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Onkel Cäl. Novelle von Adolf Stark. (Nachdruck verboten.) Onkel Edi war Ler dunkle Punkt in unserer Familie. Freilich, wir jüngeren, die wir ibn nur als den gemütlichen alten Herrn kannten, der das kleine Gärtchen vor seiner Villa so musterhaft in Ordnung hielt, der sich so trefflich in alle unsere jugendlichen Freuden und Sorgen hinein zufinden wußte, der stets für seine hilfsbedürftigen Neffen einen guten Rat und oft genug, trotz seines schmalen Ein kommens, ein paar harte Taler übrig hatte, wir Jungen wollten das Gerücht von dem dunklen Punkt nicht recht glauben. Aber die Tatsachen sprachen zu klar. Und Tat sache war, daß Onkel Edi in seiner Jugend ein großes Vermögen durchgebracht und ihm der Rest nur dadurch gerettet worden war, daß sein Schwager, Onkel Karl, kurz entschlossen den andern entmündigen ließ. Das Gericht hatte dem Antrag Folge gegeben und seitdem stand Onkel Edi unter der Vormundschaft seines strengen Schwagers. Ich weiß nicht, ob er anfangs sich gewehrt und aufgemuckt hat. Aber wenn auch, das nützte nichts. Onkel Karl war ein eiserner Mensch, einer von denen, die stets, in jedem Augenblick, in jeder Lage des Lebens wissen, was sie wollen. Er sagte selbst von sich, daß er nie einen Moment seines Lebens im Zweifel war, was zu tun, daß er nie ein Haarbreit von dem abgegangen sei, was er für gut fand. Das war keine Prahlerei. Halblaut erzählte man sich, wie sein einziger Sohn, dem er die Einwilligung zur Heirat versagte, ihm gedroht habe: „Entweder du siehst mich als Annas Mann oder als Leiche wieder" und wie Onkel Karl geantwortet habe: „Dann lieber als Leiche." Und keine Miene seines Gesichtes habe gezuckt, als man ihm den Sohn starr und kalt, mit dem kreisrunden Loch in der Schläfe, ins Haus brachte. So beschaffen war Onkel Karl. Kein Wunder, daß der andere, der ewig Jugendliche, ewig Schwärmerische, gegen den ehernen Verstandsmenschen den Kürzeren gezogen hatte. Das Verhältnis der beiden Schwäger zu einander war äußerlich ein ganz korrektes, aber ich glaube, neben der Furcht lag ganz tief im Herzen Onkel Edis auch etwas wie Haß gegen den anderen versteckt, so weit dieses kindliche Gemüt hassen konnte, und Onkel Karl vergalt ihm dies Gefühl durch eine Verachtung, die zu verbergen er sich gar keine Mühe gab. Was eigentlich Onkel Edi getrieben, um ein Ver mögen durchzubringen, das blieb uns, der jüngeren Gene ration, ein Rätsel. Es kursierten besonders bei dem weib lichen Teile der Verwandtschaft, allerhand Geschichtlein und Märlein darüber; wäre nur die Hälfte wahr gewesen, dann hätte unser guter Onkel jedem Romancier als Vor bild für einen neuen Casanova, der gleichzeitig ein Spieler und Schwelger höchsten Grades war, gelten können. Aber viele von uns glaubten das nicht, denn für eine solche Vergangenheit sah Onkel Edi denn doch zu harmlos aus. Ich weiß noch ganz gut, wie bei uns halbwüchsigen Jungen die Vergangenheit Onkel Edis eine große Rolle spielte. Da wir ihn liebten, mußte seine Verschwendung Notwendigerweise einen Stich ins Ideale haben. Mit Vorliebe erzählten wir uns, daß er mit seinem ganzen Vermögen für einen Freund gebürgt habe, ein zweiter Kaufmann von Venedig. Und noch heute warte er in Unentwegter Treue auf die Rückkunft des Freundes. Atemlos vor Spannung und Aufregung malten wir uns den Augenblick aus, wenn dieser Freund nach Jahrzehnten wiederkomme. Was ihn ferngehalten? Darüber brauchten wir unsere Phantasie nicht allzu sehr anzustrengen: Er war von Indianern gefangen und Jahre lang in Ge fangenschaft gehalten worden oder er war gestrandet und lebte nun, ein zweiter Robinson, auf einer fernen Insel. Aber schließlich kehrte er doch zurück, natürlich reich und mit Schätzen beladen; Onkel Edi bekam sein Vermögen zurück, Onkel Karl war der Blaniierte und das gönnten wir ihm alle. Aber das Leben ist anders, als es sich Kinder phantasien ausmalen. Die Jahre vergingen, kein Robinson kehrte aus der Fremde zurück, und Onkel Edi blieb, der er war, nur daß er noch wunderlicher, noch verträumter, noch weltentrückter wurde. Ich glaube, es gab kein zweites Menschenkind in unserem ganzen Vaterland, das iy svsrig.M8-UM der Außenwelt hatte, als er. DaS Zeitungslesen hatte er längst aufgegeben, uK Verkehr mkt der Welt hatte er so gut wie gar keinen. Denn wir paar jungen Neffen, die wir ihn hie und da besuchten, was hätten wir ihm zu erzählen gehabt? Er wollte auch gar nichts wissen. Wenn ich bisweilen einen Anlauf nahm, mit ihm von den Weltereignissen zu sprechen, bann schüttelte er abwehrend den Kopf. „Laß das, Junge, das interessiert mich nicht. Nun ja, für euch, die ihr in der Welt da draußen lebt, mag das ja ungeheuer wichtig sein. Aber für mich — siehst du, ich sitze in meinem Häuschen, wie der Robinson auf seiner Insel. Nimm an, die ganze Erde ginge zugrunde oder ein zweiter Napoleon stellte wieder einmal die ganze Ordnung auf den Kopf, was schert es mich? Meine Blumen und meine Tauben und höchstens noch das Schwalbenpaar, welches da unter meinem Dache sein Nest gebaut hat, das ist meine Welt, für die habe ich Interesse. Lache nur, Junge, lache mich nur aus. Das alles wirst du nicht verstehen, Junge, und kannst du nicht verstehen, weil du jung bist. Wie ich jung war, ja, da war ich auch anders, da — Ich lauschte mit angehaltenem Atem. Und als er schwieg, bettelte ich: „Onkel Edi, erzähle mir von deiner Jugend!" Beinahe zornig schüttelte er den Kopf. „Laß das, Junge! Auch ich habe gestrebt, hoch gestrebt, so hoch, wie kein anderer, glaube ich. Da sind die klugen Leute gekommen, dein Onkel Karl und das Gericht, und haben gesagt, daß ich so eine Art Narr sei, der einen Vormund brauche. Und ich glaube beinahe, sie hatten recht. Denn siehst du, Junge, fünfzig Jahre sind es her feit damals, und das Problem ist nicht gelöst, für das ich mein Können und mein Vermögen eingesetzt habe. So müssen doch wohl die Sachverständigen recht gehabt haben, die damals bei Gericht sagten, mein ganzes Tun habe keinen Sinn und ich strebte Unerreichbares an. Ihr habt es ja in dem halben Jahrhundert so unendlich weit gebracht, da hätte wohl jemand anders schon auf den gleichen Gedanken kommen müssen, wie ich damals." Unser Gespräch wurde unterbrochen und zwar durch niemand anderen, als durch Onkel Karl. Hätte ich ge wußt, daß heute sein Tag sei, so hätte ich meinen Besuch gewiß verschoben. Aber das ließ sich nicht mehr ändern. Wir saßen beisammen auf der kleinen Bank im Garten und starrten ins Blaue. Das Gespräch schleppte sich nur träge hin, die Stimmung war höchst ungemütlich. Bis dann plötzlich etwas Unerwartetes, etwas Schreckliches ge schah. Ich glaube, ich war der erste, welcher den kleinen Punkt oben in der Luft entdeckte. Jedenfalls war ich der erste, der davon sprach, der die andern darauf aufmerksam machte. „Da schaut, ein Flieger!" Onkel Edi war aufgesprungen und starrte empor zu dem Niesenvogcl, der oben in den Lüften sich pfeilschnell näherte. „Ein — was ist das?" „Ein Aeroplan, eine Flugmaschine. Ich glaube, Onkel, du weißt noch gar nicht, daß das Problem des Fluges ge löst ist. Der da oben ". Mit einer herrischen Handbewegung gebot er mir Schweigen. Alle drei blickten wir dem Flieger nach, wir hörten dasSurren der Propeller, dann zogerin majestätischem Fluge über unsere Köpfe hinweg. „Schurke, Schuft!" Onkel Edi hing am Hals» seines Schmagers und würgte ihn. „Mein Streben meine Idee! Und mich habt ihr zum Narren gemacht, habt ihr bestohlen, mich und alle! Um fünfzig Jahre früher " Mit Gewalt riß ich den Rasenden zurück. Onkel Karl sagte mit eiserner Ruhe: „Es ist gekommen, wie ich er wartet«. Ich werde an die Irrenanstalt telephonieren, daß sie ihn abholen. Bleibe du indessen da." Onkel Karl hatte recht, wie immer. Der arme Onkel Edi war plötzlich wahnsinnig geworden. Ich allein ahnte den Zusammenhang. Ich habe seit jenem Tage Onkel Karl nie mehr die Hand gereicht. Und er, der eiserne Mann, scheut sich vor mir und geht mir aus dem Wege.