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M. S9. Unterhaltungs-Beilage <s,s. zum Hohenstem-Ernstthaler Tageblatt Llrntsblcrtt. ————— Erscheint wöchentlich zweimal. — Druck und Verlag von I. Ruhr Nachfolger vr. Alban Krisch, tzohenstein-Lrnstthal. Vas Glück von Delmenhorst Roman von Marie Walter. (2. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Er kannte die Frauen eigentlich nur von ihrer heiteren Seite. Trauernden, Bekümmerten war er stets aus dem Wege gegangen, weil er sich einbildete, daß solche Frauen beständig an hysterischen Anfällen litten und in einer wahren Tränensintflut schwämmen. Von Marga erwartete er nun gerade nicht so Schlimmes, allein nach seiner Meinung war das weibliche Geschlecht unter allen Um ständen unberechenbar, und Marga würde hierin keine Ausnahme machen. Als er die elegante Villa betrat, die einen merkwürdig ausgestorbenen Eindruck machte, fühlte er sich eigentümlich beklommen. War es die tiefe Stille? War es der Hauch des Todes, der die Räume noch zu erfüllen schien? Statt des protzigen Dieners führte ihn jetzt ein Haus mädchen in ein kleines Zimmer, das trotz der frühen Nach mittagsstunde bereits in Dämmerung gehüllt war. Eine schlanke, schwarzgekleidete Gestalt — Marga — kam ihm langsam entgegen, schüchtern die Hand zum Gruß aus streckend. Schweigend schloß Santen das junge Mädchen in seine Arme, indem er einen Kuß auf die weiße Stirn drückte. Diese stumme Liebkosung brachte Marga um ihre mühsam bewahrte Fassung. Am ganzen Körper zitternd, lehnte sie sich an die Schulter des geliebten Mannes, aber kein schluchzen entrang sich ihrer Brust, keine Träne rann über ihre bleichen Wangen. „Mein armes Lieb, was hast du leiden müssen", sagte Santen zärtlich, indem er seinen Arm um ihre bebende Gestalt legte und sie zu einem Sofa geleitete. „Es war ein harter Schlag!" murmelte sie tonlos. „Du hast gewiß alles in der Zeitung gelesen." „Ja, einiges", nickte er. „Ich kann mir denken, wie tief dich das Geschehene bedrückt, Geliebte, aber du mußt versuchen, es zu überwinden. Dein Vater war jedenfalls krank, das heißt nicht zurechnungsfähig. Vielleicht tat er es in einem Fieberanfall." „Ja, das glaube ich auch", stimmte sie nachdenklich bei: „er hätte sonst gewiß nicht so gehandelt. Du weißt nicht, wie gut er war, immer nur für andere sorgend — besonders für mich." Hier brach ihre Stimme, von Tränen erstickt. Schon befürchtete Santen einen Schmerzensausbruch, doch sie be herrschte sich gewaltsam und fuhr mit einer Hast fort, als gälte es, jeden Makel von dem Andenken ihres Vaters fernzuhalten: „Er war so hochherzig, immer bereit, zu helfen, Gutes zu tun — und so ehrenhaft, so rechtschaffen! ' Jeder achtete und schätzte ihn. Er war wirklich ein so guter Mann, Paul. Du wirst nie daran zweifeln, nicht wahr, obgleich er Hand an sich legte?" „Ich und alle, die deinen Vater kannten, werden sein Andenken in Ehren halten", versicherte Santen. „Das hat er auch verdient. Ist es nicht der beste Beweis seiner großen Rechtlichkeit, daß er sich diese Ge- schüftssorgen so sehr zu Herzen nahm und schließlich den Verstand darüber verlor? Unermüdlich hat er gearbeitet, um mir rin sorgloses Leben zu bereiten. Als ob ich nicht ebenso glücklich in einer kleinen Hütte gewesen wäre wre in einem kleinen Palast!" „Hatte dein Vater denn Geschäftssorgen?" forschte Santen, von einer bösen Vorahnung erfüllt. „O und ivie!" gab Marga seufzend zurück. „Es stand heute früh in der Zeitung. Vielleicht hast du es nicht ge lesen. Er war nämlich lange nicht so reich, wie die Leute glaubten. Der Arzt sagte mir, seine Aufgeregtheit und daS übertriebene Brüsten mit seinen Millionen seien schon die Anzeichen einer Geistesstörung gewesen, die durch Überanstrengung des Gehirns entstanden sei. Hätte mein Vater sich rechtzeitig aus dem Geschäftsleben in ein ruhigeres Dasein zurückgezogen, so wäre das Unglück nicht geschehen. Er war nicht eigentlich bankerott, aber doch muß alles verkauft werden, um die Verbindlichkeiten zu decken, und dann bleibt nur eine ganz kleine Rente für Tante Regina und mich übrig. Sorge dich aber nicht um mich, Paul", unterbrach sie sich, als sie den enttäuschten Ausdruck in Santens Gesicht bemerkte, „so lange ich dich habe, brauche ich nichts weiter. Und du liebst mich doch gewiß nicht weniger, wenn ich jetzt auch arm bin, nicht wahr?" fügte sie unschuldsvoll hinzu. Santen starrte sie einen Moment sprachlos an. Marga Rühling, die mutmaßliche Erbin von Millionen — fast eine Bettlerin? War das möglich? Konnte das Schicksal ihm einen so tückischen Streich spielen? „Du wirst mich deshalb nicht weniger lieben, Paul?" wiederholte Marga ihre Frage, diesmal in ängstlich ge spanntem Ton. Santen raffte sich zusammen. „Nein, nein, gewiß nicht", sagte er hastig, „aber wir dürfen es uns nicht ver hehlen, daß unsere Zukunftspläne dadurch eine Änderun- erleiden werden. Ich — ich bin nicht reich und" „Das weiß ich", fiel sie ihm ins Wort, indem sie ihre Hand vertrauensvoll in die seine legte; „Du hast mir daS schon damals auf dem Schiff mitgeteilt. Doch was macht das uns? Wir sind beide jung und gesund. Wir können noch warten und inzwischen arbeiten und Geld verdienen." „ „ . „Womit? fragte er in auffallend hartem Ton. „Nun — wenn du nichts dagegen hättest, würde ich eine Stelle als Erzieherin annehmen. Ich spreche fließend englisch und französisch und spiele gut Klavier." „Du als Gouvernante?" Seine Stimme klan- scharf, fast unfreundlich. „Ist das so durchaus notwendig?" „Ich glaube - ia", erwiderte sie schüchtern. „Bist du mir böse, Paul? ' „Nein, nein!" lenkte er ein. „Weshalb sollte ich dir zürnen? Es tut mir nur so leid — deinetwegen." „Der Gedanke, daß ich mir mein Brot verdienen muß, ist mir nicht so schlimm", beteuerte Marga. „Wie gern hätte ich für meinen Vater gearbeitet, wäre er mir erhalten geblieben. „Wirst du hier in Bremen Arbeit suchen?" unterbrach er sie mit leiser Ungeduld. Sie schüttelte den Kopf. „O nein, bas wäre zu