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Rs:'; Ver k)err Saron — mein 8ckwieger1okn Humoreske von Wolfgang Kemter. (Nachdruck verboten.) Ja, Ler Oberpranoent fugte noch hinzu, er hoffe, Latz Ler Rat im Herbst neu gekräftigt in seinen Wirkungskreis zurückkehren werde. Sollte das nicht der Fall sein, dann möchte er um rechtzeitige Benachrichtigung bitten, um seine Entschließungen danach treffen zu können. (Fortsetzung folgt.) „Erna!" „Alfred!" und die beiden jungen Leute lagen sich in den Armen und ihre Lippen fanden sich zum ersten Kusse . . . Eine halbe Stunde später stand der Baron Alfred von Sohrbach dem Herrn Privatier und Exschuhoberteil erzeuger Engros Klobenstein in dessen Zimmer gegenüber und hielt um die Hand seiner einzigen Tochter Erna an. Der freiherrliche Schwiegersohn wurde von Papa und Mama Klobenstein mit offenen Armen empfangen und an ihr bürgerliches Herz gedrückt. Das Haus Klobenstein schwamm in einem Meer von Wonne und Seligkeit. Das Ereignis, das man sehnlichst erwartet, besser erhofft hatte, war eingetroffen. Erna sollte einen Baron heiraten, sollte eine wirkliche Baronin werden, das krönte das Lebenswerk des alten Klobenstein und seiner Gattin. Während Herr Klobenstein im Geiste schon seine Tochter als Schloßfrau auf Sohrbach walten sah, dem Stammsitze des Barons, wiegte seine Frau in Gedanken bereits ihre freiherrlichen Enkel. Papa Klobenstein hatte seinem Schwiegersöhne mit geteilt, daß er seiner Tochter nebst der Aussteuer 200 000 Mark als Mitgift geben würde, natürlich wäre sie seine einzige Erbin. Da hatte aber der Baron vornehm ab gewinkt. „Gut, gut", hatte er gesagt, „darüber, lieber Papa, sprechen wir nach der Hochzeit, übrigens heirate ich Erna nicht wegen des Geldes", eine Bemerkung, die dem Alten mächtig imponierte. Baron Sohrbach verbrachte nun viele Stunden täglich im Hause seiner Braut. Frau Klobenstein besorgte eigenhändig die Einkäufe für die Tafel. Nichts war ihr gut genug. „Mein Schwiegersohn, der Herr Baron, liebt das so und so", war ihre ständige Redensart. Auch Papa Klobenstein be sorgte persönlich die Zigarren. „Der Herr Baron, mein Schwiegersohn, raucht nur die feinste Marke", berichtete er dem in Ehrfurcht ersterbenden Händler. Inzwischen wurde eifrig an Ernas Aussteuer ge arbeitet. Verschiedene Näherinnen und die beste Kunst stickerin der Stadt nahmen für längere Zeit Aufenthalt im Klobensteinschen Hause. Die Stickerin mußte in alle Wäsche stücke mächtige Monogramme sticken, die von der sieben zackigen Freiherrnkrone überragt wurden. Auch an jedem Stück Möbel und Hausrat, das für das junge Paar an- gefertigt wurde, mußten die betreffenden Meister die Krone an sichtbarer Stelle anbringen. Eines Tages, als die beiden Herren in Herrn Kloben steins Zimmer saßen, frug der Baron interessiert: „Papa, was hast du da eigentlich für eine feine Kassa?" „Ja, lieber Sohn, die ist ebenso gut als fein, aus bestem Stahl, englisches Fabrikat. Man ist doch heutzu tage nicht mehr sicher, da spendierte ich mir diese, aller dings nicht kleine Ausgabe." Der Baron betrachtete sich die Kasse von allen Seiten und beklopfte die Wände. Herr Klobenstein lachte: „Es ist nicht zum glauben, wie einfach und leicht dieser bepanzerte Kasten zu öffnen ist. Freilich, den Schlüssel muß man haben. Der ist winzig klein. Hat man ihn, so kann ein Kind den Schrank öffnen, so leicht bewegt sich die schwere Tür. Darum trage ich den Schlüssel auch nie bei mir und habe für denselben ein Versteck ersonnen, wo ihn der schlaueste Gauner nicht suchen würde, und auf anderem Wege ist der Kasse nicht beizukommen." Bei diesen Worten war er aufgestanden, über seinem Schreibtische hing ein grobes, in Ol gemaltes Bild seiner Gemahlin. Dieses nahm Herr Klobenstein herunter, da ¬ nach menschlicher Voraussicht, gegen dl« Not des Lebens geschützt war, auch wenn er ganz plötzlich aus diesem Da sein abberusen werden sollte. Auch ein Brief aus Amerika, der gegen das Frühjahr eintraf, hob seine Stimmung. ES war das erste Schreiben, das keine Bitte um Geld enthielt. Der ehemalige Leutnant hatte als Packer in einem großen Warenhause eine Stellung ge funden, die ihn der Nahrungssorgen enthob. Seine freie Zeit benutzte er, wie er schrieb, eifrig dazu, englisch zu lernen, und die letzten Zeilen des Briefes bekundeten geradezu eine freudige Zuversicht, daß es ihm gelingen werde, sich aus eigener Kraft eine neue Lebensstellung zu erringen. Wie schwer dem Rat trotz seiner Erholung der Bureaudienst fiel, davon sagte er zu Hause nichts. Das Ressort, in dem er arbeitete, bürdete ihm schwere Lasten auf. Er war aus seinem Gebiete Spezialist geworden. Er beherrschte auf volkswirtschaftlichem Gebiete eine Reihe von Fragen, die keinem seiner Kollegen so geläufig waren, wie ihm. Deshalb häuften sich auf seinem Pult die Aktenstücke, und oftmals konnte er die Arbeit nur be wältigen, wenn er sich die umfangreichen Schriftstücke nach Hause schaffen ließ und bis in die Nacht hinein daran arbeitete. Eines Nachts, als er später als gewöhnlich in seinem Arbeitszimmer blieb, stand die Rätin auf, um nach ihm zu sehen. Sie fand ihn auf der Chaiselongue liegen, bleich, mit geschlossenen Augen, der kalte Schweiß der tiefsten Erschöpfung stand ihm auf der Stirn. Jetzt er schrak die Frau heftig. Sie hatte wirklich nicht geglaubt, daß seine Kräfte so völlig verbraucht wären; sein heiteres, zufriedenes Wesen hatte sie in der letzten Zeit darüber hin weggetäuscht. Jetzt merkte ft», wie grausam es wäre, den müden MMN noch länger im Joche des Bureaudienstes zu lassen. Frau Ammeli war eine von den Naturen, denen es nicht gegeben ist, ihre Gefühle und Herzensregungen, selbst den nächsten Angehörigen gegenüber, in irgendwelcher Form zum Ausdruck zu bringen. Sie Mite wohl nicht weniger stark, als andere Menschen, nur die Kunst, den Nächsten durch ein Zeichen liebevoller Teilnahme zu erfreuen, war ihr versagt geblieben. Aber jetzt hob sie doch unwillkürlich die Hand, um die bleiche Wange des Schlafenden zu streicheln. Wie aus einem tiefen Traum schlug der Rat die Augen auf, ein glückliches Lächeln zog über seine ab gespannten Züge, er ergriff die Hand seiner Frau und führte sie an die Lippen. Dann setzte er sich auf und zog seine Frau neben sich auf die Chaiselongue. „Entschuldige, liebe Ammeli, ich war ein wenig ab gespannt und müde und mußte mich einen Augenblick hin legen, um auszuruhen. Es ist eine sehr dringende Arbeit, die morgen fertig sein muß." „Davon ist gar nicht die Rede, lieber Adalbert. Du wirst zunächst heute schlafen gehen und nicht mehr arbeiten." Ihre Stimme klang weich, als sie fortfuhr: „Eigentlich gehören die Vorwürfe, die ich mir machen muß, dir; du hast uns durch dein frommes Wesen über deinen wahren Zustand getäuscht. Jetzt verlange ich aber, daß du morgen zum Oberpräsidenten gehst und ihn um einen längeren Urlaub ersuchst, der deinen Übertritt in den Ruhestand einleitet. Du hast dem Staate vierzig Jahre treu gedient und deine Pensionierung wirklich redlich erarbeitet. Wir, das heißt deine Kinder und ich, haben auch noch ein bißchen Ansprüche an dich, und wenn wir dich erst den ganzen Tag in unserer Obhut haben ..." Die Stimme versagte ihr, denn der Gedanke, den sie nicht auszusprechen wagte, krampfte ihr das Herz zusammen. Dem Manne traten die Tränen in die Augen. Er wußte, daß seine Frau ihn lieb hatte und mit allen Fasern ihres Herzens an ihm hing, aber noch nie hatte sie es ihm so deutlich gezeigt, wie die Sorge um sein Leben sie bewegte. Der Rat hatte die Unterredung mit dem Ober präsidenten doch noch einige Tage hinausgeschoben, bis er die wichtigsten Arbeiten seines Ressorts erledigt hatte. Sein hoher Vorgesetzter war wirklich erstaunt und bettübt über das Abschiedsgesuch. Miltaler hatte in den letzten Jahren auf seinem Spezialgebiete so viel geleistet, aber seinem Vorgesetzten war nie der Gedanke gekommen, er hätte sich dabei über seine Kräfte angestrengt. Der Bitte um einen längeren Urlaub wurde freundlichst entsprochen.