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Lüge. Was galten Vaul Santen die vornehmen Freunde im Vergleich mit ihr? Hatte er es nicht als eine Gunst von ihr erbeten, sie Wiedersehen zu dürfen? Nicht einen Augenblick zweifelte sie daran, daß er sie besuchen werde. Dieses Bewußtsein stimmte sie heiterer, als es sonst ihre Art war: sie beantwortete die Fragen ihres Vaters in munterem Ton und plauderte über alles Mögliche, bis sie die Villa erreicht hatten. Wie staunte Marga über die im Innern des Hanfes entfaltete Pracht, über die mächtige Vorhalle mit den Marmorstatuen und exotischen Pflanzengruppen, über die elegant ausgestatteten Räume, durch die ihr Vater sie geleitete! Es war viel Glanz, viel Luxus, aber der feine, künstlerische Geschmack fehlte — das empfand Marga auf den ersten Blick. Die Überladung und teilweise dis harmonischen Farbenzusammenstellungen beleidigten ihren Schönheitssinn, und nur zu deutlich fühlte sie, daß sie in all dieser kalten Pracht, die sie mehr blendete als entzückte, nie heimisch werden könne. Erst als die kleine Tante Regina — sie reichte Marga nur bis zu den Schultern — in ihrer unverändert einfachwürdigen Art auf der Schwelle des Wohnzimmers erschien, die zurückgekehrte Nichte mit zärtlichen Worten begrüßend, verspürte das junge Mädchen wieder etwas von der Gemütlichkeit frühen Jahre. Tante Regina in ihrem altmodischen schwarzen Seiden kleid mit dem Spitzenhäubchen auf dem weißen Haar paßte eigentlich so wenig in diese modern aufdringliche Ein richtung, aber es schien, als habe sie sich doch ganz gut hineingewöhnt. Mit grobem Stolz führte sie Marga in die für die Tochter des Hauses bestimmten Räume — ein Schlafzimmer und ein Boudoir — deren Ausstattung von wirklichem Geschmack zeugte. „Wie schön!" rief Marga bewundernd aus. „Nicht wahr, das gefällt dir, Püppchen?" schmunzelte ! Tante Regina. „Dein Vater hat aber auch alles für deine ! Zimmer aus Paris kommen lassen. War ihm nichts gut genug für sein Töchterchen." „Der liebe Vater!" sagte Marga gerührt. „Ich bin ! wirklich so froh, wieder daheim bei ihm zu sein. Findest du aber nicht auch, daß er schlecht aussieht, Tante?" Die alte Dame zuckte die Achseln. „Er behauptet, sich ganz wohl zu fühlen, und da darf man nicht wider- i sprechen. Voriges Jahr hatte er allerdings mancherlei > Sorgen, seit er jedoch dieses Haus gelaust hat, scheint er viel Geld zu verdienen, denn er streut es mit vollen Händen aus." Von der Richtigkeit dieser letzteren Äußerung sollte sich Marga bald genug überzeugen. Schon am folgenden Morgen erklärte ihr Vater, sie müsse jetzt wie eine junge Dame der großen Gesellschaft auftreten; elegante Toiletten könne ihr die Tante in Paris bestellen, er selbst werde in Lie Stadt fahren und ihr passenden Schmuck kaufen. Wirklich brachte er ihr zur Mittagszeit eine brillantbesetzte goldene Uhr sowie eine kostbare Brosche nebst Armband, j Marga fühlte zwar instinktiv, daß sie, um solchen Schmuck zu tragen, eigentlich noch zu jung sei, da sie ihren Vater ! jedoch nicht kränken wollte, so bewunderte sie seine Ge- ! schenke und freute sich an dem bunten Farbenspiel der Edelsteine. „Recht so, mein Töchterchen", lobte Rühling. „Ich will Staat mit dir machen, der Welt zeigen, daß ich noch mehr besitze als eine schöne Villa und Millionen. Meine Tochter soll wie eine Prinzessin leben — ich habe Geld genug und werde bald mit Rothschild rivalisieren können. ! Apropos", sügte er in jäh wechselndem Tone hinzu, .wollte uns nicht heute der junge Mann da — Santen Vieß er ja wohl — einen Besuch machen?" „Ich weiß es nicht", entgegnete Marga ausweichend. „Wenn er wirklich kommen sollte, so magst du höflich gegen ihn sein, jedoch nicht zu freundlich, verstanden? Ich will mich erst über ihn erkundigen, bevor ich ihm gestatte, sin meinem Hause zu verkehren. Weil er nett gegen dich war, kannst du ihn dafür einmal zu Tisch einladen, merk' dir aber wohl, mein Kind — sei nicht gleich so vertraulich mit jedem Grünschnabel, der deinen Weg kreuzt. Die Tochter von Matthias Rühling darf sich nichts vergeben." „Ich war noch nie mit jemand vertraulich", versicherte Marga, während ihr das Blut heiß in die Wangen stieg. „Nun — ich will es dir glauben; trotzdem — vergiß nicht, was ich dir gesagt habe." „Vielleicht kommt Herr Santen gar nicht zu uns", bemerkte Marga in einem Ton, der deutlich verriet, Katz sie sich von den Worten ihre- Vaters gekränkt fühlte. „Desto besser!" erwiderte Rühling. „Mir liegt nichts an dieser Sorte Menschen. Wenn du ein gescheites Mädchen bist, Marga, kannst du mal eine gute Partie machen. Frau Baronin oder Frau Gräfin würde ganz hübsch klingen, nicht wahr, Regina?" wandte er sich zu seiner Schwester. „Ich glaube, du bist nicht recht bei Sinnen", fuhr diese ihn an. „Setz' doch dem Mädel nicht gleich am ersten Tag solche Dinge in den Kopf." Vielleicht hätte sich ein kleine- Wortgefecht zwischen Bruder und Schwester entwickelt, wäre Rühling nicht ge schäftlich abgerufen worden. Mit begreiflichem Herzklopfen erwartete Marga den Nachmittag. Würde Santen kommen? Diese Frage stieg immer wieder in ihr auf. Sie hoffte es — ja, sie glaubte es zuversichtlich. Und ihr Glaube wurde nicht betrogen. Gegen fünf Uhr ließ sich Santen den Damen anmelden. Es war nur ein kurzer, förmlicher Besuch, der Wunsch, die Dame des Hauses kennen zu lernen und sich nach dem Befinden des Fräuleins zu erkundigen. Auf Tante Regina machte der junge Mann, der sich streng in den Grenzen der Etikette hielt, einen sehr guten Eindruck. Sie unterhielt sich daher freundlich mit ihm, und in ihrer redseligen Art ließ sie Marga fast kaum zu Worte kommen. „Meine Nichte ist noch keine vierundzwanzig Stunden daheim", plauderte sie, „so haben ihr die Töchter des großen Schiffsreeders Lindner, die früher mit Marga zur Schule gingen, schon einen Besuch gemacht und sie für morgen zu einer Fahrt nach Wallstede eingeladen. Dort ist nämlich ein altes Kloster — natürlich eine Ruine — aber sehr sehenswert." „Wirklich?" Santen schien sich sofort dafür zu inter essieren, denn er erklärte, er werde seinen Freund Lars- feld bitten, sie ihm auch einmal zu zeigen. „Ja, tun Sie das", redete ihm Tante Regina zu. „Larsfeld ist ein guter Führer — er kennt das Kloster und dessen Geschichte sehr genau." Santen verabschiedete sich bald darauf, fest entschlossen, Marga in Wallstebe zu treffen. Sie las diesen Entschluß in seinen Zügen, und so wenig angenehm ihr ein Zu sammensein mit ihm vor anderen gewesen wäre, so sehr freute sie sich doch auch, ihn wiedersehen zu können. Am nächsten Lag zur verabredeten Stunde kam Frau Lindner mit ihren beiden Töchtern, um deren ehemalige Schulfreundin abzuholen. Die Mädchen, die sich nach der langen Trennung so viel zu erzählen hatten, waren in heiterster Stimmung, und als sie das alte Kioster erreicht hatten, kletterten sie unter Lachen und Scherzen über die zerfallenen Mauern, um in das Refektorium zu gelangen. Marga stand gerade auf der Schwelle der von hundert jährigem Efeu umrankten Klosterpforte, als plötzlich sauten mit seinem Freunde Larsfeld vor ihr auftauchte. Be wundernd blieben die jungen Leute stehen, denn Marga, deren schlanke, weißgekleidete Gestalt auf dem dunklen Epheuhintergrund wie ein Feengebild erschien, bot einen bezaubernden Anblick, so bezaubernd, daß Santen sich im stillen Glück wünschte, das Herz dieser jungen Schönheit, die gleichzeitig eine reiche Erbin war, gewonnen zu haben. Mit einer Ruhe und Sicherheit, die er kaum bei ihr er wartet hätte, stellte Marga ihn Frau Lindner und deren Töchtern vor. Larsfeld bot den Damen sofort seine Dienste als Cicerone an, da er jeden Winkel des Kloster- kannte. Während der Wanderung gelang eS Santen, sich un bemerkt in dem Labyrinth der Gänge mit Marga von den übrigen zu trennen und eine abgelegene Mönchszelle auf zusuchen. „Welch herrliche Aussicht ins Land hinein!" sagte er, indem er an die schmale Fensteröffnung trat, und plötzlich, seinen Arm um das j<ng« Mädchen legend, fügte er mit weicher Stimme hinzu: „Sie sind mir doch nicht böse, daß ich hierher gekommen bin, Marga?" „O bitte", stammelte sie verwirrt, doch er unterbrach sie hastig: „Ich konnte nicht anders, Marga — ick.liebe dich ja — weißt du es noch nicht? Und du — liebst du mich auch ein wenig? Sage mir — liebst du mich?" (Fortsetzung folgt.) - - — —'