Volltext Seite (XML)
Täuschung, wenn man glaubt, weiterhin von der Auferlegung neuer indirekter Steuern ab sehen zu können. Ich will mich nur mit einer Vorlage beschäftigen und mich gegen das Erb recht des Staates aussprechen. Ich bedauere, daß die verbündeten Regierungen diese Vorlage wieder eingeöracht haben. (Sehr gut! rechts.) In den Motiven wird erklärt, die Familien bande seien gelockert. Was mutz da ein Aus länder vom deutschen Familienleben denken? Ich bedauere, daß die Regierung ein solches Zerr bild des deutschen Familienlebens gibt, und zwar nur aus finanziellen Gründen. Auf dem Familiengefühl beruht das Heimatstzefühl und auf diesem die Vaterlandsliebe. Es sieht säst aus, als wäre es ein Unrecht, unerwartet eine Erbschaft zu erhalten; dann müßten Sie auch die Lotterie abschaffen. Wenn die Behörden ent scheiden sollen, ob den gesetzlichen Erben einer nicht testiersähigen Person etwas gegeben wird, dann kann man sich aus etwas Schönes gefaßt machen. (Zuruf: „Sie müssen es ja wissen!" Heiterkeit.) Erbitterte Prozesse zwischen Erben und dem Fiskus werden .die Folge sein. Aus die Versprechungen in den Motiven ist wenig zu geben. Die Regierungen wechseln; dafür bin ich ja ein lebendiges Beispiel. (Große Heiterkeit.) Dieser Gesetzesvorschlag ist ein tiefer Eingriff in 'das Familienrecht und daS Familienvermögen. Ich hoffe, daß dieser Vorschlag an der Schwelle der Beratungen abgelehnt wird. (Sehr gut! rechts.) Auch das, was man den besitzenden Klassen auferlegen kann, hat seine Grenze, wenn man nicht die Erwerbsfähigkeit schädigen will. (Lachen links.) Alle Luxusausgaben müssen gestrichen werden. Es muß endlich Sparsam keit einziehen, aber nicht mit schönen Worten, sondern mit Taten. (Beifall.) Reichsschatzsekretär Kühn: Der Vorredner hat sich mit bemerkenswerter Schärfe gegen das Erbrecht des Staates gewendet. Soweit er Gründe im einzelnen dagegen angeführt hat, werden sie selbstverständlich des näheren geprüft und, soweit möglich, berücksichtigt werden. Ich muß mich aber dagegen wenden, wenn er be hauptet, die Begründung des Entwurfs biete ein Zerrbild des deutschen Familienlebens. Das ist tatsächlich nicht richtig. Wenn die Begründung erklärt, es sei nicht zu leugnen, daß das Ge fühl der Familienzusammengehörigkeit in wei ten Kreisen des Volkes sich außerordentlich ge lockert habe, so ist das die Feststellung einer Tatsache, die gewiß in anderen Ländern genau so wie bei uns beobachtet wird. Das ist aber doch nichts Verletzendes. Ich sehe auch nichts Anfechtbares in der Erklärung, daß die Regie rung sich nicht entschließen konnte, die Grenzen enger zu ziehen. Es ist auch kein Grund zu Ler Annahme vorhanden, daß spätere Regie rungen weitere Fortschritte auf diesem Wege machen werden. Die Finanzverwaltung findet sich damit ab, daß ihr von der Gegenwart keine Kränze geflochten werden: „Wer vieles nimmt, wird manchem etwas nehmen!" (Große Heiter keit.) Abg. Emmel (Soz.) polemisiert zunächst gegen die Konservativen, von deren Opserwillig- keit nichts zu spüren sei. Was die Arbeiterbei träge anlange, so hätten die Gewerkschaften seit 1891 für 160 Millionen Mark Unterstützungen gezahlt. Solche Einrichtungen ließen sich nicht ohne Beamte schaffen, die aber viel schlechter bezahlt würden, als etwa die Direktoren des Bundes der Landwirte. Seine Freunde würden nur Steuern bewilligen, die unbedingt erforder lich seien. Am liebsten freilich wäre es ihnen, wenn die Militärvorlage abgelehnt würde. Gegen die Weiterbehaltung der Zuckersteuer protestierten seine Freunde, mit dem Wehrbeitrag seien sie einverstanden. Der Reichstag sollte die Besitz steuer selbst machen, denn die Agrarier seien als Drückeberger bekannt. Auch die Fürsten dürsten sich nicht drücken. (Vizepräsident Dove rügt den Ausdruck.) -Schatzsekretär Küh n: Nichts hat den Ge danken des Wehrbeitrags so populär gemacht, wie die hochherzige Erklärung der Fürsten (Lachen bei den Sozialdemokraten), auch ihrer seits zu den Lasten beizutragen. Die Finanz- Verwaltung achtet bei der Steuer darauf, daß das Interesse des Reichs und der Bundesstaaten und der Allgemeinheit gewahrt wird. Abg. Roland- Lücke (Natl.!): Finan zielle Kriegsbereitschaft ist eine Verstärkung der Friedensbürgschaften. Die Verstärkung des Kriegsschatzes muß eine gewisse Beruhigung Her vorrufen. Wir wollen unter allen Umständen eine allgemeine Besitzsteuer. Wir können sie uns nur voptellen als eine Erbanfallsteuer bezw. eine Reichsvermögenssteuer. Wenn der Kataster über Vermögen und Einkommen erst einmal da ist, dann kommen die entsprechenden Folgen von selbst. Herr Paasche hat gestern gesagt: „Wir kaprizieren uns nicht auf die Erbschafts steuer." Ich gehe noch weiter: „Wir können ja beide machen, Erbschaftssteuer und Vermögens steuer. (Beifall und Heiterkeit.) Machen Sie die Reichsvermögenssteuer so wenig drückend, die Erbschaftssteuer so schonend wie möglich, dann können wir die 100 Millionen, die etwa ge braucht werden, aus beide verteilen. Eine Wehr steuer könnte in Betrackit kommen. Bei den Banken und Gesellschaften sind gewisse Rücksichten notwendig. Schluß der Sitzung f^8 Uhr; Wciterbe- ratung: Sonnabend 11 Uhr. Nus dem Beiche. Das Herzogspaar von Cumberland in Homburg. Der Kaiser und Prinz Adalbert nebst kleinem Gefolge fuhren gestern früh im Auto mobil nach der Saalburg und kehrten bereits um 9 Uhr 5 Minuten von dort zurück, wäh rend die Kaiserin, das Herzogspaar «von Cumberland und die übrigen Fürstlichkeiten den Vormittag im Königlichen ! Schlosse verbrachten. Aus der Rückfahrt wurde der Monarch jubelnd von allen Seiten begrüßt. Mit dem Zuge 8 Uhr 34 Minuten traf der Reichskanzler Herr v. Bethrttann Holl weg auf dem Bahnhof ein und wurde dort von dein Vertreter Les Auswärtigen Amtes und dem Gesandten von Treutler empfangen. Um ^11 Uhr fuhr der Reichskanzler zum Vortrag beim Kaiser ins Schloß. Kurz nach 12 Uhr ;begaben sich die hohen Herrschaften in die Er- stöserkirche. Beim Eintritt in das Gotteshaus begrüßte Orgelklang die Eintretenden. Der Kai ser erläuterte das Innere der Kirche und zeigte seinen Gästen das goldene Kreuz über dem Altar, das ein Geschenk von ihm ist. Vor der Besichtigung hatte der Herzog von Cumberland eine Zeitlang mit dem Reichskanzler konferiert. Die fteier des Kaiserjuviläums in den sächsischen Schulen. Durch eine Verordnung, die das sächsische Kultusministerium an sämtliche höheren Schulen und Bezirksschulinspektionen Sachsens gerichtet hat, ist für den Tag des 25jährigen Regierungs jubiläums des Kaisers, den 15. Juni, in sämtlichen Schulen Sachsens eine Schulfeier angeordnet worden. Das Mini sterium schreibt: „Am 15. Junid. I. vollenden sich 25 Jahre seit dem Regierungsantritte Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm des Zweiten. In Gemeinschaft mit ihren Fürsten rüsten sich <Kle deutschen Stämme, anläßlich dieses vaterländi schen Erinnerungstages ihrer hohen Verehrung und ihrer großen Dankbarkeit für die ,reichen Segnungen, die das Deutsche Reich durch Se. Majestät den Kaiser in diesem Vierteljahrhun dert erfahren hat, festlichen Ausdruck zu ver leihen. Insbesondere bietet jener Tag auch für die Schulen freudige Veranlassung, in den Her zen der Jugend die Liebe zu Kaiser und Reich erneut zu wecken rind zu pflegen. Das unter zeichnete Ministerium verordnet hiermit, daß am Montag, den 16. Juni, eine Schulfeier, und zwar in derselben Weise, wie sonst am Ge burtstage Sr. Majestät des Kaisers, veranstaltet werde und erteilt Genehmigung zur Aussetzung des Unterrichts an diesem Tage." Der Militär-Etat in der Budgetkommifsion Am gestrigen Freitag stand auf der Tages ordnung die Forderung von 65 persönlichen Adjutanten für die deutschen F ü r st e n und Prinzen mit einem Aufwand von 346 000 Mt. auf Grund der Militärkonventionen. Seitens des Zentrums wurde in der Debatte die Beseitigung der Adjutantenstellen für die Prinzen mit Ausnahme des Kronprinzen als Thronfolgers verlangt. Die Sozialdemokraten beankagten, daß von den 12 Adjutanten des Kaisers 6 gestrichen werden sollten. Die 12 Stellen wurden aber gegen die Stimmen der Sozialdemokraten bei Stimmenthaltung der Volkspartei genehmigt. Bezüglich der persön lichen Adjutanten der Fürsten und Prinzen teilte der Kriegsminister mit, daß außer 41 Adjutan tenstellen noch 14 weitere durch Konvention fest gelegt seien. Bei dem Adjutanten des Fürsten von Hohenzollern liege es ja anders. Aber dieser Fürst habe zuerst auf die Souveränität zugunsten der Einheit verzichtet. Wenn dem jetzigen Fürsten der Adjutant nicht mehr bewil ligt würde, so würde dies einen sehr peinlichen Eindruck machen in Rücksicht aus eine 60jährige Tradition. Dem Landgrafen von Hessen habe man den Adjutanten gegeben, als eine Aus söhnung erfolgte. Bei dem Statthalter von El saß-Lothringen liege eine sachliche Notwendigkeit vor; denn er sei täglich in Verbindung mit den vier Generalkommandos. Bei den preußi schen Prinzen habe sich das Recht auch historisch entwickelt schon vor der Begründung des Reichs. Es liege doch im dringenden Interesse, daß der Zusammenhang zwischen den preußischen Prin zen und der Armee ausrechterhalten bleibe. Schließlich wurde eine Zentrumsresolution an genommen, die den Kriegsministcr auffordert, die Vorbereitungen bis zur dritten Lesung zu treffen, daß entbehrliche Adjutan ten beseitigt werden. Angenommen wurde ferner ein Antrag der Volkspartei, wonach der Reichskanzler ersucht wird, den in Bettacht kom menden Fürsten und Prinzen als die Anschau ung des Reichstags zum Ausdruck zu bringen, daß angesichts der Rüstungserhöhung für das deutsche Volk ein Verzicht auf eine Anzahl von Adjutanten dringend gewünscht werden müsse. Nus dem Muslande. Born Krankenbett des Papstes wird unterm 11. April aus Rom geschrieben: Im Vatikan versichert man, der Papst soll gestern früh den Wunsch geäußert haben, wie der aufzustehen. Indessen blieben die Aerzte da bei, daß er noch längere Zeit st r e n g st e r Bettruhe bedürfe. Dr. Amici äußerle heute: So Gott will, sind wir noch einmal über den Berg hinüber, aber wiederholen darf sich solche Attacke nicht. Vorbereitungen für die Durchführung der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich Im Hinblick auf die bevorstehende Einfüh rung der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich haben die Korpskommandeure und Komman bauten der festen Plätze bereits vom ätzriegs Minister Order erhalten, alle vorbereitenden Maßnahmen zur Unterbringung des dritten Jahrganges zu treffen. Es wird festtzestellt, in welchem Umfange Neubauten oder E r- gänzungsbauten erforderlich wevden. Auch soll sich diese Maßnahme auf die Schieß stände, Manövergelände, Uebungskager cvsw. er strecken, die ebenfalls eine Vermehrung oder Er weiterung, zunial an der Ostgrenze, erfahren werden. London von einen» Luftschiff „bombardiert" Der „B. L.-A." läßt sich aus London, 11. April, folgendes telegraphieren: „Daily Erpreß" kündigt für Sonnabend ein Schauspiel seltsam ster Art an. Ein L u s t s ch i f f, dessen jetzi ges Versteck nicht verraten werden darf (wahr scheinlich damit die Behörden den Plan nichl verhindern können), soll zwischen 10 Ulhr abend» „Hrrrugold" Roman von H. Courths-Mahler. 25) «Nachdruck verboten.) Götz trat ein. Er verneigte sich vor den Damen und grüßte Herbert kühl und höflich. Juttas sonderbares Wesen vom Tage vorher ignorierend, ging er auf sie zu und küßte ihr die Hand. Er fühlte, wie ihre Finger zuckten, und gab sie schnell frei. „Sie haben sich gestern so eilig von mir verabschiedet, daß ich Ihnen zu Ihrer Verlobung nicht Glück wünschen konnte, Komtesse Jutta. Ich gestatte mir, das jetzt nachzuholen, zugleich im Namen meiner Mutter", sagte er ernst und ruhig. Nichts verriet, was er beim Anblick ihres leidenden Gesichtes empfand. Sie sah scheu zu ihm auf. Der gequälte Zug, der seit gestern auf seinem bleichen Antlitz lag, entging ihr nicht. Ein wehes Gefühl schnürt« ihr die Brust zusammen. „Ich danke Ihnen, Herr von Gerlachhau- jen", erwiderte sie höflich, und dabei war ihr zumute, als müßte sie laut aufschreien. Götz richtete auch an Herbert einige höfliche Worte, über die derselbe mit steifer Höflichkeit quittierte. Götz wandte sich dann schnell wieder Jutta zu „Zugleich möchte ich Sie um eine Unter redung unter vier Augen bitten, Komtesse Jutta." Sie zog die Stirn zusammen. „Bitte, Herr von Gerlachhauscn — vor meinem Verlobten habe ich kein Geheimnis." Götz verbeugte sich und wandte sich dann artig an Frau von Sterneck. „Gnädige Frau, darf ich bitten? Ich habe Komtesse eine streng familiäre Mitteilung zu machen." „Dabei wird uns Frau von Sterneck nicht stören, Herr von Gerlachhausen. Sie ist meine Mutter", bemerkte Jutta laut und fest. Götz suhr zurück und starrte ungläubig auf Juttas Mutter. „Unmöglich, Komtesse, Ihre Mutter hatte blondes Haar." Frau von Sterneck machte ihm eine ironi- sch« Verbeugung. „Blondes Haar kann man schwarz färben, Herr von Gerlachhausen, und eine Mutter über windet noch ganz andere Schwierigkeiten, wenn man sie böswillig von ihrem Kinde trennen will. Dazu hatte Graf Ravenau Sie doch mit allen Machtbefugnissen ausgestat,et, nicht wahr?" Götz, der sich bereits gefaßt, sah sie ernst und gebieterisch an. „Allerdings, und sein Auftrag war mir l)«ilig. Für so seine List ist ein ehrlicher Land mann zu grob geartet; aus geradem Wege wäre es Ihnen nicht gelungen, in Ravenau einzu dringen." Jutta konnte den Blick nicht von seinem zürnenden Gesicht wenden. Sah so ein Mensch aus, den man eines Unrechts überführte? War es möglich, daß hinter diesen edlen Zügen er bärmliche Berechnung lauerte? Frau von Sterneck lachte höhnisch auf, und dieses Lachen tat Jutta fast körperlich weh. „Nun, für Ihre mangelhafte Wachsamkeit sind Sie hinlänglich bestraft, denn der Lohn, den man Ihnen dafür bot, mich von Ravenau fernzuhalten, ist Ihnen entgangen. Meine Toch ter hat es vorgezogen, sich selbst den Verlobten zu wählen. Die Zeiten, da man Frauen als Sklavinnen verkaufte, sind vorbei." Götz wandte sich mit einer ruhig, vorneh men Gebärde von Frau von Sterneck ab und Jutta zu. „Gnädige Komtesse, ich bin hierher gekom men, um ein Ehrenwort einzulösen, das ich Ihrem verstorbenen Großvater gab. Unab hängig von anderen Ereignissen unterziehe ich mich der Erfüllung dieser Verpflichtung. Ihr Herr Großvater trug mir aus, mit allen Mit teln zu verhindern, daß die geschiedene Gattin seines Sohnes sich Ihnen nähere. Sollte pe dennoch bis zu Ihnen dringen, dann wünschte er, daß Sie die ganze Wahrheit über Ihre Mut- ter erfahren sollten. Er setzte dabei allerdings voraus, daß ich ein Recht haben würde, Sie zu schützen. Dies Rechr gaben Sie einem andern. Ich bin jetzt nur noch verpflichtet, Ihnen hinter lassene Dokumente Ihres Großvaters auszulie- sern. Ich kenne den geheimen Ort, wo sie lie gen, und bitte Sie, mich in das Arbeitszimmer des Grafen Ravenau zu begleiten, damit ich vor Ihren Augen die Schriftstücke ihrem Versteck ent nehmen und Ihnen übergeben kann." Jutta er hob sich unschlüssig. Götz Gerlachhausens maß volle Haltung blieb nicht ohne Eindruck auf sie. Ihre Mutter war ebenfalls aufgestanden und legte lächelnd den Arm um ihre Schultern. „Komm Kind, gehen wir hinüber, um uns zu überzeugen, daß uns Herr von Gerlachhausen ein romantisches Märchen erzählt hat." Götz fuhr auf. „Gnädige Frau — bedenken Sie, bitte, daß ich als Mann eine Beschimpfung von einer Dame wehrlos über mich ergehen lasten mutz." „Aber bitte, Herr von Gerlachhausen — ich will mich gern von der Wahrheit Ihrer Worte überzeugen lassen." Die beiden Damen rind Götz begaben sich nun in das Arbeitszimmer des verstorbenen Grafen. Herbert blieb ruhig auf seinem beque men Sessel sitzen und sah ihnerr mit ironischem Lächeln nach. Als die Herrschaften eintraten, war Jett- chen Wohlgemut gerade dabei, frische Spiyen- stores unter den Damastvorhängen anzubringen. Noch ehe sie von der Leiter herunterkommen konnte, war Götz an den Schreibtisch getreten und drückte nun auf die verborgene Feder. Die Tür zu dem Geheimfach sprang auf Ohne hin- einzufehen, sagte er zu Jutta: „Bitte, gnädige Komtesse, wollen Sie die Dokumente an sich nehmen!" Jutta faßte hinein, zog aber die Hand rasch zurück. Ihr Gesicht war bleich bis in die Lip pen. „Das Fach ist leer — bitte, überzeugen Sie sich", bemerkte sie tonlos. Götz blickte bestürzt in die Oeffnung und suhr erblassend zurück. „Das begreife ich nicht", murmelte er. Frau von Sterneck lachte. „Vielleicht hat Graf Ravenau sich eines Besseren besonnen und die Papiere vernichtet. Vielleicht hat sie auch der Spukgeist des Schlosses auf geheimnisvolle Weise entführt, weil er nicht leiden wollte, daß man die Gattin des letzten Ravenau mir un verdienter Schmach bedeckte", sagt? sie hart und laut. Bei ihren letzten Worten war Jettchen Wohl gemut wie vom Schlage getroffen zusammenge knickt. Das Kästchen mit Stecknadeln entfiel ih ren zitternden Händen. Sie sah im Geist wie der die unheimliche Gestalt, die in jener Ge witternacht genau auf dieselbe Weise wie Herr von Gerlachhausen den Schreibtisch an der Seite geöffnet hatte. Hastig bückte sie sich nach den Stecknadeln, um den Ausdruck ihres Gesichtes zu verbergen. Es war ihr plötzlich, als ginge ihr ein großes Licht auf. Ihr Erlebnis in jener Nacht erschien ihr in einer ganz andern Beleuchtung. Einen forschenden Seitenblick auf Frau von Stern?cks hohe Gestalt werfend, verließ sie schnell das Zimmer und lehnte sich in der Halle sas- sungslos an eine Wand. „Wenn ich nur wüßte, welches Schriftstück da fehlt — wenn ich mir das nur erklären könnte", dachte sie und grübelte darüber weiter. Seit sie erfahren, daß Frau von Sterneck Jut tas Mutter sei, hatte sich ihre Abneigung gegen diese noch bedeutend verstärkt. Im Zimmer stand Götz noch immer vor den beiden Frauen. Gwendolines Hohn be rührte ihn nicht. Aber daß Jutta nun der Willkür dieser Frau preisgegeben war, beküm merte ihn sehr. Er erkannte nun die Fäden, die das junge Mädchen umstrickten, war aber macht los, sie daraus zu befreien. Jutta hatte ihn groß und ernst angeschaut. „Sie haben sich überzeugt, Herr von Gerlach hausen, daß das Fach leer ist. Vielleicht sah mein Großvater doch in letzter Stunde ein, daß er meiner armen Mutter Unrecht getan", sagte sie ruhig. Sie wollte nicht, daß er eine Nieder lage erleide oder gar der Lüge bezichtigt werde. Etwas in ihr sprach trotz allem zu seinen Gun sten und rüttette an ihrer bisherigen Annah me, er könne verächtlich gehandelt haben. Sie glaubte ihm auch, daß er von dem Vorhanden sein der Dokumente überzeugt gewesen. Götz verbeugte sich vor ihr. „Jedenfalls habe ich gesehen, daß Gras Ravenau die Dokumente in diesem Fach auf bewahrte. Wo sie geblieben sind, weiß ick, so wenig wie Sie." „Sie können auch trotzdem ganz ruhig sein, Herr von Gerlachhaufen. Meine Tochter har aus meinem eigenen Munde ersahv-n, mit welch häßlichem Verdacht mich Graf Ravenau gekränkt hat. Bei ihr habe ich gottlob nicht um Glau ben betteln müssen, weil sie nicht vom Haß ver blendet war", erklärte Frau von Sterneck stolz. Götz richtete einen schmerzlichen Blick au! Jutta. „Meine Mission ist hier zu Ende., Komtesse Jutta. Ich bitte, mich verabschieden zu dürfen Leben Sie wohl — und werden Sie glücklich!" Sie zuckte zusammen. Das war ein Ab schied für immer. Götz, das fühlte sie, würde nicht wiederkommen. Ihr war, als sei alles Licht aus der Welt verschwunden, als müsse sie wie ein furchtsames Kind seinen Arm umklam mern und ihn bitten: „Verlaß mich nicht, ich weiß ja nicht, wie ich mich nun in diesem schwe ren Leben zurechtfinden soll. Ich habe nur im Trotz, in Verzweiflung so töricht gehandelt und mir eine Fessel angelegt, die meine Seele erdrücken wird. Verlaß mich nicht!" Aber sie rührte sich nicht und sprach kein Wort. Ihre trockenen Lippen bewegten sich, aber kein Laut drang hervor. Ehe sie es er faßte, war er fort. Es ging wie ein Riß durch ihr Herz, als sich die Tür hinter ihm schloß. Frau von Sterneck zog sie in ihre Arme. „Mein liebes Kind — nun sind wir von diesem Heuchler befreit, er hat gemerkt, daß seine Roll« in Ravenau ausgespielt ist." Jutta starrte sie an. Fühlte die Mutter denn nicht, wie elend die Tochter war? Früher, wenn irgendein Leid sie bedrückte, dachte Jutta oft: „Wenn Du jetzt eine Mutter hättest, wie tröstlich müßte es sein, ihr Deine Schmerzen klagen zu dürfen!" Jetzt hatte sie eine Mutter, und der größte, bitterste Schmerz ihres Lebens erfüllte ihre Seele — aber sie trug kein Verlangen, am Herzen der Mutter Trost zu suchen. (Fortsetzung folgte)