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m. 7v Unterhaltungs-Beilage <9,3. zum Hohenstem-EmWaler Tageblatt Zlrntsblcrtt. Erscheint wöchentlich zweinrnl. > — Druck und Verlag von I. Nuhr Nachfolger Or. Alban Arisch, Hohenstein-Ernstthal. Am Leden gestorben Roman von R. G. von Suttner. (21. Fortsetzung.) Das war ihr Werk! Dorthin hatte sie ihn getrieben, ihs? Heimat zur Hölle gemacht, sein ganzes Lebens- gluck m einer Stunde der Herzenshärte, der Lieblosigkeit, der abscheulichsten Eigenliebe zerstört! Ach, und damit auch ihr eigenes Lebensglück! . . . Welchen Gewinn hatte sie von ihrem „vernünftigen" Entschlusse gehabt? Nicht eine Stunde der echten Befriedigung, geschweige denn der Freude. Was hatte ihr der fürstliche Luxus bieten tonnen, ihr, die früher nie den Luxus gekannt, die in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war und kaum je eine Summe besessen hatte, um auch nur auf eigene Faust ein Kleid davon zu kaufen. Wie war es dann so plötzlich gekommen, daß ihr mit einemmal das gleißende Gold der Inbegriff alles Glückes schien? ... Das begriff sie heute selbst nicht; sie verstand nicht, wie es möglich gewesen, daß die Aus sicht auf Überfluß jede andere Regung in ihr erstickte und sie in einen wahnsinnigen Taumel versetzte. Sie erfaßte es um so weniger, als sie seither nicht das geringste mit diesem Überflüsse geleistet hatte. Was sie brauchte, hatte sie ohne ihr Dazutun, es war bei ihr wie im Märchen, wo sie nur sagen durfte: „das brauche ich" und es war da. Damals hatte sie vielleicht gedacht, sie könnte den Eltern das Leben erleichtern, dem Vater die Lieblings träume erfüllen; aber nichts von alledem hatte sie getan, gleichgültig, was um sie her geschah oder nicht geschah. Und Erich, der war wie aus ihrem Gesichtskreise auch aus ihren Gedanken verschwunden gewesen, nur hin und wieder war ihr das traurige Bewußtsein gekommen, etwas verloren zu haben, was ihr keine Millionen ersetzen konnten, — doch was es gewesen, danach hatte sie nie näher geforscht. Erst der Erzählung Krügerns hatte es bedurft, damit es nun endlich vor ihr Licht werde, damit sie ihr ver fehltes, leichtsinnig hingeworfenes Leben begriffe. Erst jetzt, da sie den einst so heiß Geliebten tot vor sich liegen sah, jetzt, da noch zu allem Jammer die gramgebeugte Gestalt einer weißhaarigen alten Frau vor ihr auftauchte, erst jetzt begriff sie, daß sie an der Liebe ein Verbrechen begangen, das durch keine Buße gesühnt werden konnte, denn sie hatte das Heiligste, was das Menschenherz birgt, das Göttlichste und Erhabenste — die Liebe selbst ge tötet! . . . Während sie so mit ihren bitteren Selbstvorwürfen dalag und das Gefühl brennendsten Schmerzes ihr das Herz zusammenpreßte, verbrachte noch jemand eine schlaf lose Nacht, und das war Krügern. Er schritt auf dem verlassenen Verdeck auf und nieder, tief in Gedanken ver sunken. Auch in ihm war bei seiner Erzählung die Er innerung wieder lebhaft erwacht, und zudem beschäftigte ihn jetzt noch eine andere Frage: Hatte es ein merk würdiger Zufall, wie das schon zuweilen im Leben oor- kommt, wirklich so gefügt, daß er hier mit jener zu sammengetroffen war, die im Roman des armen Freundes die Hauptrolle gessielt hatte? Er durfte kaum zweifeln, denn die verschiedenen Einzelheiten des verflossenen Nach mittags, die er sich ins Gedächtnis rief, bestätigten die (Nachdruck verboten.) Annahme in fast bestimmter Weise. Ihre Auflehnung gegen sein wegwerfendes Urteil über die Treulose, — das tödliche Entsetzen, das sie bei Nennung des Namens ge packt, und ihr Ausruf: „Wie es auch der arme Erich war!" Dieser Satz war im Ton so heftigen Schmerzes, so grenzenloser Verzweiflung über ihre Lippen gekommen, daß ihn nur jemand, der unsäglich litt, auf diese Weise aussprechen konnte. Und wenn er nun annahm, daß er wirklich jene vor sich hatte, die dem toten Gefährten das Herz gebrochen, so ergaben sich daraus noch die ver schiedensten Fragen, die seinen Geist auf das lebhafteste beschäftigten. Er wußte nicht warum, aber Hertha hatte ihm schon bei der ersten Begegnung eine warme Teilnahme eingeflößt. Nach kurzer Beobachtung glaubte er richtig zu schließen, wenn er annahm, daß sie in ihrer Ehe unglück lich war. Es genügte ihm, zu sehen, wie die beiden Gatten miteinander verkehrten, uni seiner Sache so ziem lich gewiß zu sein. Und in Gedanken hatte er da so gleich für Hertha Partei genommen, die ihm von den beiden die Gemütvollere schien. Wie aber jetzt die Dinge standen, mußte er eher glauben, daß er sich in ihr ge täuscht hatte — gerade so, wie der arme Erich in feinem Vertrauen betrogen worden war — denn ihre Verteidigung schien ihm unaufrichtig, die Behauptung, unter fremder Willmsmacht gehandelt zu haben, leichtfertig und herzlos. Dann aber wieder vergegenwärtigte er sich den Schmerzensausbruch, dem sie sich hingegeben, und er wurde schließlich ganz irre. Die Nacht ging ihrem Ende entgegen, als er endlich sein Lager aufsuchte. Unter dem Banne der Stimmung, in der er sich befand, war es ihm gründlich zuwider, an den Festlichkeiten des nächsten Tages teilzunehmen, allein Käthes Ausfall bestimmte ihn doch dazu. Das hätte noch gefehlt, daß ihm die bösen Zungen da einen Roman mit der einstigen Braut des Freundes angedichtet hätten! Er schiffte sich daher mit den andern aus, die gegen Mittag den Dampfer verließen. Frankenburg hatte der Frau des Stewards dis Sorg« um Hertha anoertraut. Sie sollte manchmal nachsehen, ob die Gnädige nichts benötigte, und ihr die Mahlzeiten in die Kabine bringen. Hertha erhob sich in den Nachmittagsstunden; sie fühlte eine förmliche Sehnsucht nach Luft und nach Befreiung aus den engen Kajütenwänden. So ging sie denn auf Deck und ließ sich in einen Lehnstuhl nieder, der hart an der Brustwehr stand. Dort war sie allein, da die Mann schaft auf dem Vorderdeck ihrer Beschäftigung oblag. Ein fahles Dämmerlicht lag auf der Gegend; wohin dec Blick reichte, nur Schnee, Eis und Wasser; in mono tonen Rythmen schlugen die Wellen an den Schiffskörper und sprudelten dann wieder zurück. Eine Weile fühlte sie sich so denkmüde, daß sie völlig apathisch dort saß, den Kopf nach der Seite in die Lehne gedrückt, die Augen geschlossen. Plötzlich aber begann es in ihrem Herzen zu hämmern, so heftig, daß sie sich ausrichten mußte, um Atem zu holen. Und jetzt mit einemmal stellten sich wieder