Volltext Seite (XML)
7777777"'^^:: ZL trat die Tochter mit der Nachricht ein, daß sich ein Gast angesagt habe. „Ein Gast? Um Gottes willen, wer denn?" „Ein deutscher Marineoffizier, Herr von Krügern, ein äußerst gebildeter und angenehmer Mann." Obwohl ihn die Sache nicht zu berühren brauchte, behauptete er dennoch, daß ihn das wieder ungeheuer auf rege und daß infolgedessen die Formel wieder auf einige Zeit verloren sei. Hertha meinte gleichmütig, er werde sie schon wieder einmal finden. Übrigens brauche ihn der Besuch nicht im geringsten zu stören, denn Krügern sei auch mit den Hainsvachs befreundet und werde sich voraussichtlich viel in Feldegg aufhalten. „Ah ja, richtig! Die sind ja wieder zurück! Der Sohn soll sich eine böse Krankheit in Afrika geholt haben. Man sagt von einem vergifteten Pfeil, den ein Wilder auf ihn abgeschossen hat. „Ja, ein vergifteter Pfeil war es wohl", versetzte Hertha mit Betonung. „Aber nicht in Afrika hat man ihn abgeschossen." „Na oder sonst wo, wo halt Wilde sind." Sie gab weiter keine Antwort. Der Besuch Krügerns war ihr in jeder Beziehung eine Erholung. Sie fühlte eine warme Freundschaft für ihn, und das Bewußtsein, daß sich Erich freuen werde, ihn zu sehen, steigerte ihre Sympathie für den Gast. Auch dem Grafen gefiel der Offizier ausnehmend gut. Er wußte in allen möglichen wissenschaftlichen Fragen Bescheid, und besonders den neuen Erfindungen schien er ein warmes Interesse entgegenzubringen. Da er früher nie etwas- vom Steckenpferd des Grafen gehört hatte, so lieh er dessen Auseinandersetzungen über das Flüssigmachen der Elektrizität ein aufmerksames Ohr, obwohl er gestand, daß er sich nicht recht vorstellen könne, wie es möglich wäre, eine Kraft in einen Körper, ob nun flüssig oder- kompakt, umzuwandeln. „Übrigens", fügte er hinzu, „ist unsere zeitgenössische Wissenschaft so mit Wundern erfüllt, daß mich schon nichts mehr in Erstaunen setzt. Denken Sie nur, was ich eben jetzt in einem sehr ernsten Fach blatte gelesen habe. Einem Experimentator ist es ge lungen, durch ungeheure Kältegrade einen Hund in Toten starre zu versetzen und das Versuchstier nach sechs Monaten wieder ins Leben zurückzurufen. Dadurch ist der erste Schritt zu dem Problem gemacht, Lebewesen Monate, Jahre — vielleicht einmal Jahrhunderte ver schlafen zu lassen und dann schließlich wieder zu wecken." „Siehst du, Hertha!" rief der Graf begeistert. „Eine ähnliche Idee hab' ich damals ausgesprochen, wie man mir in einem Eisblock aus dem Teich einen steifgefrorenen Fisch gebracht hat. Damals hat die Muntigl — unsere Köchin nämlich" wandte er sich an Krügern — „das ganze in ein Schaff Wasser geworfen. Auf einmal hört sie plätschern, und wie sie hinschaut, war das Eis zergangen, und der Fisch schwimmt ganz lustig herum. Was hab' ich damals gesagt» Hertha?" fragte er im Tone eines Pro fessors, der seine Schüler examiniert. „Du hast gesagt, daß es interessant wäre, auch mit anderen Lebewesen Versuche anzustellen." „Denn?" „Denn es wäre möglich, daß man Menschen auch so einfrieren und wieder auftauen lassen könne." „Richtig. . . . Sehen Sie, mein lieber Herr von Krügern, es ist ein Malheur, wenn einem die Ideen gar zu massenhaft kommen. Man muß da vieles beiseite legen — und dann kommt einem mittlerweile ein anderer zuvor. Ich will Ihnen einmal meine Aufzeichnungen zeigen. Ich nenn' es mein Skizzenbuch, denn ich lege die Ideen sozusagen in Skizzen nieder, um sie dann nach und nach ernstlich zur Ausführung vorzunehmen." Krügern hatte beschlossen, nach dem Mittagessen nach Feldegg zu wandern. Hertha gab ihm ein Stück Weges das Geleite. Da nun schüttete sie ihm, der ihr Geheimnis längst erraten hatte, ihr ganzes Herz aus. Sie hatte ge hofft, durch ihre Scheidung, die mit allen Mitteln be schleunigt wurde, wieder das Recht zu erlangen, sich Erich zu nähern. Nicht etwa, daß sie dachte, es könne je wieder so werden, wie es einst gewesen, aber sie hatte gemeint, es würde ihn weicher stimmen, zu wissen, daß nicht Frau von Frankenburg, sondern Hertha Hagenau in seiner Nähe weilte. Allein darin hatte sie sich ge täuscht, er haßte, er verachtete sie — und das war ihr unerträglich. „Dann hat er sich geändert", sagte Krügern mit dem Ausdruck vollster Aufrichtigkeit. „So hat er damals von jener, die ihm den schweren Schlag versetzt, nicht ge sprochen. Im Gegenteil. Gerade das machte ihn mir so sympathisch und schien mir so edel von ihm, daß er für seine einstige Verlobte immer nachsichtige Worte hatte. Da mag wohl die böse Krankheit viel beigetragen haben, ihn so umzustimmen. Nicht sein Herz ist es, was da spricht, sondern das Übel, das daran nagt und das ihm zu jeder Stunde in Erinnerung bringt: ich beherrsche dich, an mir wirst du zugrunde gehen." Hertha blickte mit tränenfeuchten Augen zu ihm auf. „Er darf nicht zugrunde gehen. Ihnen wird es gelingen, ihn zu besänftigen, ihm die Kraft zu geben, sich ans Leben zu klammern. Und wenn er mich riefe, damit ich ihn pflege, ich wollte Tag und Nacht bei ihm wachen, ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen, ihn warten und ihn dem grausamen Tode streitig machen." „Hoffen wir, daß das noch möglich ist. Aber glauben Sie mir, ich kenne die Verheerungen, die jenes vergiftende Fieber anrichtet. Es gehört eine Riesennatur dazu, um da siegreich zu widerstehen." In der Nähe Feldeggs trennten sie sich. Hertha schlug den Heimweg ein, und Krügern beschleunigte seine Schritte. Als er durch das Gittertor trat, bemerkte er den Rollwagen, der unter den Bäumen stand, und daneben eine Frauengestalt, die auf einem Klappstuhl saß. Er blieb stehen und rief: „Pach!" Bei diesem Rufe zuckte Erichs eingeknickter Körper zusammen und er blickte erstaunt zur alten Frau hin: „Hast du gehört, Mutter?" „Ja, es hat jemand gerufen. Dort steht jemand." „Pach!" hallte es noch einmal herüber, und gleich darauf kam der Besucher herangeeilt. „Krügern!" rief Erich, und sein müder Blick leuchtete freudig auf. „Krügern! Wirklich?" „Ja, wirklich!" und er ergriff Erichs Hand. „Mein armer Freund, so muß ich dich noch immer leidend finden! Das ist nicht recht, jetzt heißt's gesunden, sich aufraffen." Der Kranke lächelte trübe. „Lieber Freund, da gibts kein Aufraffen mehr, viel weniger ein Gesunden. Ich bin fertig." „Unsinn! Wieviele sind so aus Afrika zurückgekommen, und doch haben sie wieder ihre frühere Kraft erlangt. In dir stecken noch einfach Spuren vom Fieber, darauf muß der Arzt seine Behandlung richten. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, wie schrecklich dieses abscheuliche Fieber deprimiert, wie man meint, es sei mit der Widerstands kraft vorbei. Aber da heißt es ringen und über diese mutlose Empfindung Herr werden." „Ich bin nicht mutlos, ich sehe dem Unausbleiblichen ruhig entgegen." „Du mußt der Gesundung ruhig und willenskräftig entgegensehen. Habe ich nicht recht, gnädige Frau?" wandte er sich an Erichs Mutter. „Bitte, verz-iben Sie, daß ich Sie ohne vorherige Vorstellung anspreche, ab-r Sie haben ja gehört, wer ich bin, — und wer Sie sind, habe ich sogleich gewußt; waren Erichs Gedanken doch so oft bei Ihnen, und wie häufig hat er diesen Gedanken mir gegenüber Ausdruck gegeben!" Die alte Frau richtete ihre rotgeweinten Augen auf den Besucher und sagte mit müder Stimme: „Er hat mir wiederholt von Ihnen erzählt, von dem einzigen Freunde, den er auf der Welt hat. Sie haben ihm heute eine große Freude gemacht, Herr von Krügern." Sie erhob sich. „Ich will nur gleich sehen, daß Ihr Zimmer vor —" „Bitte, geben Sie sich keine Mühe, ich bin schon ein quartiert." „Sie sind schon einquartiert? Ja, aber wo denn?" „In der Nachbarschaft, in Gamlitz." „In Gamlitz?" rief Erich überrascht. „Wie kommst du nach Gam —" „Sehr einfach. Ich kenne Frau von — Gräfin Hagenau", verbesserte er sich hastig, „schon seit längerer Zeit." „Du meinst wohl die Frau von Frankenburg?"