. Wieviel lieber wäre ihr «in rascher Entschluß von seiner Seite gewesen, al- diese kühle Ermahnung I Hätte Santen von ihr verlangt, sie solle ihn binnen einer Woche heiraten, sie hätte sicher nicht nein gesagt. Doch solch ein Verlangen lag ihm ferner, als sie ahnte. „Wann gehst du fort?" fragte er, neben ihr stehen U«ib«nd. „Anfaüg der nächsten Woche ist der Verkauf de- Hause-, und dann reisen wir gleich ab." „Gib mir deine Adresse in Hoya", sagte er nervös. „Ich werd« auch bald die Gegend verlassen, weiß aber noch nicht, wohin ich gehe. Nun, vielleicht sehen wir uns noch «inmal, oder ich schreibt dir. Doch jetzt muß ich fort — es ist spät geworden." „Darf ich Tante Regina sagen, daß — daß wir uns lieben?" fragt« sie schüchtern. „Nein, noch nicht!" wehrte er in so heftigem Tone ab, daß sie ihn erschrocken ansah. Sich rasch besinnend, schloß Santen sie in seine Arme. „Mein Lieb", sagte er mit plötzlicher Zärtlichkeit, „du ahnst nicht, wie sehr ich mir dein Unglück zu Herzen nehme. Du bist das süßeste, beste, vollkommenste Wesen unter der Sonne. Und du liebst mich, Marga? Du wirst mich nicht vergessen?" Während er sprach, küßte er sie, mit diesem Kuß, ohne daß fi« eS wußte, für immer von ihr Abschied nehmend. Als er rin« Viertelstunde später im Eisenbahnzug saß, der ihn die kurze Strecke bi- zu Ler kleinen Ortschaft brachte, in deren Nähe Schloß Achim lag, überlegte er die Situation, in die er so unversehens geraten war. „Hätte mich da beinahe übel hineingelegt", murmelte er vor sich hin. „Ein Glück, daß niemand um die kleine Liebesepisode weiß. Nun kann ich mich wenigstens noch glatt herausziehen. Wenn ich schon eine ohne Geld heiraten wollte, so würde ich lieber die schöne Nora wählen. Di« hat Rasse und versteht mit einem um zugehen. Marga Rühling reicht ihr nicht das Wasser, ob gleich sie ja ein liebes, herziges Ding ist und mich augen scheinlich sehr liebt. Na, sie wird daS überwinden, in zwölf Monaten ist sie schon mit einem anderen ver heiratet." Heiter und unbekümmert wi« immer erschien er an der Abendtafel. Nora von Larsfeld, die neben ihm saß, betrachtete ihn mit forschenden Blicken, und unfähig, ihre Neugier länger zu bezähmen, fragte sie leise: „Nun, wie war es? Sie haben die klein« Bremerin gesehen?" Tanten nickte. „Das arme Mädchen ist wirklich zu bedauern", sagte er in demselben Ton, „es hält sich aber sehr tapfer." „Man erzählt sich", flüsterte Nora weiter, „Rühling hab« sein ganzes Vermögen verloren und der Tochter nicht» hinterlassen." „Da- stimmt", lautet« die gleichmütige Antwort. -Sie wird wahrscheinlich als Gouvernante ihr Brot ver dienen müssen." Nora sah ihn groß an. „Was hat denn Vetter Theo mir da vorgeschwatzt? Werden Si« denn das Mädchen nicht heiraten?" „Aber sicher nicht", beteuerte Santen energisch. „Habe ich Ihnen nicht schon oft erklärt, daß ich nur ein« Geld heirat machen werde? Theo spricht auch mehr, als er verantworten kann. Meine Bekanntschaft mit Fräulein Rühling ist eine ganz oberflächlich«." Nora warf dm Kops in einer Weise zurück, di« an-