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nicht die Lest«, und wenn er rmS weggenommen werden sollte, dann würde baS Mtwengehalt meiner Mutter wohl nicht weit reichen/ Bei diesen Worten war dem jungen Mann eine heiße Blutwelle vom Herzen zum Kopf emporgestiegen. Er fühlte deutlich, was diese Erwiderung des Mädchens für ihn bedeute, und auch Lena hatte dieselbe Empfindung. Sie wußte, daß sie ihrem Begleiter durchaus nicht gleich gültig war, und er mußte empfinden, daß sie mit diesen Worten die Scheidelinie, die die Mutter zwischen ihnen beiden hatte ziehen wollen, überbrückt hatte. Aber sie er schrak doch, als Haberland stehen blieb und sie durch eine halbe Wendung nötigte, auch Halt zu machen. Seine Stimme klang ungewöhnlich tief und zitterte. „Fräulein Lena, wollen Sie mir eine Frage ehrlich beantworten?" Sie nickte zustimmend. .Würden Sie einem Mann, der nicht in Ihren Ge sellschaftsschichten aufgewachsen ist, der sich etwa in der Lage befindet wie ich, gestatten, sich um Ihre Hand zu bewerben? Oder wäre dieser Versuch aussichtslos?" Lena war bei dieser Frage bis unter die Haar wurzeln errötet, sie wußte ganz genau, was sie bedeutete, aber sie fühlte, daß sie dem Mann eine ehrliche, auf richtige Antwort schuldig sei. Und so schlug fie denn voll ihre klaren Augen zu ihm auf und erwiderte mit fester Stimme: „Nein." In seiw.n Augen leuchtete es auf, dann streckte er ihr seine Rechte hin und umfaßte die Hand, die sie ihm hin reichte, mit festem Druck. „Ich danke Ihnen, Lena." * * » Unwillkürlich mußte Lena lächeln, als sie allein dem Oberhaberberg zuschritt. Haberland hatte sich unter einen: Borwand von ihr getrennt, und sie empfand es nur als einen Beweis seines Zartgefühls: er wollte die Situation nicht weiter aus nutzen. Es war doch nichts mehr und nichts weniger als eine Art von Verlobung gewesen. Sie hatte sich eine solche Szene in ihren Gedanken ja etwas anders ausgemalt, aber im wirklichen Leben gestalten sich die Situationen doch manchmal anders, als die Romanschrift steller sie zu schildern pflegen. Wie wenig waren die beiden miteinander in Berührung gekommen, und doch hatte einer genau um Lie Empfindung des andern gewußt. Auf offener Straße hatte er sie gefragt und sie ihm die Erlaubnis gegeben, sich um sie zu bewerben. Unwillkürlich mußte sie bei diesem Gedanken wieder lächeln. Ohne Kuß, ohne zärtlichen Liebesschwur war ihr Verlöbnis vor sich gegangen. Aber was würden die Eltern dazu sagen? Im nächsten Augenblick hatte das Glücksgefühl, das in ihr wogte, diese Sorge hinweggeschwemmt. Sie hatte ja auch keine Veranlassung, den Eltern zu sagen, was Haberland mit ihr gesprochen hatte. Wenn man die kleine Unterredung anders deuten wollte, so hatte er ja nur um die Erlaubnis gebeten, sich ihr nähern zu dürfen. Sie hatte einen weiten Umweg gemacht, um etwas Ruhe zu gewinnen, ehe sie nach Hause ging, aber fie wußte nicht, daß auf ihrem Gesicht der Widerschein des Glücks lag, das ihr Herz barg, und daß aus ihren Augen der wundersame Schimmer strahlte, der jeder Braut eigen ist, die einem geliebten, verehrten Mann sich zu eigen ge geben hat. Und als fie zu ihrem Vater, der am Schreib tisch saß, ins Zimmer trat, da stand der alte Herr auf, umfaßte sie und streichelte ihr zärtlich die glühenden Wangen. „WaS hast du, mein Kind? Ist dir etwas Freudiges passiert?" Sie schmiegte sich zärtlich an ihn: „Ja, Vater, aber ich kann dir heute noch nichts sagen." 10. Kapitel. Es war ein eigenartiges Verhältnis, in dem die beiden jungen Leute sich in der nächsten Zeit gegenüber- standen. Haberland begleitete Lena sehr oft ein Stück weit auf dem Heimwege von der Akademie. Sie sprachen von allem möglichen, als wären fie zwei Menschen, die nur in harmloser Freundschaft miteinander verkehrten, und doch verließ beide in keinem Augenblick das Gefühl, ein ander anzugehören. Haberland erzählte ihr von den Einzelheiten seine- Geschäftes, sprach auch von den kleinen Sorgen, die ihn manchmal drückten, und ließ sie an allem teilnehmen, was sein Leben bewegte. Mit der Zeit wurde ihr Gespräch vertrauter, er erzählt« ihr viel aus seiner Knaben- und Jünglingszeit und sagte ihr auch, daß seine Mutter sie sehr in ihr Herz geschlossen hätte. Auch Lena begann von ihrem Leben zu sprechen. Sie hatte ihm von ihrem Bruder Hans erzählt, der in Amerika sei, um dort ein neues Leben zu beginnen. Haberland hatte dabei den Kopf geschüttelt und ge meint, dazu brauche man nicht nach Amerika zu gehen. Wer den festen Willen hätte, sich eine neue Existenz zu erringen, der könne das auch in Deutschland durchsetzen. Einige Tage nach diesem Gespräche fiel Haberland beim Nachhausewege auf, daß Lena aussah, als drücke sie etwas. Er sagte es ihr auf den Kopf zu und bat sie, ihm offen mitzuteilen, was sie besorgt mache. Er glaube, er habe ein gewisses Anrecht, sie danach zu fragen. Zögernd nahm das Mädchen einen Brief aus ihrer Mappe und reichte ihn ihm hin. Es war ein Schreiben von ihrem Bruder Hans, der ihr mitteilte, daß in ihm die Sehnsucht nach Ler Heimat übermächtig geworden sei. Er habe in schwerer Arbeit sich das Geld zur Überfahrt gespart und möchte gern den Heimweg antreten, aber er wüßte nicht, wie die Eltern seinen Entschluß aufnehmen würden. Er sei von Grund aus ein anderer Mensch ge worden und habe dort gelernt, daß man mit solchen Fähigkeiten, wie er sie besitze, sich in Deutschland leichter in die Höhe arbeiten könne, als in Amerika... Er wolle den Eltern nicht zur Last fallen . . . wenn sie ihm nur Obdach gewährten so lange, bis er eine neue Stellung gefunden hätte. Zum Schluß bat er Lena, vorsichtig bei den Eltern deswegen anzuklopfen. Die Mutter würde ihn ja mit offenen Armen empfangen, aber vor den Vater getraue er sich doch nicht ohne dessen Einwilligung hinzu treten. Haberland hatte den Brief schnell überflogen und ihn dann, ohne ein Wort zu sagen, in leine Brieftasche gelegt. Erst nach einer Weile sagte er: „Wollen Sie die Ange legenheit mir anoertrauen? Ihr Bruder hat recht, und der Brief gefällt mir. Von dem Manne sind die Schlacken abgefallen, und der gute Kern ist zum Vorschein ge kommen." Mit dankbarem Blick hatte Lena ihm die Hand hin gereicht. Ihr stieg die Ahnung empor, daß mit der Rück kehr ihres Bruders Hans auch die entscheidende Wendung in ihrem beiderseitigen Verhältnis eintreten könne. Und gleichzeitig überkam sie das Gefühl des Geborgenseins. Sie wußte, daß der Mann, der neben ihr ging, alle Zeit mit treuen Augen über ihr Leben wachen und mit fester Hand sie führen werde. Auch Haberland war einig« Zeit in tiefem Nachdenken dahingegangen, dann fragte er: „Hat Ihr Bruder irgend welche Befähigung, die sich in praktischer Weise ausnutzen ließe? Hat er vielleicht ein ähnliches Talent zum Zeichnen wie Sie, Lena?" „Ich glaube ja. Er ist so befähigt wie ich, er hat auf der Schule schon tüchtig gezeichnet, er hatte einen vor züglichen Lehrer. Die Mutter hat eine ganze Anzahl Blätter von ihm verwahrt. Soll ich fie Ihnen be schaffen?" „Nicht nötig, Lena, es genügt mir, wenn Sie «s sagen. Und nicht wahr, Sie überlassen es mir, mit dem Vater darüber zu sprechen?" 11. Kapitel. Etwa vierzehn Tage vor Weihnachten überraschte Frau Rat Miltaler Mann und Tochter mit der Nachricht, daß der Sohn eines Vetters, Hans von Moßner, zum Besuch bei ihnen eintreffen würde. Dieser Zweig der Familie, dem der Besuch entstammte, war nach ihrer Meinung auch etwas aus der Art geschlagen, denn der Vater des jungen Mannes hatte bas verschuldete Familien gut nicht übernehmen wollen und sich aus eigener Kraft eine neue Existenz gegründet. Er war Techniker ge worden und hatte zu Beginn der siebziger Jahre, als der kolossale Aufschwung der Industrie einsetzte, eine Werk- zeugsabrik gegründet. Die Stürme der Gründerzeit hatte er trotz seines geringen Kapitals gut überstanden, und jetzt war seine kleine Fabrik zu einem bedeutenden Unter-