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„Ja, mein Vater holt mich ab", entgegnete Marga mit einem freudigen Aufleuchten ihrer blauen Mgen. „Ich habe ihn vier Jahre nicht gesehen, weil ich in den Ferien nicht nach Hause ging, sondern mit einer Ver wandten reiste." „Und nun werden Sie sich wieder daheim einleben und in Ihres Vaters Hause das Zepter führen?" Marga lächelte. „Letzteres schwerlich, denn Tante Regina, eine verwitwete Schwester meines Vaters, führt das Regiment. Ich überlaste es ihr auch gern." „Würden Sie mir gestatten", fragte er zögernd, „mich morgen nach Ihrem Befinden zu erkundigen sowie die Bekanntschaft Ihrer Frau Tante zu machen?" „Tante Regina wird sich gewiß freuen, Sie kennen zu lernen", versetzte Marga unbefangen. „Und Sie?" Santen fragte es im Flüsterton. „Werden Sie sich auch freuen, mich wiederzusehen?" Marga gab keine Antwort; sie senkte nur verwirrt den Blick, doch Santen ließ sich nicht beirren. „Wollen Sie mir nicht sagen", bat er mit weicher Stimme, „ob Ihnen ein Wiedersehen angenehm wäre?" Er mußte sich sehr nahe zu ihr neigen, um das leise Ja von ihren Lippen aufzufangen, denn auf dem Verdeck herrschte jetzt ein lebhaftes Treiben. Die Passagiere be reiteten sich zur Landung vor, die Matrosen schleppten das Gepäck der Reisenden aus dem Schiffsraum herauf, und der Kapitän erteilte laute Befehle. Santen benützte den günstigm Moment, unbemerkt Margas Hand zu ergreifen und mit warmem Druck in der seinigen zu halten. Marga erschauerte leicht bei dieser Berührung. Ihrem reinen Gemüt lag jede Koketterie fern, und weil in ihrem Denken uud Empfinden alles echt und natürlich war, so hatte dieser Händedruck eine tiefere Be deutung für sie. Allerdings — ihre Bekanntschaft mit Santen datierte erst seit zwölf Stunden, aber sie waren fast beständig zusammen gewesen, und welches junge Mädchen von neunzehn Jahren — besonders ein so welt unerfahrenes wie Marga Rühling — wäre gegen die Auf merksamkeiten eines schönen, ihr huldigenden Mannes un empfindlich geblieben? Paul Santen war in der Tat ein schöner Mann. Seine regelmäßigen, wenn auch ein wenig harten Züge hatten etwas Bestechendes; in seinen dunklen Augen lag ein faszinierender Zauber, und trotz seines Rufes als selbstsüchtiger, skrupelloser Weltmann übte er auf die Jugend beiderlei Geschlechts eine große Anziehungskraft aus. Seine Existenz war einigermaßen dunkel. Er besaß kein Vermögen, obgleich er aus sehr guter Familie stammte, und die kleine Rente, die er aus dem Legat eines ver storbenen OnkelS bezog, reichte keineswegs für seine Bedürfnisse auS. Dennoch verstand er es, ohne direkt zu unredlichen Mitteln zu greifen, nach außen den Schein zu wahren, zudem erwiesen ihm die jungen reichen Lebe männer, mit denen er verkehrte, oft in ausgiebigster Weise Gastfreundschaft. Da ihm jeder Sinn für eine ernste Tätigkeit abging, so war es sein eifrigstes Bestreben, sich durch eine reiche Heirat ein angenehmes, sorgenfreies Leben zu schaffen. Leider hatte er dieses Ziel bisher noch nicht erreichen können. Eine Äußerung der Dame, unter deren Schutz Marga Rühling die Fahrt von England nach Bremen zurücklegte, hatte ihm verraten, daß MargaS Vater für sehr reich galt, und so benützte er die günstige Gelegenheit, sich der jungen Erbin zu nähern, deren Schönheit sein Herz ohnehin rasch in Fesseln schlug. Daß er mit seiner Werbung ziemlich kühn oorging, wurde von manchem bemerkt; auch dem Freiherrn von Delmenhorst, der Margas Worte: „Freut sich nicht jeder, die Heimat wiederzusehen?" vernommen hatte, war Las beständige Zusammensein brr beiden aus gefallen. „Wer ist die junge Dame mit Lem goldblonden Haar, Herr Kapitän?" fragte er diesen Lei einer zufälligen Be gegnung. ..... „Fräulein Rühling , lautete die Antwort. „Ihr Vater hat oaS große Getreidegeschäft Rühling und Melar in Bremen." „Ah, ja, ich kenne die Firm»", nickte Delmenhorst- Mit flüchtigem Interesse schaute er zu Martha hinüber, für einen Moment ihr liebliches Gesicht studierend. Sie war wirklich sehr hübsch. Die großen blauen Augen hatten einen ernst träumcrisches Ausdruck, die Fülle deS blonden Haares schimmerte wie gesponnene- Gold, und über die ganze Erscheinung des jungen Mädchens war eine Anmut und Frische ausgegossen, die besttickend wirkte. „Glückliche Jugend!" murmelte Delmenhorst vor sich hin. „Was wird wohl das Schicksal dieses schönen Kindes sein? Wahrscheinlich heiratet die Kleine einen Mann ihrer Sphäre und führt mit ihm ein alltägliches, spießbürger liches Leben! Schade um sie! Aber wer weiß: vielleicht ist das noch daS beste Los!" Wie wenig ahnte er. daß er selbst in nicht zu ferner Zeit bestimmend auf Marga Rühlings Geschick einwirken würde! Freilich — momentan schien es, als lägen ihre Lebenswege meilenweit auseinander, denn Delmenhorst wollte nur einen Tag in Bremen bleiben und sich dann wieder in die Einsamkeit seines Landsitzes, der in der Nähe von Hoyn gelegen war, vergraben. Inzwischen hatte sich das Schiff der Landungsbrücke genähert. Die Passagiere drängten in buntem Durch einander nach der Seite hin, und auch Marga stand mit Santen sowie ihrer Reisegefährtin, einer Frau Hartwig, an der Brüstung, eifrig nach ihrem Vater ausspähend. Ihr scharfer Blick hatte ihn bald in der Menschenmenge am Ufer herausgefunden, und sobald er den Schiffsteg betrat, flog sie ihm entgegen. Er erwiderte ihre stürmische Umarmung in zärtlicher Weise und schritt mit ihr an Bord, um einige Worte des Dankes an Frau Hartwig zu richten. Diese stellte ihm Paul Santen vor, und während der reiche Kaufmann ein paar freundliche Worte mit dem jungen Manne wechselte, hörte Marga dem Gespräch zu, wobei sie sich im stillen sagte, Paul Santen sei der schönste, angenehmste Mann, den sie je gesehen habe. In den Augen der Liebe ist der erwählte Gegenstand stets der schönste. Mittlerweile hatte Santen Zeit, seinen zukünftigen Schwiegervater (wie er ihn schon heimlich titulierte) näher zu bettachten. Matthias Kühling war ein mittelgroßer Mann mit leicht ergrautem Haar und Bart. Seine Augen glichen den Margas, nur lag ein seltsam unruhiger Aus druck in ihnen; auch deuteten die gelbe Gesichtsfarbe und die eingefallenen Züge auf einen schlechten Gesundheits zustand. Seine Redeweise war Fremden gegenüber zwar etwas steif und gemessen, entbehrte aber doch nicht eine« gewissen verbindlichen Tones. Er war ausschließlich Ge schäftsmann, und auch im geselligen Verkehr machte er immer den Eindruck eines Menschen, aus dessen Schultern eine große Verantwortlichkeit ruht, und dessen Leben nie frei von Sorge und Aufregung ist. Nachdem er Santen mit einigen höflichen Worten eingeladen hatte, ihn gelegentlich zu besuchen, verabschiedete er sich von Frau Hartwig, und diesen Augenblick benutzte Paul, um Margas Hand zu erfassen und an seine Lippen zu drücken. Marga entzog sie ihm rasch, wobei sie tief errötete, weil sie dicht in ihrer Nähe die Gestalt Delmen horsts bemerkte, der die kleine Szene zweifellos gesehen hatte. Der Ausdruck in seinen Augen erschien ihr wie ein Vorwurf. Obgleich sie sich keines Unrechtes bewußt war, stieg doch ein Gefühl der Scham in ihr auf, daS aber die wonnige Empfindung, die Santens Handkuß in ihr erzeugt hatte, nicht völlig auszulöschen vermochte. Wie im Traum schritt sie an der Seite ihres Vaters und von Paul gefolgt ans Ufer, wo Rühlings Equipage bereit stand. Der junge Mann half ihr beim Ein steigen und nahm in förmlicher Weise von ihr Abschied. „Ein recht zudringlicher Mensch!" brummte Rühling, alS sich der Wagen in Bewegung setzte. Marga schrank aus ihren süßen Träumen auf — für einen Moment hatte sie ja sogar ihren Vater vergessen. „Herr Santen war während der Überfahrt sehr freundlich gegen mich", verteidigte sie ihn. „So — so! Was ist er denn? Ein Bekannter von Frau Hartung?" „Ja, gewiß. Sie kennen sich schon lange", berichtete Marga. „Er fährt jetzt nach Schloß Achim. Theo von Larsfeld ist sein bester Freund." „Nicht gerade die beste Empfehlung", lautete die trockene Erwiderung. „Jedermann weiß, daß der junge LarSfeld in seinem Umgang nicht sonderlich wählerisch ist. Wenn dein Reisebegleiter jedoch in jenen Kreisen verkehrt, wird er wohl keine Zeit und Lust haben, uns aufzusuchen, was mir übrigens durchaus nicht unlieb wäre." Marga schwieg, aber ein Lächeln huschte über ihre