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L2 -pvNvSZ» KÜLZ Und so irrte er umher, in dem dunklen Tiergarten, in den regengläuzenden Straßen, deren Laternen langsam er loschen, Wie der Morgen schon graute, ging er in ein Caso und blieb dort sitzen, bis die um ihn herum schleichenden Kellner ihn versagten, und setzte seine einsame, trostlose Wanderung wieder fort. Immer deutlicher kam es ihm zum Bewußtsein: sein Dasein hatte seinen Zweck und Wert verloren. Er war ruiniert, seine Ehe zerstört, in den Kreisen der Spieler und vornehmen Leute batte er sich durch sein exzentrisches Benehmen nach dem letzten großen Verlust unmöglich ge macht, und spielen, sich betäuben konnte er auch nicht mehr, weil ihm die Mittel dazu fehlten. Sollte er sich reumütig auf die Bahn setzen und seinen Schwiegervater bitten, alles wieder ins Gleise zu bringen? Nein, nein, alles andere eher, als das! Und dann, der alte Braunstein konnte wohl Geld geben, wenn er wollte: die Folgen jenes unseligen Schrittes, den sein Schwieger sohn gestern in Gemeinschaft mit dem Leutnant von Korthals getan hatte, die konnte niemand beseitigen! Denn es mußte ja herauskommen! Der Betrug war zu grob! Warum hatte er daran bloß gestern nicht gedacht? Ach, das Spiel! Die vermaledeiten Karten! Die Milchwagen fuhren schon, und immer mehr Arbeiter zogen schweigend auf den noch dunklen Straßen dahin, ihrem Ziele entgegen, das Arbeit, Pflichterfüllung und Tätigkeit hieß. „Ja, wer noch einmal arbeiten und alles wieder gut machen könnte!" dachte Minderstedt. „Aber für mich ist es zu spät, ich habe hier nicht mehr viel zu suchen." Er war jetzt an den Kanal gekommen und ging immer am Wasser entlang. Hin und wieder blieb er stehen und starrte auf den schwarzen Spiegel, der zwischen den grauen Kaimauern sich trüb und regungslos breitete. Dann ging er wieder weiter, stürmte fort, als wollte er vor irgend etwas fliehen, und verhielt seine Schritte erst wieder in Menschennähe. Nun schien es ihm, als ginge hinter ihm einer, der ihn fortwährend beobachtete. Das war ihm peinlich, er blieb stehen, um den andern vorbei zu lassen. Da verhielt der auch seinen Schritt, sie erkannten sich. „Herr Minderstedt, nicht wahr?" sagte der andere. „Ja", erwiderte Martin, nach dem Namen jenes suchend, denn er batte ihn wohl erkannt, erinnerte sich aber nicht mehr, wie er hieß. Es war der Mann jener Frau, der Minderstedt damals die dreihundert Mark ge geben hatte. „Ich heiße Treuhart", sagte er gerade, „Egon Treu hart! Ich bin Ihnen schon eine ganze Weile nach gegangen, aber Sie waren so in Gedanken versunken!" „Ja, ja", sagte Minderstedt; dabei dachte er: ,Der hat auch gespielt und war schon ganz fertig, vielleicht noch mehr als ich!" Treuhart fing auch sofort davon an, er hätte jetzt eine gute Stellung, wo er zwar schon sehr früh sein und viel arbeiten müßte, aber das Gehalt wäre gut und der Chef wäre auch recht zufrieden mit ihm. „Das ist ja nett!" sagte Minderstedt geistesabwesend, „und Ihre Frau? Sie sind doch verheiratet, nicht wahr?" Der andere wurde aufmerksam. „Aber, Herr Minderstedt, der haben Sie doch damals das Geld gegeben, ohne das ich verloren gewesen wäre! Meine Frau, die betet jeden Abend für Ihr Wohl ergehen . . ." „Betet für mich?" Minderstedt lachte leise, „für mein Wohlergehen?! Soll sie nur lassen! Wird bald gar keinen Zweck mehr haben! Ich . . ." Das übrige verlor sich in einem Murmeln, das Treu hart nicht verstand. Der aber hatte jetzt begriffen. Er kannte ja diesen Zustand hoffnungslosester Verzweiflung, hatte ihn selbst empfunden! Und sein dankbares Herz jubelte, daß er seinen Wohltäter jetzt, gerade jetzt getroffen hatte, wo er ihm seine Hilfe vielleicht vergelten konnte. Sofort hatte er sich vorgenommen, das Geschäft heute Geschäft sein zu lassen und mit Minderstedt wieder nach Hause zu gehen, zu seiner Frau. Wenn er den Ziegeleibesitzer nur dazu bringen konnte. Aber das gelang ibm über Erwarten leicht. Mnder- stedt hatte das Gefühl, es sei ja ganz egal, was er jetzt täte. Zum Sterben hatte er ja nachher auch noch Zeit. Auch lockte ihn die nebelhafte Vorstellung jener Frau vielleicht, die ihn damals so interessiert hatte. Es waren doch Menschen, die noch etwas von ihm wollten, für die er auch jetzt noch etwas bedeutete. Fast ohne miteinander zu reden, gingen sie den weiten Weg zu Treuharts Wohnung. Und Frau Meta begriff sogleich alles. Sie schickte ihren Mann ins Geschäft und redete dem Ziegeleibesitzer so lange zu, bis er sich aufs Chastclongue legte und fast sofort in schweren Schlaf sank. Dann nahm sie mit leisen Händen aus seinem Rock die Brieftasche, fand die Adresse seiner Heimat und tele graphierte an Frau Hulda. „Wenn Sie Ihren Mann retten wollen, kommen Sie sofort!" Gegen Mittag schlief der Ziegeleibesitzer immer noch. Es klingelte, und Frau Meta sah sich, hinauseilend, einer Dame gegenüber. „Mein Mann . . .?" fragte die Blonde mit bebender Stimme. „Er lebt! Er ist bei uns!" lachte die andere in stiller Freude. Und dann ließ sie die blonde Frau in das Zimmer, wo der Gatte immer noch schlief, und zog die Tür hinter ihr ins Schloß. Nur das Ohr legte sie an das Holz, sie mußte doch hören, wie der Schlafende erwachte und mit einem Jubelschrei sein Weib umarmte. Aber drinnen blieb es lange Zeit ganz All. Martin Minderstedt erwachte aus schwerem Traum! Wohl sah er die Gute, die so treu zu ihm hielt, die all seine Lieblosigkeit und selbst seine Hinterlist mit liebender Hilfe vergalt, neben sich vor dem Kanapee knien; er hörte auch ihre Worte, die ihm verziehen und nur verziehen und ihn baten, zu glauben, daß alles noch gut werden könne, aber er traute sich selber nicht mehr, er hatte den Glauben an seine eigene Seele verloren! Und wie sie das sah, wie er nur immer still vor sich hinbrütete, und wie alle ihre Küsse, ihre Liebesworte nichts fruchteten, da rief sie die andere zu Hilfe, die in banger Sorge vor der Tür stand. „Mein Mann hat es ja auch gelassen, das Spiel!" ! sagte Frau Meta, „Sie werden ebenfalls die Kraft dazu ! finden! Und Ihre Frau wird Ihnen dabei helfen!" „Ja, ja!" Frau Huldas Stimme bebte, „denk' doch ! an unsere Kinder!" Da lächelte er zum erstenmal. Und dann versprach er ihr's, daß er sich bessern wollte. Aber er versprach es auch sich selber. Und in dem Zagen, in aller Ungewißheit, darin sein Herz sich mühte, leimte die Hoffnung auf ein Glück der Liebe und der Arbeit . . . — Ende. — Deutschland. Deutschland ist noch kleines Kind, Doch die Sonne ist seine Amme, Sie säugt es nicht mit stiller Mllch, Sie säugt es mit wilder Flamme. Bei solcher Nahrung wächst man schnell Und kocht das Blut in den Adern. Ihr Nachbarskinder, hütet euch Mit dem jungen Burschen zu hadern! Er ist ein täppisches Rieselein, Reißt aus dem Boden die Eiche, Und schlägt euch damit den Rücken wund Und die Köpfe windelweiche. Dem Siegfried gleicht er, dem edlen Fant, Von dem wir singen und sagen; Der hat, nachdem er geschmiedet sein Schwerh Den Amboß entzwei geschlagen! I«, du wirst einst wie Siegfried sein Und töten den häßlichen Drachen, Heisa, wie freudig vom Himmel herab Wird deine Frau Amme lachen! Du wirst ihn töten und seinen Hort, Die Rerchskleinodien, besitzen. Heisa! wie wird auf deinem Haupt — Die gold'ne Krone blitzen! Heinrich Heine.