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Es war ein eigentümlicher Blick, ein Blick voll Vor würfen und Empörung, den Hertha der Mutter zuwarf. „Das glaubst du wirklich?" Du meinst, ich müsse dir dafür danken?" und nun erging sie sich in leidenschaft lichen Ausbrüchen über ihr verfehltes, verlorenes Leben, in das man sie damals gewaltsam hineingepeitscht hatte; dieses Sklaoenleben, in dem man sie mit goldenen Ketten festhielt, mit Ketten, an denen sie so schwer schleppte, daß sie manchmal meinte, zusammenbrechen zu müssen, um nie wieder aufzustehen. Die Gräfin war über diese unerwartete Eröffnung so erschrocken, daß sie nicht ein Wort der Erwiderung fand. Sie ließ schweigend die ganze Flut über sich ergehen und schüttelte nur fortwährend den Kopf, wie wenn sie nicht begriffe, wie dieses Unwetter zur Entladung ge kommen war. Hertha aber fühlte in die Stunde, daß auch hier ihr Heim nicht mehr war, daß sie freud- und freundlos auf der Welt stand. 12. Kapitel. Die Geschäftsangelegenheit, in der man Frankenburg nach Wien berufen hatte, war allerdings eine hochwichtige; es handelte sich um die Bereinigung mit einem Konkurrenz unternehmen, einer Aktiengesellschaft, die gern die gesamte Eisenindustrie an sich gebracht hätte. Frankenburg hatte längst oorausgesehen, daß man ihm eines Tages kommen werde, und das war nun geschehen. Vom Vater hatte er neben den großen Unternehmungen auch jene Spitzfindigkeit geerbt, die mehr oder weniger in jeder Bauernnatur steckt, und er hatte die alte Regel nicht vergessen: „Wenn du Käufer bist, so drücke — wenn du Verkäufer bist, so treibe." Da die anderen dasselbe System anzuwenden ent schlossen waren, so begannen langwierige Verhandlungen, die voraussichtlich vor vier oder sechs Wochen zu keinem Abschluß kommen konnten. Frankenburg stand bei zehn Millionen, die Bewerber hielten bei fünf fest, und wenn das Feilschen um jede Million immer eine Woche in An spruch nahm, so stimmte die Zeitberechnung so ziemlich. Er war übrigens mit sich im reinen, keinen Gulden von seiner Forderung nachzulassen. Da ihm das Hotelleben für die Länge nicht behagte, mietete er ein kleines Herrschaftshaus mit Garten, das zufällig zu haben war. Eins brachte das andere: Pferde und Wagen, Dienerschaft, Einrichtungsstücke wurden von Stubing nach Wien beordert, und bald war das Haus auf großem Fuße eingerichtet. An Geselligkeit mangelte es auch nicht; der Präsident der Gesellschaft, mit der er in Unterhandlung stand, Graf Schönlind, hatte Franken- burgs Schwäche bald herausgefunden, und er meinte, seiner Gesellschaft zu nützen, wenn er dem Manne um den Bart ging, um dessen Zähigkeit zu mildern. Es wurde daher mit mehreren Verwaltungsräten die Ver abredung getroffen, Frankenburg bei seiner Eitelkeit zu packen und ihn in der Reihe der Vornehmen aufzunehmen. Das war überdies umso leichter, da Herthas Oheim Hagenau ein hohes Hofamt bekleidete und zu den an gesehensten Persönlichkeiten der Stadt gehörte. Frankenburg nahm mit ruhigem Behagen die Auf merksamkeiten an, die man ihm entgegenbrachte; er revanchierte sich mit ausgezeichneten Diners und Spiel partteen und zeigte sich bei jeder Gelegenheit sehr frei- ! gebig. Aber die Geschäftssache trennte er streng von den Fragen der Geselligkeit, und in dieser Beziehung kam Graf Schönlind, zu seiner Enttäuschung, um keinen Schritt weiter. Auch Hertha wurde, ohne daß sie es verlangte, in den Wirbel mit hineingezogen. Die Schlußsaison brachte noch allerhand Veranstaltungen mit sich, die unter der Firma „zu wohltätigen Zwecken" gingen, und zu deren Gelingen die Mithilfe von betitelten oder geldschweren Damen unerläßlich war. Den Reigen eröffnete Gräfin Schönlind mit einem Wohltätigkeitsbasar zugunsten der Arbeitervereine, und nun folgten Schlag auf Schlag andere Basare, Jahrmärkte und Korsos, so daß Hertha nicht zu Atem kam. Dann kamen die Rennen, und als Schluß der Saison stand der große Blumenkorso in Aussicht, an dem sich ganz Wien beteiligen sollte. Irgendeine Befriedigung fand Hertha in diesem Tot schlägen der Tage auch nicht. Es war eine schaale, ! interesselose Existenz; sie fühlte etwas Kindisches und > Geistloses darin, zum Besten der Armen rmen^so groben Aufwand zu machen, und sie meinte, daß die «ache nicht nur vereinfacht, sondern auch einträglicher gemacht werden würde, wenn die Damen die Unsummen zusammen steuerten, die ihre Toiletten, der Aufputz der Equipagen und derlei Dinge kosteten, und diese Beträge direkt den Zwecken zuführten, statt schließlich doch wieder Arme für Arme zahlen zu lassen. Einmal wagte sie auch in einer Sitzung eine solche Einwendung, doch da begegnete sie so vielen feindseligen Blicken, daß sie lieber nicht mehr das Wort ergriff. Überhaupt fand sie nicht überall die Zuvorkommenheit, die ihr von jenen gezeigt wurde, welche aus materiellen Gründen ihre Mitwirkung wünschten. Oft konnte sie ziem lich laut geflüsterte Zwiegespräche vernehmen, die von schwerhörigen Damen geführt wurden: „So? Eine geborene Hagenau? Wer ist aber der Mann?" „Er heißt Frankenburg." „Frankenburg? Kann mich nicht erinnern, den Namen in Gotha gesehen zu haben." „Er ist ja nicht Baron; nur Herr von, besitzt große Industrien und viele Millionen." „Ah so, ein solcher! Ah ja, hm, hm." Dann fühlte ! sie, ohne hinzublicken, wie sich starre, musternde Augen auf ! sie richteten. Ein solcher! Das hieß, ein Emporkömmling und ein Eindringling. Ein Mann, der sich nicht auf turnierfähige Ahnherren, sondern nur auf schwielige Hände berufen konnte, und das war vom Übel. Auch die ganze Art, wie man dein Gatten begegnete, wies darauf hin. In seinem Hause, bei glänzender Tafel, da wandten sich ihm wohl immer unsäglich freundliche Gesichter zu, da pries man die Weine, die Zigarren. War aber er irgendwo zu Gast, § da streckten sich ihm die Hände nicht so offen, sondern mehr versteckt, zögernd entgegen, hin und wieder auch nur ein oder zwei Finger, je nach der hohen Stellung, di« man bekleidete. (Fortsetzung folgt.) frieärick Jürgens. Novelle von Minna von Heide. (Nachdruck verboten.) Zweimal hatte ich ihn von Kopf zu Fuß eingekleidet. Da stand er wieder auf meiner Schwelle. Die Augen zu Boden geschlagen und am ganzen Körper zitternd. Aus sah er wie ein Mordbrenner. Ohne ein Wort ließ ich ihn eintreten und schloß die Tür. Ich war allein zu Haus. Auf dem Tisch lag eine kleine Summe Geldes, die ich nicht mehr so schnell beiseite schaffen konnte, daß es nicht nach Mißtrauen ausgesehen hätte. Es waren etwa hundert Mark, ich hatte gerade bei einer Abrechnung gesessen. „Ich bin wieder ohne einen Pfennig Geld", sagte er, „und ich habe nichts am Leibe als Lumpen." Ich ließ ihn stehen und sagte ruhig: „Und weil ich Ihnen zweimal ein herzliches Mitleid zeigte, glauben Sie nun ein dauerndes Recht auf meine Unterstützung zu haben? Sie haben Unglück gehabt und ich hatte die beste Meinung von Ihnen, aber jetzt sollen Sie zum Trinker geworden sein und wollen keine Arbeit." „Ach ja", sagte er fast wimmernd und duckte den Kopf wie unter einem Schlag mit der Peitsche. Dann sah er mich an und in seinem sonst so schönen tiefdunklen Auge lag ein sonderbares Flimmern: „Ich habe ja schon im Wasser gesessen und habe auch einen Strick um den Hals gehabt, aber kurz bevor es mir wirklich ans Leben ging, riß ich mich wie ein Wilder wieder zusammen, sah Gott weiß was für Wunderdinge vor mir und klammerte mich mit beiden Fäusten wieder in das nackte, hungrige Leben hinein. Und leben will ich, hören Sie!" Seine Augen begannen zu funkeln und es sah aus, als stürzten sie sich über das Geld aus dein Tisch. „Keinen Menschen gibt es, der^nicht leben will und leben möchte, solange er seine fünf Sinne noch^hat!" Und dann mäßigte er sich wieder: „Nicht wahr, -Lie werden mir noch ein