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von Sandrat nickte. »Und wie geht eS Madame la Marquise?" „O, sie war eben noch im Salon", sagte der Falsch spieler, „da, da kommt sie schon. Wollen Sie ihr guten Tag sagen?" Der Freiherr ging mit elastischen Schritte.,, freude strahlend auf die schöne Frau zu und sagte, ihr die weiße Hand küssend: „Ich bitte Sie um Verzeihung, Madame, wenn ich heute morgen im Tiergarten nicht so artig war, wie es besonders Ihnen gegenüber jedermanns Pflicht ist. Wer solche melancholischen Anwandlungen, an denen ich manchmal leide, gehen Gott sei Dank bald vorüber und dann erinnere ich mich desto freudiger an all das Gute und Schöne, was mir das Leben bietet." Er umfing sie dabei zärtlich mit seinen Blicken, neigte sich nochmals über ihre Rechte, die er noch einmal in der seinen hielt, und drückte einen langen, glühenden Kuß auf die schimmernde Haut. Auch der Marquise kam dieser rasche Wechsel der Gesinnung ein wenig sonderbar vor, aber sie war zu sehr gewöhnt an die Siege ihrer Schönheit und von ihrer Herrschaft über die Männer so überzeugt, daß sie sich nicht weiter wunderte, auch diesen, den sie für einen starren Charakter gehalten hatte, jetzt unter der Schar ihrer An beter zu sehen. Als er ihre Hand zu lange hielt, zog sie sie zurück und sagte: „Nicht zuviel auf einmal! Die Skala meiner Gunstbezeugungen ist nicht hoch genug, um das Gefühls thermometer gleich auf einmal so viel steigen zu lassen!... so . . ." sie lächelte ihn trotzdem verführerisch cm, »und jetzt führen Sie mich bitte in den Speisesaal." * * * Gegen ein Uhr kam der Diener und überreichte dem Marquis de la Grandvilliere, der sich gerade im Vor zimmer befand — denn den Spielsaal selbst durfte Lie Dienerschaft, wenn Cerkle war, nie betreten — eine Karte, auf der stand: John Francis Algernon Knowthing, Kalkutta. Der Marquis gab die Karte seiner Gattin und diese überreichte sie dem Freiherrn von Sandrat, der sich hinaus begab, um gleich wieder mit einem hochblonden, etwas ä la snob gekleideten Herrn einzutreten. „Mr. Knowthing aus Kalkutta!" stellte von Sandrat vor, und nun kamen die einzelnen Herren, die sich gerade im Zimmer befanden, und nannten ebenfalls ihre Namen. Den übrigen blieb es überlassen, sich später mit dem An kömmling bekannt zu machen, die Hauptsache war ja, daß er durch irgendein gut bekanntes Klubmitglied legitimiert wurde. Der Herr, der wenig und nur ganz gebrochen Deutsch sprach, geriet bald in eine Unterhaltung mit dem Spanier, der Kalkutta kannte und versuchte, dem Fremden ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Aber der Engländer bezeugte nach etlichen absolut zutreffenden Antworten Lust, in den Spielsaal zu gehen, wohin ihn der Freiherr begleitete. Beim Erscheinen eines neuen Klubgastes hielt di Baranco niemals die Bank. Er beobachtete ihn viel mehr erst eine geraume Weile, lernte seine Spielgewohn heiten kennen und nahm ihn sich dann desto gründ licher vor. Eben jetzt hielt der Verlagsbuchhändler die Bank. Er hatte, nach seiner Miene zu urteilen, gewonnen, da trat der Engländer an den Tisch, bat nach einem trockenen „Guten Tag, meine Herren!" um Karten und fing an, zu pointieren. Er gewann. Nicht viel, aber der Verleger, der nicht gern seinen Gewinst wieder einbüßen wollte, gab die Bank ab. Und merkwürdigerweise war keiner der Herren so recht in der Stimmung, sie zu übernehmen. Schließlich wurde sie verlost, und der Spanier bekam fie, diesmal ganz ohne sein Zutun. Der Engländer ging ihm von der ersten Taille an hart ans Leder. Und wenn auch der Hidalgo sich nur sehr schwer in Rage bringen ließ, allmählich kam er doch ins Feuer. Tatsächlich hatte der »Neue" auch zuviel Glück! Wer seine Sätze blieben fast ängstlich gering. Plötzlich jedoch strich er Sicher und Goch vom Tisch in seine Beinkleidtasche, nahm seine Portefeuille heraus und legte mehrere Fünszig-Pfundnoten auf den Tisch. Er gewann rasch hintereinander fünftausend Mark und sagte, als der Spanier eine Visitenkarte mit der lakonischen Be merkung: „Für zehntausend . . ." in den Pot legte, ganz plötzlich: „Va kanque!" Die nun folgenden Vorgänge spielten sich mit einer unglaublichen Schnelligkeit ab. Der Spanier, der ja nur auf den großen Coup ge wartet hatte, ließ seine linke Hand leicht und unauffällig wie imnier vom Tisch gleiten, um die Karte, dis ihm von Wunderlich zuschieben sollte, zu „fangen". Aber dis „Hand" versagte. Wunderlich, in einer seiner jetzt immer häufiger auftretendeu Nervenstörungen, hatte den Moment verpaßt. So mußte der Spanier, der eigen sinnig diese Avance nicht vorbeilassen wollte, selbst in die Servants greifen. Indem er das tat — er sah einen Augenblick wie träumend in die Luft dabei — lag zum Entsetzen aller plötzlich die Faust des Engländers mit einem schweren Revolver auf dem grünen Tisch, und in bestem Deutsch sagte der verkappte Polizeikommissar: „Rühren Sie sich nicht von der Stelle, Herr di Baranco, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes wegen Falschspiels!" Aber der Spanier kannte keine Furcht. Seinen Sessel zurückwerfend und so unter dem Tisch verschwindend, wollte er hinter den Stühlen der Mitspieler den Ausgang gewinnen. Und es wäre ihm auch gelungen, wenn nicht von Sandrat dort gestanden hätte. Auch der hielt den Revolver in der Faust, und das war gut, denn der Falsch spieler wollte sich schon mit dem gezückten Stilet den Weg erzwingen. Indem kam der Kommissar um den Tisch herum und bemühte sich, den Spanier, der sich wütend zur Wehr setzte, zu fesseln. Alle Anwesenden waren von ihren Stühlen ge sprungen und starrten fassungslos auf die Gruppe an der Tür, auf den mit dem Beamten ringenden Spanier, den der Freiherr ebenfalls festhielt und gerade niederziehen wollte, als von drüben, wo di Baranco gesessen hatte, ein Aufschrei aus mehreren Kehlen ertönte. Dort war des Spaniers Nachbar, von Wunderlich, der sein Spiel verloren gab, langsam vom Stuhl geglitten, auf den Teppich, wo seine Glieder im Todeskanwf zuckten. Er hatte das Giststäschchen, das er stets bei sich führte, auf einen Zug geleert. Dann, als der Spanier mit auf dem Rücken gefesselten Händen und von Sandrat bewacht dastand, knöpfte der Kommissar dem Falschspieler die Weste auf und zeigte den Anwesenden die noch mit Karten wohlgefüllten „Seroanten". „Und jetzt bitte ich die Herrschaften, mir gefälligst ihre Adressen zu geben." Das geschah, nur eine Person, die der Kommissar be sonders zu sehen wünschte, war trotz allen Suchens nicht mehr aufzufinden: die Marquise de la Grandvilliere, deren Gatte in dem kleinen kosigen Salon auf einem der rosinfarbenen Atlasfauteuils lag und sich vergeblich zu er heben suchte, als der Polizeikommissar hereintrat . . . Ein Schlaganfall hatte ihn getroffen. Die übrigen Spieler entfernten sich nun schnell. Als aber von Sandrat sich dem Kriegsrat Ohle anschließen wollte, hatte es dieser plötzlich sehr eilig. Und auch die andern Herren wichen scheu zur Seite. Mit einem bitteren Lächeln machte er sich allein auf den Weg. Auf der Treppe holte ihn der Medizinalrat Eberius ein. „Schade", sagte der alte Herr, „das hätten Sie doch nicht tun sollen, Herr Baron! Wo werden wir denn nun unser Geld los?!" * * * Martin Minderstedt hatte zwanzig Mark in der Tasche, als er in jener letzten Spielnacht, die der Aufhebung des Klubs durch die Polizei voranging, das Haus in der Burg grafenstraße verließ. Er ging gar nicht in sein Hotel, denn wovon sollte er morgen bei seiner Abreise die Zeche zahlen?! Oder sollte er seine Frau darum bitten, daß sie zahlte? Eine entsetz liche Angst packte ihn, wenn er daran dachte, ihr, die er gestern abend so schnöde betrogen hatte, wieder unter die Augen zu treten.