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strüpp eine Tragbahre herzustellen und den Versuch zu machen, unseren kranken Gefährten auf diese Weise zu transportieren. Er ersparte uns die Arbeit und Mühe: am nächsten Morgen war die Stelle, wo er gelegen, leer, keine Spur von ihm zu finden. Wahrscheinlich hatte er sich in einem Anfall von Wahnsinn aufgemacht, um irgendwo im Sumpf zugrunde zu gehen. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört. Tief entmutigt setzten wir unseren Marsch fort, immer die endlose Sumpfniederung vor uns, die sich vielleicht noch Tazemärsche weit hinzog. Einmal versuchten wir, von dem übelriechenden Wasser zu trinken, das uns um gab, allein ich brachte kaum einen Schluck hinunter, während mein Gefährte den Ekel überwand und das ab scheuliche Zeug hinabwürgte. Die bösen Folgen dieser Unvorsichtigkeit sollten nicht ausbleiben; als wir abends wieder auf einer kleinen Insel halt machten, brach bei ihm das Fieber mit einer weit größeren Gewalt, als wie bei Victorin, aus. Die Delirien traten fast augenblicklich ein, er begann irre zu reden und es folgten Anfälle, die nahe an Tobsucht grenzten, so daß ich förmliche Ring kämpfe mit ihm zu bestehen hatte. Dann plötzlich verfiel er in einen Zustand vollster Starrheit, so daß ich jetzt glaubte, es fei alles vorbei. Sie können sich denken, welche Nacht ich verbrachte, und Sie können mir glauben, daß ich wiederholt den Hahn meines Revolvers spielen ließ und mich fragte: Jst's nicht besser, seiner und meiner Pein ein Ende zu machen? Ich befand mich in der Stimmung reinster Verzweiflung. Hier, in dieser gottverlassenen Wildnis, war mir mein Gefährte mit einemmal so nahegerückt, daß ich in ihm ein Wesen sah, das mir teurer als mein Bruder schien. Seine ganzen schweren Gemütsleiden, das traurige Los, das ihm be- schieden, Ler Kummer, der sein Herz gebrochen, — alles bas war nun mein eigener schwerer Alp, den ich trug, nicht er, — denn er lag ja wie tot hingestreckt und hatte gewiß keine Empfindung dessen, was einst gewesen. Ich erinnere mich nicht, daß ich in den Zeiten meines stärksten Kinderschmerzes je so geweint hätte, wie in jener Nacht, wo die melancholischen Rufe von allerhand Getier an meine Ohren schlugen. Das war so recht der Inbegriff von Alleinsein, von Verlassendem Bei Tagesgrauen raffte ich mich auf. Mein erster Blick galt ihm; er lag regungslos, wie tot, vor mir; kein Rütteln, kein Zuspruch vermochte ihn zu wecken. Ich wußte, wenn ich meinen aufs äußerste gespannten Nerven nachgab, so würde ich hier in Wahnsinn verfallen; ich mußte etwas unternehmen, ich mußte einen Versuch zur Rettung machen. Lange schwankte ich trotzdem hin und her, bis ich mich schließlich ermannte. Vor allem hieß es den Ort markieren, um ihn gewiß wieder zu finden, und so zog ich denn mein Hemd vom Leibe und band es an den höchsten Wipfel einer Staude fest. Noch ein Blick dem Freunde, und ich machte mich auf den Weg, immer genau nach dem Kompaß, um ja die Richtung bestimmen zu können. Nach mehreren Stunden der Wanderung oder viel mehr des Hüpfens, fand ich, daß die Rasenstücke sich fester aneinander schlossen, und als ich nun den Blick auf den Horizont richtete, entdeckte ich blaue Konturen. Das konnte nur Hügelland oder Wald sein! Jetzt ging es mutiger vorwärts, und endlich konnte ich deutlich das Hügelgelände ausnehmen, das offenbar die Grenze des Sumpfgebietes bildete. Spät am Nachmittag langte ich dort an, und trotz der Ermüdung ging es im Dauerlauf die Höhe hinauf. Auf halbem Wege machte ich Halt, zwischen Felsgestein sprudelte eine Quelle hervor, und dort tat ich den längsten und besten Trunk meines Lebens. Dann wieder weiter, denn ich ahnte, daß ich vom Hügel kamm aus Erfreuliches sehen würde. So erfreulich hatte ich es allerdings nicht erwartet, denn vor mir breitete sich das weite Meer aus, und unten am Strande lag ein Boot, dessen Bemannung sich auf dem Ufer zu schaffen machte. Jetzt rannte ich, was mich meine Beine tragen konnten, den Abhang hinab. „Herr Leutnant! Herr Leutnant! Sind Sie es wirklich?" vernahm ich eine Stimme, und ich erkannte unseren Bootsmann, der hinter einer Staude gelegen und aufgesprungen war. Also eine Schaluppe von unserem eigenen Schiffe! . . . Die Erklärung war bald gegeben; in Sansibar hatte sich die Nachricht verbreitet, daß die feindlichen Stämme in den nördlichen Distrikten sich zu sammeln begännen. Unserem Kommandanten war um mich bange geworden, und so hatte er denn eins kleine Abteilung nach den nördlichen Küstengegenden beordert, um auf der von mir bezeichneten Stelle Posto zu fassen und eventuell mir entgegen zu marschieren. Sie waren hier gelandet, um nach frischem Trinkwasser zu suchen, und ein glückliches Geschick hatte mich ihnen geradewegs in die Arme geführt. Für heute waren wir leider zur Untätigkeit verurteilt; die Sonne war bereits untergegangen, und es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, bei Nacht in den Sumpf zu dringen. Trotz des beängstigenden Gedankens, den Freund nicht mehr lebend zu finden, verfiel ich in einen bleischweren Schlaf, aus dem ich erst bei Morgengrauen erwachte. Jetzt ging es aber auch sofort weiter. Am Abend vorher hatten wir noch aus Stangen und Segeltuch eine leichte Bahre konstruiert, und mit einem Halbdutzend Leute machte ich mich auf Hen Weg. Wir fanden ihn, wie ich ihn verlassen hatte, lebend, aber dabei starr wie eine Leiche. Der Transport ging viel schneller von statten, als ich erwartet hatte, so daß wir schon in den ersten Nachmittagstunden wieder unser Boot erreichten, mit dem wir ohne Zeitverlust abstießen. Um Mitternacht legten wir an unserem Kreuzer an. Neben ihm lag ein anderes Fahrzeug vor Anker, offenbar das Kriegsschiff, das uns ablösen sollte. Mich erwartete eine Depesche, die noch zu allem, was ich in diesen wenigen Wochen ausgestanden, fehlte: meinen Vater hatte der Schlag gerührt, und meine arme Mutter beschwor mich, auf der Stelle heimzukehren. Wäre dieser zwingende Umstand nicht gewesen, nichts hätte mich bewegen können, meinen armen Freund seinem Schicksal zu überlassen. So aber konnte ich nichts anderes tun, als ihn am nächsten Morgen ins Hospital von Sansibar zu schaffen. Dort wurde sein Zustand für sehr bedenklich erklärt, der wenig Hoffnung auf eine Genesung übrig lasse, und ich kann beute wohl auch anuehmen, daß der arme Pach nicht davongekommen ist, denn zwei Anfragen an die Ver waltung blieben unbeantwortet . . . Übrigens hieß er nicht Pach, wie aus seinen Papieren hervorging, die wir bei ihm fanden und die ich beim Konsulat deponierte. Sein Name war Baron Erich Hainspach. Sie sind ja Österreicherin, haben Sie diesen Namen nie — mein Gott, was ist Ihnen, gnädige Frau!" Krügern sprang erschrocken auf, da Hertha leichenblaß zurückgesunken war. Er hielt sie fest, da sie von der Bank herunterzngleiten drohte, und gleichzeitig sah er hilfesuchend nach den Gruppen hinüber, deren Aufmerksamkeit noch immer von der Gegend in Anspruch genommen war. Niemand von allen drüben ! sah, was hier vorging, und Krügern wollte auch nicht rufen, um ein zu großes Aufsehen zu vermeiden. Er ärgerte sich nur über Herthas Gatten, der dort neben Fräulein von Raffing stand und für nichts Augen zu haben schien wie für seine schöne Nachbarin. Hertha kam allmählich zu sich; sie griff mit einer schmerzlichen Gebärde nach dem Herzen und stammelte dann: „Mir ist plötzlich so — so — eigentümlich geworden. Ich weiß nicht, was — was —" „Ich fürchte, meine Geschichte hat Sie aufgeregt. Bitte, verzeihen Sie — ich hätte bedenken sollen, daß Ihre Nerven —" „Ja, meine Nerven, die sind zugrunde gerichtet — ganz und gar zugrunde gerichtet. . . Bitte, Herr von Krügern, geben Sie niir Ihren Arm, bis zu meiner Kabine. Ich fühle, ich brauche Ruhe — Ruhe." Mühsam schritt sie an seinem Arm die Treppe hinab. An ihrer Kajütentür angekommen, richtete sie den tränen feuchten Blick auf ihren Begleiter und reichte ihm die Hynd. „Sie sind ein Mann von Herz, Herr von Krügern, wie es auch der arme Erich war! . . . Ach Gott!" schrie sie auf und verschwand hinter der Tür. 16. Kapitel. Die ganze Reisegesellschaft, mit Ausnahme HerthaS, hatte sich an Land gegeben, um dort auf Frankenburgs Anregung ein kleines „Eisfest" zu veranstalten. Sogar die Bordmusik hatte man mitgenommen und selbst verständlich auch reichliche Vorräte an Eß- und Trink-