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i all' die traurigen Bilder ein. Jene Raseninsel im afrikanischen Sumpf lag so deutlich vor ihr, als wäre sie wiederholt dort gewesen, und der leblose Körper war ihr so nahe, daß sie sich nur in die Knie zu werfen brauchte, um ihn zu umklammern. Was war das? Musikklänge — fröhliche heimische Weisen — wie kamen die in die afrikanische Wildnis? . . . Ach ja! Sie war ja im starren Norden, weit, weit von der Stelle, wo er den letzten Seufzer getan — und die Klänge, die kamen von drüben, vom Lande, wo fröhliche Menschen tafelten und wohl keiner daran dachte, daß hier ein unglückliches Wesen vor Kummer und Schmerz verging. Sie suchte wieder die Insel und den armen hingestreckten Körper, allein das Bild war entrückt, es wollte sich nicht mehr heraufrufen lassen. Wozu auch! Trennten sie doch die Wirklichkeit tausende von Meilen. Wo er den ewigen Schlummer schlief, dorthin konnte sie nicht gelangen. Wie eS ihnen im Leben beschieden, getrennt zu werden, so auch im Tode. Er: unter der glühenden Sonne des Südens — sie: unter dem fahlen, kalten Gestirn des Nordens . . . Ein eisiger Schauer ging ihr durch den Körper und sie rüttelte sich auf. Wer hatte hier von Tod gesprochen? Erstaunt riß sie die Augen auf, aber niemand stand vor ihr, der ihr das Wort zugeflüstert hatte. Oder vielleicht doch? Vielleicht die Wellen, die ununterbrochen an das Schiff plätscherten und dann wie spielend davonhuschten, als wollten sie, daß man sie zu fangen suche. Sie erhob sich und stemmte die Ellenbogen auf die Brustwehr, mit den Händen den Kopf stützend. So starrte sie hinah in das grüne eisige Naß, und immer mehr rind mehr ward ihr, wie wenn aus der unergründlichen Tiefe Stimmen zu ihr heraufriefen, lockende Stimmen, aus denen sie hie und da die des Toten herauszuerkennen meinte . . . Wie war er hierher gekommen? Hatte ihn doch eine Strömung aus dieser ungeheuren Entfernung heraufgetragen, um nun endlich im Tode mit ihr —. * * * Die Reisenden waren in der heitersten Stimmung, als sie wieder die Boote bestiegen, um ihr schwimmendes Hotel zu erreichen. Der ersten Abteilung, die eingeschifft wurde, hatte sich Krügern angeschlossen. Bei ihm war die gute Laune nicht zum Durchbruch gekommen, obwohl er sich Mühe gegeben hatte, die schlimmen Eindrücke der letzten Stunden zu vergessen. Er befand sich in einer kleinen Jolle mit dem zweiten Offizier, dem Geheimrat und dem Ehepaar Mückert. Von kräftigen Armen gerudert, schoß das kleine Fahrzeug den andern weit voraus, so daß sie die ersten am Dampfer anlangten. Gerade als das Boot an der Falltreppe anlegte, wurde unweit von der Stelle, mehr dem Hinterteil des Schiffes zu, ein dumpfer Fall hörbar. Im ersten Augenblick meinten die Insassen, ein Matrose habe einen Eimer hei abgelassen, allein da niemand über Ler Bordwand sichtbar wurde, sagte Krügern zum Offizier: „Haben Sie nicht etwas fallen gehört?" — und von einer dunklen Ahnung beherrscht, schob er das Boot an der Bordwand weiter, der Stelle zu. In diesem Augenblick tauchte ein Körver aus den Fluten auf und Frau Mückert stieß einen Schrei aus: „Me n Gott, das ist ja ein Mensch! Herr von Krügern — Hilfe! Ein —" Es bedurfte nicht erst ihres Zurufes. Krügern hatte ebenfalls den Körper gesehen und blitzschnell erraten. Mit einem einzigen Stoß brachte er das Boot an den Punkt, wo noch eine Minute zuvor etwas geschwommen, und als er nun wieder unter dem Meeresspiegel dunkle Konturen emportauchen sah, griff er mit eiserner Faust hinein. Frau Mückert schlug die Hände vor die Augen: „Herrgott! Das ist ja Frau von Frankenburg!" Wenige Augenblicke später war die Leblose geborgen und in ihrer Kajüte untergebracht, während jetzt erst die anderen Boote herankamen, voran das Fahrzeug mit dem kleinen Orchester, das lustige Weisen spielte. Krügern stand auf der kleinen Treppenplattform, als Frankenburg Käthe heraufgeleitete. „Herr von Frankenburg", sagte er ernst: „Ihre Frau hat ein schwerer Unfall betroffen." „Meine Frau? — Ein Unfall?" erwiderte der An« geredete erstaunt. .Wenn man schon nicht mehr auf bery Schiff selbst sicher iL dann „Bitte, Frau Mückert ist Lei ihr in der Kajüte. Gi« werden gewiß auch Nachsehen wollen." Frankenburg ließ Käthes Arm los, stammelte ein paar entschuldigende Worte und eilte davon. „Was ist geschehen?" wandte sich Käthe an Krügern. „Wenn wir nicht im rechten Moment gekommen wären, so läge sie jetzt da unten." „Sie hat sich hinuntergestürzt?" „Sie hat sich hinnntergestürzt!" bestätigte er, und in seiner Stimme lag ein unverkennbarer Klang Les Vor wurfs. „Armer Mann!" rief Käthe, die Hände zusammen schlagend. „Er ist wirklich tief zu —" „Könnte man nicht auch sagen: arme Frau?" meinte der andere scharf. „Nein, denn Sie kennen nicht genügend die Verhält nisse, um —" „Ich kenne sie vielleicht nur zu gut, mein gnädiges Fräulein." „Wirklich? Also soviel Vertrauen hat Frau von Frankenburg zu Ihnen gehabt, daß sie es mit ihrer Frauenwürde vereinbar fand, einer flüchtigen Bekanntschaft ihr ganzes Herz auszuschütten!" „Sie irren. Die unglückliche Frau hat mir gar nichts anvertraut und daher auch ihre Frauenwürde nicht im mindesten verletzt. Es bedurfte wohl auch keines be sonderen Scharfblickes, sondern nur einiger Unparteilichkeit, um zu sehen, wie die Dinge stehen und wo die Schuld zu suchen ist. Übrigens sind wir, denke ich, beide nicht be rufen, einen fremden Prozeß zu führen." „Ich vielleicht eher, da ich mit Frankenburgs sehr befreundet bin." „Doch nur mit einem Teil", gab er achselzuckend zurück. „Herr von Krügern, Sie schlagen da einen sonder baren Ton an!" brauste nun Fräulein von Raffing auf. „Ich erlaube mir nur, mein Recht der Verteidigung einer Abwesenden, die Sie überdies immer Ihre liebe Freundin nannten, zu wahren. Es ist sonderbar, daß Frauen meist geneigt sind, das Schuldurteil über ihre Schwestern zu sprechen." „Eben ein Beweis, daß die Frau ihresgleichen besser kennt." „Sollten Sie das in der Tat glauben, ich meine, erst heute die Frau so recht kennen gelernt zu haben. Zwei anschauliche Beispiele waren mir geboten." Er lüftete die Mütze und ging nach dem Vorderdeck. Hertha kam nach einer langen Bewußtlosigkeit zu sich. Sie erinnerte sich an nichts, und klagte nur über ein Gefühl eisiger Kälte, das ihren ganzen Körper erstarren machte. Nachdem der Schiffsarzt einiges verschrieben, blieb eine Wärterin bei ihr, um die Nacht über an ihrem Lager Wache zu halten. Am selben Abend noch batte Frau Mückert «ine ein gehende Unterredung mit Frankenburg, der auch Fräulein von Raffing beiwohnte. „Ihre arme Frau ist schwer gemütsleidend", sagte die Dame. „Der Arzt hat mir das auf das bestimmteste be stätigt. Es muß etwas geschen, lieber Freund; man darf darüber nicht so leicht hinweggehen." „Lieber Gott, was soll ich denn noch alles tun!" klagte Frankenburg. „Ich brauch' mir keinen Vorwurf zu machen. Ich hab' alles probiert, was man nur probieren kann, aber umsonst. Wie ich zu Hause gesehen hab', daß sie von Tag zu Tag trübsinniger geworden ist, hab' ich sie nach dem Süden geführt, mitten ins Welt treiben hinein. Auch das hat nichts geholfen. Dann hab' ich gemeint, bei ihren Eltern wird ihr wohler werden; auch da nicht. Im Gegenteil, da hat ste's kaum eine Woche ausgehalten . . . Dann waren wir in Wien, haben ein Haus gemacht, die Welt ausgesucht, — alles umsonst. Endlich hab' ich gehofft, daß sie hier, wo wir so liebe Freunde, so herzliche Menschen gefunden haben", ein warmer Blick traf Käthe — „daß sie hier ins Gleich gewicht kommen wird, und jetzt muß ich sehen, daß auch das falsche Hoffnungen waren. Es ist ja schon rein zum Verzweifeln!" (Fortsetzung folgt.)