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.Nein, ich meine die Gräfin Hagenau, sie ist nicht mehr Frau von Frankenburg." „Ach ja, ich Hörle, sie wolle — oder sie hat Nch scheiden lassen." „So ist es." „Nun, da ist sie eben die geschiedene Frau von Frankenburg", versetzte die Baronin. „Warum das, wenn die Ehe aufgehoben ist?" „Weil — weil das an den Tatsachen doch nichts ändert. Wissen Sie, Herr von Krügern, bei uns in Österreich ist man in solchen Dingen strenger, als bei Ihnen in Deutschland. Eine geschiedene Frau, —" sie machte eine geringschätzige Gebärde, „das genießt hierzu lande kein Ansehen." „Dann ist mau zuweilen ungerecht. In diesem Falle wäre man es sogar ganz entschieden. Wenn man schon durchaus mit Steinen werfen will, soll man wenigstens nicht den unschuldigen Teil treffen." (Fortsetzung folgt.) Helgas Skizze von Reinhold Ortmann. (Nachdruck verboten.) Als der junge Dr. Rudolf Horstmar in dem wegen seiner Heilauellen berühmten Kurort ankam, hielt er sich für einen Todeskandidaten, für einen rettungslos ver lorenen Mann. Und wenn es dem Fünfundzwanzig jährigen auch sicherlich nicht leicht fiel, sich mit dem Ge danken an einen baldigen Abschied von dieser schönen Welt vertraut zu machen, so trug er sein hartes Schicksal doch mit männlichem Blut. Nur in der Gesellschaft glücklicherer, hoffnungsfroher Menschen wollte ihn zuweilen die Ver zweiflung überkommen, und weil er sich vor sich selber solcher Anwandlungen schämte, gab er vom ersten Tage an der Einsamkeit den Vorzug vor der Geselligkeit, die sonst ein jeder hier nach Möglichkeit suchte. Auf den ab gelegensten Wegen schweifte er in der Umgebung des Kurortes umher, und er war froh, auf einem dieser Spaziergänge ein Plätzchen gefunden zu haben, wo er sich stundenlang ungestört seinen wehmütigen Gedanken hin geben konnte. Es war ein kleiner, bewaldeter Hügel, von dessen Höhe der Blick ungehindert das liebliche Tal mit seinen schmucken Häuschen und hübschen Parkanlagen um faßte. Und ein alter, moosüberwucherter Steinsitz im Schatten breitästiger Buchen schien wie geschaffen für die ernsten Träumereien eines Menschen, der all diese lachende Herrlichkeit nur noch mit den Augen des Scheidenden be trachten dunte. Eine Woche lang hatte der junge Mann Tag für Tag das auf keinen bestimmten Namen getaufte Plätzchen aus gesucht, ohne daß ihn je ein Menschentritt aus seinem j Grübeln ausgeschreckt hätte. Und es bedeutete ihm eine im ersten Moment recht unliebsame Überrasthnng, als er am achten Tage beim Näherkonunen gewahrte, daß heute schon ein anderes Wesen von seiner Steiubank Besitz er griffen hatte. Es war ein junges Mädchen in sommerlich Hellem Kleide. Sie hatte den Strohhut abgenommen, und ein paar Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch das dichte Buckengezweig gefunden, spielten in ihrem goldig auf leuchtenden Blondhaar. Zögernd tat Rudolf Horstmar noch ein paar weitere Schritte, bis er auch das Antlitz der Ahnungslosen in seinen Einzelheiten unterscheiden konnte. Dann aber blieb er inmitten des bergenden Unterholzes stehen, weil er sich die Freude an dem reizenden Bilde nicht dadurch verkürzen wollte, daß er seine Anwesenheit verriet. . Denn dies zarte und doch rosige Mädchengesicht dünkte ihn schöner als irgendeines, das er bis zu dieser Stunde gesehen, und er trank mir unersättlichen Augen seine Holdseligkeit in sich hinein, wie wenn er sie seinem Gedächtnis unauslöschlich einprägen wollte. Für eine Viertelstunde vergaß er sein krankes Herz und seine trüben Todesgedanken; die Minuten ver rannen ihm wie ebenso viele Sekunden, und ein feltsam schmerzliches Empfinden durchzitterte seine Seele, als er , sah, wie sich das junge Mädchen erhob, um nach einem letzten, langen Blick über die Landschaft den talwärts führenden Pfad zu betreten. Er konnte nicht ausweichen, und sie mußte ganz nahe an ihm vorüber. Als ihre anmutige, schlanke Gestalt dicht vor ihm zwischen den Stämmen auftauchte, zog er ehrerbietig grüßend seinen Hut. Sie blickte auf, und für eine kurze Zeitspanne ruhten ihre schönen Augen auf seinem von der Erregung geröteten Gesicht. Dann stieg auch ihr das Blut in die Wangen; leicht neigte sie in Erwiderung seines Grußes das blonde Haupt und ging dann be schleunigten Schrittes weiter, um ihm schon in der nächsten Minute an einer Biegung des Weges zu ent schwinden. Es war die denkbar flüchtigste Begegnung ge wesen; auf Rudolf Horstmar aber wirkte sie mit der auf wühlenden Gewalt eines großen Erlebnisses, und das reizende Mädchengesicht spielte von Stund an in seinen Gedanken eine ebenso große Rolle wie die Vorstellung seines nahen Todes. In der aualvoll schlaflosen Nacht, die dem bedeutsamen Tage folgte, nahm er sich heilig vor, fortan den kleinen Hügel zu meiden; aber der Zug feines Herzens war mächtiger als die Stimme des Entsagung heischenden Verstandes, und schon wenige Stunden später befand er sich wieder auf dem vertrauten Wege. Aber die Steinbank war leer, und wie lange er auch unter der alten Buche harren mochte, kein sommerlich Helles Ge wand schimmerte im Unterholz auf, kein leichter Schritt ließ sich raschelnd auf dem dürren Laub des Waldbodens vernehmen. Vier Tage lang wartete er vergeblich einer Wieder kehr der märchenhaft holden Erscheinung, und in der Oual dieser Erwartung schien sich sein Leiden von Tag zu Tag zu verschlimmern. Nie war ihm das Steigen so schwer gefallen, nie hatte sein Herz in so stürmischen Schlägen geklopft, als da er zum fümtenmal der sanften Höbe zu strebte. Und mm, da er erkannte, daß er diesmal nicht umsonst gekommen war — als er den lieblichen Gegen stand seiner heißen Sehnsucht auf dem moosigen Sitz er blickte, nun ivar er nicht mehr stark genug, die Freude dieser kaum noch gehofften Erfüllung zu tragen. Es legte sich plötzlich wie ein dunkler Schleier vor seine Augen, und für eine Weile wußte er nichts mehr von dem, was um ihn her geschah. — Als er aus feiner Ohnmacht erwachte, kniete das schöne Mädchen neben ihm und netzte seine Stirn mit ihrem im Wasser der nahen Quelle befeuchteten Taschen tuche. Ein Ausdruck der Freude, der es nach Rudolf Horstmars Empfinden beinahe überirdisch verklärte, er schien auf ihrem Gesicht, und mit einer Stimme, wie er süßer und weicher noch keine gehört, fragte sie ihn nach seinem Befinden. Verwirrt und beschämt durch die körper liche Schwäche, die er ihr offenbart, richtete er sich auf. aber er war noch unsicher auf den Füßen und er mußte es geschehen lassen, daß ihr weicher Arm ihn mucke, während sie die wenigen Schritte bis zu der Steiubank zurücklegten. Da setzte sie sich in freundlicher Besorgnis neben ihn, und nun, als ob eine geheimnisvolle, Wunder ! wirkende Heilkraft von ihrem blühenden mngm Körper ausginge, erholte er sich rasch. Er fand Worte, ihr zu danken, und schlichte, männlich tapfere Worte, ihr von seiner hoffnungslosen Krankheit und seinem zu frühem Ende verurteilten Leben zu er zählen. Wohl eine Stunde oder darüber saßen sie unter der alten Buche und sprachen mir einander wie Menschen, die sich schon seit Jahren kennen, lind doch kam es ihnen nicht einmal in den Sinn, sich ihre Namen zu nennen. Vielleicht deshalb nicht, weil jedes von ihnen wußte, daß dieser ersten Zwiesprache nie eine weitere folgen würde. Sie batte ihm gesagt, daß sie morgen mit ihrem kranken Vater den Kurort verlassen würde, und Rudolf Horstmar war überzeugt, daß ihm sein Leiden jede Hoffnung auf ein Wiedersehen abschnitt. Warum also sollte er sich der schmerzlichen Süßigkeit dieser Stunde nicht erfreuen wie eines wonnigen Traumes — ohne Rück sicht auf konventionellen Brauch und ohne einen Gedanken an die Zukunft! Als sie endlich aufstand, weil sie, wie sie sagte, sicherlich schon lange erwartet werde, wagte er es, die zum Abschied dargereichte Hand an seine Lippen zu ziehen. Sie aber, ehe er wußte, wie ihm geschah, neigte sich zu ihm herab und küßte ihn auf die Stirn. — Das war der große, strahlende unvergeßliche Glücks tag in Rudolf Horstmars Leben. (Schluß folM