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notwendig, daß Mißverständnisse aufgeklärt und falsche Prämissen richtig gestellt wurden." „Oh danke!" versetzte Hertha warm. „Ich wußte ja, daß die Sache bei Ihnen in guten Händen liegt." Am nächsten Tage fand Krügern den Freund in weniger aufgeräumter Stimmung. Nachdem man einige Worte gewechselt, zog sich die Baronin unter einem Vor wande zurück und die Beiden blieben allein. „Ich habe meine Mutter gebeten, uns ein wenig unter vier Augen zu lassen", Hub Erich an. „Ich habe über das, was wir gestern besprachen, reiflich nachgedacht." „Und?" „Ich weiß nicht, ob du mich vestehen wirst, mein lieber Freund. Es mag ja sein, daß mich meine Krankheit zu einem anderen Menschen gemacht hat. Kurz, ich kann das Gefühl der Erbitterung nicht los werden gegen Jene, Lie mir mein Glück so herzlos zerschellt hat. Es ist ja wahr, damals, wie wir d» Wildnis durchstreiften, war ich Derjenige, der allerhand mildernde Umstände fand und der zu verstehen glaubte, welchen zwingenden Gründen sie unterlegen war. Damals hat eben hier", er deutete aufs Herz, „ein Gefühl noch gelebt, das heute erloschen ist." Er hielt inne und rang nach Atem, da ihn das Reden anstrengte. „Und könnte sich an Stelle dieses Gefühls, — der Liebe, — nicht ein anderes einfinden, — das Erbarmen?" Erich schüttelte den Kopf. „Sie hat es auch nicht gehabt." „Also Äug' um Äug', — Zahn um Zahn!" „Nein, nicht Rachedurst ist es, nicht der knabenhafte Drang, weil man mir wehe getan, auch wehe zu tun. Aber eine Stunde steht heute so deutlich vor mir und sie verfolgt mich mit solcher Zähigkeit, daß ich das Bild nicht abzuweisen vermag. Es ist das jene Stunde, in welcher sie mir mit kalter Überlegung erklärte, warum alles zwischen uns aus sein müsse. Wenn sie dann auch Tränen vergoß, so waren Las keine Träneu, die ihr die Liebe herausgepreßt hat. Es war ganz allein ihr freier Wille." „Und du glaubst, daß ein junges Mädchen wirklich immer, unter allen Umständen einen freien Willen besitzt? Vergißt du, was in einem solchem Falle die Mutter ver mag, die immer in dem Wahne lebt, am besten zu wissen, was der Tochter frommt?" „Mag sein; aber ich gebe nicht zu, daß ein fester Charakter sich in solchen Fragen beugt." „Ach ja, ein fester Charakter! Wo findest du den heute?" „Um so trauriger, daß ich ihn nicht fand. Ich hatte allen Grund, zu glauben, daß sie ihn besaß. Du weißt nicht, was vorausgegangen war. Du warst nicht Zeuge ihrer Schwüre, ihrer Versicherungen, jenen lästigen Be werber nie anzunehmen. Ich baute so selsenfest auf ihr Wort, — und ich mußte sehen, daß sie mich belogen hatte, — wie fie ja auch ihren Gatten belog." „Erich!" „Ja, ich bestehe darauf: fie hat ihn belogen. Wäre fie sonst heute geschieden? . . . Siehst du, du vermagst darauf keine Entschuldigung vorzubringen." „Gut, ich gebe zu, daß fie ihm gegenüber nicht auf richtig war, baß sie ihr Jawort gab, ohne ihn zu lieben — aber warum das?" „Nun?" „Weil fie eben dich liebte." „Wir bewegen uns da in einem Ring, ich müßte auf auf Gesagtes zurückkommen." „Ich will dir etwas sagen, Erich. Es hat sich aller dings seit deiner Erkrankung vieles geändert, in dir ist die Liebe erloschen, — in ihr hat fie bis auf heute weiter gelebt. Das kannst du mir nicht abstreiten. Sie hat es damals, als sie dich tot glaubte, durch die Tat bewiesen. Du bettachtest nun alles mit ben Augen des strengen Richters, der nur seine Gesetzesparagraphen kennt und keine mildernden Umstände zuläßt. Ich bedaure es für dich, denn ich glaube, es wäre zu deinem eignen Heil, wenn noch ein Funke unter der Asche glimmte. So, wie du jetzt denkst und fühlst, bist du allerdings mit der Welt fertig, sie hat dir nichts mehr zu bieten und hat daher auch für dich kein Interesse mehr." „Gar keines!" „Das ist traurig, sehr traurig." „Gewiß. Ab« wozu sollte ich mich an die Welt klammern, da es ganz vergeblich wäre! Wir «ollen uM nicht täuschen, Krügern. In so manchen Fällen hilft der Wille zu leben nichts, so auch in meinen. Ich weiß ja ganz gut, daß das ein Leiden ist, gegen das es keine Hilfe gibt. Der Ursprung ist vielleicht in jenem Fieber zu suchen, das an und für sich schon stark genug war, mich zu töten. Die Disposition dazu mag mir allerdings das schwere Leid gegeben h«ben, das ich im Herzen trug. Es ließ sich nicht abschütteln, und so ist es denn in eine Krank heit übergegangen, der die Kunst des Arztes ohnmächtig gegenübersteht . . . Wie du mich jetzt siehst, kebe ich nur mehr für mein Leiden, das heißt, ich beobachte mich, wie es stetig mit mir abwärts geht, ich erwarte den Tag —" „Erich, du sprichst wie ein Irrsinniger!" rief.Krügern, entrüstet aufspringend. „Du redest dir förmlich den Tod ein!" „Ach nein", versicherte der Kranke kopfschüttelnd. „Ich weiß einfach, daß es Dinge gibt, die man nicht ändern kann, und ich füge wich in dieses Unabänderliche." „Nimm es mir nicht übel, aber ich finde, baß die ausschließliche Gesellschaft deiner Mutter, dieser armen, ge brochenen Frau, auch nicht das Richtige für dich ist." „Ich habe ja jetzt nebenbei dich. Oder gedenkst du schon wieder abzureisen?" „Nein, ich bleibe noch ein paar Tage. Ob indes meine Gesellschaft dazu beitragen kann, dich aufzufrischen, möchte ich fast bezweifeln. Unsere Auseinandersetzungen sind kaum —" „O, dieses Thema haben wir ja jetzt erschöpft, darüber gibt es wohl nichts mehr zu sagen." „Doch, Erich, noch etwas: du solltest ihr gestatten, sich mit deiner Mutter in der Pflege zu teilen. Glaube mir, du würdest —" „Nein, das nie!" unterbrach er heftig. „Ich bitte dich, Krügern, lassen wir die Sache ein- für allemal fallen. Leg' dein diplomatisches Amt in ihre Hände zurück und komm herüber als der liebe alte Freund non einstens." „Also unerbittlich?" sagte Krügern, ihm zum Abschied die Hand reichend. „Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe." Krügern schlug in gedrückter Stimmung den Heimweg ein. Es tat ihm weh, Herthas erwartungsvolle Miene zu sehen und ihr sagen zu müssen, daß seine Bemühungen erfolglos waren. Aber ec hielt sich verpflichtet, mit ihr ehrlich und offen zu reden und ihr das zu sagen, was sie wissen mußte. Ihre Augen blieben trocken, nur eine Sief« Bläffe deutete an, was sie empfand. Endlich sagte fie tonlos: „Ach, mein Freund, hätten Sie mich damals in der kühlen Flut untergehen lassen!" . . . (Schluß fslst.) Helgas Kuk. Skizze von Reinhold Ortmann. < (Schluß.) (Nachdruck verboten^ Daß er nun schon seit zwanzig Jahren mit unverbrüch licher Treue seinen Sommerurlaub in dem Kurorte ver lebte, dessen Heilquellen ihm einst nahezu wunderbare Genesung von schwerem Leiden gebracht — die Freunde des Professors Horstmar hielten es für eine jener Schrullen, wie sie zur Einsamkeit neigenden Junggesellen nun einmal eigentümlich sind. Es konnte ja nichts anderes als ein Gefühl der Dankbarkeit sein, Lat ihn immer wieder dahin zog, denn seine kraftvolle Gesundheft bedurfte der Heilquellen nicht mehr, und die Erholung von der angestrengten Arbeit des Jahres hätte er wohl auch an ungleich schöneren Orten finden können. — Pünktlich an demselben Kalendertage, den er nun schon seit zwanzig Jahren sür den Arftritt seiner Reise gewählt hatte, traf der Professor auch diesmal in dem Kurort und bei dem greisen Gastfreunde ein, der ihn schon das erstemal be herbergt hatte. Und als er am Abend plaudernd mit seinem Wirt auf der Veranda saß, sagte der Alte: „Eine kleine Veränderung werden Sie diesmal oorfinden, Herr Professor — und es ist möglicherweise eine, die Ihnen mißfällt. Der Buchenhügel, den Sie so geme auftuchen, Hal seit acht Tagen nicht nur einen Namen erhalten.